29 Januar 2018

Einer hat überlebt


Auf Nichthamburger mag es befremdlich wirken, doch hier in der Stadt gibt es einen sogenannten Schwanenvater. Er hat wahrscheinlich einen der bundesweit seltensten Jobs, vielleicht sogar den einzigen seiner Art; sofern in Ihrer Kommune etwas derlei Sozialversicherungspflichtiges zu beobachten ist, belehren Sie mich bitte eines Besseren. 

Dieser Mann jedenfalls (es ist immer ein Mann, so weit ich weiß) hat die Aufgabe, sich um das Wohl und Wehe der Alsterschwäne zu kümmern, dem ältesten Wahrzeichen Hamburgs. Zur vordringlichsten Aufgabe des Schwanenvaters und seiner Helfershelfer gehört es, die Vögel im Herbst in ihr Winterquartier zu bringen. Bei dieser Unterkunft handelt es sich um den Eppendorfer Mühlenteich, der angeblich eigens per Umwälzpumpe beheizt wird, um es den Schwänen kommod und eisfrei zu machen und sie nicht den Drang spüren, sich des Winters aus der Hansestadt zu absentieren. Michel und Elphi bleiben ja auch ganzjährig hier.  

Diese Umbettung des Cygnuskomplettbestands schien auch zu Beginn dieser Saison gut vonstatten gegangen zu sein, denn die Alsterschwäne waren von einem Tag auf den anderen verschwunden. Ich kann das gut beurteilen, weil ich fast täglich meine Mittagspause kauend und sinnierend am Ufer der Außenalster verbringe, auch im Winter. 

Die verbliebenen Vögel – Rallen, Enten, Möwen – bejubeln jedesmal begeistert die Umquartierung, da sie plötzlich nicht mehr von diesen langhalsigen Riesen bedrängt werden, deren Fauchen, wie ich bezeugen kann, sogar schon manchen vorwitzigen Haushund das Fürchten lehrte. Und sogar mir, wie ich gestehen muss, weshalb ich es tunlichst vermeide, den traditionell übellaunigen Schwänen das Gefühl zu vermitteln, ich machte mir nichts aus sozialer Distanz. 

Die Schwäne sind dank des Schwanenvaters also schon seit längerem nicht mehr an der Alster, sondern bis zum Frühjahr auf dem Mühlenteich daheim. Doch vorvergangene Woche sah ich plötzlich einen kapitalen Burschen im Tiefflug zur Landung ansetzen, und als Bremsschwall und Gischt die Sicht nicht mehr verdecken, sah ich: Es war ein Schwan. Ein einziger (Foto).

Seither ist der Großvogel an der Außenalster quasi der Hecht im Karpfenteich. Nirgends ein aus demselben Holz geschnitzter Konkurrent, sein Regime über die winterliche Alstervogelwelt ist unumschränkt und von keiner Widerstandsgruppe gefährdet. Täglich tummelt er sich in der Nähe der Krugkoppelbrücke, vergrämt lustvoll Blässhühner, schwimmt mal hierhin und mal dorthin, faucht Hunde an, kurz: Er liefert passables Entertainment für kauende und sinnierende Mittagspausenverbringer.

Fragt sich nur, was der Schwanenvater und seine Helfershelfer zu diesem Renegaten sagen. Werden sie noch einmal aktiv? Erlösen sie die Rallen, Enten und Möwen von ihrer Nemesis? Und warum hat die Mopo noch nicht berichtet?

Ich bleibe dran. Jeden Mittag.

13 Januar 2018

Zum 50.: Das Lexikon einer geilen Generation



A wie APO: Die 68er waren irgendwie gegen alles Alte, deshalb drehten sie das Wort –>OPA einfach um und erhielten sein Gegenteil. So entstand die APO. Sie wollte möglichst „jung“ wirken, deshalb verhielt man sich auch konsequent idiotisch, steckte sich Blümchen ins Haar und ging in kindlicher Unschuld massenhaft öffentlich duschen (–>Wasserwerfer). So was ist neuerdings wieder total in, siehe G20-Gipfel.
B wie Barrikaden: Auf die Straßen geschmissene Haufen aus Steinen, Türen (–>Kommune), Balken und was nicht alles. Damit wollten die 68er verhindern, dass die –>Wasserwerfer abhauen konnten, bevor sie Duschwasser bereitgestellt hatten. Heutzutage ist das Barrikadenbauen aus der Mode gekommen, weil die meisten Menschen eh kurze –>Haare haben.
C wie Che Guevara: Ein eitler Selbstvermarkter aus Kuba. Er ließ Millionen Poster von sich selber drucken, welche die gutmütigen 68er dann dezentral lagerten, meist an den Wänden ihrer ->Kommunenräume. Als Che wegen der Poster pleite war, floh er vor den Gläubigern in den Wald, aber sie fanden ihn trotzdem. Nach seinem Ableben wussten die 68er nicht mehr, wem sie die Poster zurückgeben sollten, und ließen sie einfach hängen. Bis heute.
D wie Drogen: Chemische Substanzen, die das Hirn weich und das Wesen sanft machen – und so verhinderten, dass aus 68ern –>Terroristen wurden.
E wie Establishment: Die zarte Poesie der 68er bezirct bis heute mit Zeilen wie „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Damit waren nicht nur Monogame gemeint, sondern auch Leute, die das Klo abschlossen und zum Duschen daheim blieben, statt den kostenlosen ->Wasserwerferservice zu nutzen.
F wie Flokati: Ein Teppich mit langen Haaren. Sie sollten den Dreck binden, der beim ungehemmten –>Sex in der aus revolutionären Gründen ungeputzten –>Kommune aufgewirbelt wurde. Als in den 90ern Cybersex aufkam, starb der Flokati aus. Für die letzten Exemplare wird immer noch ein sicheres Endlager gesucht.
G wie Gammler: Splittergruppe der 68er, die sich vor allem dadurch unterschied, dass sie nicht von –>Vietnam träumte, sogar öffentliches Duschen mied (–>Wasserwerfer) und immer wusste, wo es den billigsten Joint gab. Deshalb waren Gammler als –>Terroristen völlig untauglich.
H wie Haare: Ein praktischer Körperauswuchs, den die 68er in bis dahin ungekannter Form ausbildeten, um den Flokatiteppich beim Filtern des Staubs aus der Luft zu unterstützen. Die Säuberung erfolgte –>nackt und öffentlich (–>Wasserwerfer).
I wie Ideologie: Unverzichtbarer IQ-Ersatz für jeden 68er.
J wie Jesus-People: Komische Käuze, die zwar auch in –>Kommunen lebten, aber jede Chance aufs Rudelrammeln sausen ließen. Ähnlich tragische Figuren wie –>Terroristen.
K wie Kommune: Eine total demokratische Wohnform, die sogar Gerüche gleichberechtigt behandelte. Viele von ihnen waren jahrhundertelang gedisst und weggesperrt worden, doch die 68er befreiten sie, indem sie sämtliche Türen aushängten. Jetzt konnten sich sogar Klodüfte frei durch die Wohnung bewegen und etwa in der Küche nette Kollegen treffen. Heute ist man davon aber wieder weg.
L wie links: Eine Art holpriges Denken in Widersprüchen, das die 68er toll fanden. Linke lobten lauthals das damals noch „Proletariat“ genannte Prekariat, statt sich – wie heute alle bis auf Oskar Lafontaine – darüber zu beömmeln. Inzwischen ist längst erwiesen, dass man rinks und lechts leicht verwechseln kann, deshalb gilt Richtungsdenken generell als überholt. Genauso wie –>Ideologie übrigens.
M wie Muff: Biologische Sonderform eines sehr alten Schimmelpilzes, den die 68er unter der Standeskleidung (Talare) ihrer Professoren vermuteten und gern weggehabt hätten. Problem: Wenn man Talare lüftet, verbreiten sich die Sporen des Muffs in alle Winde und sorgen überall für neue Schimmelpilze. Darunter leiden die Unis bis heute, und alles nur wegen der 68er.
N wie nackt: Was inzwischen selbstverständlich ist, haben die 68er für uns mutig erstritten: das Nacktsein. Sie rissen sich überall und im Affenzahn die Kleider vom Leib, ob in der WG (–>Kommune), an der Uni (–>Muff) oder vor Gericht, und das ohne jede Rücksicht auf ästhetische Erwägungen. Hauptsache, die –>OPAs regten sich auf. Außerdem kam man so beim –>Sex viel schneller zur Sache.
O wie OPA: Das Gegenstück zur –>APO und letztlich Ursache ihrer Gründung. Sammelbecken für Altnazis, Monogame, Kloabschließer, –>Wasserwerferfahrer und Leute, die BILD lasen statt Bildblog (wenn es das damals schon gegeben hätte).
P wie Porno: Weil die 68er unheimlich locker waren, hatten sie auch nichts dagegen, sich beim –>Sex filmen zu lassen – fertig war der erste Porno der Welt. Vorher wusste man nicht mal, wo man was reinstecken sollte; dank der 68er konnte man sich das jetzt genau anschauen. Wie alles Gute wurde aber auch diese super Idee sofort vermarktet bis zum Gehtnichtmehr (vgl. Youporn).
Q wie quasseln: Neben dem Poppen, Kiffen und ->Barrikadenbauen gehörte das ständige Quasseln zu den nervtötendsten Eigenschaften der 68er. Ein Erbe, das heute in sogenannten Talkshows verwaltet wird. Dass die Lanzens und Illners nicht einmal das Maul halten können, liegt nur an den 68ern.
R wie Revolution: Die 68er wollten nicht mehr von –>OPAs regiert werden und schimpften deshalb rum. Ein gewisser Schröder rüttelte später sogar am Zaun des Kanzleramtes und rief: „Ich will da rein!“ Viele Jahre später klappte es sogar, und das war dann die Revolution.
S wie Sex: Die Fortpflanzung vor 1968 liegt völlig im Dunkeln. Man vermutet eine Mitwirkung von Störchen. Ab 68 wurde dann alles anders: Man poppte, was das Zeug hielt, das eh keiner mehr anhatte (–>nackt). Seither weiß man erst genau, wie das funktioniert mit der menschlichen Fortpflanzung. Allerdings ist die 1968 etablierte Methode inzwischen schon wieder überholt, dank Gentechnik.
T wie Terroristen: Gescheiterte 68er, die zu tüddelig waren, sich die richtigen –>Drogen zu besorgen. Tagelang irrten diese Dummerchen durch die falschen Viertel und stießen dort natürlich auf keinen einzigen Dealer. Das machte sie unheimlich sauer – mit bekannten Folgen (RAF, Stammheim, Mogadischu).
U wie Universität: Beliebte Sammelstellen für 68er, vor allem, weil es dort Stühle gab. In den –>Kommunen gab es ja nur noch –>Flokatis.
V wie Vietnam: So wie wir uns heute nach Bali sehnen, so verzehrten sich die 68er nach Vietnam. Endlose Strände, entlaubte Wälder, dünne Menschen in Erdhöhlen: All das löste eine romantische, letztlich aber unstillbare Sehnsucht aus. Denn die meisten 68er waren wegen der kostenlos bereitgestellten Stühle an der –>Universität und hatten kein Geld für den Flug, deshalb demonstrierten sie zu Tausenden für staatliche Reisekostenzuschüsse. Weil das im Budget nicht drin war, bot die Regierung ersatzweise mobile öffentliche Duschen an (–>Wasserwerfer), womit sich die 68er dann auch begeistert zufrieden gaben.
W wie Wasserwerfer: Ein Fahrzeug, das die Polizei zur Verfügung stellte, um die verweigerten Reisekostenzuschüsse (–>Vietnam) zu kompensieren und zugleich das hygienische Niveau der 68er zu heben. Vor allem lange –>Haare waren Schmutzfänger erster Kajüte, und weil in vielen –>Kommunen aus revolutionären Gründen kein Wasser lief, versammelten sich die 68er auf großen Plätzen und Straßen, wo sie sich abbrausen ließen. Vor allem der –>Sex war danach deutlich angenehmer.
XY wie Aktenzeichen xy … ungelöst: Fahndungssendung, die am 20. Oktober 1967 von –>OPAs erfunden und quasi zum Begleitformat der 68er wurde. Da praktisch jeder mit langen –>Haaren verdächtig war, hatte die xy-Redaktion unglaublich viel zu tun. Heute fahndet die Sendung allerdings vor allem nach Kurzhaarigen.
Z wie Zausel: Liebevoller Ulkname für Rainer Langhans, den letzten noch aktiven 68er aller Zeiten.


(Dieses Lexikon ist die aktualisierte Fassung eines Textes, der für die Zeitschrift umagazine entstand.)

-->




01 Januar 2018

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (129)




Ob ohne Netz, Geländer und doppelten Boden auf dem Dach eines Reeperbahnhauses oder fünf Stock tiefer auf der Seilerstraße: So ging’s zu auf dem Kiez in den ersten Minuten des Jahres 2018.