29 Mai 2006

Zwei neue Kerben im Colt

(Foto via emmylou.net)

Im Sanitärbereich der Color Line Arena wedele ich immer hektischer vor den Fotozellen eines Wasserhahns herum, erfolglos. Als ich es bei einem anderen versuche, tritt ein Mann ans erste Waschbecken, streckt kurz und bestimmt die Hand aus und erzwingt mühelos einen prachtvollen Strahl, der mich auch als Rinnsal düpiert hätte. Hmpff.

Im Saal auf der Bühne steht derweil zusammen, was nicht zusammengehört: Mark Knopfler und Emmylou Harris, der schottische Gitarrenstilist also und die Countryikone aus Alabama. Harris sang 1972/73 auf beiden Alben von Gram Parsons, diesem frühvollendeten und -gestorbenen Genie des Countryrock, und sie schaffte 1976 auf Dylans „Desire“ das Unmögliche: mit His Bobness glorios zu duettieren. Ihre Methode war die einzig richtige: einfach drauflossingen mit der ganzen hohen kräftigen Reinheit ihres Jubilierens und gar nicht erst darüber nachdenken, was diese komische Kratzkehle neben ihr vokal so vorhat.

Und heute steht sie in Hamburg auf der Bühne. Oben ist an ihr alles Haar, eine gewaltige weißgraue Löwenmähne; hüftabwärts sieht man zwei Strohhalme in Röhrenjeans, die in Harris' Welt offenbar als Beine durchgehen. Nein, „Emmy“, wie der (nicht mir ihr) verheiratete Knopfler sie irritierend zärtlich nennt, hat kein Gramm Fett zugelegt, seit sie einst den Junkie Parsons beim Dahinsiechen begleiten musste.

Das vieltausendköpfige Publikum scheint allerdings vor allem wegen des Stadionrockers Knopfler da zu sein. Ich würde meine sämtlichen Emmylou-Harris-Alben auf ungefähr folgende berufsspezifische Aufteilung verwetten: Lehrer (48 %), Abteilungsleiter (16 %), Abteilungsleitersekretärinnen (27 %), alle in der verwelkten Blüte ihrer Jahre. Brav klatschen sie jeden Viervierteltakt mit, sie wiegen steif die Köpfe und schauen selig, und zweifellos sind das alles Emotionen mit einer gewissen Substanz, doch ich fremdle sehr auf meinem Platz Nr. 10 im Untergeschoss 16, Reihe 19.


Während der Zugaben stehen sie alle auf, die Lehrer, Abteilungsleiter und Abteilungsleitersekretärinnen, sie klatschen im Takt und wiegen selig die Köpfe. Ich verziehe mich leise, mit zwei weiteren Kerben im Colt. Und neben der größeren der beiden steht Emmy.

Bonustrack: „In my hour of darkness“ von Gram Parsons und Emmylou Harris, 1973

5 Kommentare:

  1. Ich bin neidisch. Wirklich, ehrlich, abgrundtief neidisch. Warum kommen die nicht mal in die Provinz? Warum kann ich nicht in Hamburg wohnen wie andere Leute auch? Warum...

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  2. Wahrscheinlich ist es einfacher, Ihren Umzug nach Hamburg zu organisieren, als Knopfler/Harris in die Provinz zu locken. Sie haben es in der Hand!

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  3. Schliesse mich dem Sonnenkönig an, lehne aber alle hanseatischen Maklerangebote wegen der erhöhten Regenhäufigkeit verbunden mit meist tiefen Temperaturen ab.

    btw: Wie war Dein Eindruck von Knopfler? Oder war Harris so "überragend"?

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  4. Die erhöhte Regenwahrscheinlichkeit in Hamburg ist ein Gerücht, dem ich einst auch aufgesessen bin. In Marburg, wo ich früher wohnte, regnet es öfter und vor allem ausdauernder. Hier oben pustet die steife Brise meist die Wolken im Rekordtempo wieder weg. Es gibt also allenfalls eine erhöhte Windwahrscheinlichkeit. Und die ist kein Gerücht.

    Knopfer ist, wie gesagt, ein großartiger Stilist, der seinem Stil allerdings seit 1978 praktisch keine neue Nuance hinzugefügt hat. Aber es ist verblüffend, wie nonchalant er ihn vorführt. Der Kontext ist mir gleichwohl viel zu mainstreamig.

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  5. Hilf mir bitte: Waren es die Finger von David oder Mark, die anno dunnemals bei "Brothers in Arms" die Gitarre in diesem speziellen Moment singen liessen?

    David war damals Rhythmusgitarrist - I know, but ...

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