24 August 2014

Antifa mit Fahrrad

St. Pauli ist nicht nur manchmal eine rechtsfreie, sondern ganz generell eine ziemlich rechtenfreie Zone. Neonazis und ähnliches Gesocks gibt es hier selten zu sehen. 

Der abgebildete Sticker auf einem Laternenpfahl in der Seilerstraße hat also durchaus recht mit seiner (warum eigentlich auf Englisch verfassten?) Behauptung, der Kiez sei eine „fascism free zone“. 

Eins aber ist seltsam an diesem Aufkleber: Sollte sich doch mal ein Nazi hierher verirren, muss er anscheinend damit rechnen, mit einem Fahrrad verprügelt zu werden. 

Warum in Dutschkes Namen mit einem Fahrrad und nicht z. B. mit einem Baseballschläger? 

Der ausgestreckte Arm des auf dem Boden liegenden Hakenkreuzträgers scheint trotzdem weniger eine Abwehr- als eine Zeigegeste auszuführen. Vielleicht ist er ja auch begeistert, eindeutig nicht mit einem Damen-, sondern mit einem ihm aus politischen Gründen genehmeren HERRENrad verprügelt zu werden. 

Wie auch immer: Als Nazi würde ich den Kiez tunlichst meiden. Wir haben Fahrräder, und wir werden sie benutzen!

21 August 2014

„Wir bitten um Geduldig“


Schon länger verzweifle ich (und zwar nicht immer still und leise) am Rechtschreibniveau junger Menschen, die sich bei uns im Verlag um ein Praktikum bewerben und von einer Karriere im Kulturjournalismus träumen. Allerdings ist dieses Nie-wo keineswegs auf Möchtegernjournalisten beschränkt, sondern frisst sich wie Salzsäure durch die deutsche Sprachlandschaft. 

Ein Beispiel. Neulich beklagte ich mich bei einem Onlineversender, weil er die Versandkosten meiner Bestellung doppelt abgebucht hatte; heute nun erhielt ich eine Antwort. Sie lautet – und ich zitiere wörtlich:

Sehr geehrter Herr Wagner,
Wir bedauern sehr für die unangenehmen Vorgang.
Ihre Nachricht wurden uns zur zuständigen Abteilung weitergeleitet. 
Wir bitten um Geduldig.

Nein, diese Firma sitzt nicht in Hongkong und ist bedingungslos auf den Google-Übersetzer angewiesen, sondern mittenmang im Schwabenland, und die Absenderin trägt den schönen deutschen Namen Pfeiffer. 

Wahrscheinlich wollte Frau Pfeiffer eigentlich Journalistin werden, weil sie einst berauscht war von ihrem Schreibtalent, wurde allerdings von so einem Idioten von Redakteur als Praktikumsbewerberin abgelehnt und muss sich seither im Onlineversandhandel verdingen.

Die Welt, das Leben: ungerecht. 

PS: Die oben abgebildete, in St. Pauli entdeckte Spontiparole ist dagegen ja geradezu Gold. Ich meine: nur ein Kommafehler! Den Autor würde ich sofort als Praktikanten nehmen. Also: Wenn Sie das hier lesen, lieber Betongeborener – einfach mal bewerben.

15 August 2014

Pareidolie (97–99)




„Imposante Laterne aus elegantem Steingut“ nennt die Firma Bahne den armen Tropf ganz oben. Eine Übertreibung ohnegleichen. 

Dass der Preis dieser larmoyanten Leuchte von 17,90 auf 6,90 € geradezu dramatisch abgestürzt ist, wundert mich jedenfalls nicht. Zeit, den Designer wegzuloben – z. B. in die Bestattungsbranche. 

Die blaue Mütze ist hingegen eher zufällig auf einem ähnlichen Trip wie die Laterne; gleichwohl: Auf Englisch heißt „blue“ auch traurig. 

Und eine Stimmungskanone ist das abgebildete Kartenschloss des Flusskreuzfahrtschiffes MS Amelia auch nur bedingt. 

Trotzdem schönes Wochenende allerseits.

PS: Eine ganze Galerie gibt es – natürlich – bei der Pareidolie-Tante. 


07 August 2014

Geleert statt gefüllt

Da lässt man einmal, EINMAL! sein Fahrrad über Nacht draußen statt im Hausflur stehen, und sofort fallen die walking dead vom Kiez darüber her. 

Heute Morgen fand ich die beiden Satteltaschen durchwühlt vor. Daraus verschwunden waren ein – zugegeben – fahrlässigerweise dort drin deponiertes Billigbügelschloss vom Flohmarkt und eine verschwitzte Schirmmütze in unmodischem Olivgrün. 

Wie bloß muss jemand ticken, frage ich mich hoffentlich auch für Sie nachvollziehbar, um ein Bügelschloss ohne (!) Schlüssel und eine gebrauchte Mütze zu klauen? Also ich kenne die Antwort nicht. Nicht mal im Ansatz.

Meine heimliche Befürchtung war stattdessen immer, dass jemand die Fahrradsatteltaschen eher füllen statt leeren könnte. Zum Beispiel mit Nahrungsmittelresten oder – schlimmer –  Körperflüssigkeiten. „Keine Sorge“, tröstet mich Ms. Columbo, „das kommt alles noch.“ 

Das denke ich auch. Wozu leben wir auf St. Pauli?

02 August 2014

Was ist diese Saison anders beim FC St. Pauli?



Bierbehälter: In den vergangenen Jahren verwöhnte uns der FC St. Pauli mit individuell bedruckten Hartplastikbechern – echte Sammlerstücke also, wie etwa der Bollbecher. In diesem Jahr speist man uns mit windelweichem knitterfreudigem Minderplastik ab, auf dem lediglich ein Brauereiname prangt. Dafür ist es zum Ausgleich teurer geworden. Nur fair!



Fanausmaße: Nun gut, vielleicht bildet der Trumm zwei Reihen vor mir nicht den statistischen Durchschnitt ab, doch Menschen, die im Grunde zwei Sitzschalen in Anspruch nehmen, obwohl sie nur für eine bezahlt haben, sind mir in der letzten Saison nicht aufgefallen.




Bandenwerbung: Der Claim „Fairness nach dem Spiel“, mit dem die Stader Feuerbestattungen uns zu charmieren versuchen, scheint mir ebenfalls neu zu sein. Vielleicht habe ich ihn aus naheliegenden Gründen auch nur verdrängt.


Stilleben: Für die liebevolle Gestaltung dieser feinsinnigen Komposition aus Senf, Kippen, Asche und Papierserviette zeichnete übrigens der Double-Size-Fan von oben verantwortlich. In manchem unförmigen Äußeren steckt eben eine zarte Künstlerseele.

Und was blieb diese Saison gleich?


Natürlich die hochprofessionelle Reihenbeschriftung: Dabei handelt es sich um tintenstrahlausgedruckte Papierstreifen, die wahrscheinlich mit einem Pritt-Klebestift auf den Betonsockel der Sitzreihen gepappt wurden. Komisch, dass das blöde Ding aus irgendwelchen naturgesetzwidrigen Gründen verdammt noch mal unverständlicherweise immer wieder abgeht.

Habe ich schon mal gesagt, dass ich diesen Verein schon ein bisschen mag? 
Wenn nicht, dann halt jetzt.

PS: All diese Erkenntnisse habe ich übrigens heute vor Ort auf der Nordtribüne beim 1:1 gegen Ingolstadt gewonnen.