29 September 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (11)




Höchstens noch in Mexiko oder Österreich geht man ähnlich fröhlich-makaber mit Todesallegorien um wie auf St. Pauli. Hier allerdings verbindet sich das manchmal auch noch aufs Trefflichste mit der Lieblingsbeschäftigung der meisten Kiezianer: dem Trinken.

Das Dekor auf dem Spielbudenplatz entstand jedenfalls in sorgsamer Kleinarbeit aus lauter Kronkorken. Um das zu erkennen, muss man allerdings so nah rangehen, dass der Totenschädel sich verflüchtigt; stattdessen tritt dann auf wundersame Weise das Astra-Logo zutage.
 

 
Und das ist nichts weniger als höchst gefickt eingeschädelt (um aus sehr gerechtfertigtem Anlass noch mal einen gloriosen „Samstagnacht“-Kalauer zu reanimieren).

28 September 2009

Vom aufopferungsvollen Trinken

„Ist es denn schicklich, wenn man seiner überforderten Tischdame beim Leeren ihrer diversen Weingläser behilflich ist?“, fragte ich heute Abend aus sehr gutem Grund den Stilpapst Uwe Fenner, bei dem Ms. Columbo und ich ein Etiketteseminar absolvierten.

„Es ist nicht nur schicklich“, rief daraufhin der Grandseigneur mit formvollendeter Verve aus, „es ist sogar das Gebot der Stunde!“

So konnte ich also die Vorgabe der Altruzentrik, die laut Fenner den guten Umgangsformen das theoretische Fundament liefert, mit einem erfreulich hohen Anteil Hedonismus garnieren. Eine Win-win-Situation in höchster Vollendung.

Hicks.

27 September 2009

Was macht eigentlich …?

„Nirgendwo in der EU“, las ich neulich im Spiegel, „sind die Nachbarschaftsbeziehungen so schlecht wie zwischen Bratislava und Budapest.“

Auf unserer Flusskreuzfahrt über die Donau verschlug es uns (u. a.) genau dorthin: nach Bratislava und Budapest. Die Sonne brannte über beiden allerdings gleich heiß, darüber sollten sie mal nachdenken.

In der hübschen Fußgängerzone der Bratislaver Altstadt lugte eine Metallfigur aus dem Gully – um den Frauen unter die Röcke zu schauen, wie unsere Reiseführerin erklärte. Zu sehen gibt es durchaus einiges, denn die Slowaken sind überwiegend rank und schlank, obwohl sie sich als Nationalgericht eine deftige Nockerlnspezialität mit Speck verordnet haben und mit verführerisch preiswertem Bier versorgt werden.

Themen- und Städtewechsel: Angesichts des Niedergangs der hiesigen Sozialdemokratie fragt sich vielleicht mancher, was eigentlich die hessische Sozisargnagelschmiedin Andra Ypsilanti inzwischen so macht. Nun, sie betreibt anscheinend ein Schuhgeschäft in der Budapester Pàrizsi utca, das ist mitten im Zentrum (Beweisfoto).

Um die Ecke von Ypsilantis neuem Lebensmittelpunkt stießen wir auf ein Lederwarengeschäft, das die eh ins lächerlich Lockvogelige lappende Rabattitis der jüngsten Zeit („Sale!“) ins vollkommen Absurde übergeigte.

Die dort von einer gelangweilten kugelförmigen Ungarin, der in Bratislava nicht mal eine Gullyfigur unter den Rock hätte gucken wollen, für 52 Euro offerierten Lederjacken sollten nämlich laut grellrotem Preisschild mal 29.900 Euro gekostet haben.

„Du meinst Forint“, versuchte Ms. Columbo ihre Ungläubigkeit mir anzulasten, doch nein: Der alte Forintpreis stand daneben, und der betrug mehrere Millionen. Für 52 Euro waren die Jacken nicht mal schlecht, doch die überwältigende Dimension des Rabattschmuhs führte bei uns zu einem intuitiven Kaufmoratorium. Beim Rest der Budapester Flaneure wohl auch, denn der Laden blieb trotz seiner wahrhaft sensationellen Offerten und draußen herumwuselnden Promotern gähnend leer.

Apropos Gähnen: Nach zweimaligem Aufstehen um 6 Uhr früh in Folge heißt es jetzt erst mal ausschlafen. Hoffentlich ohne Ypsilantiträume.

25 September 2009

Bitte um Hilfe bei meiner Wahlentscheidung (4): Dr. Guido Westerwelle, FPD

Vorvorgestern habe ich an dieser Stelle meine Mail an die Bundesvorsitzenden von sieben Parteien dokumentiert. Meine Kernfragen waren glasklar gestellt. Sie lauteten:

1) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Vorratsdatenspeicherung nicht explizit abschaffen will?

2) Werden Sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der sich nicht ausdrücklich gegen Netzsperren ausspricht?

3) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Verletzung der Privatsphäre mithilfe staatlicher Spionagesoftware nicht explizit ausschließt?

Meine Mail ging natürlich auch an FDP-Chef Dr. Guido Westerwelle (Foto: Dirk Vorderstraße). Er brauchte eine ganze Weile für die Antwort, doch schickte wenigstens eine (im Gegensatz zu CDU, Grüne, Linke und NPD), und zwar von seinem eigenen Account. Hier der Text:

Sehr geehrter Herr Wagner,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht vom 25. August 2009 und für Ihr Interesse an liberaler Programmatik. Darüber habe ich mich gefreut.

Seien Sie versichert, dass die Freien Demokraten und ich ganz persönlich auch in Zukunft konsequent unseren Kurs für mehr Respekt vor den Bürgerrechten halten werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum – aber wir wenden uns entschieden gegen Maßnahmen, mit denen man keine Straftaten bekämpft, sondern eine Zensur durch die Hintertür einführt.

Zum Thema Internetzensur haben wir Liberale auf unserem Bundesparteitag in Hannover einen eindeutigen Beschluss gefasst. Mit meiner Antwort übersende (ich) (fehlte in der Originalmail, mw) Ihnen den Link zu diesem Beschluss (http://60.parteitag.fdp.de/files/3607/B-60BPT-D2.pdf). Den Kurs, den Sie darin erkennen, werden wir Freie Demokraten auch in Zukunft konsequent verfolgen.

Wie viel wir von unserer liberalen Programmatik für Deutschland umsetzen können, hängt zu allererst von unserer eigenen Stärke ab. Darum kämpfe ich für eine starke FDP in den Ländern und im Bund. Denn je mehr Wählerinnen und Wähler unsere liberale Programmatik unterstützen, desto kraftvoller können wir diese dann auch vertreten. Deshalb werbe ich um Ihr Vertrauen und bitte Sie um Ihre Stimmen für die FDP.

Nochmals vielen Dank für Ihre Zuschrift. Ihnen persönlich alles Gute.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Guido Westerwelle, MdB
Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion
Bundesvorsitzender der FDP

Vom Abarbeiten meiner drei Fragen kann bei Westerwelle keine Rede sein; er äußert sich eher allgemein und scheut auch Phrasen nicht („Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“). Der Verweis auf ein PDF-Dokument ist zudem unschön.

Hübsch hintersinnig ist die Passage, in der „von unserer eigenen Stärke“ die Rede ist, von der Westerwelle die Umsetzung liberaler Positionen in einer Koalition abhängig macht. Sie bedeutet im Klartext: Wenn ich die FDP nicht wähle, kann sie zwar möglicherweise trotzdem koalieren, ist aber zu kraftlos, um gegenüber dem Koalitionspartner liberale Positionen durchsetzen zu können.

Ich wäre also schuld, wenn trotz FDP-Regierungsbeteiligung Vorratsdatenspeicherungen, Netzsperren und Bundestrojaner nicht abgeschafft würden. Eine rhetorische Volte Westerwelles, vor der ich nur den Hut ziehen kann.

Und jetzt, meine Damen und Herren, wünsche ich am Sonntag gute Unterhaltung. Ich habe mich bereits entschieden.

24 September 2009

Bitte um Hilfe bei meiner Wahlentscheidung (3): Steffen Buchholz, SPD

Vorgestern habe ich an dieser Stelle meine Mail an die Bundesvorsitzenden von sieben Parteien dokumentiert. Meine Kernfragen waren glasklar gestellt. Sie lauteten:
1) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Vorratsdatenspeicherung nicht explizit abschaffen will?

2) Werden Sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der sich nicht ausdrücklich gegen Netzsperren ausspricht?

3) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Verletzung der Privatsphäre mithilfe staatlicher Spionagesoftware nicht explizit ausschließt?
Meine Mail an die SPD ging an Franz Müntefering, doch geantwortet hat Steffen Buchholz (Foto
), Mitglied des SPD-Parteivorstandes und zuständig für den Bürgerservice. Seine Mail ist von Anfang an bemerkenswert, denn er verwechselt mich mit seinem eigenen Parteivorsitzenden, wie man bereits der Anrede entnehmen kann …:
Sehr geehrter Herr Müntefering,

vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 25.08.2009 erreicht hat.


Gerne nehmen wir zum Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen, das am 18. Juni 2009 vom Bundestag beschlossen wurde (Drucksache 16/12850) Stellung.


Wir müssen ein wenig ausholen, um die doch recht komplexen Zusammenhänge zu diesem sensiblen Thema deutlich machen zu können.
Wir sind überzeugt, dass alle einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung wollen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu mit einem Anfang Mai beschlossenen 10-Punkte-Plan ein umfassendes Konzept mit konkreten zusätzlichen Maßnahmen vorgelegt. Eine der Kernforderungen lautete, dass die Strafverfolgungsbehörden dauerhaft personell und technisch gut ausgestattet sind und die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden weiter gestärkt wird.

In den vergangenen Jahren haben wir zudem bereits das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos unter Strafe gestellt.


Der Kampf gegen Kinderpornografie hat viele Facetten, die sich ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Unabhängig von der Frage, ob der Missbrauch von Kindern selbst zugenommen hat, stellt sich zunehmend das Problem der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Internet. Dies liegt an den Besonderheiten des Internets, in dem auch rechtswidrige Inhalte schnell verbreitet und anonym sowie ohne soziale Kontrolle konsumiert werden können.


Die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ist deshalb ein wichtiges Thema. Das dürfte weitgehend unbestritten sein. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Ein rechtswidriges Verhalten dort kann selbstverständlich strafbar sein oder zivilrechtlich verfolgt werden.


Fraglich ist letztlich, mit welchen Maßnahmen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet angemessen, rechtsstaatlich sauber und möglichst effektiv verhindert oder zumindest erschwert werden kann.


Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornografie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internetprovidern heruntergenommen. Ein solcher direkter Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Nur deshalb stellt sich die Frage nach Zugangssperren. Es geht hierbei aber nicht um eine Internetzensur,– es geht um die Bekämpfung krimineller Handlungen in einem ganz besonders gelagerten Fall.


Mit dem Gesetz wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten zu erschweren. Uns ist bekannt, dass versierte Nutzer diese Sperrung technisch umgehen können. Es kommt aber auch darauf an, die Hemmschwelle, die an dieser Stelle in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen. Dem dient neben der Sperrung einzelner Seiten die Umleitung auf eine Stoppseite mit entsprechenden Informationen.


Mit dem nun beschlossenen Gesetz wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf ganz wesentlich überarbeitet und verbessert, wobei die SPD-Bundestagsfraktion ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchsetzen konnte. Wir haben damit auch die wesentlichen Kritikpunkte, die sich aus der Bundestagsanhörung und der Stellungnahme des Bundesrates ergeben haben, positiv aufgegriffen.


Der endgültige Beschluss hat insbesondere folgende Änderungen gebracht.


1. „Löschen vor Sperren“: Die Regelung kodifiziert den Grundsatz „Löschen vor Sperren“. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornografischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist.


2. Kontrolle der BKA-Liste: Die Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich zu bewerten, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des Paragraphen 1 Satz 1 erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen. Das Expertengremium wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Dauer der Geltung des Gesetzes (31. Dezember 2012) bestellt.


3. Datenschutz: Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern mehr vorgesehen.


4. Spezialgesetzliche Regelung: Die im Gesetzentwurf bisher für das Telemediengesetz vorgeschlagenen Regelungen zur Zugangserschwerung werden in eine spezialgesetzliche Regelung überführt. Ausschließliches Ziel des Gesetzes ist die Erschwerung des Internetzugangs zu kinderpornografischen Inhalten. Mit dem neuen Regelungsstandort in einem besonderen Gesetz soll noch deutlicher werden, dass eine Zugangserschwerung auf weitere Inhalte ausgeschlossen bleiben soll. Der Änderungsantrag geht damit auf die vielfach geäußerten Befürchtungen ein, die Zugangserschwerung könnte mittelfristig weiter ausgedehnt werden.


5. Befristung: Die Geltungsdauer des Gesetzes ist bis zum 31.12.2012 befristet. Auf der Grundlage der nach zwei Jahren vorzunehmenden Evaluierung wird der Gesetzgeber in die Lage versetzt, zu prüfen und zu bewerten, ob die Maßnahme erfolgreich war, um endgültig zu entscheiden.


Mit der neuen gesetzlichen Regelung bekämpfen wir nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet, sondern schützen zugleich Internetnutzer, sichern rechtsstaatliche Grundsätze und ermöglichen ein transparentes Verfahren.


Freundliche Grüße


Steffen Buchholz

SPD Parteivorstand

Partei- und Bürgerservice

mailto: parteivorstand@spd.de
Ganz offensichtlich handelt es sich bei Buchholz’ Mail um einen üppigen Textbaustein, eine Sprachregelung, die allgemein verbreitet wird, ohne auf konkrete Anliegen einzugehen.

Meine drei Fragen spielen im Einzelnen keine Rolle; alles dreht sich um Kinderpornografie, hängt also irgendwie mit Frage 2 zusammen. Die erbetenen „unmissverständlichen Antworten ohne offenstehende Hintertür“ sind dem Text nicht zu entnehmen. Wichtigste Erkenntnis: Die Handschrift der Sozialdemokraten beim Zensursula-Gesetz ist nach eigenem Eingeständnis klar zu erkennen, denn „die SPD-Bundestagsfraktion (konnte) ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchsetzen“.


Wie tückisch es sein kann, Bürgeranfragen Textbausteine entgegenzuhalten, zeigt der Fauxpas mit der falschen Anrede. Ich bin nicht Müntefering – und nicht nur deswegen unzufrieden mit Herrn Buchholz’ kümmerlichem Kommunikationsversuch.


Morgen folgt zum Abschluss FDP-Chef Westerwelle, der zweite Bundesvorsitzende, der persönlich geantwortet hat – und mir gleich doppelt für die Mail dankt …

23 September 2009

Bitte um Hilfe bei meiner Wahlentscheidung (2): Jens Seipenbusch, Piratenpartei

Gestern habe ich an dieser Stelle meine Mail an die Bundesvorsitzenden von sieben Parteien dokumentiert. Meine Kernfragen waren glasklar gestellt. Sie lauteten:

1) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Vorratsdatenspeicherung nicht explizit abschaffen will?

2) Werden Sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der sich nicht ausdrücklich gegen Netzsperren ausspricht?

3) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Verletzung der Privatsphäre mithilfe staatlicher Spionagesoftware nicht explizit ausschließt?

Als erster antwortete der Parteivorsitzende der Piraten, Jens Seipenbusch (Foto: Rainer Klute). Hier seine Mail:

Sehr geehrter Herr Wagner,

vielen Dank für Ihre Fragen, Ihr Blog ist mir übrigens schon mal empfohlen worden von einem Freund aus Hamburg :-)

Hinsichtlich Ihrer Fragen kann ich klarstellen:

Wir werden unter meiner Leitung nur Koalitionsverträge akzeptieren, die auch folgende Ziele enthalten:
– Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland (also keine verdachtsunabhängige und anlasslose Aufzeichnung der Verbindungsdatenvon Telekommunikation). Die entsprechende Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht ist zurückzunehmen.

– keine Einführung von sog. Netzsperren, Rücknahme des Zensursula-Gesetzes, kein Aufbau von Zensurinfrastruktur für das Internet
– Verbot (bzw. keine Erlaubnis) des sog. Bundestrojaners (staatlich entwickelte Malware zum Zwecke des unbemerkten Eindringens in private Computer durch ihren Internetanschluss).

Zur Erklärung: Die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung ist eines der wesentlichen Kernziele der Piratenpartei. Viele PIRATEN arbeiten auch im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung mit und insofern gibt es keinen Zweifel, dass wir keine Koalition eingehen können und wollen, die nicht die Abschaffung dieser aus unserer Sicht auch verfassungswidrigen Massnahme anstrebt.

Das einer Zensur im Internet Vorschub leistende sogenannte Zugangserschwerungsgesetz kann getrost als rotes Tuch der Netzgemeinde bezeichnet werden, da es in bisher einzigartiger Weise all das in sich vereint, wogegen die PIRATEN angetreten sind zu kämpfen:

– Die Missachtung von Grundgesetz und Bürgerrechten, wenn es den Regierenden nützlich erscheint.
– Das totale Unverständnis gegenüber dem neuartigen Medium Internet und der Versuch, es durch Zensierung u. ä. solange einzuschränken, bis es sich nicht mehr von den alten (undemokratischeren und unfreieren) Medien unterscheidet.
– Der unerträgliche Populismus, der nicht nur begleitend auftritt, sondern hier sogar jegliches rationale Argument ersetzt und die zahlreichen, sachlich fundierten Gegenargumente schlicht übertünchen soll.

Der Bundestrojaner reiht sich als Massnahme in zwei äußerst bedenkliche Entwicklungen ein, zu deren Bekämpfung die PIRATEN angetreten sind:
1) 'jeder ist verdächtig' – Die Grundhaltung, man müsse alle seine Bürger nach Möglichkeit umfassend überwachen (können), ist der Keim eines Überwachungsstaates. Diese Grundhaltung gilt es zu revidieren.
2) 'der Zweck heiligt die Mittel' – Seit Einführung des großen Lauschangriffs und besonders nach den Anschlägen des 11.9.2001 hat auch der deutsche Staat immer weniger Hemmungen, Mittel einzusetzen, die nicht mit unserer Demokratie vereinbar sind. Hausdurchsuchungen im Falle von polizeilichen Ermittlungen finden ja aus gutem Grunde nicht heimlich statt – entsprechendes muss auch für Durchsuchungen von Computern u. ä. gelten, jegliche Heimlichtuerei passt nicht zur Ausübung staatlicher Gewalt. Die Vermischung von Polizei und Geheimdiensten ist unter allen Umständen zu vermeiden bzw. rückgängig zu machen.

Wir als Piratenpartei können diese Standpunkte übrigens u. a. deshalb glaubwürdig zusichern, weil wir uns ja programmatisch auf wenige Kernthemen beschränkt haben. In einer eventuellen Koalitionsvereinbarung wird es daher insbesondere bei der Verteidigung der Bürgerrechte und der Privatsphäre kein Zurückweichen geben. In diesem Punkte habe ich auch keinen Zweifel, dass ich unseren Mitgliedern aus dem Herzen spreche.

Beste Grüße,
Jens Seipenbusch
Vorsitzender Piratenpartei Deutschland
E-Mail: js/at/piratenpartei.de
Es war zu erwarten, dass ich bei den Piraten offene Türen einrennen würde. Trotzdem finde ich es erfreulich, wie strukturiert Seipenbusch meine drei Fragen abarbeitet. Er hat sie gelesen! Und konkret beantwortet!

Uns werden in den kommenden Tagen andere Beispiele begegnen. Morgen zum Beispiel die SPD, oh weh …



22 September 2009

Bitte um Hilfe bei meiner Wahlentscheidung (1): Der Brief an alle

Vor einigen Wochen schrieb ich an die Bundesvorsitzenden der Parteien CDU, SPD, FDP, Linke, Grüne, Piraten und – jawoll – NPD eine Mail mit dem Betreff „Bitte um Hilfe bei meiner Wahlentscheidung“. Der Text ging so:
Von: Matthias Wagner
Datum: 25. August 2009 22:14:47 MESZ

Sehr geehrte/r Frau/Herr ?,

in jüngster Zeit gibt es in Deutschland politische Entwicklungen, die mich sehr beunruhigen. Es wurden, wie mir scheint, Freiheits- und Bürgerrechte in einem Ausmaß eingeschränkt, wie es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nie der Fall war, zumindest nicht systematisch.

Beispiele: Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren oder auch das staatliche Hacken privater Computer („Bundestrojaner“).

Als Netzbürger ist für mich die Haltung der Parteien zu diesen Punkten von wahlentscheidender Bedeutung. Daher möchte ich von Ihnen wissen, welche Positionen Sie im Fall einer möglichen Regierungsbeteiligung in den unweigerlichen Koalitionsverhandlungen vertreten werden und was mit Ihnen keinesfalls zu machen ist.

Daher möchte ich Sie um Antworten auf folgende drei Fragen bitten:

1) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Vorratsdatenspeicherung nicht explizit abschaffen will?

2) Werden Sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der sich nicht ausdrücklich gegen Netzsperren ausspricht?

3) Werden Sie einen Koalitionsvertrag akzeptieren, der die Verletzung der Privatsphäre mithilfe staatlicher Spionagesoftware nicht explizit ausschließt?

Für unmissverständliche Antworten ohne offenstehende Hintertür, die mir eine klare Wahlentscheidung ermöglichten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass ich Ihre Antworten in meinem Blog „Die Rückseite der Reeperbahn“ (http://www.mattwagner.de/blog.htm) veröffentlichen werde. Bitte antworten Sie nicht, wenn Ihnen das nicht recht ist.

Im vergangenen Monat verzeichnete mein Blog 44.171 Besucher und 67.483 Seitenaufrufe.

Vielen Dank für Ihre Mühe.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Wagner

Geantwortet haben drei (in chronologischer Reihenfolge): Jens Seipenbusch (Piraten), Steffen Buchholz (SPD-Bundesvorstand; statt Münte) und Dr. Guido Westerwelle (FDP). Merkel (CDU), Lafontaine (Linke), Roth (Grüne) und Voigt (NPD) wussten keine Antwort, oder Blogger sind ihnen egal (möglicherweise auch nur einer: ich).

Hier im Blog dokumentiere ich ab morgen die Antworten, auf dass nicht nur mir geholfen werde bei meiner Wahlentscheidung, sondern auch dem Rest der (Netz-)Welt.

Los geht es mit Jens Seipenbusch von den Piraten.

21 September 2009

Passau per pedes



Aus leidvoller Erfahrung mit Denglischmüll dachte ich doch wahrhaftig, es stecke irgendein Sinn hinter „oile ten am Dom“.
Vielleicht nannte sich so ja ein besonders originell denkendes Passauer Olivenölgeschäft, welches die europaweit zehn besten nativ gepressten Kreszenzen im Angebot hatte. Doch in Wahrheit hatten subtile Vandalen einfach zwei Buchstaben aus dem Wort „Toiletten“ rückstandlos entfernt.

Ein paar Straßen weiter stießen wir auf den abgebildeten Schokobusen und den angemeldeten Bedarf an weiteren Modellen. Mein drängender Vorschlag, Ms. Columbo möge sich unbedingt zur Verfügung stellen, stieß nicht auf Begeisterung. Auch meine Versicherung, ich würde danach selbstverständlich die Schokoladenreplikation käuflich erwerben, vermochte sie nicht umzustimmen.

Also hieß es weiterziehen. Der bald entdeckte Hinweis auf ein Weinfest fesselte mich sofort. Und bei der mir selbst gestellten Frage, ob ich mich lieber am Tropfen eines Winzers namens Pichler laben würde oder an dem eines Miesbauern, fiel die Entscheidung eindeutig aus.

Feuerlöscher werde ich übrigens auch künftig nicht bei Herrn Wiesgickl aus Oberkotzau kaufen. Obwohl eigentlich überhaupt nichts dagegenspricht.

20 September 2009

Schweinebraten auf Beinen

So, so, das ist also dieses Bayern, von dem man so viel hört.

Wir waren ja praktisch noch nie hier, außer in München, und das ist SPD-regiert, zählt also nicht. Wir jedenfalls sind in Passau und gehen direkt mal in einen sog. „Biergarten“.

Er heißt Bayerischer Löwe, die Tischdecke ist weißblau kariert unter einem Baldachin aus wurffreudigen Kastanien, das Bier saubillig und extrem wohlschmeckend, zumindest das Innstädter Extra Schwarze. Mehr habe ich noch nicht probiert, das kommt aber noch.

Auf der Speisekarte stehen tausend tote Tiere – und skurrilerweise „Bayerische Antipasti“, bestehend u. a. aus „Obatzda“ und „Rindfleischsalat“. Wir ordern knusprigen Schweinebraten und Spanferkel mit Knödeln.

Feine Sache, nur die Kümmelkörner im Krautsalat machen mich verrückt. Gegen Kümmel hege ich eine gewiss pränatal bedingte Abneigung, die ins Phobische lappt, doch dafür können ja die Bayern nix. Kein Vorwurf also.

Das Bedienungspersonal trägt durchweg schwarze T-Shirts. Auf dem Rücken stehen die Namen ihrer Träger sowie ein Spruch, den sie sich wohl jeweils selbst ausgesucht haben.

Anders ist Markus’ Satz „Für Bier würd I sogar arbeiten“ kaum zu erklären. Elisabeth schaut missmutig drein, punktet aber mit „Leistung die begeistert“, während sich Kerstin „Schweinebraten auf Beinen“ erkor, wobei ich einerseits ihren Mut zur Selbstkritik belobigenswert finde und andererseits, dass sie so schlimm nun auch wieder nicht aussieht – ehe ich feststelle, dass ich mich verlesen habe und sie sich in Wahrheit für den T-Shirt-Spruch „Gaumenfreuden auf bayerisch“ entschieden hat.

Als Kiezianer exegiere ich das sofort als ortsspezifische Anspielung auf Oralsex, doch Ms. Columbo rät ab.

Der erste Hund, der uns begegnet, heißt übrigens Wastl.

19 September 2009

Mit Stars im Pool

Weil der Name Baden-Baden bei einem einfach gestrickten Menschen wie mir als dauerhaft insistierender Imperativ ankommt, finde ich mich heute zufällig in genau jenem Hotelpool wieder, in dem vor zwei Jahren Ricky Martin mit seinem Freund Schluss gemacht hat.

Davon sind dort aber keine Spuren mehr zu finden. Ich bin sogar getaucht. Nichts. Dafür tummeln sich immer mal wieder junge Männer mit uns im Pool, die nach Rockstars aussehen.

Die Beatles, Oasis oder Selig würde ich erkennen, aber wer sind denn die bloß? Bei jedem Konzert des New-Pop-Festivals scannen wir alle Männer auf der Bühne. Es scheiden aus: The White Lies, Soha, Noisettes, Lenka, Livingston und sämtliche männlichen Bandmitglieder von Saint Lu (Foto).

Dann kommt heute Abend die Gewissheit beim Konzert im Festspielhaus: Es waren der Bassist und der Gitarrist von Razorlight. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Wir schwammen mit Razorlight im gleichen Pool, in dem Ricky Martin vor zwei Jahren mit seinem Freund Schluss gemacht hat, omfg. „Das ist doch irgendwie cool?“, sagt – nein, eher fragt – Ms. Columbo. „Das ist sogar obercool“, bestätige ich.

Unsere Stadtführerin heißt Gunhilt Dame. Selten war Nomen omener. Sie ist eine ca. 70-jährige schmale Lady mit kokettem rotem Blazer über blauen Hosen, mit deren Bügelfalten Ricky Martin final-mortal mit seinem Freund hätte schlussmachen können (und dann hätte man auch noch Spuren davon im Pool gefunden, oh ja).

Dazu trägt Frau Dame einen blauen Schirm leger im Arm und parliert druckreif über 2000 Jahre Stadtgeschichte. Sie ist übrigens der meines Wissens einzige Mensch, der das Verb „unterminieren“ noch buchstäblich und nicht allegorisch gebraucht.

Während unseres Spaziergangs mit Gunhilt Dame klackern überall die Kastanien auf die Dächer, deshalb tragen hier so viele Menschen Hüte und/oder meiden die Alleen.

So, morgen geht’s weiter nach Passau.

18 September 2009

MacLAN

Das Hotel in Baden-Baden, wo wir anlässlich des New-Pop-Festivals abgestiegen sind, ist von fast tadelloser Provenienz. Leider hat es nur das neben Bad und WC Wichtigste auf der Welt nicht: WLAN.

Auf dem Schreibtisch steht zwar ein eiförmiger Multiadapter für sämtliche Anschlussmöglichkeiten per Kabel, doch wer von den Hotelgästen hat exakt null Kabel dabei? Moi.

Auch mein mitgebrachter Surfstick ist keine Hilfe, wie sich leidvoll herausstellt. Denn er bringt neuerdings – ursächlich ist wohl das Update auf MacOS 10.6 – den Rechner zuverlässig zum Absturz, und zwar auf erschreckende Weise: Zunächst friert alles ein, dann lässt jemand von oben einen Grauschleiervorhang herab, und ein Kasten in der Mitte informiert mich über einen ernsten Systemfehler, sogar auf Asiatisch.

Kurz: Ich fühle mich onlinetechnisch ernsthaft behindert, weshalb das Bloggen zurzeit von höchst schwankender Zuverlässigkeit ist. Dass ich zwecks WLAN schließlich zu McDonald’s musste, darf niemand je erfahren.

Aber ich habe nichts bestellt, ehrlich!

17 September 2009

Kein Eintrag über des Franken Fahrradpolitik

Der Franke verfügt nicht nur über eine außergewöhnliche, geradezu extraterrestrisch anmutende Ess-, sondern auch über eine außergewöhnliche Fahrradstrategie.

Sie sieht folgendermaßen aus: Er kauft sich auf dem Flohmarkt ein gebrauchtes Rad, meist unter vertrauensseliger Einholung meines fatalen Ratschlags. Nur wenige Tage später allerdings geht das Teil zum Deibel.

Manchmal lässt er es dann lustlos noch mal reparieren, doch bereits beim nächsten Achsenbruch kettet er es eingeschnappt draußen irgendwo an, damit es Zeit hat, über sein Fehlverhalten nachzudenken.

Am Wochenende drauf stampft der Franke dann mit mir im Schlepptau zum nächsten Flohmarkt und kauft unter Berücksichtigung meiner auf nichts gründenden Qualitätsexpertise ein weiteres äußerlich passables, innerlich jedoch hüft- und lendenlahmes Rad. Der Zyklus beginnt dann von vorne.

An der mobilen Grundsituation des Franken ändert sich trotz aller Fahrradkäufe freilich nie etwas: Er schlurft durch Hamburg, oder er fährt Bus und Bahn.

Im Lauf der Jahre hat er so diverse invalide Räder über ganz Eimsbüttel verteilt. Tagein, tagaus fristen sie an irgendwelchen Pfosten ein elendes frankenloses Dasein, werden weder gefettet noch aufgepumpt, ja, es gebricht ihnen ganz und gar an menschlicher Zuwendung.

Das fällt natürlich über kurz oder lang der Polizei auf. Sie pappt also rote Warnschilder an die verwaisten Zweiräder (Beispielfoto), die eine baldige Entsorgung derselben androhen. An dieser Stelle der Entwicklung allerdings wird der Franke doch wieder erstaunlich aktiv.

Denn der Halb- bis Dreiviertelirre schreitet von Zeit zu Zeit seine brachliegenden Radifundien ab, baldowert ihren designierten polizeilichen Abwrackstatus aus – und sobald er ein rotes Warnschild an einem seiner Räder entdeckt, reißt er es umstandslos ab.

Der Franke missgönnt seinen abgelegten Exrädern also ein Ende in Würde. Stattdessen verlängert er mutwillig ihre Agonie. Was das für ein fahles Licht auf seinen Charakter wirft, habe ich ihm allerdings bisher noch nicht explizit auseinandergesetzt.

Zu groß ist die Furcht, er könnte meine Rolle bei der jeweiligen Beschaffung dieses Mobilschrotts näher unter die Lupe nehmen. Und ob das ergebnisoffen geschähe, das wage ich mal zu bezweifeln.

Deshalb halte ich einfach meine Klappe – und blogge nicht mal drüber.


15 September 2009

Rückseitenjubiläum



Heute feierte dieses Blog vierten Geburtstag.

Ich erhielt sogar überraschend ein Geschenk von Ms. Columbo: David Foster Wallace’ „Unendlicher Spaß“. Ein gewaltiger Backstein für den Urlaub – und eine perfekte Umschreibung für die Tätigkeit des Bloggens (wenn man nicht gerade abgemahnt wird).

Auf den ersten Eintrag folgten 1408 weitere. Sie sind dafür verantwortlich, dass eine erkleckliche Anzahl von Menschen sich zu einer insgesamt fünfstelligen Zahl von Kommentaren genötigt
inspiriert fühlte. Entschuldigung.

Der Zähler verzeichnet zurzeit über 1,1 Millionen Seitenaufrufe und 737.683 Besucher; jeder von ihnen schaut sich hier im Schnitt 1:52 Minuten um. Das sei ganz gut, habe ich mir sagen lassen. Verlinkungen und Kommentarfrequenz gingen im Lauf von 2009 allerdings zurück – wohl ein Twittereffekt.

Der erste Satz von „Unendlicher Spaß“ lautet: „Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen.“

Klingt zum Kichern kurios, wenn der Urlaub gerade begonnen hat.


Gunters kleiner Trick



Traf heute Gunter Gabriel (67). Er gestand mir, er erzähle Leuten gerne, er sei bereits 70, damit sie ihm verwundert sagten, er sähe noch gar nicht so alt aus.

Auch die Sängerin Anna Ternheim (31) deutete später am Abend beim Konzert in der Fabrik ihr Alter an. Sie sieht allerdings definitiv jünger aus, als sie ist – und auch jünger als Gabriel, zumindest aus der Ferne.

Der Clip zeigt ihre aparte akustische Solofassung von „My secret“.

14 September 2009

Fundstücke (57)



1. Für die krasseste Denglishdämlichkeit seit Jil Sander ist die Seite meebo.com verantwortlich. „… you agree to our Nutzungsbedingungen and Datenschutzrichtlinien …“: Sind die Gammelsprechler jetzt völlig am Durchdrehen?



2. Drei edelsüße Raritäten, entdeckt auf dem Flohmarkt am Eppendorfer Weg und nach harten Verhandlungen für insgesamt 20 Euro mitgenommen. Kann mir bitte mal ein Fachmann erklären, wie der 1981er Mühlhofener Rosenberg Eiswein ohne Doping auf sagenhafte 17 Prozent Alkohol kommen kann?


3. Schmerzliche Prognose (1). Entdeckt beim Komprimieren.



4. Schmerzliche Prognose (2). Entdeckt in Eimsbüttel.

13 September 2009

Fünf Prozent sind keine Hürde

„Harry’s Fliesenmarkt“ verzeihe ich leichtherzig seinen Deppenapostroph. Und dafür gibt es Gründe.

Als ich dort am Wochenende im St.-Pauli-T-Shirt auflief, schloss mich einer der Chefs sofort ins Herz. „Einen Weltpokalsiegerbesieger bediene ich gern!“, frohlockte der herzensgute Mann sofort und beantwortete hochmotiviert alle aufkommenden Fliesenfragen.

Zudem schien nach und nach in Nebensätzen sein bedrückendes Schicksal auf, welches ihm „Harry’s Fliesenmarkt“ tagtäglich aufbürdet. Dort nämlich, erzählte er, arbeiteten lauter HSV-Fans und nur einer, der dem FC St. Pauli anhinge: er.

Gefangen in der Diaspora, das ist fast wie Waterboarding.

Umso liebenswerter umhegte er natürlich mich, den Weltpokalsiegerbesiegerhemdträger. Es kam im Zuge dessen sogar zum Kauf des Modells Avanti Grau R9 (Foto), und als er den Abholzettel für die Kasse ausfüllte, kritzelte er unten kommentarlos „- 5 %“ drauf.

Fragend sah ich ihn an. „Für den FC St. Pauli“, antwortete er mit einem melancholischen Lächeln. Und dann kehrte er zurück in die bedrückende Tristesse seines HSV-geprägten Arbeitsalltags.

St.-Pauli-Fans sollten im Bedarfsfall also erwägen, „Harry’s Fliesenmarkt“ in vollem FC-Ornat aufzusuchen, trotz der betrüblichen HSV-Kontamination. Oder genau deswegen: Denn dort braucht jemand Unterstützung.

Dafür rückt er auch was raus, schätze mal so fünf Prozent.


12 September 2009

Aufgedeckt: neuer Lebensmittelskandal!



Lebensmitteln in Normverpackungen ist oft nicht zu trauen. Die produzentenseitig tätigen Akteure des freien Marktes versuchen uns in aller Regel möglichst effizient zu betuppen, und das bestätigt sich gerade bei Edeka in der Clemens-Schultz-Straße mal wieder auf bestürzende Weise.

Das Brokkolisortiment dort scheint mir zum Beispiel eine allzu übertriebene Varianz aufzuweisen, obwohl jedes Gemüse mit 500 Gramm deklariert ist und natürlich auch jeweils gleich viel kostet.

Ich aber sehe kümmerliche Mickerlinge neben kraftstrotzenden Muskelkugeln, alle laut Aufkleber indes angeblich ein Pfund schwer. Wer täuscht mich hier: meine Augen oder der Sticker?

Als Akademiker und Mann der Tat klaube ich kurzerhand den dicksten Oschi aus dem Regal, packe ihn auf die Waage – und sehe Unglaubliches (Foto): 752 Gramm! Das sind über 50 Prozent mehr als ausgewiesen!

Elektrisiert nehme ich als Gegenprobe eine eher zwergenhafte Kollegin des Trumms von eben. Sie wirkt, als hätte Mama Brokkoli während ihrer Schwangerschaft ein paar mal zu oft an Pestiziden genippt. Doch heidewitzka: 595 – immer noch fast 20 Prozent über der Norm!

Das Vergleichswiegen einer angeblichen Pfundpackung Tomaten bestätigt mit 546 Gramm den alarmierenden Trend. Ganz klar: Die Produzenten haben sich verschworen, um uns in einer konzertierten Aktion erheblich mehr Ware unterzujubeln, als sie uns zu bezahlen abverlangen.


Und diese Irreführung des Endkunden ist öffentlich nachwiegbar, wie ich im geschilderten Feldversuch belegen konnte. Wo sind Stern, Spiegel oder Focus, wenn man sie mal braucht?

Bei mir schrillen jetzt alle Alarmglocken. Bei der Verbraucherzentrale hoffentlich auch.


11 September 2009

Fundstücke (56): Der Preis der Macht



In welchem Ausmaß die Macht dich zerstört, zerknautscht und unschön vermännlicht: All das zeigt dieses erschütternde neue Foto von Angela Merkel auf einem CDU-Wahlplakat in Altona.

Man möchte Merkel unter diesen Umständen gar keine weitere Amtszeit mehr wünschen. Denn wo will sie denn noch hinmutieren – zum Hulk?



10 September 2009

Ein Ruck muss durch Ole gehen!



Wenn man während einer Busfahrt das Glück hat, neben dem legendären Fotografen Günter Zint zu sitzen, ist der Ausflug gerettet, egal was sonst noch passiert. Der Mann ist nämlich ein Anekdotenspringbrunnen.

Kein Wunder: Zint fotografierte einst im Starclub, er lernte die Beatles kennen, spielte zu Hause Jimi Hendrix Platten vor, zog mit Günter Wallraff konspirativ durch die Lande – und wies unlängst noch Eric Burdon (The Animals) darauf hin, dass er Mist schreibt in seiner Autobiografie, wenn er behauptet, er habe nie im Starclub gespielt. Hat der gute Eric nämlich doch, und Günter kann es beweisen, er war nämlich dabei.

Zint betreibt seit 1991 das Sankt-Pauli-Museum in der Hein-Hoyer-Straße, eine Schatzkiste ohnegleichen, nicht nur wegen des gewaltigen Zint’schen Fotoberges. Es dokumentiert in vielfältiger Form das Leben und Treiben auf dem Kiez im Lauf der Zeiten – und ist jetzt in Gefahr.

Denn die Stadt will den eh mageren Jahreszuschuss nicht mehr zahlen; schließlich muss unser Erster Bürgermeister Ole von Beust jeden Cent zusammenkratzen, um den städtischen Anteil am 450-Millionen-Projekt Elbphilharmonie zu wuppen.

Günter Zint und seine Tochter Lena, die gerade eingestiegen ist, könnten das Sankt-Pauli-Museum mit einem Tausendstel dieser Summe länger betreiben, als es je Huren in der Davidstraße geben wird, aber das kriegen die Zints nicht, das Tausendstel.

Deshalb hat Günter der Stadt zwei Vorschläge gemacht, von denen sie sich einen aussuchen kann – und Ole wäre echt mit der Angelrute gepeitscht, wenn er das nicht täte.

Zum Beispiel wäre der generöse Günter bereit, das komplette Museum der Stadt zu übereignen, wenn sie ihm, dem 68-Jährigen, hinfort eine monatliche Leibrente von 2500 Euro zahlte. Dafür will er sich sogar noch weiter ums Museum kümmern. Das wäre der billigste Kulturschatz, den Hamburg je erworben hätte, selbst wenn Günter 100 würde, was ihm unbedingt zu wünschen wäre.


Also, Ole: Gib dir einen Ruck!


Im Rahmen der Busfahrt hat er mich übrigens fotografiert, der legendäre Knipser. Viel mehr werde ich im Leben nicht erreichen können.

Und natürlich habe ich mich revanchiert.


09 September 2009

27

Am Wochenende wollten wir uns auch mal einen 3-D-Film (Foto) anschauen. Optimistisch und beschwingt traten wir vor die Kinokasse. Dort allerdings verlangte ein professioneller Wegelagerer völlig überraschend die Gesamtsumme von 27 Euro von uns.

27 Euro?! Dachte erst, ich hätte mich verhört. Doch der zynischerweise mit einem unschuldig weißen Oberhemd ausstaffierte Schnösel grinste nicht. Er meinte es ernst – und lehnte zudem unter schlecht geheucheltem Bedauern alle üblichen Ermäßigungen ab. „Nicht für 3-D-Filme“, grummelte der geschulte Spitzbube desinteressiert triumphal.

Ms. Columbo und ich waren beide zu verwirrt und verdattert, um die Sache lauthals und unter Anzettelung eines an „Terminator 3“ geschulten Kundenaufstands abzublasen oder sie wenigstens kleinlaut in einen 2-D-Film umzumünzen. Stattdessen entrichtete ich wie hypnotisiert die geforderte Wuchermaut.

27 Euro. Dafür kann man bei Amazon einen neuwertigen DVD-Spieler kaufen, dafür muss eine Reinigungskraft fast vier Stunden arbeiten, und auf der Reeperbahn beginnt ungefähr dort sicherlich das untere Ende der Skala der Sextarife.

27 Euro. Umgerechnet wären das damals – manchmal muss man sich das noch mal bitterzart auf der Zunge zergehen lassen – rund 53 Mark gewesen. Für einen einzigen Film. Ohne Bier und Popcorn.

Immerhin weiß ich jetzt, warum Cinemaxx-Kassierer hinter Panzerglas sitzen müssen.

08 September 2009

Die Uhr geht, und die Gurké



Von
: Matt
Betreff: Die Uhr geht, und die Gurké
Datum: 8. September 2009 00:21:57 MESZ
An: v?@hamburg-altona.intercityhotel.de

Liebes „InterCityHotel“ am Paul-Nevermann-Platz,

jeden Morgen komme ich so gegen 9:20 Uhr an dir vorbei, und jeden Morgen steht deine Uhr verlässlich auf drei Minuten nach halb 11. Das ist falsch, doch gleichwohl schon sehr, sehr lange so; ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich von Jahren spreche.

Jedesmal, wenn ich an der Fußgängerampel stehe und den stoischen immergleichen Zeigerstand deiner Uhr sehe, „InterCityHotel“, dann durchzuckt mich der kleine Blitz eines sanften Schreckens, doch inzwischen habe ich Routine beim augenblicklichen Selbstberuhigen und weiß praktisch in der gleichen Sekunde, wenn ich deine Uhr sehe, dass ich doch nicht verschlafen habe.

Allerdings wäre es mir dennoch erheblich lieber, könnte ich an deiner Uhr schlicht und einfach das tun, was sie der Umgebung rund um den Bahnhof Altona tagein, tagaus in stoischer Gleichmut signalisiert: die Zeit ablesen.

Doch das geht nicht, denn sie steht ja. Hast du, liebes „InterCityHotel“ am Paul-Nevermann-Platz, eigentlich schon mal darüber nachgedacht, dass man denken könnte oder gar sollte, wo draußen die Uhr nicht geht, würden drinnen eventuell auch die Betten nicht gemacht, die Toiletten nicht geputzt und die Bratenreste von gestern zum Gammelgulasch von heute?

Da denk bitte mal drüber nach,
„InterCityHotel“. Und dann bring endlich deine Uhr zum Laufen, verdammt noch mal.

Mit hoffnungsvollsten Grüßen
Matt

PS: Bei der Gelegenheit könntest du eigentlich auch gleich deine beiden hässlichen Binnenmajuskeln („InterCityHotel“) entsorgen, aber das entscheidet wahrscheinlich mal wieder irgendeine Zentrale, ich weiß. Trotzdem.

PPS: Die Überschrift habe ich übrigens entlehnt aus Gert Mattenklotts „Versuch über die Albernheit“.

07 September 2009

Fragen, die die Welt (nicht) braucht


Zu den quälendsten Fragen gehören zurzeit diese: Wie konnte die Menschheit 200.000 Jahre lang ohne Nasenhaarschneider auskommen? Und wie schafft der Franke das bis heute?

Auch das Baby am Wochenende im Gemüseladen warf Fragen auf: Es starrte bewegungslos schräg an die Decke, ohne je zu blinzeln. Gleichwohl handelte es sich in der Tat um ein Baby und keine Puppe; es nuckelte nämlich versonnen an Papas Zeigefinger. Hoffentlich hat der Mann routinemäßig Augentropfen dabei.

Als wir heute durch Winterhude zockelten, fiel uns ein Friseurladen namens „Sculp Cut“ auf, und auch das ist fragwürdig. Die Gefühle, mit denen Leute, die noch über Haare verfügen (also nicht ich), diesen Laden betreten, dürften als „gemischt“ nur unzureichend beschrieben sein. Alle düsteren Befürchtungen, die der Name „Sculp Cut“ erzeugt, werden zudem durch das an der Hauswand angebrachte überdimensionale Symbol nicht gemindert: eine Schere.

Warum tut ein Friseur so was? Und hat er einen tadellosen Nasenhaarschneider in Gebrauch?

Wenn ja, dann schicke ich den Franken vorbei, trotz allem.



05 September 2009

Country auf der Elbe, olfaktorisch eingetrübt



Die Barkasse Frau Hedi tanzt unter den Attacken spätsommerlicher Sturmböen auf den Elbwellen.
Gleich wird die Countryband Oklahoma Ranch das Schaukeln zum Schunkeln umzutransformieren versuchen – eine Attraktion übrigens, die wahrscheinlich deutschlandweit keine andere Stadt zu bieten hat, weshalb Hamburg allen anderen deutschen Städten unbedingt vorzuziehen ist. Und das, obwohl Oklahoma Ranch erneut eher bescheidene Fähigkeiten beim Countryspielen offenbaren.

Heute geriert sich die Elbe wild, und alle greifen nach den Stangen unterm Dach: der Franke, The Maastrix, China Girl,
German Psycho und sogar Mr. X, dem ich vor Jahren versprach, ihn niemals zu verbloggen, weshalb dieser Satzteil hiermit auch für ungültig und nichtexistent erklärt wird.

„Festhalten ist so was von 90er!“, pflaume ich als einziger Haltloser die rückgratlose Gruppe fröhlich an, werde allerdings im gleichen Moment gegen den annullierten Mr. X geschleudert und greife instinktiv nach der Deckenstange.

Hier hilft also nur eine Runde Staropramen, dann hat man auch was zum Festhalten, sogar etwas Mobiles. Das kommt gut an, das Staropramen, zumal ich es spendiere. Nur China Girl will ein Bier mit Lemon, aber wir sind ja tolerant.

German Psycho ist übrigens trotz seines gezielt gepflegten Chromaxtimages im Kern seines Herzens (yes, er hat eins!) ein höchstwahrscheinlich zartes, vielleicht gar verzärteltes Wesen, das keiner Fliege, sondern höchstens einem Wiener Schnitzel etwas zuleide tun könnte. Auch kann er gewiss kein Blut sehen; ein ernstes Hindernis für eine anständige Serienkillerkarriere.

Wäre seine Zartheit weniger ausgeprägt, dürfte er jedenfalls auf den Geruch von Kotze, der sich plötzlich flächendeckend über unser Boot legt, nicht so reagieren, wie er reagiert.

Während die Band so tut, als stänke es nicht bestialisch, und unbeirrt weiter „Oh lonesome me“ (Clip) spielt, versucht GP verzweifelt, seine Nase vorm Kontakt mit der Außenwelt zu schützen. Er tut es geradezu mit Händen und Füßen, doch gelingen will’s ihm nicht.

Es ist übrigens seltsam, wie geschickt der Geruch von Erbrochenem dich in einen Nachahmungsmodus zwingt, obwohl doch auch dem denkfaulsten Instinkt aus unserer Australopithecus-afarensis-Phase klar sein dürfte, dass es das olfaktorische Problem keineswegs behebt, wenn man selbst zu seiner Potenzierung beiträgt.

Kurz: Wohl jeder auf dem Boot denkt während der hartnäckigen Kotzewolke, die uns ausgerechnet in einer Schleuse liebevoll umhüllt, eine Weile darüber nach, ob er sich ebenfalls schnell mal über die Bordwand hängen sollte.

Doch alle bleiben eisern, sogar GP, dessen Nase inzwischen so tief in seiner eigenen Armbeuge steckt, dass sie eigentlich den Eisengehalt seines venösen Blutes erschnuppern können müsste.

Als Oklahoma Ranch „You are my sunshine“ spielen, ist dank der Sturmböen das Schlimmste überstanden, dennoch muss GP das Schiff verlassen, und nicht nur aus Geruchsgründen.

Wir lassen den Abend im Copper House ausklingen, wo China Girl mir die gefühlten sechs Bedeutungen des chinesischen Wortes „Ma“ beibringt. Unter anderem bezeichnet dieses Wort sowohl „Mutter“ als auch „Pferd“, was in China erheblich häufiger zu Schenkelklopfen und Missverständnissen führt, als dort ein Sack Reis umfällt.

03 September 2009

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (10)


Ha, reingelegt …

Wir sehen hier nämlich nicht jene ominöse Flüssigkeit, mit der des zivilisierten Verhaltens unfähige Pimmeltölpel tagein, tagaus den Kiez zu düngen pflegen, nein.

Hingegen handelt es sich um handelsüblich vom Himmel gefallenes Wasser, das sich traulich in einer Pfütze versammelte, um die vom Imbiss Lukullus an der Reeperbahn abgefälschten und zugleich gülden verfärbten Sonnenstrahlen zu spiegeln.

So entpuppen sich manche scheinbar schlechten Seiten von St. Pauli unversehens als rein und unschuldig. Und das muss auch mal gesagt werden.

02 September 2009

Plus mal minus ist: minus

Die Kundin im spanischen Lebensmittelladen macht eigentlich alles richtig.

Nachdem ihr die Kassiererin das EC-Terminal gereicht hat, beschirmt sie mit der linken Hand die Tastatur, während sie mit der rechten den Code eingibt.

Brav.

Allerdings hätte sie parallel zum Tippen vielleicht doch nicht die vierstellige Geheimzahl vernehmlich vor sich hin murmeln sollen. Immerhin tut sie es auf Spanisch, was eine gewisse Verschlüsselung der Botschaft darstellt.

Zumindest für meine Ohren.

01 September 2009

Der seltsame Schneuzer

Vielleicht hat ihn der fast volle Mond überm Kiez kirre gemacht, vielleicht auch eine Brise zu viel LSD, jedenfalls bellt draußen ein Mann.

Klein und eckig ist er und anscheinend asiatischer Herkunft, er trägt eine dunkle Umhängetasche, in der er immer wieder wühlt, und redet mit sich selbst.

Der Mann schneuzt sich in beide Hände und verwischt den Schmodder auf Motorhaube und Windschutzscheibe eines parkenden Transporters (M.).

Aus der Hofeinfahrt des Spielcasinos kommt ein Auto. Der Eckige klopft an die Scheibe und sagt etwas. Ein Muskelmann öffnet die Tür, es gibt einen Wortwechsel. Der Verwirrte wird laut, der Muskelmann springt aus dem Wagen, verfolgt den Kleinen ein paar Alibimeter weit und geht dann zurück zum Wagen.

Als er losfährt, kommt der Verhaltensauffällige erstaunlich behende zurück und versucht das wegfahrende Auto zu treten. Zu seinem Glück schafft er es nicht; der Casinomann ist doppelt so groß wie er. Zufällig kommt ein Streifenwagen vorbei, und der seltsame Mann zeigt fuchtelnd die Richtung, in die sein Kontrahent entschwunden ist.

Vielleicht denkt er wirklich, die Polizei sei gerade vom Himmel gefallen, um ihm beizustehen.

Wieder schneuzt er sich in die Hände und wischt sie diesmal an der Hauswand ab, mit weit ausgebreiteten Armen; es sieht aus wie ein religiöses Ritual. Als eine Passantin vorbeikommt, springt er auf sie zu, um sie zu erschrecken, und ruft „Fuck you!“.

Sie beschleunigt den Schritt, er verfolgt sie nicht. Er brabbelt irgendetwas. Dann geht er langsam in Richtung Postamt.

Man hört ihn noch eine ganze Weile bellen in der Ferne.