11 September 2007

Mein erstes und letztes Interview mit Joe Zawinul

Joe Zawinul, legendärer Wiener Jazzer und einer der bedeutendsten Musiker unserer Zeit, ist heute morgen mit 75 gestorben. Vor zwei Jahren sprach ich für die Zeitschrift kulturnews mit dem Meister aller Tastenklassen. Von Malibu aus erklärte mir Zawinul das Geheimnis seines Stils. Eine Neuauflage als Nachruf – bye, bye, Joe. 

Matt: Herr Zawinul, Sie leben im kalifornischen Malibu, also unter der Fuchtel Ihres Landsmanns Arnold Schwarzenegger. 
Zawinul: Nein, nicht wirklich. Es ist okay hier. 
Matt: Ihre Kompositionen gelten als saukompliziert. Wie biegen Sie einem Musiker eigentlich bei, dass er nicht gut genug ist – brutal oder schonend? 
Zawinul: Wenn er nicht gut genug wäre, wäre er überhaupt nicht in der Band. Jeder, der in meine Band kommt, ist gut genug. 
Matt: Muss er bei Ihnen vorspielen? 
Zawinul: Nicht in der normalen Weise. Man hört herum, man sieht Leute, wie sie auf der Bühne stehen. Es sind nicht nur die Noten allein, die wichtig sind. 
Matt: Haben Sie jemals vorgespielt? 
Zawinul: Sure. Freilich. 
Matt: Und: Sind Sie dabei mal durchgefallen? 
Zawinul: Nein. 
Matt: Der Jazz scheint in den letzten Jahrzehnten immer grooveorientierter zu werden, ihrer ja auch. 
Zawinul: Meine Musik war vom Tag 1 an immer grooveorientiert. Immer. Als ich Volksmusik gespielt habe genauso wie jetzt. Nie ein Unterschied. 
Matt: In den letzten Jahren kommen die Grooves häufig aus der Club- und Tanzmusik … 
Zawinul: In meiner Musik? 
Matt: Im Jazz allgemein. 
Zawinul: Well, I don’t know. Ich bin kein Jazzhörer. Und auch kein Musikhörer im Allgemeinen. 
Matt: Wie bitte: Sie sind kein Jazzhörer …? 
Zawinul: Nein. 
MattWas hören Sie denn dann? 
Zawinul: Überhaupt nix. 
Matt: Warum das nicht? 
Zawinul: Ich höre meine eigene Musik, während ich’s mache. Ich habe keine Zeit in meinem Gehirn dafür. Die beste Musik ist keine Musik. 
Matt: Woher kommt dann die Inspiration? Normalerweise setzt man sich doch auseinander mit anderen Künstlern. 
Zawinul: Meine Inspiration kommt vom Sound. Ich weiß, wie man einen Sound kriegt, auf allen Instrumenten. Wenn ich einen Sound habe, dann habe ich Musik. Ich brauche keine andere Inspiration, verstehen Sie? 
Matt: Haben Sie denn noch nie intensiv Musik anderer Künstler gehört? 
Zawinul: Ich habe es so viele Jahre getan – und dann an einem Tag total damit aufgehört. Und ich bin nie wieder dazu zurückgekommen. 
Matt: War das so, als ob man das Rauchen einstellt? 
Zawinul: Das war überhaupt keine schwierige Entscheidung für mich. Ich habe so viele Stücke selbst gemacht, manchmal 20 am Tag. Da blieb kein Raum mehr im Gehirn. 
Matt: Ein Stück auf ihrer neuen Platte heißt „Rooftops of Vienna“, und es klingt so übersprudelnd lebendig und hektisch, dass ich nicht gerade das beschauliche Wien vorm inneren Auge habe. 
Zawinul: Es hat keine Hektik, es ist relativ relaxt, fast wie eine Ballade. Wenn der Zuhörer hektisch ist, klingt alles hektisch. Wenn Sie sich ruhig hinsetzen, ist es eines der relaxesten Stücke überhaupt. Es ist riesig schnell und hat viel Feuer, aber im Grunde genommen ist es unheimlich relaxt. 
Matt: Wie kann das sein, wenn ein Stück so viele Beats pro Minute hat? 
Zawinul: Yeah, es kommt drauf an, welchen space man vor sich hat, verstehen Sie? 
Matt: Leider nein … 
Zawinul: Wenn ich zum Beispiel ein Flugzeug am offenen Himmel vorbeifliegen sehe, hat es eine andere Geschwindigkeit, als würde ich es vorm Fenster vorbeifliegen sehen. Dasselbe in der Musik: Wie ich phrasiere, das hat unheimlich viel space. Natürlich: Wenn man sich nur an die Taktzahl hält, hört man es schneller. 
Matt: Gut, ich werde versuchen … 
Zawinul: Brauchen’s gar net versuchen! Nur entspannt Schultern runter und an eine Ballade denken. Das Tempo ist one … two … three … four
Matt: Ein interessanter Einblick in meine Wahrnehmung des Stückes und … 
Zawinul: … in die Wahrnehmung des space im Allgemeinen! Ich wohne ja hier auf einem großen rock, und vor mir das Meer. Ich sehe nix wie das Meer. Und das ist natürlich ein riesiger space

(Foto: ESC)


8 Kommentare:

  1. Oh ja,
    schöne Worte zum space.
    Wünschen wir ihm, daß er sie alle wiedertrifft, die ihm die letzten Jahre gefehlt haben, weil sie schon dort waren, wo er jetzt auch herumgeistern wird.
    Ein erstes Treffen im highway cafe in the sky ? Und dann weiter.
    Wir kommen ja irgendwann auch nach...

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  2. Ich gehe davon aus, dass er sich mit seinem vielbemühten space vereinigt hat. Unheimlich relaxte Vorstellung. Der groove sei mit ihm!

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  3. Schöne Erklärung des space..
    Und dass er keine andere Musik mehr gehört hat, weil in seinem Gehirn kein Platz mehr dafür da war.. faszinierender Mensch. Und Musiker.
    Ich habe gelesen, dass seine Frau im Juli gestorben ist, stimmt das?

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  4. Das weiß ich nicht. Hast du eine Quelle?

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  5. Danke Matt, dass ist das schönste, was ich jetzt die Tage über ihn gelesen habe!
    Eigentlich kenne ich seine Arbeit gar nicht so genau, aber ich war in meiner Jugend ein Weather Report-Fan.
    Kommt mir das nur so vor, oder sterben dieses Jahr wirklich extrem viele Musiker? Nicht schön.

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  6. Frau Anna,
    Herr Matt,
    Ehefrau Maxine ist laut laut.de am 26. Juli 2007 verstorben.

    Eine Quelle: http://www.laut.de/wortlaut/artists/z/zawinul_joe/

    Es sind die Musiker, die in den fünfziger Jahren angefangen haben, neues auf die Beine zu stellen. Wer da so um die 20-25 Jahre alt war, ist heute etwa Mitte siebzig.
    Davon gab/ gibt es wohl viele, die unsere/ meine musikalische Sozialisation beeinflußt haben.
    In etwa zehn Jahren wird es dann wohl grausig in der Hinsicht. Ich mag gar nicht daran denken.
    Und irgendwann sind auch wir dran...
    That's the way the cooky crumbles.

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  7. Ich glaube, daraus hätte er etwas gemacht:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,432173,00.html

    Nicht zu vergessen: Die Impulse stammen aus dem All, aber sie "klingen" nicht. Die Klanggebung ist menschengemacht, sie ist quasi die Übersetzung, damit wir sie mit unseren Sinnen überhaupt wahrnehmen können. Tiefe Töne könnten genausogut höher sein.
    Jedenfalls pulsiert es im space.
    Und das ist doch schon etwas.

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  8. Ein sehr schöner Eintrag

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