25 Januar 2015

Mein erstes und letztes Interview mit Edgar Froese

Schon wieder geht es hier nicht um den Kiez, sondern um Musik, leider. Denn am 20. Januar ist, wie gestern bekannt wurde, einer meiner großen musikalischen Helden gestorben: Edgar Froese, Kopf, Gitarrist und Keyboarder der Berliner Elektroniklegende Tangerine Dream. 
Im vergangenen Frühjahr konnte ich ihn anlässlich der bevorstehenden Deutschlandtour interviewen. Zum Berliner Auftritt bin ich natürlich angereist, denn trotz all meiner Verehrung für die frühe Schaffensphase der Band: Live gesehen hatte ich sie bis dahin nie – was vor allem daran lag, dass sie überall anders Superstarstatus und somit viele Touranlässe hatten, nur in ihrem Heimatland nicht. 
Hier also mein Edgar-Froese-Interview, das im April 2014 in kulturnews gedruckt wurde. In seiner letzten Antwort erwähnt er das „Ende seiner Tage“, aber mit Trotz und Stolz.

Unverkäuflich
Edgar Froeses Band Tangerine Dream ist eine Weltmarke – und beehrt endlich mal wieder die alte Heimat. Ein Interview über Grammys fürs Klo, doofe Labels und den Reiz von Tarantino.

Herr Froese, die herausragenden Vertreter der Berliner Elektronikschule – Sie, Klaus Schulze, Manuel Göttsching – haben Weltgeltung, aber ausgerechnet in Deutschland merkt man davon wenig. Wie sehr fuchst sie das?
Edgar Froese: Es berührt mich überhaupt nicht, da es den Ausgleich gibt, in vielen anderen Teilen der Welt für seine Arbeit geschätzt und respektiert zu werden. Deutschland war und ist für uns eine Erinnerung an die Anfangszeiten einer elektronisch orientierten Rockmusik, nicht mehr und nicht weniger, und das ohne jede Bitterkeit.

Bei den frisch Grammy-gekrönten Kraftwerk ist das anders. Hat die Düsseldorfer Konkurrenz sich einfach besser vermarktet?
Froese: Derartige Vergleiche setzen ein sehr kleinkariertes Konkurrenzdenken voraus, und so etwas ist mir völlig fremd. Es ist doch ein sehr positives Zeichen, wenn Kollegen, die auch in Deutschland musikalische Geschichte geschrieben haben, in anderen Teilen der Welt dafür honoriert werden. Letztlich kommt eine progressive Bewertung neuer Entwicklungen allen Musikern zugute.

In den 90ern wurden jedenfalls auch Sie ständig für Grammys nominiert, allerdings ohne Erfolg. Wäre es Ihnen wichtig, diese Trophäe irgendwann mal mal in der Vitrine stehen zu haben?
Froese: Sollten wir den Grammy eines Tages erhalten, habe ich in einer Ecke meiner hausinternen Badezimmertoilette schon einen Platz reserviert. Bis dahin steht dort eine wunderschöne Donald-Duck-Replika.

Ihre aktuelle „Phaedra Farewell“-Tour greift den Titel Ihres 1974er-Albums auf. Diese Aufnahme bräuchte – wie viele aus der Virgin-Ära – dringend ein weiteres Remastering, welches die Räumlichkeit und Transparenz besser herausarbeitet.
Froese: Vieles, was musikalisch und tontechnisch verbessert werden könnte, liegt in den Händen jener Plattenfirmen, mit denen wir damals unter Vertrag standen. Somit ist es deren Aufgabe, diese Verbesserungen vorzunehmen. Dass diese Firmen durch Unwissenheit und Inkompetenz oft an diesen notwendigen Aufgaben scheitern, darf man uns nicht anlasten.

„Phaedra“ mit seinem fast 18-minütigen Titelstück war 1974 hoch in den britischen Charts, was aus heutiger Sicht unglaublich anmutet. Warum waren Käufer damals offener für Experimente als heute?
Froese: 1974 existierte auf dem Tonträgermarkt nichts Vergleichbares. Dadurch hatten wir es leichter, auf diese neuen Klänge und rhythmischen Strukturen aufmerksam zu machen. Heute arbeitet fast jede Band mit Synthesizern, und es ist schwieriger, bahnbrechend neue Musik kommerziell auszuwerten.

Auch Ihre „Tatort“-Single „Das Mädchen auf der Treppe“ war 1982 in den Hitlisten. Sie sollen das damals als „Betriebsunfall“ bezeichnet und sich entschuldigt haben. Hatten Sie Angst, an Glaubwürdigkeit einzubüßen, wenn Sie plötzlich neben Abba und Nicole gelistet werden?
Froese: Ich habe mich für diese Produktion nie entschuldigt, da es musikalisch genau die Musik war, die in diesem „Tatort“ sinnvoll angelegt war. Dass daraus ein Hit wurde, konnten wir nicht planen, und es war auch nicht vorhersehbar, insofern könnte man es als „Betriebsunfall“ bezeichnen, allerdings mit positiven Nebenerscheinungen.

Insgesamt haben Sie zu über 60 Filmen Soundtracks beigesteuert und mit den größten Regisseuren gearbeitet. Welchen weiteren Namen würden Sie sich gern noch als Kerbe in den Colt ritzen?
Froese: Wir haben keinen Western vertont, deshalb besitze ich für Gravuren dieser Art auch keinen entsprechenden Gegenstand … Wahr ist allerdings, dass fast 16 Jahre für Hollywood musikalisch arbeiten zu dürfen eine unschätzbare Erfahrung bedeutet. Spielberg und Tarantino sind zwei Regisseure, für die zu arbeiten noch äußerst reizvoll wäre.

Sie sind die einzige Konstante bei Tangerine Dream und verwalten sozusagen eine Weltmarke. Wie viel Euro müsste man auf den Tisch legen, um sie Ihnen abzukaufen …?
Froese: Ich war und bin nicht käuflich, und daran wird sich auch bis zum Ende meiner Tage nichts ändern.

Foto: MFP




23 Januar 2015

Pleiten, Pop und Pannen

Im Jahr 2000 erschien ein Album, das bis heute keine deutsche Songwriterin je übertroffen hat. Es heißt „Contact myself“, und getextet, komponiert und geflüstert hat es Katja Werker
Als vorgestern Abend in der Fernsehserie „Marie Brand“ im Hintergrund der Song „Carried the cross“ von jenem Album lief, ist wieder mal ein paar mehr Leuten bewusst geworden, was für eine große unentdeckte Künstlerin da im Ruhrgebiet herumsitzt. Inzwischen finanziert sie ihre Alben über Crowdfunding; mehr dazu demnächst.

Anlässlich dieses kleinen ZDF-Coups von vorgestern Abend fielen mir die Interviews wieder ein, die ich in den vergangenen 15 Jahren mit Katja Werker geführt habe. Und eins davon – genauer gesagt: ein kleines Porträt, das aus einem Interview entstand – soll hier den vom ZDF unfreiwillig ausgelösten kleinen Hype noch ein wenig unterstützen. Es erschien 2008 in der Zeitschrift uMag.

Pleiten, Pop und Pannen

Katja Werker ist die beste deutsche Songwriterin. Und das liegt nicht nur an ihrer Schusseligkeit.

Manche Menschen sind Magneten. Sie ziehen das Unglück an wie ein Honigtopf die Wespe. Der Blumentopf fällt ihnen auf den Kopf. Es ist ihre EC-Karte, die im Automaten stecken bleibt.

Die Hotelbar dämmert vor sich hin. Kaum Gäste, es ist früher Nachmittag. Katja Werker flattert herein wie ein gerupfter Schwan, abgehetzt und atemlos. Schlaff fällt sie in den schweren Ledersessel. Das war mal wieder ein Vormittag! Dabei ging es gut los. Sie war gemütlich shoppen in der Hamburger Innenstadt, mal hier, mal da – und am Ende war ihr Handy weg. Also rollte sie ihre Einkaufstour noch mal von hinten auf, klapperte ein Geschäft nach dem anderen ab, immer ruheloser, immer adrenalingepeitschter.

Das Handy ist ihr wichtig, da sind die Nummern drin von jenen, die sie liebt und mag. Es gibt Menschen, deren Handyadressbuch ist voller. Doch Katja Werker war immer eine Außenseiterin, darin ist sie ausgebildet. „Ich führe ein anderes Leben als 99 Prozent der Frauen, die ich kenne“, wird sie später erzählen, als sie sich etwas erholt hat. Früher litt sie unter diesem Außenseitertum sehr, doch inzwischen gelingt es ihr, es umzudeuten. „Jetzt gestehe ich mir halt zu, Künstlerin zu sein“, sagt sie.

Das Gefühl des Danebenstehens ist aber immer noch da. Im neuen Song „Half of my Way“ singt sie: „The fields are so green/and they’ll always be/no matter which road/I take.“ Die unbekümmerte Welt, die dich nicht braucht: Darin besteht die dauerhafte Verletzung, die Katja Werker mit sich herumträgt. In ihrem dunkel schimmernden Songwriterpop scheint sie immer wieder auf.

Sie sitzt schmal im Ledersessel. Man spürt, wie ihre Herzfrequenz allmählich sinkt. „Einen Cocktail bitte“, sagt sie zum Kellner, „aber alkoholfrei.“

Es gibt dieses unrausrottbare Klischee vom Künstler, der seine Depressionen in Kunst verwandelt – Glück aus dem Unglück sozusagen. Doch wie das so ist mit den Klischees: Sie kommen nicht aus dem Nichts. Es sind geronnene Stereotypen von etwas, das wirklich existiert. Katja Werker wuchs im Pott auf, mitten im Malochermilieu. Ein unglückliches Kind, das sich fremd fühlte unter den anderen Kindern, das sich als Jugendliche in den Alkohol flüchtete, süchtig wurde und obdachlos. Ein Mädchen, das sich schließlich buchstäblich rettete in die Kunst.

Werker schrieb Songs, die wie offene Wunden waren. Später verfasste sie eine erschütternde Autobiografie über ihren Absturz und den seither herrschenden Kampf um die Balance. Sie schrieb immer mehr Songs über Dämonen, Ängste und Träume, und sie singt sie zu Klavier, Gitarren und Elektronika mit einem brüchigen Hauchen, das dir ins Ohr kriecht und vom Unglück flüstert – und das ist für dich das pure Glück.

Katja Werkers Songs lassen dich nicht kalt, auch wenn sie auf dem neuen Album „Dakota“ gefälliger und lauter daherkommen, auch wenn die Sonne nun zaghaft über den Horizont dieser Lieder lugt. Das ist Pop, verdammt, auch wenn es um den „Heartbreak Boulevard“ geht und darum, dass man sein Leben nicht im Laden an der Ecke kaufen kann; man muss es sich erkämpfen, Tag für Tag.

Werker weiß es wahrscheinlich nicht, aber sie ist der Traum jeder Plattenfirma. Sie tüftelt Songs aus, wie sie in Deutschland sonst niemand schreiben kann, zumindest keine Frau. Dann spielt sie die Lieder allein im Heimstudio ein, komplett mit allen Arrangements. „Den ganzen Winter über habe ich im Zimmer gesessen und daran gearbeitet, gegen all die Monster, die links und rechts auftauchten.“ Dann legt sie dem Label das Album auf den Tisch, und die braucht es nur noch zu verkaufen. Von ihrer 2000er CD „Contact myself“ gingen angeblich über 40 000 Einheiten weg – eine Sensation.

Ihr neues Album „Dakota“ ist wärmer, weicher, Werker schreit auch mal. So könnte die größte deutsche Songwriterin glatt noch zum Popstar werden. Komischerweise wäre ihr das sogar recht; sie träumt von einem Auftritt bei der Echoverleihung und hält sich für stabil genug, so was durchzustehen. „Je mehr Erfahrung ich sammle“, hat sie festgestellt, „desto weniger verzweifelt bin ich über das, was passiert. Ich verliere nicht mehr so schnell die Nerven.“

Im ersten Geschäft, das sie betreten hatte – also ganz am Ende ihrer Rückwärtstour –, fand sie schließlich ihr Handy wieder. Doch sie weiß: Bald wird sie das Telefon wieder irgendwo liegen lassen. Sie ist halt so. Damals, in Brüssel, ging gleich ihre ganze Handtasche verloren. Sie saß im Bus auf dem Weg nach England, ihrer Trauminsel, als Trickdiebe zustiegen. „Die haben genau abgecheckt, wen sie beklauen können“, erzählt sie müde. „Und ich war diejenige.“ Natürlich.

Sie könnte jetzt gut ihren alkoholfreien Cocktail gebrauchen.

In der Handtasche waren Tickets, Geld, Handy, alles. England ade, sie musste raus aus dem Bus. Sie zog den Rucksack aus dem Kofferraum und stand alleine da, mittellos und panisch. „Ich bin durch Brüssel gelaufen, habe mich durchgeschnorrt“, erzählt sie. „Ich wollte telefonieren, aber man ließ mich nicht, weil ich so runtergekommen aussah, die Haare schief.“ Wenn Katja Werker redet, schaut sie immer ein wenig erschreckt, wie aufgescheucht. Ihr Blick ist der wachsame, übervorsichtige einer Frau, der schon viel zugestoßen ist und die weiß, dass ihr jeden Moment wieder etwas zustoßen kann.

Über ihrem Ledersessel hängt das Foto einer Hamburger Gebäudeflucht. Alle Linien stürzen symmetrisch hin zur Mitte, das Bild feiert Balance und Geometrie, und darunter sitzt die emotional gerade eher asymmetrische Sängerin. Ein sehr fotogener Kontrast – doch sie will nicht fotografiert werden. „Fotos“, seufzt sie, „sind für mich ein diffiziles Thema.“ Sie schaut sich nach dem Kellner um, doch er ist nirgends zu sehen. „Ich hatte mal eine beginnende Nebenhöhlenentzündung am Ende einer anstrengenden Promotour“, erzählt sie, „und wollte eigentlich nicht fotografiert werden. Es wurde ein grottiges, fürchterliches Bild, ganz schlimm. Und die haben das groß gedruckt – eine halbe Seite in der Tageszeitung!“

Sie schließt die Augen, als könnte sie so die Erinnerung verscheuchen. Auf den offiziellen Pressefotos hat man ihre Augen zentimeterbreit mit Kajal ummalt. Wie Spiegelbilder jener Schatten, die über ihrem Leben liegen.

Der Horror von Brüssel dauerte zwei volle Tage. Und er steigerte sich: Der Rucksack, den sie gegriffen hatte, war nicht ihrer. „Als ich mich umziehen wollte, wunderte ich mich über das Fußballtrikot, die Kamera, die Flasche Wein … bis es mir allmählich dämmerte, dass es der Rucksack meines Hintermanns war. Jetzt hatte ich gar nichts mehr: keine Hose zum Wechseln, keine Unterwäsche, keine Zahnbürste, kein Geld.“

Heute hat sie wenigstens einen Song darüber: „No Ticket back“. Über dem E-Piano schwebt ihre verfremdete, vereinsamte Stimme. Es geht um die Abhängigkeit von Scheinen und Bescheinigungen, ums Verlorengehen in der Fremde. „Die Kruste der Zivilisation ist dünn“, sinniert Katja Werker, „mitten in Europa.“ Sie würde jetzt sehr gern an ihrem Cocktail nippen.

Am Ende hat sie sich in Brüssel einfach in den Bus gesetzt, wie bei einer Sitzblockade. „Ich war seit 48 Stunden wach und hatte immer noch diesen Adrenalinschub durch den Schock. Zum Fahrer habe ich gesagt: ,Entweder Sie geben mir jetzt ein Ticket nach Hause oder ich schreie!‘ Da hat er okay gesagt. Und ich bin nach Hause gefahren.“

Allmählich füllt sich die Hotelbar, das Interview geht zu Ende. Katja Werkers Cocktail ist nicht mehr gekommen.

Es ist das einzige Getränk, das die Bedienung vergessen hat.







16 Januar 2015

Wieder mal Opfer eines Verbrechens

Abhanden gekommen sind uns auf St. Pauli ja schon allerhand Sachen, darunter Fahrräder, Satteltaschen oder ein Auto. Alles ergab aus Sicht der ethisch-moralisch desorientierten Entwender bestimmt irgendeinen Sinn.

Aber wer in Kalle Schwensens Namen kann so belämmert sein, eine vor der Wohnungstür liegende Fußmatte zu klauen …?

Liebe Diebe, ihr müsst jetzt ganz stark sein: Die Fußmatte lag bereits dort, als wir 1996 in diese Wohnung zogen. Wer weiß, wie viele Generationen von Besucherschuhen sie bis dahin schon schmutzaufnehmend umhegt hatte. Seither aber sind weitere 19 Jahre vergangen, ohne dass wir je ernsthaft erwogen hätten, dieser Matte eine Grundreinigung angedeihen zu lassen.

Das merkt man der Matte – wenn Sie, liebe Diebe, das vielleicht noch einmal visuell und olfaktorisch verifizieren mögen – auch recht deutlich an.

Zuletzt erwog ich daher in immer kürzeren Abständen, sie trotz ihrer Meriten durch eine neue zu ersetzen. Allerdings war die genaue Form ihrer Entsorgung noch nicht ganz klar. Bis heute.

Dafür danke. Das Foto zeigt die neue Fußmatte. Bitte liegenlassen, okay? Sie haben ja jetzt eine. Und die funktioniert tadellos!


06 Januar 2015

Fundstücke (199)

Diese Am Grünen Jäger entdeckte Freiluftinstallation ist derart vielfach kodiert und gebrochen, dass jedem voll Durchgegenderten ganz wuschig im Hirn werden muss.

Zum Glück aber gehöre ich nicht zu dieser Volksgruppe, so dass ich die eingegitterte Nackte einfach unter urbaner Kiezästhetik ablegen kann.