29 August 2006

Lemmy und die Häkeldamen

Gerade ist die neue Motörhead-Platte erschienen, und Zeitschriften, die schlau sind, haben ein Interview mit Bandboss Lemmy Kilmister (Foto) drin. Denn er ist für den wilden Rock das, was Michael Schumacher für die Formel 1 ist: eine lebende und sehr lebendige Legende. Auch ich habe Lemmy mal vorm Mikro gehabt. Das ist schon eine Weile her; der Text wurde damals in kulturnews gedruckt. Als Hommage an den größten Rocker der Welt wärme ich das alte hier noch mal auf.

Lemmy beäugt die kulturnews mit einer gewissen Skepsis. „Kultur?”, krächzt er, „if I hear kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren. 

„Ähm, Lemmy, sage ich vorsichtig, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie. 

Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jack Daniel’s, den er in einem für die Brause ungünstigen Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, sagt er, „irgendwie.“ 

Nach über einem Vierteljahrhundert Metalshouting für Hawkwind und Motörhead ist seine Stimme zu etwas geschrumpft, das klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier – der Preis des Ruhms. Würde man den Lemmy von heute nachmittag schockfrosten und in einem Hard Rock Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metalklischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: aufgeknöpftes schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die dringend geputzt werden müssten. Und immer, wenn die Lemmy-Statue weibliche Cafégäste erblickte, würde sie „silly cow röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whiskey, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge.

Ich meine: Lemmy ist wirklich böse. Er hat kirschtomatengroße Warzen im Bartgesicht! Und Zottelhaare mit eisgrauen Strähnen drin. Damals, 1975, war es seine Idee, Motörhead mit „ö” zu schreiben. Das sah irgendwie deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean”. 

Wir vereinbaren ein Stichwortinterview, das schont seine Kehle. Let's go, starten wir mit der Anatomie. 

Seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.
Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.

Exduopartnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.

Britisches Rindfleisch? „Geschichte.

Drogen? „Naturgeschichte.

Techno? „Bald Geschichte.
 

Lemmy trinkt schnell, er raucht schnell, aber er denkt auch schnell.
Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.

Drei Dinge, die er am meisten hasst? „Politiker, organisierte Religion und – hmm – Intoleranz.

Gott? „Welchen? Gibt's einen? Ich glaube daran, dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen. Es gibt keinen Ausweg namens Gott.

Alt zu sein? „Unvermeidlich. 

Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whiskey auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel an der Kieler Straße, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt. Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister. Der Melody Maker hält ihn für „radikal, roh, barbarisch und verrückt”. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts, seufzt Lemmy, „alles stimmt. 

Danke, das war's, sage ich. „Das war leicht, sagt Lemmy. Sein Händedruck ist sehr fest, ich fühle den Totenkopfring. Im Foyer wuseln aufgeregte Häkeldamen herum. Wahrscheinlich wollen sie heute Abend ins „Phantom der Oper.  

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Motörhead
1. „God was never on your side“
2. „Eat the rich“
3. „Stand“

 

11 Kommentare:

  1. Ich glaub ich mach ernst und kauf mir das erste mal seit Onkelz - Ein böses Märchen mal wieder eine CD!!! Also wenn es eine Band verdient hätte das ich ihre CD kaufe und nicht runterlade oder rüberkopiere dann Motörhead. Immerhin haben sie uns 30 Jahre durchweg mit gudem Trash Metal versorgt ja diesen Stil erst erfunden und sich nie zum negativen geändert wie das bei der anderen großen Band der Metalgeschichte der Fall war, manche Leute sagen sie hätten sich nie verändert doch dem kann ich nicht zustimmen, man höre sich nur mal erst Self Titled und dann Inferno an, sind härter und professioneller geworden. Ausserdem war Lemmy sich und der Musik immer treu anstatt die Musik so zu verändern das sie jedem gefällt wie das ebenfalls die andere große Metalband getan hat.

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  2. Und vor allem: aufs Konzert gehen! Ein Erlebnis.

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  3. Ich weiss, war auch schon da, gibt echt nichts geileres.

    Übrigens ist es erst 22.34, wiso stammen unsere Kommentare aus der Zukunft

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  4. Hat die Scheibe ne 5 bei Dir bekommen? Oder lese ich Sympathie gegenüber der Authentizität der Band?

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  5. Eine Rezension war wegen des Interviews nicht drin, aber sie wäre zwischen 4 und 5 ausgefallen. Meine Sympathie für Motörhead hat wirklich viel mit Lemmys unverfälschbarer Echtheit zu tun. Außerdem ist er ein sehr guter Songwriter - und natürlich ein Tier auf der Bühne. Wenn Motörhead in Hamburg spielen, weißt du, wo du mich findest …

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  6. Danke - ich werde gern in die CD reinhören, sie spielen leider nicht in meiner Region.

    Am 15.09. spielen The Kooks in HD. Ich habe sie noch nie gehört - auf keiner CD. Welch Novum - ich bin gespannt!

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  7. Gute Band - euphorischer, blutjunger Britpop.

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  8. Dein Interview, ja der ganze Text ist groß.

    Lemmy. Ich wollte nicht seine Leber sein. Und ich wundere mich, wie man mit Whiskey so alt werden kann.

    Ich war bei einem der ersten Motörhead-Konzerte damals in der Markthalle. Die Ohren sausten noch drei Tage nach dem Lärm. Und da gabs noch auf die Fresse. Die Motörhead-Crew vertrieb mit Eisenstangen eine Horde Rock-N-Roller, die Streit suchten.

    Lemmys Antwort zu deiner Gott-Frage ist in jedem Fall eine Zitierung wert. Ich werds demnächst mal verarbeiten.

    Toll!

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  9. Gerade habe ich ein frisches Interview mit ihm gelesen, in dem er behauptet, sein Hausarzt habe ihm „die Leber eines Neugeborenen“ bescheinigt.

    Wahrscheinlich ist er anatomisch ganz anders aufgebaut als wir Normalsterblichen. Oder er verarscht uns seit 40 Jahren, und in seinen Jack-Daniel’s-Flaschen war immer was ganz anderes drin: Tee …

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  10. reichlich verspätet muß ich auch noch meinen senf loswerden, wo ich hier gerade herrn kilmister sehe und an seine ex-freundin wendy o. williams und die plasmatics denken muß. ich gehe jetzt mal die schallplatte suchen um "prisoners of the damned" zu hören. danke!

    grüße nach hh

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