30 November 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli Hamburg (37): Alles Gold, was glänzt



Die Tapete im renovierten Passage-Kino in der Mönckebergstraße ist derart hinreißend, dass ich sie kurzerhand zum formatfüllenden Bildschirmhintergrund meines MacBook Pro gemacht habe.

Welchen Film die Passage zeigt, ist in Anbetracht des Wandschmucks eher zweitrangig – obwohl die meisten der 187 Minuten von „Carlos, der Schakal“ durchaus ihre Reize haben.

28 November 2010

Wieder mal ein Beitrag „gegen Tiere“

 
Der alte leerstehende Kaufhauskomplex namens Frappant in Altona soll abgerissen werden, weil das Möbelhaus Ikea an gleicher Stelle ein Filialgebäude errichten will. Vorher, heißt es in der jüngsten Mopo am Sonntag, müssten allerdings tierschutzgesetzgemäß die dort nistenden „Taubenbabys“ umgesiedelt werden. 

Wie bitte …? Selbst wenn „Taubenbabys“ (vulgo: Küken) wirklich existierten, wäre das eine markerschütternde Nachricht, denn aus diesen kleinen Federknäueln entstünden bei entsprechender Fütterung unweigerlich ausgewachsene und fatalerweise flugfähige Vögel, und diese Biester schlügen irgendwann mit tödlicher Sicherheit hier auf unserem Balkon auf. 

Doch es gibt ja zum Glück in Wahrheit gar keine Taubenküken, oder hat irgendjemand von Ihnen schon mal welche gesehen? Na bitte. Ms. Columbo vertritt übrigens die plausible Theorie, Tauben durchliefen alternativ zum Kükenstadium Terrorcamps im Nahen und Fernen Osten und würden nach der Abschlussprüfung direkt nach Hamburg importiert, um die geschilderten Anschläge auf unseren Balkon durchzuführen (leider sind es keine Selbstmordattentate). 

Ich plädiere übrigens schwerstens und ganz generell dafür, Tauben mit aller gebotenen Härte zu Zugvögeln umzuschulen – und den afrikanischen Ländern, in denen sie überwintern, üppige Prämien dafür zu zahlen, dass sie ihnen im Frühling keine Ausreisevisa mehr ausstellen. Die angebliche Umsiedlung von „Taubenbabys“ in Altona unter Federführung von Ikea ist jedenfalls schon jetzt der schlechteste Witz der gesamten Adventszeit, dabei hat die gerade erst begonnen. 

Neben Tauben gibt es übrigens auch Pferde. Sogar alte – und die verfügen erstaunlicherweise über ein Diskussionsforum im Internet. Von dieser Skurrilität hätte ich niemals erfahren, wenn nicht zurzeit eine erkleckliche Zahl Blogbesucher von ebendort auf die Rückseite der Reeperbahn umgeleitet würde. 

Kennt irgendwer den Grund? Ich möchte mich ungern selbst dort anmelden, zumal ich nicht mal einen alten Maulesel besitze, geschweige denn einen im Rentenalter.

27 November 2010

Fundstücke (115)



Man könnte dem Verfasser dieses Infozettels natürlich einfach einen Fehlgriff in der Vokabelwahl unterstellen und schmunzelnd zur Tagesordnung übergehen, doch der Zettel hängt nicht in irgendeinem Eiscafé, sondern ausgerechnet in: Poppenbüttel …

Den Rest kann man sich ja wohl denken, nicht wahr.

26 November 2010

„Muss ich entsorrrgen Ihrrre Müll?“



Hamburg ächzt unter der Last der Schulden, und was tut die Regierung? Rauscht mit dem Mähdrescher durch das eh nicht mehr reich bestellte Feld der hanseatischen Kultur. Was nicht komplett plattgemacht wird, kommt zumindest in den Genuss einer Amputation.

Wie die Hamburger Bücherhallen: weniger Zuschüsse, dafür mehr Personalabbau. Fünf davon sollen sogar ganz dichtgemacht werden.

Das rührt mein Herz, als Bürger dieser Stadt bin ich gefragt, unbürokratische Hilfe ist erforderlich. Und so nutze ich einen Urlaubstag, um zu Hause die Regalwand nach entbehrlicher Lektüre zu durchforsten. Eine großzügige Sachspende soll die Not der hanseatischen Bücherhallen lindern, auf dass ein Teil der wegfallenden Zuschüsse kompensiert werde.

Am Ende der Aussortieraktion beherbergt der größte auffindbare Rollkoffer eine erstaunliche Zahl von Werken u. a. der Weltliteratur. Ich kann ihn kaum mehr anheben; eine Umhängetasche entlastet den Trumm wenigstens soweit, dass ich ihn die Treppen hinabwuchten kann. Danach wird er durch St. Pauli gerollt. Auch kein Spaß, aber machbar.

Als ich nach 20-minütigem Gerumpel leicht erschöpft in der Bücherhalle vorstellig werde, ist meine Vorfreude groß auf die strahlenden Augen, die sie dort gleich machen werden. Hoffentlich fallen mir die Bücherhallenbediensteten nicht vor Freude weinend um den Hals; mit so was kann ich nicht gut umgehen, das weiß ich.

Doch ich nehme mir fest vor, mit souveräner Verlegenheit zu reagieren auf jene umflorte Rührung, die nur Existenzgefährdete aufzubringen wissen, denen in Gefahr und großer Not ein tapferer Altruist zu Hilfe eilt.

Eine ältere Dame tritt zögernd hinterm Tresen hervor und mustert grußlos mein Gepäck. „Guten Tag, ich möchte Ihnen Bücher spenden“, eröffne ich ihr strahlend unter Vermeidung jedes übertriebenen Pathos, während ich den gewaltigen Rollkoffer ächzend auf den Rücken lege.

„Das sind bästimmt viellä“, prognostiziert die Dame. Trotz ihres osteuropäischen Akzents vermag sie eine Skepsis spürbar werden zu lassen, die ich ehrlich gesagt zuallerletzt erwartet hätte. Wo sind die Tränen der Rührung, wo die vorauseilende Dankbarkeit?

Ich öffne den Koffer. Sie schaut, als wollte ich ihr Hedgefondsanteile andrehen. „Da müssen wirrr errst einmal schauän“, murrt sie und beginnt die Bücher in Augenschein zu nehmen. Manche stapelt sie auf den Tresen, andere legt sie zurück in den Koffer.

„Wollen Sie jetzt etwa die Bücher einzeln durchschauen?“, ärgere ich mich. Oh ja, das will sie. „Ich möchte sie aber nicht mehr mitnehmen“, sage ich. „Ich bin schließlich extra hergekommen, um sie zu spenden.“ Die Überbetonung des Verbs ist mein letzter Versuch, doch noch jene Dankbarkeit hervorzurufen, die ich eigentlich als freiwillige (und einzige) Gegenleistung erwartet hatte.

„Dann soll ich brrringen sie zu Altpapier? Muss ich entsorrrgen Ihrrre Müll?“ Ganz klar: Diese Frau verfügt nicht nur über einen osteuropäischen Akzent, sie ist Stalins kleine Schwester.

„Wie bitte? Da ist kein Müll dabei!“, zische ich mit schneidender Ruhe, unter der hoffentlich das Glosen des Empörungsvulkans hervorscheint. Längst fühle ich mich gekränkt und entwürdigt sowie tief verletzt in meiner Altruistenehre.

Stalin ist davon völlig unbeeindruckt und weiter am Aussortieren. Mao nimmt sie, Lenin verschmäht sie. Mordillo: weg. Kierkegaards „Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit“, gebunden, Furche-Verlag, Berlin, 1939: in ihren Augen Müll. Auch Zola wandert zurück in den Rollkoffer.

Diese postsowjetische Banausin ist offensichtlich noch immer geprägt von der totalitären Willkürherrschaft ihrer Jugendzeit – und hat die ihrer Ansicht nach besten Seiten dieser Methode in die Welt der Bücherhallen hinübergerettet.

Jetzt will sie sogar Mario Puzos „Omerta“ nicht. Meine Güte, Puzo hat „Der Pate“ geschrieben! Alle zehn Finger würde sich die büchervernarrte Kiezjugend lecken nach so einem Fachmann für das auch hier gut organisierte Verbrechen.

„Sie wollen selbst den Puzo nicht?“, frage ich wie erstarrt den Bücherhallendrachen. „Na gutt, könne Sie lägge auf Värschänkdisch“, vernichtet sie mich final. Wie in Trance lege ich den Puzo auf den Värschänkdisch.

Dieser Tag hat eine ganz andere Wendung genommen, als ich erwartet hatte. Die Hamburger Bücherhallen wollen meine Bücher nicht mal geschenkt. Zumindest nicht alle. Ehe ich an Leib und Seele beschädigt wieder hinausrolle mit dem abgelehnten Bücherrest, brumme ich ihr noch ein „Mich sehen Sie nicht wieder“ zu, was die Gulagwärterin mit einem unbeeindruckten „Gutt, gutt!“ abtut.

Ich schmuggle noch heimlich ein Exemplar von Mark Perrymans „1. FC Philosophie. Flach denken – hoch gewinnen“ auf den Värschänkdisch, aus Rache. Denn mein Altruismus ist längst erloschen und hat anderen, dunkleren Gefühlen Platz gemacht.

Auf dem Heimweg drängt es mich aus purer Frustkompensation ins Caffè Latte; einen Trostbrownie gibt’s da für 1,90. Die Hamburger Bücherhallen werden also ausgehungert, sorgen aber im Gegenzug dafür, dass ich dick werde.

Wie nennt man noch mal das Gegenteil einer Win-win-Situation?

25 November 2010

„Halt’s Maul, du Nazi!“



Manchmal will ich gar nicht wissen, welche Geschichten sich hinter den Gesprächsfetzen verbergen, die ich so mitkriege.

Zum Beispiel neulich die im Fitnessclub. Ich kleidete mich wieder einmal zufällig in Sicht- und Hörweite des Hulk um. Diesmal telefonierte er, und zwar ähnlich brachial, wie Inkasso-Henry gewöhnlich trainiert.

„Du, Torben, grüß dich, ne“, rief der Hulk mit seiner dünnen Stimme, die der bergigen Anmutung seiner Physis Hohn spricht. „Du, der Neger hat sich nicht gemeldet, ne. Jetzt haben wir keine Einnahmen, ne.“

Im Nacken hat der Hulk übrigens ein riesiges eisernes Kreuz tätowiert, das ist mir beim letzten Mal gar nicht aufgefallen. Der Hulk arbeitet bestimmt auf St. Pauli, da würde ich meinen letzten Dollhouse-Dollar drauf verwetten.

Apropos St. Pauli: An einer Fußgängerampel nahe der Kneipe Blauer Peter (Foto) bekam ich unlängst ebenfalls anderthalb Gesprächsfetzen mit, deren Hintergrund mich allerdings schon sehr interessiert hätte.

Gegenüber stand eine Gruppe von Leuten. Als die Ampel grün wurde, löste sich ein Mann aus der Gruppe, der auf eine Ron-Wood-artige Weise gesichtsverwittert war. Seine Augen glühten wie zwei Eierbriketts, und er brüllte, ohne sich umzudrehen: „Halt’s Maul, du Nazi!“

Als er die Mitte der Fahrbahn erreicht hat, brüllte er es noch mal auf die gleiche starre, glühende Weise, und in diesem Augenblick lief ein junger Typ von etwa 20 Jahren aus der Gruppe gegenüber hinter Ron Wood her, gab das Vorhaben aber schon nach wenigen Metern wieder auf.

Sein so schnell wieder erschlaffter Verfolgungsimpuls konnte verschiedene Ursachen gehabt haben. Entweder er war Nazi, mochte aber nicht so genannt werden, oder er war keiner – und wollte erst recht nicht so genannt werden.

Jedenfalls kam es zu keiner weiteren Konfrontation, nur ein zweifach gebrülltes empörtes „Halt’s Maul, du Nazi!“ echote noch eine Weile durch die Simon-von-Utrecht-Straße, zumindest vor meinem inneren Ohr.

Der Hulk jedenfalls hätte sich das alles nicht bieten lassen. Von Ron Wood schon mal gar nicht.


23 November 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (36): Beckers Passage



Im Eingangstunnel von Beckers Passage, der zu einem erquickend ruhigen Wohnareal zwischen zwei turbulenten Straßen auf St. Pauli führt, herrscht in der Regel olfaktorische Dialektik.

Tagsüber mischt sich der Fladenbrotduft eines benachbarten Dönerladens mit dem Liebreiz allmählich eintrocknenden Urins. Nachts aber gewinnt alles an Eindeutigkeit, an Schärfe, an Unbedingtheit.

Dann nämlich fällt der Fladenbrotduft weg.

22 November 2010

15 und blind



Vor unserer Haustür umbrandet mich unversehens eine Gruppe wohlgemuter Schüler. Ein etwa 15-jähriger Pickelbube mit Mod-Gedächtnisfrisur löst sich und spricht mich an.

„Entschuldigung“, sagt er mit einem Grinsen, das ebenso nassforsch ist wie verlegen, „wissen Sie, wo hier das Sexkino ist?“

Das Sexkino? Es ist verdammt schwer, Bursche, es im Verlauf der Seilerstraße bis hierher geschafft zu haben, ohne über diverse Etablissementes dieser Provenienz zu stolpern, aber nun gut. Von 15-Jährigen darf man wohl vieles verlangen, aber nicht, dass sie nicht blind sind.

„Davon gibt es hier viele“, erläutere ich daher nachsichtig, „sucht euch eins aus.“ Was ich in diesem Moment nicht bedacht habe: dass die Jungs – sofern die Türsteher ihren Job richtig verstehen (wollen) – gar nicht reingelassen werden.

Aber das müssen die doppeldeutig grinsenden Pickelbuben schon selber lernen. Bin ja schließlich nicht das Frl. Krise.

21 November 2010

Halbwegs trinkbar (für den Ausguss)



Dieser bei Edeka neu ins Sortiment genommene Wein schmeckt wie ein angegammelter Putzlumpen, den jemand zwei Wochen lang in feuchtem Heu vergessen und danach zur Tarnung parfümiert hat (nur war im Flakon versehentlich Katzenpisse).

Ich hatte mich von zweierlei locken lassen: a) dem Etikett „Bio“ und b) dem Bügelverschluss. Fand ich a) unterstützenswert und b) originell.

Auf den Gedanken, dass der Wein c) bäh sein könnte, war ich beim Kauf nicht gekommen. Dabei ist es völlig unmöglich – und das sollte ich nach mehreren Verkostungsjahrzehnten eigentlich längst wissen –, für 3,79 Euro eine auch nur halbwegs trinkbare Flüssigkeit auf Traubenbasis herzustellen.

Man darf ja öffentlich nicht zum Boykott von Waren auffordern, und das würde ich natürlich auch unter keinen Umständen tun. Aber wenn ich ich wäre, würde ich diesen Wein nie mehr in meinem ganzen Leben und weit darüberhinaus noch einmal kaufen.

Mal sehen, ob er wenigstens dem Ausguss schmeckt.

20 November 2010

Grüner geht’s noch



Bei der Bundestagswahl 2009 wählten knapp 30 Prozent der St. Paulianer die Grünen zur stärksten Partei des Stadtteils. Von denen kann es nach menschlichem Ermessen ja nun keiner gewesen sein, der den Stapel Monitore ins Herbstlaub der Hein-Hoyer-Straße gepfeffert hat.

Im Verdacht habe ich eher einen CDU- (9,8 %) oder FDP-Wähler (6,5 %), wobei die Wahrscheinlichkeit, es bei diesem Kaltentsorger mit einem Blass- oder Tiefroten zu tun zu haben (SPD: 21,4, Die Linke: 24,2) vielleicht nicht unbedingt ideologisch, aber statistisch am größten ist.

Auf dem Rathausmarkt merkt man übrigens, dass die Grünen die Stadt mitregieren. Schon die unnatürliche Symmetrie des dort aufgestellten Weihnachtsbaums erregt Argwohn. Schaut man sich das Konstrukt dann genauer an, erkennt man enttäuscht einen schnöden Kran, an dem ein nach oben spitz zulaufendes Leinengeflecht befestigt ist. Es hält Tausende von Lämpchen, die hoffentlich mit erneuerbarer Energie versorgt werden, in starrstmöglicher Form.



Flair hat das Ding nicht. Doch dafür steht halt irgendwo noch eine unversehrte Fichte und atmet tief durch. Das würde ich von mir auch gern sagen. Allerdings fördern die Monitore im Herbstlaub der Hein-Hoyer-Straße eher die Schnappatmung.

Wenn die morgen noch da sind, fordere ich Neuwahlen.


18 November 2010

Eine salomonische Lösung



Als mich heute, am Debüttag von Google Street View, die Neugier dazu trieb, unser Haus anzusteuern, erlebte ich eine amüsante Überraschung.

Bevor nämlich einst der Googlewagen durch die Seilerstraße gerollt war, hatte unser Haus sich in vorauseilendem Ungehorsam eine komplette Fassadenburka zugelegt.

Getarnt worden war das Ganze damals, wie ich mich entsinne, geschickterweise als Balkonrenovierung, aber erst jetzt wird mir die ganze Dimension dieser Verschleierungsaktion klar. Billiger (weil kostenlos) wäre es allerdings gewesen, im Nachhinein einen Verpixelungsantrag zu stellen.
Aber wir wissen ja, wie Hausverwaltungen ticken.

Wie auch immer: Unser Haus hat sich jedenfalls der ganzen Für-und-Wider-Diskussion um Google Street View auf denkbar eleganteste Weise entzogen.

Sag also noch einer was gegen Burken (oder wie das Zeugs im Plural heißt).

17 November 2010

Fundstücke (114): Antreten zum Anschauen



Die Macht der Kreditinstitute ist trotz Finanzkrise und Staatshilfen offensichtlich ungebrochen – oder sogar noch gestiegen.

Eine Mail wie heute habe ich von meiner Hausbank, der Hamburger Sparkasse, jedenfalls vorher nie bekommen. Darin werde ich in harschestem Ton (VERSALIEN!) zur Besichtigung einer Villa in Volksdorf verdonnert.

Zum Glück habe ich an dem Tag eh frei, sonst säße ich jetzt schwer in der Bredouille.

16 November 2010

Bin mit dem Fahrrad

In der Talstraße wohnen keine Pfeffersäcke. Hier sehen die Fassaden und Klingelschilder manchmal so aus wie auf diesem Bild.

Im Kioskcafé, wo sich manchmal missmutige Transen die Nachtschicht mit Koffein aus den Knochen spülen, residiert ein Chef, der nicht nur einen kapitalen anatolischen Schnauzer, sondern auch seine Laune stets offen zur Schau trägt. Wie auch immer sie gerade beschaffen ist.

Manchmal schaut er dich nicht mal mit der Kniekehle an, erwidert keinen Eintrittsgruß, grabscht mürrisch nach deinem Geld und fetzt dir die Hermes-Quittung hin, als wärst du Luft – und zwar sehr, sehr lästige Luft.

Und ein andermal, man weiß nie warum, grinst der Mann derart selig, dass sein Schnauzer so breit wird wie Jerry Garcia einst die ganze Zeit war. „Wie geht’s dir, mein Freund?“, strahlt der Chef dann mit seinem nonchalant entblößten Goldzahn um die Wette.

Heute war so ein „Wie geht’s dir, mein Freund?“-Tag. Als ich die Quittung einsteckte, fragte er sogar: „Willst du Kaffee?“ „Danke, sehr nett“, antwortete ich fast gerührt, „aber ich muss leider ins Büro.“ Er schaute mich beinah zärtlich an, als sei ich wirklich sein Freund und nicht nur irgendein Typ, der ab und zu mal vorbeikommt, um ein Hermes-Paket abzugeben.

„Becher mitnehmen?“, flötete er unter Aufbietung aller ihm möglichen Eloquenz, und außer Gold blickte mir dabei auch noch die ein oder andere Zahnlücke entgegen. „Nein“, hörte ich mich antworten, „ich bin mit dem Fahrrad.“

Ich bin mit dem Fahrrad???


Dieser verkrüppelte Satz aus meinem eigenen Mund hallte mir noch nach im Hirn, als ich schon längst wieder aufgesattelt hatte. Und auch jetzt noch ein bisschen, ehrlich gesagt.

Wo war denn da bloß das finale „da“ gewesen? Oder wenigstens ein etwas eleganteres „unterwegs“ – das Adverb halt? Dieses akute Summen und Surren à la „Ich bin Arbeit“, „Gehst du Disco?“ oder „Hab noch Vertrag“ macht mich anscheinend immer wuschiger.

Vielleicht bin ich auch einfach zu oft Blog von Fräulein Krise, vallah.


15 November 2010

Konkurrenz verdirbt das Geschäft

Das Backhus war die erste Bäckerei im neu entstandenen Bürohausviertel zwischen Reeperbahn und Hafen, dem sogenannten Brauquartier rund um den neuen Astraturm (Foto).

Dem Paketangebot des Backhus – fünf frei wählbare Brötchen für zwei Euro – vermochte ich immer dann nicht zu widerstehen, wenn wir Wochenendbesuch und somit gesteigerten Backwarenbedarf hatten. Zumal man bis zu drei dieser verflixt köstlichen Walnussbrötchen mit eintüten lassen durfte, die einzeln 65 Cent kosteten.

Seit ein paar Monaten gibt es nun direkt um die Ecke des Backhus die Schanzenbäckerei. Konkurrenz soll ja das Geschäft beleben, lehren uns von jeher jene Verfechter des Kapitalismus, die sich seiner so sehr schämen, dass sie ihn im Gespräch immer als „Marktwirtschaft“ verbrämen müssen.

Dieser Spruch behauptet, das Auftauchen eines Konkurrenten führe automatisch zu sinkenden Preisen, was die Kunden im besten Fall zu einem insgesamt höheren Gesamtkonsum animiere, wovon dann am Ende alle profitierten, Konkurrenten und Kunden.

Die Schanzenbäckerei jedenfalls fuhr erst mal so richtig lehrbuchmäßig auf diesen Spruch ab. Sie schaute sich sorgfältig das Backhus-Angebot an und offerierte dann zwar wenig fantasievoll, doch durchaus effizient ebenfalls fünf Brötchen nach Wahl im Paket – allerdings für 25 Cent weniger.

Fünf für nur 1,75: eine klare Kampfansage ans Backhus. Es musste reagieren.

Heute war es mal wieder so weit: Wir hatten Wochenendbesuch, also gesteigerten Backwarenbedarf und Lust auf im Dutzend billigere Walnussbrötchen. Und das Backhus hatte, wie sich herausstellte, in der Tat auf die neue Konkurrenzsituation im Brauquartier reagiert.

Jetzt kostete nämlich der Fünferpack 2,20 Euro, dafür waren nun Walnussbrötchen ausgeschlossen – zu teuer fürs Paket. Das Backhus reagiert also aufs Auftauchen der Schanzenbäckerei, indem es den Preis erhöht und zugleich die Produktqualität senkt.

Manchmal habe ich das Gefühl, ich verstehe mehr vom Kapitalismus als jene, die ihn im Gespräch immer verschämt als „Marktwirtschaft“ verbrämen müssen.

Sie kamen übrigens super an bei unserem Wochenendbesuch, die drei Fünferpacks aus der Schanzenbäckerei.

14 November 2010

Fundstücke (113)



Empörend, von wem man sich heutzutage alles beleidigen lassen muss. Sogar von Wandhydranten!


13 November 2010

Viva le Hirnriss



Irgendwann, während irgendeiner dieser endlos zähen und schon seit Monaten fruchtlosen Sitzungen, muss jemand gesagt haben: „Verdammt, Leute, so kommen wir wirklich nicht weiter. Dann können wir unseren Laden ja gleich VIVA LA WURST nennen!“

Alle müssen ihn angestarrt haben, als sei er das Rauchmonster aus „Lost“. Es kehrte Stille ein. Aber dann haben sie doch nicht die 112 angerufen, sondern einen Lichtreklamenhersteller.

Und wer hatte gestern Abend, als er in Sturm und Regen an der Reeperbahn arglos auf den Bus wartete, die Folgen zu tragen?

Einmal dürfen Sie raten.


12 November 2010

Von Pfeilgift, Bier und Fasswhiskey



Die ganz hohe Kunst des Kalauerns ist natürlich erst auf Lateinisch möglich. Das gilt unbedingt, vor allem und zuallervörderst auch für mich, der seine diesbezüglichen Sprachkenntnisse ausschließlich auf Basis von Asterix-Heften erworben hat.

Deshalb ziehe ich auch hochachtungsvoll meine Baseballmütze vor German Psychos genialischem „Curare humanum est“, das er nonchalant mitten im Geplauder raushaute und auf mein Geheiß sofort vertwittern musste. Mit großem Erfolg übrigens, wie die augenblicklich folgende Retweet- und Favingquote bewies.

Dieser Geniestreich passierte ihm und uns, kurz bevor die irische Retroband The Riptide Movement ihr Set im Rock’n’Roll Warehouse anpfiff. Ich kenne ja eine (mindestens) dreistellige Anzahl von Liveclubs in Hamburg, aber das Rock’n’Roll Warehouse war mir bis heute Abend völlig unbekannt. Und das mit Recht, denn es liegt an der höchstens für ihr sagenhaftes Verkehrsaufkommen und eine Lärmbelästigung auf Flughafenniveau berüchtigten Stresemannstraße, die nach Westen hinausführt aus Hamburg, um irgendwann in Straßen überzugehen, die direkt ins Nirgendwo Niedersachsens münden. Oder ist es Schleswig-Holstein?

Egal: Die Stresemannstraße ist ganz und gar kein liveclubkompatibler Ort, und doch fand dort heute Abend das Konzert der Iren von The Riptide Movement statt. Eine gemeinsame Bekannte und derzeitige Mitbewohnerin von German Psycho fungierte als Veranstalterin, und deshalb hatte er mich unversehens über unsere gemeinsame Präsenz auf der Gästeliste informiert.

„Hm, eigentlich wollte ich doch zahlen oder wie man das damals nannte, als ich es noch musste“, beschwerte ich mich. „Du weißt doch: Kaum hat man’s nicht mehr nötig, bekommt man’s geschenkt“, brachte er mich zum Schweigen.


Ersatzweise sorgten wir für kräftigen Astra-Umsatz im Rock’n’Roll Warehouse, und spätestens als The Riptide Movement den alten Folksong „Whiskey in the Jar“ exakt im Thin-Lizzy-Arrangement von 1972 nachspielten (höre und siehe Clip), war der Abend voll im Lot.

Rock erat demonstrandum.


10 November 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli Hamburg (35)



Ich weiß, wahrscheinlich bezieht sich dieser (immerhin ohne Deppenbindestrich!) hingepinselte Hinweis auf einen freizuhaltenden Bereich, z. B. für Mülltonnen – und nicht auf die Räumlichkeiten des Dentallabors selbst.

Am urgemütlichen Flair dieser Ecke an der Königstraße ändert das gleichwohl wenig. Ganz im Gegenteil.

09 November 2010

Brownies Wiederkehr



Wer bisher glaubte, hier stünde im Wesentlichen Quatsch, dem kann ich nun entgegenschleudern: NEIN! Zumindest nicht nur.

Der investigative Herr Zaphod nämlich hat eine meiner gewagtesten Behauptungen – den weltbesten Brownie gäbe es im Caffè Latte in der Wohlwillstraße auf St. Pauli – kurzerhand vor Ort überprüft und was getan?


Sie glorios verifiziert.

Dumm nur, dass mich sein Eintrag mental zwang, sofort ins Caffè Latte zu eilen und einen weiteren Brownie zu erstehen. Sollte sich diese wechselseitige Handlungsspirale etablieren, können wir beide dort bald unsere Schlafsäcke auslegen.

Auf unserem Balkon versucht sich derweil der Herbst ästhetisch einzuschmeicheln. Mit Erfolg.



08 November 2010

Womöglich quadrophren



Hm, legt man quantitative Maßstäbe an (also die jeweilige Stofffläche zugrunde), so ist der Ausstatter dieses schwer in die Jahre gekommenen Balkons wohl eher HSV- als St.-Pauli- oder Deutschlandfan. Es sei denn, man wertet den blauweißen Sichtschutz als hingergründiges Bekenntnis zu Griechenland.

Der Balkon liegt zwischen Reeperbahn und Hafen in der Hamburger Hochstraße, und Rückschlüsse auf die dortigen Wohnverhältnisse fallen wirklich nicht leicht. Entweder lebt dort ein Schizo- bzw. Trizo-, ja vielleicht sogar Quadrophrener – oder aber eine uneinige, sich gleichwohl widerwillig zusammenraufende Familie mit Migrationshintergrund.

Jedenfalls ist dieser Balkon ein weiteres herzerwärmendes Beispiel für kieztypische Toleranz und Koexistenz. Auf St. Pauli wird einem eben jede Schrulle nachgesehen – und sei es die schrulligste von allen, nämlich die Raute am Geländer.



07 November 2010

Enten sind Schweine

Natürlich kann ich mich kein Stück mehr dran erinnern, mit welchen Werbeslogans der Ehapa-Verlag damals, als ich sie noch las, Disneys „Lustige Taschenbücher“ ans Kind bringen wollte.

Aber hundertprozentig nicht mit einem Claim, der auch auf der Visitenkarte des Hauptdarstellers aus „Gaywatch – Die Riesenschwänze von Malibu“ stehen könnte.

Wahrscheinlich heißt bei Disney, dem einstmals saubersten Comicverlag der Welt, jetzt auch die Ente anders; „Donald Fuck“ böte sich an.

Wenn man allerdings – erst mal alarmiert – genauer hinschaut, gab es schon immer sublime sexuelle Anspielungen in den „Lustigen Taschenbüchern“. Ich erinnere da nur an Daniel DüsenTRIEB.

Das Plakat hier hängt übrigens nicht mal auf St. Pauli, sondern in meinem FickFitnessstudio am Rödingsmarkt.
So viel zur Sexualisierung auch der Restwelt.


05 November 2010

Nachwachsende Frauen



Er ist ein gemütliches Dickerchen von Mitte 50. Sein altbackener Kinnbart beginnt allmählich zu ergrauen, er hat Lachfältchen um die Augen und immer, wenn ich ihn sehe, den Anflug eines Schmunzelns um die Lippen.

Ich kenne ihn schon viele Jahre, den Filmpromoter X. Jahr für Jahr sah ich seinen Bart etwas grauer werden, seine Taille etwas breiter und ihn insgesamt etwas gemütlicher.

Alles in allem kann man sagen, dass Filmpromoter X. Bescheid weiß. Ihm macht man nichts mehr vor. Die Wasser, mit denen er noch nicht gewaschen ist, findet man höchstens in der Arktis, als See unterm ewigen Eis.

Wir beide, der Filmpromoter X. und ich, stehen stillvergnügt am Kinotresen, als eine Gruppe Schülerinnen von der Toilette kommt, schätzungsweise 12., 13. Klasse. Er schaut ihnen versonnen nach, und dann sagt er den Satz des Tages.

„Solange solche Frauen nachwachsen“, sagt er, „werden die Deutschen nicht aussterben.“

Obwohl es mir im Grunde ziemlich egal ist, ob die Deutschen aussterben werden oder nicht (zumal ich nichts dazu beitrage, dies zu verhindern), klingt dieser Satz des Filmpromoters X. irgendwie tröstlich.

Gerade an Regentagen wie diesen.

03 November 2010

Angriff der Lobhudelhuren



Heute wurden ich und vier andere Blogger, darunter Spreeblick, Ziel des angeblich ersten digitalen Flashmobs im Internet.


Eine spanische Modefirma, die auf dem deutschen Markt Fuß fassen möchte, hat sich diese wirre Aktion ausgedacht, die in großem Maße Lebenszeit und Bandbreite verschwendete.

„Ist es möglich“, textete der Modehöker auf seiner deutschsprachigen Webseite, „das Internet mit Tausenden von positiven Kommentaren zu überschwemmen? Wir hinterlassen positive Kommentare in unseren Lieblings-Blogs.“

Ziel dieser organisierten Claquerei war es, die fünf ausgewählten Blogger mit Pseudoschmeicheleien zu umgarnen und so zum Beantworten der Kommentare zu bewegen; die ersten 100 gehorsamen Schäfchen, die sich der Armseligkeit dieser Aktion unterwarfen und mit der unverdienten Ehre einer Bloggerantwort bedacht worden wären, sollten von der Modefirma ein Kleidungsstück erhalten, das sie sich vorher auf der Homepage der Firma ausgesucht hatten.

Uff. Sich für ein T-Shirt zur Lobhudelhure zu machen: Das sollte doch eigentlich nicht verfangen bei der gewitzten Webjugend von heute. Hätte man meinen können. War aber nicht so. In Massen strömten sie herbei, als würden sie am Nasenring in die Arena geführt, und simulierten auf mehr oder weniger dilettantische Weise Begeisterung.

„hahaha…dein blog ist super lustig! Der Eintrag mit dem Hundeschild vor dem Hotel ist zum Wegschmeißen. Aber auch deine scharfe Beobachtung im Mediamarkt bringt mir Tränen in die Augen. Übertrieben lustig!“, schrieb einer. Andere versuchten plumpdirekt, eine Antwort herauszukitzeln („Darf man fragen wie alt du bist?“ „Wohnst du inem schönen Stadtteil?“), andere probierten es mit – wie sie hofften – entwaffnender Ehrlichkeit („Wäre super, wenn einer von Euch auf mein Posting antworten würde. Dann könnte ich etwas von XXXXXXX gewinnen und ich wäre HAPPY :-)))))))))) DANKE“).

Einige hatten ihre sprachlichen Mittel nicht richtig im Griff und bogen die positive Grundtendenz versehentlich in Richtung Beleidigung („Es macht wirklich Spaß zu lesen, was du schreibst, da ist der Inhalt schon fast wieder egal.“).

Allen gemeinsam aber war, dass sie selbstverständlich keine Antwort von mir erhielten.

Hätte freilich irgendeiner aus dieser treudoofen, willig gleichgeschalteten Horde die cojones gehabt, hier entgegen der Anweisung der spanischen Modefirma kräftig abzuledern, mir ans Bein zu pinkeln, wild rumzupöbeln, Schimpfkanonaden abzufeuern – ja, dann hätte ich mich wahrscheinlich sogar erweichen lassen, ihm ein kostenloses Mäntelchen zu ermöglichen.

So aber lief der angeblich erste digitale Flashmob hier ins Leere. Ob die anderen vier betroffenen Blogger sich vor den holpernden Karren dieses Viralmarketings haben spannen lassen? Selber nachgucken tu ich jedenfalls nicht.

Einen der Pseudokommentare mag ich übrigens doch: „Die rückseite der repperbahn ist wie die rückseite meines rückens. hautfarben glatt aber trotzdem schön anzusehen.“

Nur dieser Kommafehler im zweiten Satz: widerwärtig.

Fundstücke (112): Essen à la East





Gut, es gibt keine Liebe mehr unter den Menschen, das ist mir schon länger weitgehend klar. Aber auch nicht mehr unter Avocados? Das ist echt zum Wassermelonengrillen!

Entdeckt auf einer Speisekarte im East-Hotel, St. Pauli.

01 November 2010

Fundstücke (111): Lose Zusammengekehrtes



1.
Die neue Media-Markt-Kampagne steht ja unter dem Motto „Billiger geht so!“. Das scheint sich nicht nur auf Qualität und Preise der Produkte auszuwirken, sondern auch auf die Rechtschreibkünste der Mitarbeiter. Oder liege ich falsch, und die verkaufen dort neben WLAN-Zubehör und Waschmaschinen
wirklich auch einen neuen Wacholderschnaps namens „Disgin“?

2. Dazu passt irgendwie gut dieser unlängst hereinflatternde Promotiontext zu einer CD: „Although they may call themselves DUM, Alessio Mereu and Andrea Ferlin are certainly no idiots.“

3. Was frustrierend ist? Wenn man bei Ebay nach der DVD von John Houstons finalem Filmmeisterwerk „Die Toten“ sucht und nur dutzendfach Scheiben einer Band angeboten bekommt, bei der ein gewisser Campino mitsingt.

4. Habe am Wochenende den besten Brownie meines Lebens gegessen. Außen lockte dieser teuflische Verführer mit knusprigen Klippen und Kanten, innen mit halbflüssiger schwarzschimmernder Schokolade; und dann überraschte das Suchtmittel auch noch
aus dem Off mit geschickt eingebauten Walnussstücken. Eigentlich sollte ich dieses kulinarische Geheimnis sicher im Salzstock Asse verwahren, um es mit niemandem teilen zu müssen, aber da wir hier unter uns sind: Dieses Wunder von einem Brownie wird serviert im Caffe Latte in der Wohlwillstraße, das manche auch noch zu den besten deutschen Espressobars zählen.

(K)eine Begegnung mit Brian Johnson

Auf dem Heimweg vom Pizzaessen spricht uns in der Holstenstraße ein unbekannter Passant an. „Entschuldigen Sie“, sagt er, „sehe ich aus wie Brian Johnson?“

„Wie wer?“, frage ich zurück, stets um Höflichkeit bemüht, auch wenn man mich kurz vor Mitternacht mit abstrusen Fragen behelligt. „Wie Brian Johnson!“, wiederholt er. „Von AC/DC.“

Der Mann wirkt wie Mitte 30 und gehört zu den eher wohlgenährten Typen. Sein kleidsamer Mantel ist gut ausgefüllt und sein Gesicht unter der Schiebermütze gepflegt zugewachsen. „Nein“, sage ich nach diesem visuellen Schnellcheck im Dreivierteldunkel, „der trägt keinen Bart.“

Ich habe zwar beileibe keine genaue Vorstellung davon, wie Brian Johnson aussieht, doch da meines Wissens kein einziges Mitglied von AC/DC je zu facialem Wildwuchs neigte (im Gegensatz zu – sagen wir – den Kings Of Leon, Devendra Banhart oder ZZ Top), wage ich einfach mal nassforsch diesen deduktiven Schluss. (Wikipedia wird ihn später triumphal verifizieren.)

Eine Outfitübereinstimmung gibt es immerhin doch: Auch Brian Johnson trägt gern und oft eine Schiebermütze, doch diese modische Marotte kann ja wohl kaum eine ausreichende Ähnlichkeit begründen; sonst sähe ja auch Helmut Schmidt aus wie Brian Johnson, und wer weiß, ob Loki ihn dann je geheiratet hätte.

Den rundlichen Passanten scheint meine Antwort jedenfalls einigermaßen zufriedenzustellen, denn er geht ohne weitere Nachfragen seines nächtlichen Weges. Eine zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr aufzubringende Geistesgegenwart vorausgesetzt, hätte ich ihm noch mitteilen können, er sähe meines Erachtens dem Jerry Garcia von 1975 weitaus ähnlicher als jedem AC/DC-Mitglied.

Aber man kann ja nicht immer spitze sein.