05 Mai 2015

Nürnberg und die Folgen

Durchaus mit vorwurfsvollem Unterton informierte ich gestern den Franken darüber, dass ich nach nur drei Tagen Aufenthalt im fränkischen Nürnberg ein ganzes Kilo mehr auf die Waage bringe.

„Wahrscheinlich warst du einfach noch nicht aufm Klo“, versucht er sich und seine Ethnie zu rechtfertigen. „Also bitte“, antworte ich, „über solche Werte informiere ich immer nur inflationsbereinigt.“

Nein, meine Theorie geht eher von einer spezifisch fränkischen Kalorienausstattung sämtlicher oral zuführbarer Dinge aus. Nehmen wir die Kässpätzle, welche ich arglos in einem Restaurant namens Nürnberger Alm orderte: Nicht nur handelte es sich dabei um einen schier monströsen Berg Kulinarik, der mir beinah die Sicht auf Ms. Columbo versperrte, auch die verschwenderische Üppigkeit, mit der die unschuldigen Nudeln käsekontaminiert waren, ließ mich vor Schreck erst mal am Alm-Schwarzen nippen.

Apropos Alm-Schwarzes: Bier serviert man drunten an der Pegnitz generell in Mindestgrößen, die hier in Hamburg bereits das obere Ende der Fahnenstange bilden. Und wagte es ein Schankwirt, dem Gast Frankenwein in einer Abgabemenge von lediglich 200 Milliliter (-> das Wort sieht übrigens recht lustig aus) zu offerieren, so bewürfe der ihn umstandslos mit Bocksbeuteln.

Nein, ein Viertele muss es generell sein, und die gewöhnlich ausschankdiensthabende Fränkin würde den Teufel tun und trotz alledem den Eichstrich nicht deutlich überschreiten. Alles hier in Nürnberg nämlich ist voller, dicker, breiter, höher, gehäufter als in hanseatischen Breiten – nur am Ende sympathischerweise die Rechnung nicht.

Unter diesen Umweltbedingungen wäre es kaum verwunderlich, wenn das hier seine Tage und Jahre fristende Frankenvolk kurzatmig, teigig und adipös durch die Stadt walzte, kaum mehr fähig, die Kaiserburg zu ersteigen, weshalb es sich lieber in Lokalen wie der Nürnberger Alm ächzend hinter die Holzbänke zwängen und erst mal eine Portion Kässspätzle vertilgen müsste, was das Ersteigen der Kaiserburg erst recht in eine ungewisse Zukunft vertagte.

Doch so voluminös wie vermutet greift der Nürnberger Franke gar nicht Raum. Natürlich: Eine gewisse Stämmigkeit, ein pralles Ausfüllen der durchweg geschmacklosen Kleidung ist in der Altstadt, die hauptsächlich Gegenstand unserer Feldforschungen war, keineswegs zu leugnen. Am anatomischen Extremismus mancher US-amerikanischen Vorbilder indes orientiert sich der durchschnittliche Frankenkörper noch immer nur eher vage.

Wie also vermeidet er es, binnen drei Tagen ein Kilo zuzulegen, im Jahr also ungefähr hundert? Ich weiß es nicht, und der Hamburger Franke („Wie: Ihr habt nicht mal Nürnberger Rostbratwürste gegessen? Ihr Vegetarier!“) erst recht nicht.

Die gewisse Bequemlichkeit der Bevölkerung hinsichtlich aller Bewegungsabläufe manifestiert sich übrigens auch in den Graffiti, wie das Bild oben beweist. Statt selbst etwas irgendwohin zu pinseln, streicht der pfiffige Nürnberger lieber (hinter)sinnigerweise etwas weg.

Herauskommt Sozialkritik auf Fränkisch. Und danach erst mal ein Berg Kässpätzle. Oder ein paar Rostbratwürste im Weckla.





29 April 2015

Sie lässt mich einfach nicht ran


Fitnessstudio am Rödingsmarkt. Die Dame am Rückengerät, wo ich gerne meine nächsten Übungen durchführen würde, macht schon seit mehreren Minuten keinerlei Anstalten, ihren Platz zu räumen, obwohl sie ihn nur noch zum Ausruhen nutzt. Und zum Simsen.

Ich überbrücke das Warten mit Dehnen in ihrem Sichtfeld und trage eine düster umwölkte Stirn zur Schau, welche von der Rückengerätblockiererin eigentlich als sanftes Drängeln gedeutet werden müsste. Indes vergebens. Die Dame bleibt sitzen.

Nach weiteren drei bis vier zähen Minuten – inzwischen bin ich gedehnt bis zum Ohrläppchen – reicht es mir. Ich gehe hinüber – und stutze kurz vorm Erreichen des Showdownareals. Mir ist nämlich auf einmal nicht mehr ganz klar, mit welchen wohlgesetzten Worten ich ihr mein Anliegen denn nun eigentlich verklickern soll.

„Können Sie mich kurz ranlassen?“ klingt irgendwie deutlich verfänglicher, als es gemeint ist. „Darf ich mal dazwischen?“ hat einen geradezu obszönen Beiklang. Und ein „Lassen Sie mich mal ans Gerät?“ schließt angesichts ihrer Oberweitenausstattung einen unfreiwilligen Nebensinn zumindest nicht vollends aus.

Das Problem ist verzwickt. Ja, es erscheint mir sogar in dieser durchgegenderten Welt voller Sprech- und Tretminen hier und jetzt nicht ohne weiteres lösbar.

Aber die Brustpresse ist ja auch ein nützliches Gerät, und nach dem Fotografieren des wunderhübsch zerfurchten Balancekissens geht zum Glück auch schon der Bauchkurs los.


20 April 2015

Pareidolie (104)


Meine Wolfsburger Lieblingsnichte Judith (9) führte mich am Wochenende zu einer Pareidolie, die sie an einem Bretterzaun entdeckt hatte – und die ehrlich gesagt alles schlägt, was diesbezüglich bisher hier im Blog veröffentlicht worden ist. 

Hiermit ernenne ich sie demzufolge zu meiner offiziellen Pareidoliebeauftragten für ganz Niedersachsen. Zumal sie die Vokabel „Pareidolie“ bereits in ihren aktiven Wortschatz überführt hat.

Damit hat sie ihren Lehrern mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas voraus.

17 April 2015

Die Brötchenbetatscherin


Kiezbäcker, morgens um 9. Hinter mir die Schlange ist genervt, denn ich bin ein wenig eigen.

Sie möge doch bitte die Brötchen nicht mit den ungeschützten Händen anfassen, mahne ich die Verkäuferin, das fände ich unhygienisch. Habe sie doch gar nicht, protestiert sie. Doch, widerspreche ich, mit eigenen Augen hätte ich es gesehen – und nur deshalb überhaupt die Notwendigkeit zur Intervention verspürt und sodann auch umgesetzt.

Dann solle ich bloß nicht in die Backstube schauen, verteidigt sie sich verschnupft, denn dort wühle man unablässig tagein, tagaus mit bloßen Händen im Teig. Mag sein, kontere ich, doch hätten die fraglichen Hände wohl kaum vor ihrer Teigwühlarbeit unzählige klebrige Biotopenbesiedlungsgebiete namens Euroscheine angefasst und direkt danach dann distanzlos verzehrfertige Brötchen eingetütet.

Es geht hin und her zwischen mir und der Verkäuferin, und plötzlich sagt der Mensch hinter mir in der Schlange, Typ fusselbärtiger Mittzwanzigerhipster aus dem Schanzenviertel: „Ich nehme die Brötchen. Die können Sie ruhig anfassen. Mir macht das nichts.“

So, meine Damen und Herren, kann ich nicht arbeiten.

Statt mir im Dienst des Überlebens der Menschheit hygienetechnisch den Rücken zu stärken, riskiert der Schanzenfusselbart eine Erhöhung der durchschnittlichen deutschen Mortalitätsrate, nur um cooler zu wirken als ich.

Der Typ will mich eindeutig als Spießer dastehen lassen, und das gelingt ihm auch, zumindest in den Augen der genervten Schlange und der innerlich augenrollenden Kiezbäckerverkäuferin.

Doch wie auch immer: Da muss man durch als geistiger Bruder Jerry Seinfelds. Und am Ende kriege ich meine etepetete mit der Zange herausgeklaubten unkontaminierten Brötchen und sehe ihn, den Hipster, vorm geistigen Auge auf dem Sterbebett pickelgesichtig Blut husten.

Zu Hause stärkt mir Ms. Columbo, die eins der Brötchen immerhin inkorporieren muss, argumentativ den Rücken. Und alles andere ist auch völlig unwichtig, dass das mal klar ist.


PS: Das Foto zeigt in Ermangelung einer treffsichereren Illustration nicht die Fassade des Kiezbäckers, sondern irgendeines Standesgenossen aus Eppendorf.


 

 

01 April 2015

Ein langer Weg nach Hause


Seinen Gangnachbarn im Bus kann man sich leider nicht aussuchen.

Mir wies das sich ins Fäustchen prustende Schicksal ein kugelförmiges Exemplar männlichen Zuschnitts zu, welches mir die Fahrt über die Alpen mit allerlei Eigenheiten bereichern sollte. Und ich meine damit nicht nur den Anblick seines Wolf-Biermann-artigen Schnauzers.

Denn der ungefähr 60-jährige Mann neigte auch noch …

a) … zum baldigen Öffnen seiner Cargohose, da sie im Sitzen anscheinend den raumgreifenden Freiheitsdrang seines Kugelbauches auf quälende Weise einhegte

b) … zu olfaktorisch fragwürdiger Sockenlosigkeit, was er alsbald durchs Entledigen seiner Schuhe und der Präsentation von jedweder Pediküre unbehelligter nackter Fleischklumpen mit gelbbraunen Nägel vornedran gerichtsfest unter Beweis stellte

c) … zu einem röchelartigen Schnarchschlaf, dessen tieffrequentes Chrrrr sich durch meine Ohrhörer fräste wie der Tunnelbohrer Bärlinde durch den Hauptstadtuntergrund

d) … zu einem periodischen schleimsatten Husten mit ergiebigem Auswurf, den er sich dann ächzend von Kinn und Hals wischte.

Nach einer Raststättenpause kehrte ich vor ihm zurück und sah, was auf seinem Sitz lag: ein etwa halber Meter langer metallener Schuhlöffel, dessen Biografie ich mir lieber nicht ausmalen möchte. Gerade als ich dieses … Ding … fotografieren wollte, kam der Mann angewackelt, und ich verriss nervös die Kamera. Das Ergebnis sehen Sie oben.

Bestimmt habe ich noch gar nicht erwähnt, dass die Busfahrt zwölf Stunden dauerte. Oder dass ich jede Sekunde davon persönlich kenne.


 

28 März 2015

Danke für nichts, Rabat!




Jene steinernen Häuser, welche das Gassengewirr der Kasbah von Rabat bilden, sind oben weiß und am Sockel blau getüncht. Und dieses Blau protzt mit einem derartig saftigvollen Leuchten, dass der Himmel über der Stadt unablässig die Konkurrenz verfluchen dürfte.

Mitten im Gewirr der Treppchen, Plätzchen und Schlängelgänge plötzlich etwas Lebensnotwendiges: eine öffentliche Toilette. Sie wird bewacht von einem jungen Mann, der den Zutritt restriktiv regelt und für die Vielzahl der Aufgaben, die der Betrieb einer öffentlichen Toilette mitten in der Rabater Kasbah naturgemäß mit sich bringt, einen Obolus erwartet.

Als ich dran bin und endlich eine der beiden geschlechtsübergreifenden Kabinen betreten darf, überkommen mich allerdings schnell Zweifel an seiner Kernkompetenz. Die Toilette ist ein Trümmerhaufen, die Brille ruht separiert von der Keramik arbeitslos in der Ecke, und die Sauberkeitsdefinition des Toilettenburschen scheint zudem nicht unbeträchtlich abzuweichen von meiner. Habe ich schon erwähnt, dass nirgendwo Klopapier zu sehen ist?

Von den beiden Waschbecken vor dieser kaum funktionstüchtigen Toilettenkabine ist nur eins im Betrieb – und das gerade belegt. Eine deutsche Touristin hat sich beim Gang durch die Kasbah von einer der zahlreichen mit Spritzen bewaffneten Hennadamen zur Verzierung ihrer Hände hinreißen lassen und sich anschließend durch unbedachte Bewegungen Jacke, Hemd und Hose beschmiert.

Jetzt rubbelt sie das Zeug wütend wieder ab, doch Henna ist, wenn es erst einmal Hautkontakt aufgenommen hat, recht hartnäckig. Dort, wo die Frau die gröbsten Schlieren abgewaschen hat, sehen ihre Hände aus, als wäre beim Nachspielen von „50 Shades of Grey“ etwas schrecklich schiefgegangen.

„Na das war wohl eine Fehlinvestition“, versuche ich Trost und Mitgefühl zu simulieren. Sie grummelt irgendwas und schubbert verbissen weiter. Das einzige funktionsfähige Waschbecken der öffentlichen Toilette der Rabater Kasbah bleibt also dank der Hennahennen erst mal unzugänglich. Derweil lehnt der Kloboy vorn am Eingang weiterhin gelangweilt am Rahmen und gewährt dem Nächsten Zugang, sobald jemand mit entsetztem Gesicht aus der Kabine taumelt.

Trotz alledem will der Bursche natürlich Geld – für nichts. Nach der Zusammenlegung unserer beiden Länder (s. Blogeintrag von gestern) muss das Toilettenaufsichtswesen in den Südprovinzen dringend neu geregelt werden. Klar, man sollte dort auch Arbeitslosengeld und so was einführen. 
Aber bitte erst danach.




27 März 2015

Marokko gehört zu Deutschland – und umgekehrt

Marokko vergreist nicht gerade: 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25. Deutschland hingegen liegt am gegenüberliegenden Ende der Skala. 
Während unserer Stadtrundfahrt durch Casablanca fällt mir eine nobelpreisverdächtige Lösung für gleich beide Probleme ein: Warum nicht kurzerhand unsere beiden Länder zusammenlegen?

In der dadurch demografisch von Null auf jetzt harmonisierten neuen BRDuM (Bundesrepublik Deutschland und Marokko) hätten wir alle eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, lernten in der Schule Deutsch und Arabisch als gleichberechtigte Erstsprachen, würden ermuntert, uns kräftig reproduktiv zu vermischen (vor allem für BRDuM-Bewohner aus den nördlichen Provinzen ein Fest, das kann ich Ihnen sagen!), und der zunächst wahrscheinlich zukunftsängstlich herummaulende marokkanische König Mohammed VI. ließe sich gewiss leicht kalmieren, indem man ihn lockte mit dem Amt des Bundespräsidenten.

Der Mann dürfte meinetwegen auch in seinem Casablancer Königspalast (Foto) verbleiben, statt ins Schloss Bellevue umziehen zu müssen – aber nur, wenn er die beiden wenig repräsentablen Sonnenschirme vorm Eingangsportal endlich zum Sperrmüll gäbe. Deal, Mohammed?

Kurz: Ich sehe bei dieser ganzen Sache – bis auf das zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu lösende Problem einer Anschlussverwendung für Joachim Gauck – insgesamt wenig Probleme, ehrlich gesagt. Das gilt auch in optischer Hinsicht, denn Casablanca wirkt – wie Ms. Columbo schon wenige Minuten nach unserer Ankunft herausgefunden hat – „ein wenig wie Wilhelmsburg“.

Rege hiermit die ersten bilateralen Sondierungsgespräche noch in diesem Sommer an.






23 März 2015

Fundstücke (202)


Deppenleerzeichen, -bindestriche und -apostrophe: Sie sind die Pest, optisch wie grammatisch. Vor ihnen war ich von Hamburg ins hinterste Andalusien geflohen – nur um dort auf eine „Tapa’s Bar“ zu stoßen.

Es gibt also kein Entrinnen. Auch nicht in Malaga. Die Rettung wird morgen nun Casablanca sein – und sei es auch nur deshalb, weil die arabische Schrift wahrscheinlich gar keine Apostrophe kennt.

16 März 2015

Fundstücke (201)

Wie gut, dass wir just an diesem Tag in Süddeutschland unterwegs sind.

Entdeckt in der Seilerstraße.

15 März 2015

Woran Olympia in Hamburg scheitert


Morgen fällt die Entscheidung über die deutsche Bewerbung für Olympia 2024, und wie immer das Duell zwischen HH und B ausgeht: Die Stadioninstallation in der Europapassage, mit der die Kandidatur Hamburgs unterstützt werden sollte, lieferte monatelang ein hübsches Fotomotiv.

Der rote Typ in der Mitte mit dem erhobenen Arm wirkt dabei interessanterweise weniger begeistert als vielmehr auf Widerstand gebürstet. Den haben die Modellbauer wohl subversiv eingeschmuggelt unter die Masse der hanseatischen Jubelperserpuppen.

Daran wird morgen alles scheitern, Sie werden sehen. Dabei wäre ich so gerne mal zu Fuß zum 100-Meter-Finale spaziert.

13 März 2015

Mein erstes und letztes Interview mit Daevid Allen

Es häuft sich: dass Künstler, die Interviewpartner waren, sich für immer verabschieden. Im Januar war es der Tangerine-Dream-Chef Edgar Froese, heute der Mitbegründer der legendären Band Gong, Daevid Allen (77). 

Hier als Hommage an einen ganz Großen der Rock- und Fusiongeschichte noch einmal unser Interview, erschienen erst vor wenigen Wochen, im Dezember 2014 in kulturnews.


Die weibliche Null

Der 1967 in Frankreich gestrandete Australier Daevid Allen (76) ist eine Fusionlegende. Nun hat er seine alte Liebe Gong wiederbelebt – und erklärt, warum diese Band niemand je verlassen kann.

Mr. Allen, es gab im Lauf der vergangenen viereinhalb Jahrzehnte verwirrend viele Inkarnationen der Band Gong. Welche war denn die einzig wahre?
Daevid Allen: Na, die heutige! Und auf Tour war die jeweilige Formation immer die einzig wahre. Wenn du dir das aktuelle Album anhörst, merkst du, wie wahr die aktuellen Gong sind und was für eine Wahnsinnskraft diese Band hat.

Sie sind gebürtiger Australier und bekamen 1967 nach einer Frankreichtour mit Soft Machine keine Einreisegenehmigung mehr nach Großbritannien, wo Sie damals lebten. Was hatten Sie denn verbrochen?
Allen: Ich war 1960 nach Großbritannien gezogen und hatte als Australier zunächst die gleichen Rechte wie britische Staatsbürger. Dann wurden die Einwanderungsgesetze geändert, was ich aber erst mitkriegte, als ich 1967 mit Soft Machine wieder einreisen wollte. Die Band hatte sich einen ziemlich schlechten Ruf erarbeitet, weil sie einige sehr prominente Londoner Debütantinnen mit LSD versorgt hatte – was dem einflussreichen englischen Establishment eine gute Ausrede lieferte, um mich draußen zu halten. Das neue Gesetz bot die Chance dafür.

Immerhin: Ohne diesen Umstand hätte es Gong nie gegeben, denn Sie blieben in Frankreich und gründeten die Band. Glauben Sie eigentlich an so etwas wie Schicksal ...?
Allen: Klar - und es hält überraschende Volten bereit. Es scheint, als hätte ich viel Glück gehabt, und ich bin dankbar dafür. Man kann Magie definieren als perfekten Mix aus Fantasie und Willenskraft. Damals war ich enttäuscht vom Schicksal Soft Machines, aber ich wollte einfach unbedingt was erreichen, und das trieb mich weiter an.

Obwohl sehr viele Musiker zur Band stießen und irgendwann wieder gingen, hat ein Exmitglied, der Gitarrist Steve Hillage, mal gesagt: „Niemand verlässt jemals Gong.“ Wie hat er das denn gemeint?
Allen: Gong ist nicht nur eine Band, sondern eine ganze Gemeinschaft von Bands, Künstlern und einem weltweiten Publikum aller Altersgruppen. Von Zeit zu Zeit veranstalten wir die „Gong Unconvention“, ein Festival mit Gong und befreundeten Bands. Jeder, der mal Mitglied war, ist eingeladen. Das Fest ist ein Magnet für Gong-Freaks, die aus der ganzen Welt anreisen. Das letzte fand 2006 im Amsterdamer Club Melkweg statt. Nächstes Jahr soll es ein weiteres geben. Wenn Sie vorbeikommen, werden Sie sehen, dass niemand je Gong verlassen hat …

Neue Tracks wie das hektische „Occupy“ schließen den Kreis zur hochpolitischen Gründungszeit von Gong, dem Jahr 1968. Was empfehlen Sie denn der Jugend von heute: Wogegen soll sie auf die Barrikaden gehen?
Allen: Mit dem Internet ist eine ganz neue Form der Politik entstanden, ganz klar. Die Bewegung unterscheidet sich von allen davor, und es ist unvorhersehbar, wie sie sich als frei organisiertes Netzwerk entwickeln wird. Und natürlich ist auch die Jugend von heute geprägt von diesem dynamischen Prozess, der die noch im 19. Jahrhundert verwurzelten politischen Systeme entweder weiter transformieren oder sogar ganz überwinden wird. Es gibt zurzeit viele interessante Köpfe wie Thomas Pickety oder Slavoj Žižek, und in vielerlei Hinsicht ist Musik ein Indikator für den anstehenden sozialen Wandel. Allerdings ist der eine visionäre Denker noch nicht aufgetaucht, der eine große internationale Bewegung lostreten könnte.
Die nächste Revolution, sagen Sie in einem Song, wird nicht mehr auf den Straßen stattfinden, sondern in uns selbst. Wenn Marx mit seiner materialistischen Philosophie den Idealisten Hegel auf die Füße gestellt hat, dann stellen Sie mit dieser Prognose wohl Marx auf den Kopf ...
Allen: Einige von uns warten in der Tat auf einen umgedrehten oder von innen nach außen gekehrten Karl Marx. Der neue Gestalter des politischen Fortschritts ist aber wohl eher ein Think-Tank. Ein Kreis Gleichgestellter. Eine weibliche Null statt einer männlichen Eins.
Zurück zur Musik: Bei welchem jungen Fusionkünstler sehen Sie – als Pate des ganzen Genres – eine strahlende Zukunft, wer wird mal ganz groß?
Allen: Oha, ich sehe hier eher Konfusion … Ich lebe praktisch in einem Teehaus am Strand. Aus der Fusion, auf die ich als Pate Einfluss hatte, ist die Infusion geworden. Der Körper und der Teebeutel sind eins, und deshalb sind Vergangenheit und Zukunft für mich auch nicht mehr zu unterscheiden.

Das Album "I see you" ist seit Mitte November im Handel.   

Foto: Madfish Music





07 März 2015

Pareidolie (103)

Diese missmutige Hose von Corneliani habe ich auf der italienischen Ebay-Seite entdeckt – und nicht ersteigert. 
 
Wollte mir die Frühlingslaune nicht verderben.

PS: Eine ganze Galerie gibt es – natürlich – bei der Pareidolie-Tante.

02 März 2015

St. Pauli pinkelt zurück!


Mein Lieblingsterminus des Tages lautet „superhydrophober Lack“. 

Er bezeichnet die beste Erfindung seit Entstehung des Harndrangs – nämlich einen extrem flüssigkeitsabweisenden Lack, der den Urin umstandslos dorthin zurückbefördert, wo er herkam: zum wildpinkelnden Vollhorst.

Können Sie das Zeugs bittebitte auch auf unsere Hauswand pinseln?

27 Februar 2015

„EVRI!“


Wenige Sekunden bevor dieser keineswegs februarkompatbil gekleidete Herr seine Hose öffnete (Foto), hatte er sich bereits seiner Jacke entledigt und mit ihr und einer offensichtlich schwerbeladenen weißen Tüte auf den Anhänger links im Bild eingeschlagen.

Dieses nachts in unserer Straße nicht einmal völlig frappierende Tun untermalte er mit brünftigem Brüllen, aus dem bei aufmerksamem Hinhören Wortfetzen wie „Fucking!“ und „Evri!“ oder so ähnlich destillierbar waren.

Als er sich einer Passantin unter fortgesetztem „Evri!“-Gegrunze in den Weg stellte, riefen Nachbarn die Polizei. Die Zeit bis zu ihrem Eintreffen überbrückte der Mann mit territorialem Urinieren und – Sie ahnen es – Gebrüll. Zurzeit dürfte er sich in der Ausnüchterungszelle der Davidwache befinden. 

Weiß eigentlich jemand, was „Evri“ heißen könnte, in welcher Sprache auch immer? Aufklärung gerne in den Kommentaren, sofern jugendfrei.

Ach ja: Und meiden Sie bitte Drogen. Zumindest jene, die dieser Mann sich zuführte.


20 Februar 2015

Fundstücke (200)

Johnny Cashs erster Gedanke, als er einst in einem Hamburger Hotel erwachte, galt natürlich: June.

Das Dokument hängt im Hard Rock Café gerahmt an der Wand – und ich stand gestern gerührt davor.

10 Februar 2015

Pareidolie (102)

Fast wäre ich dem Maler noch in den Arm gefallen, als er die Rolle ansetzte, um dieses grandiose Tapetengesicht inklusive applizierter Augendübel zu übertünchen.

Doch dann dachte ich: Eine Verewigung im Blog reicht ja eigentlich auch.

Voilà.

PS: Eine ganze Galerie gibt es – natürlich – bei der Pareidolie-Tante.


07 Februar 2015

Stuss stoppen!


Hamburg-St.Pauli: Auch hier auf dem Kiez tobt der Wahlkrampf. Selbst wir, die wir niemandem etwas getan haben, werden behelligt von Menschen mit Namen wie „Enckevort“ und – man vermag es nur errötend niederzuschreiben – „Fegebank“, die sich nicht entblöden, auf unvorteilhaft gestalteten Plakaten ihre Wählbarkeit zu simulieren.

Auch ein gewisses Suding marodiert seit Wochen enervierend sportiv durch Hamburger Medien – anscheinend in der Hoffnung, mithilfe untervögelter Gelegenheitswähler künftig in der Bürgerschaft Bein zeigen zu können. Eine rätselhafte „Bürger-Liste“ hingegen umgarnt jene, denen sich der Liebreiz eines Deppenbindestrichs bereits vollumfänglich erschlossen hat. 
  
 
Derweil will die Linke mit dem oberollen Slogan „Kein Mensch ist illegal“ natürlich wieder mal nicht Adolf Eichmann damals in Argentinien gemeint haben, schon klar.

 






Völlig rätselhaft agiert die CDU, deren Spitzenkandidat Wersich (wer …?) den „Stau stoppen“ möchte. Warum denn das, bitte schön? Der steht doch schon komplett  stillgelegt in der Gegend rum, der Stau, mehr geht nicht. Oder meint die CDU „Stau auflösen“?

 






Erfrischend ehrlich gab sich zunächst als einzige Partei die SPD, welche den Bürgermeister sinnigerweise mit halbiertem Kopf plakatierte; siehe oben. Das signalisiert so entwaffend offen wie kühn: Man kann Hamburg auch mühelos ohne Frontallappen regieren.

Inzwischen ist dieses Kopf-ab-Motiv leider, leider wieder aus dem Stadtbild verschwunden, und jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, wen ich wählen soll.

Aber Sie bestimmt.