06 Mai 2008

Im Bann des Elektrophallus

Im Kukuun am Spielbudenplatz, direkt gegenüber vom Hotel Monopol, soll uns heute Abend das hochgeheime neue Album der Band Coldplay vorgespielt werden.

Mich werden Sicherheitsvorkehrungen erwarten, als wollte ich Guantanamo Bay verlassen. Deshalb kleide ich mich knapp über nackt, also ohne Jacke, Handy, Kamera und Panzerfaust.

Am Eingang erwartet mich ein pferdebeschwänzter Sicherheitsmann mit einem dieser elektronischen Gummiknüppel, die jedes Stück Metall aufspüren, das du am Körper trägst. Wahrscheinlich musst du auch deine künstliche Hüfte abgeben, um das neue Coldplay-Album hören zu dürfen.

Ich informiere den Sicherheitsmann über meine gleichsam jungfräuliche Ausstattung, die auch eine fehlende künstliche Hüfte einschließt, doch er will mich trotzdem mit diesem Ding da scannen.

„Hey, ich habe doch gesagt: Ich habe nichts dabei“, gebe ich mich bewusst störrisch. „Die Sicherheitsvorkehrungen erfordern das aber“, mault er und fingert mir mit seinem Leuchtstab vorm Gemächt herum, während ich mich schrittweise zurückziehe und er auf entwürdigende Weise hinter mir her wedelt mit seinem piepsenden Elektrophallus.

Es ist grotesk. Es ist lächerlich. Es ist die Musikbranche.

Später, während das Coldplay-Album gespielt wird, halte ich meinen USB-Stick am Schlüsselbund hoch wie ein Mikrofon, aber es fällt außer zwei kichernden Kolleginen von Konkurrenzzeitschriften niemandem auf. Trotzdem fühle ich mich auf schäbige Weise ein klein wenig besser.

Mal schauen, wie die Rezension ausfällt.

7 Kommentare:

  1. Wie muss man sich das vorstellen? Sie kommen in einen etwaig dunklen und hermetisch abgesicherten Raum und jemand legt eine CD auf, und alle warten auf irgendwie geartete Reaktionen vom emotionalen "Super!" bis hin zum negativ orchestrierten Naseputzen?

    Das haben Sie sich imvho nicht verdient und auch nicht die Jungs der genannten Band. Sie erzählten mir einmal über den kongenialen Auftritt der genannten Musiktruppe in der Großen Freiheit - vor der ersten CD. Boah, war ich da neidisch. Heute bin ich das komischerweise nicht.

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  2. Wäre es nicht langsam an der Zeit, sich einen anständigen Job zu suchen? Als Musikjournalist ist man doch irgendwie auch Teil dieser grotesken Branche.

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  3. Joshuatree, Reaktionen sind keine erforderlich. Die werden ja irgendwann gedruckt, das reicht.

    Eldersign, Sie haben ja Recht. Aber ich kann doch nix anderes!

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  4. Ich schätze mich glücklich, dass ich nur Musik von kleinen Labels hören die sich freuen wenn ich ihre Vinyls kaufe. So ein 'kommerzverseuchten' Kram würde ich boykottieren. Man sollte immer noch als Kunde / Betrachter / Hörer behandelt werden und nicht sofort kriminalisiert werden.

    Ich glaube da greife ich eher zu NIN, Radiohead oder Pennywise, die sind langsam angekommen in der aktuellen Zeit.

    just my 2 cents...

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  5. Sagst du mir bitte, wie du das Album findest?
    Ich erwarte es sehnsüchtig. Es ist nämlich von Brian Eno produziert, und was der anfässt wird meist zu Gold.

    Gruß von Morpheus aus der erweiterten Nachbarschaft

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  6. Das verrate ich erst im Juni …

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  7. Matt, lassen Sie sich von den lechzenden Neidern hier nicht irritieren!
    Woanders müssen Menschen sehr viel Geld für eine "Elektrophallus-Behandlung" hinlegen und Sie bekommen das umsonst.
    Und wie Sie in den USB-Stick gesungen habe, also ganz großes Kino!

    Äh, eigentlich wollte ich auch gern wissen, wie das Album ist?
    Ich verehre Coldplay.
    FAST noch mehr als Sie. Aber auch nur fast...

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