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19 Dezember 2023

Auf den Straßen von St. Pauli

Manches, was hier in der Seilerstraße so herumliegt, wirkt kieztypisch, etwa der damenlose Büstenhalter. Er wirkt ein wenig wie wütend entsorgt. Die Geschichte dazu würde mich interessieren, und ich ersuche Sie dringend, diese in erforderlicher Ausführlichkeit in den Kommentaren zu schildern.



Anderes mutet eher überraschend an – wie etwa die handliche Bibelausgabe im Fahrradkorb. Fahrradkörbe werden hier auf dem Kiez übrigens recht oft für Mülleimer gehalten. Ich weiß nicht, wie man diesem Irrtum aufsitzen kann; normalerweise lernt man die Unterschiede schon recht früh im Leben.


Die Stolpersteine in unserer Straße wurden nach dem bestialischen Massaker der Hamas in Israel von einem kleinen Schutzwall aus Grablichten umgeben. Inzwischen trotzen sie wieder unumsäumt Wind, Wetter und Antisemitismus.



Die tote Kieztaube hat ihr Dahinscheiden wohl der einen Zigarette zu viel zu verdanken. Alle Indizien sprechen dafür.



Es ist gewiss nur Zufall, dass das „Zu verschenken“-Schild neben einem völlig intakten und scheckheftgepflegten Mittelklassewagen herumliegt. Sonst wären seine Türen doch bestimmt – ähem – nicht verschlossen gewesen.
 


29 Juni 2022

Alles rollt (oder brennt)



Heute ein paar verstörende Geschichten mit Fortbewegungsmitteln im Fokus. Los geht es mit einer für langjährige Blogleser und -leserinnen längst sterbenslangweiligen Meldung: Mir wurde erneut ein Fahrrad gestohlen. Es war Nummer neun; oben ein Fahndungsfoto. Wenn Sie es irgendwo herumstehen sehen bla, bla, bla. Wer immer es war, er knackte dabei ein Abus-Faltschloss der höchsten Sicherheitsstufe, ohne irgendwelche Spuren oder Trümmer zu hinterlassen. Respekt.

Zum Glück war mein Rad versichert, zum Glück hat die Hausratversicherung nicht gezickt, sondern sofort bezahlt. Ich könnte nun also in den üblichen Modus verfallen und mir das nächste – zehnte – Rad kaufen und hoffen, es würde mir dereinst NICHT geklaut. Oder nicht so bald. Allerdings ist – laut Einstein – die Definition von Wahnsinn die, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Das fiel mir gerade noch rechtzeitig ein. Will sagen: Ich habe jetzt ein Abonnementrad von Swapfiets.

Dass ich erst neun Fahrräder später auf diese Idee gekommen bin, erfüllt im Grunde Einsteins Wahnsinnsdefinition vollauf, doch zur Ehrenrettung meiner geistigen Gesundheit kann ich sagen: Bis mir das achte Rad geklaut wurde, gab es so ein Angebot noch nicht. (Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Anbieter Stadtrad – die Stationen sind zu weit weg, die meisten Räder dort kaputt, und mir bricht immer wieder der Angstschweiß aus, weil sich das vermaledeite Rad aus irgendwelchen Gründen nicht zurückgeben lässt und die Uhr tickt, tickt und tickt … Ein Gefühl ähnlich der Taxometerpanik, die mich regelmäßig bei Taxifahrten befällt.).

Als Backup zum Swapfiets-Dauerleihrad geruhte ich mir zudem einen Tretroller anzuschaffen (Lidl, 39,95 Euro). Er ist gut für den kurzen Weg zum Bäcker – und dafür, unvermittelt den Asphalt zu küssen (Protipp: Vermeiden Sie den Vortrieb, wenn Sie sich gerade in die Kurve legen). Die Ganzarmprellung links war aber bereits nach wenigen Tagen wieder weg.

Nicht nur ich befülle die Seilerstraße indes mit Fortbewegungsmitteln aller Art, das tat neulich auch der Besitzer des abgebildeten goldenen Benz. Wahrscheinlich ist sein Herrchen ein emeritierter Lude der ganz alten Schule, der die prolligen Lamborghinis seiner halbstarken Nachfolger einfach nur degoutant findet. Ähnlich muss auch jemand gegenüber dem nur wenige Dutzend Meter weiter abgestellten weißen Transporter empfunden haben, jedenfalls ging der unlängst unrettbar in Flammen auf. Wenn Sie also irgendwas gesehen haben bla, bla, bla.

Im Brauquartier stand neulich übrigens ein Fortbewegungsmittel namens Foodtruck, dessen Betreiber Pizzasuppe verkaufte. Auch das war sehr verstörend.





26 September 2021

Kant und Gammelfleisch

Was ich heute Morgen in meinem Fahrradkorb vorfand (und vor Ärger und Abscheu leider vergaß zu fotografieren), war folgendes Ensemble an Dingen, die vorher, beim Abstellen, noch nicht dort waren und dort auch keinesfalls hingehören:

 

– eine Edeka-Broschüre

– eine Burgerverpackung aus Styropor (zum Glück leer)

– eine zusammengeknüllte graubraune Papierserviette (stark gebraucht)

– ein mit Reis beflocktes handtellergroßes Stück Gammelfleisch, nasen- und augenscheinlich Lamm, sowie

– ein abgelutschter Eis-am-Stiel-Stiel mit halb eingetrockneten Vanilleeisspuren.

 

Ganz abgesehen davon, dass diese Kollektion keineswegs auf einen kulinarisch verfeinerten Geschmack ihres Schöpfers und Spenders hindeutet: Allem Anschein nach vermochte er auch im entscheidenden Moment nicht mehr den kategorischen Imperativ Immanuel Kants zu memorieren, der ihm anderenfalls in den Arm gefallen wäre mit der Erwägung, etwas am besten keinesfalls zu tun, sofern es – wenn es alle Erdbewohner täten – diese Welt nicht zu einem besseren Ort machen würde.

 

Also hieß es heute Morgen vorm obligaten Brötchenholen erst einmal spitzfingrig sauber machen. Was jetzt noch auf dem Drahtgittergeflecht des Fahrradkorbs verblieben ist, sind schwer zu entfernende Reisreste. Diesbezüglich hoffe ich auf unsere verlässlichsten Kumpel, die Mikroorganismen, welche in den nächsten Wochen (wahrscheinlich eher Monaten) doch bitte segensreich wirken mögen, danke schön vorab.

 

Ich befürchte allerdings, auch im kommenden Frühjahr dort im Korb noch Spuren mumifizierter Reiskörner vorzufinden. Und alles nur, weil irgendein Absolvent des gerade zu Ende gegangenen Reeperbahnfestivals im entscheidenden Moment ausnahmsweise mal nicht an einen unserer größten Philosophen gedacht hat.

 

Aber beim nächsten Mal wieder, da bin ich mir doch sehr, sehr sicher.


PS: Das Foto zeigt den Eingang der S-Bahnstation Reeperbahn, und zwar deshalb, weil ich, wie gesagt, den kontaminierten Fahrradkorb aus Ärger und Abscheu zu fotografieren vergaß.



18 September 2021

Bloggeburtstag Nr. 16


Wie im vergangenen Jahr bin ich auch diesmal erschütternd säumig, was meine Selbstgratulation zum Bloggeburtstag angeht. Na ja, das sechzehnte Wiegenfest ist nun einmal kein rundes, da darf man eher schon mal patzen.

Die oben zu sehende Statistik zu den Besucherzahlen reicht nur eine Dekade zurück, zeigt aber mit beschämender Konsequenz einen seit zwei Jahren anhaltenden Absturz. Wer als Blogger allerdings auch nur noch zwei oder drei Texte pro Monat veröffentlicht, darf sich keinesfalls wundern, wenn selbst ein dir noch so wohlgesinntes Webvolk sich kopfschüttelnd abwendet – oder zwischen zwei Beiträgen einfach vergisst, dass dieses Blog überhaupt existiert.

Jedoch scheint auch Google die Messmethode verändert zu haben, denn von einem Tag auf den anderen halbierten sich die Werte, und kein Mensch weiß, warum, ich am allerwenigsten. Vielleicht verübelt Google es mir auch, dass es hier vergebens nach einer Suchmaschinenoptimierung oder Werbeplätzen gesucht hat.

Einstweilen verabschiede ich mich gleichwohl mit der Aussicht auf Bloggeburtstag Nummer siebzehn, und bis dahin wird hier auch noch der ein oder andere Artikel zu lesen sein.

Ich schwör.

PS: Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass der neu angeschaffte Fahrradständer genau zwei Tage am Rad verblieb, ehe auch der mir wieder abgeschnitten wurde? Dann wissen Sie es jetzt.



06 August 2021

Der Charaktertest

Im letzten Beitrag mit dem Titel „Und wieder ist ein Ständer weg“ informierte ich Sie und die staunende Welt über den erneuten Verlust meines Fahrradständers, den wohl jemand mit seit Jahren nicht stillbaren Kastrationsfantasien zu verantworten hat – gerade auf St. Pauli eine sehr kontraproduktive Störung.

Statt mir nun einen neuen Ständer zu besorgen, der alsbald wieder abgesägt würde, wie ein Blick in meine unbestechliche Glaskugel verriet, entschied ich mich zu einer Bastelstunde. Im Mittelpunkt: ein alter hölzerner Kochlöffel und eine Rolle Isolierband. Eine halbe Stunde später sah die Lage so aus wie auf dem Foto.

Allerdings spielte die Physik nicht mit. Zum einen war der Löffel etwas kurz, zum andern war er mit dem Bordmittel Isolierband nicht derart fixierbar, dass er davon abgehalten werden konnte, immer wieder zeitlupenhaft wegzuknicken. Meine Konstruktion war also nicht mal annähernd in der Lage, die selbstverständliche, mühelose Funktionalität des abgesägten Ständers auch nur vage zu imitieren. Immerhin kann ich mich seither wenigstens in der Gewissheit sonnen, weltweit der wohl einzige Radbesitzer von ganz St. Pauli zu sein, dessen Gefährt über einen ausklappbaren Kochlöffel verfügt.

Das Ganze bleibt also zunächst einmal unbehoben, deshalb widmen wir uns lieber Ms. Columbos Fahrrad, dessen Benutzung sie schon seit Langem aus Gründen, die hier nicht weiter von Belang sind, verschmäht. Seit Jahren fristet es in Ermangelung eines wettersicheren Unterstandes ein tristes Dasein auf unserem Balkon, mit allen Nachteilen, die Ero- und Korrosion so mit sich bringen.

Schon vorher war das Rad in einem Zustand, der mit „renovierungsbedürftig“ nur beschönigend beschrieben wäre. Eine der beiden Handbremsen ließ sich überhaupt nicht mehr zu einer Bewegung überreden, die andere zwar schon, indes zeigte sie keinerlei Wirkung. Die Lampen gingen weder vorn noch hinten, den Reifen gebrach es an Luft, das ganze Ding war ein einziges großes Elend. Und dann kamen auch noch die langen, einsamen Jahre auf dem Balkon hinzu, die Unbill wechselnder Jahreszeiten mit Regen, Frost und Hitzebrut, die den stetig herabrieselnden Großstadtdreck in gemeinschaftlicher Anstrengung zu einer bockelharten Schicht verbuken, deren Entfernung man nur noch einem Sandstrahler zutraute.

Die Frage war also: Was tun mit dieser Radruine? Sie weiter auf dem Balkon Platz beanspruchen zu lassen, während sie sehr, sehr langsam den Gang alles Irdischen ging, schien nicht mehr tragbar. Doch um sie zum Beispiel in den Stand eines Ersatzrades für mich zu versetzen, hätte ich gewiss 200 Euro – und damit weit mehr als den Restwert – in die Hand nehmen und sie zu einem die Hände über dem Kopf zusammenschlagenden Fachmann schleppen müssen – nur um das Rad nach Instandsetzung erneut auf dem Balkon den fatalen Folgen von Ero- und Korrosion auszusetzen. Und für 200 Euro habe ich ehrlich gesagt auf dem Flohmarkt schon Gebrauchträder gekauft, die sich drei Jahre lang weitgehend beschwerdefrei fahren ließen (ehe sie mir wieder geklaut wurden).

Nein, eine Rundumreparatur schied aus. In Absprache mit der Eigentümerin entschloss ich mich stattdessen zu einem Charaktertest der Nachbarschaft: Ich stellte das Fahrrad unten auf den Gehweg zu all den anderen dort versammelten Artgenossen – allerdings ohne es am Geländer festzuketten.

Was würde geschehen? Wie lange bliebe es wohl ungeklaut dort stehen in all seiner Verletzlichkeit? Würde jemand bei diesem Haufen Schrott überhaupt noch zugreifen? Und wenn ja, wie viel Zeit würde vergehen, bis sich ein GEWISSENLOSES RIESENARSCHLOCH OHNE WÜRDE, ERZIEHUNG UND RESTMORAL seiner bemächtigte?

Nun, es waren knapp 24 Stunden.

Ich finde, damit hat der Kiez den Charaktertest klar bestanden. 
Denn es hätten ja auch nur zwei Stunden sein können.

PS: Mein Kochlöffel ist übrigens immer noch dran. Weiß auch nicht, was da los ist. 



12 Juli 2021

Und wieder ist ein Ständer weg

Seit Jahren schnürt jemand durch St. Pauli und schneidet Fahrradständer ab. Natürlich ist es keineswegs sicher, dass es sich immer um dieselbe Person handelt, doch ich kann mir nur schwer vorstellen, dass diese selten anzutreffende Geistesstörung auf so kleinem Raum gleich zweimal vorkommt.

Nehmen wir also an, es handele sich um ein und dieselbe Person. Was wissen wir über sie? Sie sägt Fahrradständer ab, sodass sie unbrauchbar werden. Manchmal lässt sie das abgeschnittene Ende achtlos liegen, manchmal nimmt sie es mit. Handelt es sich bei dieser Störung um Penisneid im Freud’schen Sinne, der sich in einem Akt stellvertretender Kastration Linderung verschafft?

In diesem Fall hätten wir es möglicherweise mit einer Frau zu tun. Einer gefährlichen Frau. Denn vielleicht genügt ihr irgendwann kein Fahrradständer mehr. Sofern sie über einen Lebensgefährten verfügt, wünsche ich ihm alles erdenklich Gute. Und ein abschließbares Einzelschlafzimmer.

Mir hat diese Person bereits schätzungsweise viermal den Fahrradständer abgeschnitten. Ich hätte eine Strichliste führen sollen, dann könnte ich jetzt Genaueres sagen. In meinem letzten längeren Eintrag zu diesem lästigen Thema hatte ich um anonyme Informationen über die Motivlage gebeten, doch hat sich leider bisher niemand dazu bemüßigt gefühlt. 

Eine ebenfalls im erwähnten Blogtext von 2018 vorgestellte These halte ich übrigens für unplausibel. Dort hieß es, Ständerabsäger nutzten die abgesägten Reste zum Aufhebeln der Schlösser, um danach mit dem ganzen Rad vondannen fahren zu können. Aber mal im Ernst: Wenn ich losziehe, um Fahrradschlösser zu knacken, dann nehme ich mir doch entsprechendes Werkzeug mit, welches seine Praxistauglichkeit bereits im realen Einsatz nachgewiesen hat. Ein frisch abgeschnittener Alustummel wird damit doch nicht mithalten können und gewiss jede konstruktive Mitarbeit verweigern.

Wie auch immer: Motivationslage und Geschlecht der handelnden Person bleiben vorerst weiter im Dunkeln. Vielleicht lässt sie sich ja diesmal zu einem erhellenden Statement in den Kommentaren herab. Es interessiert mich wirklich!




10 Dezember 2020

Fundstücke (250)

Wahrscheinlich werden Sie sich wundern, weshalb ich mich heute Nachmittag darüber freute, mein Fahrrad kopfstehend vorzufinden. Aber das liegt nur daran, dass normalerweise, wenn irgendetwas ist mit dem Rad, es geklaut worden ist.

Insofern: alles bestens. Inklusive Bewunderung für denjenigen, der es geschafft hat, das Rad trotz dessen bombensicherer Befestigung am Geländer überhaupt auf den Kopf zu stellen. Beim Wiederrichtigrumdrehen habe ich mir jedenfalls beinah einen abgebrochen.


Was sonst noch los ist auf dem Kiez? Nun, bei Shopping 24 auf der Reeperbahn ist eine einzelne Einwegschutzmaske 25 Prozent teurer als eine Büchse Bier. Na ja, dafür ist Letztere aber auch im „angebut“.


23 August 2020

Warum ruft er bloß die Bullen nicht?


Nach dem Ausbruch der Coronakrise hatte die Rabatzfrequenz unterm Balkon deutlich abgenommen. Aber ganz allmählich zieht sie wieder an. Heute Nachmittag zum Beispiel: Rabatz unterm Balkon! Also Blick über die Brüstung.

Unten flitzt ein junger Mann die Seilerstraße (Archivbild) lang, überholt ein gemütlich dahin karriolendes Fahrrad, klammert sich am Lenker fest und zwingt es so zum Halten. Auf dem Rad sitzt ein kompakter, ansatzweise ergrauter Typ in seinen Vierzigern, mit Shorts und Übergrößen-T-Shirt. Aus der Brüllorgie, die der Jüngere ihm unter Missachtung aller Abstandsregeln ins Gesicht fetzt, schließe ich rück, dass Letzterem gerade das Fahrrad geklaut wurde. Und zwar von dem kompakten Typ, der darauf sitzt.

Ein Dieb wird in flagranti erwischt, in aller Öffentlichkeit der Tat bezichtigt und geht am Ende der Beute verlustig: Das erlebt man auch auf St. Pauli eher selten. Bisher eigentlich noch nie.

Zunächst aber bleibt der Mann auf dem Sattel einfach stumm sitzen und hört sich an, was der Jüngere noch so alles zu brüllen hat, zum Beispiel: „Steig endlich ab!“ Schließlich löst sich der Mann aus seiner Lähmung und kommt diesem Ansinnen nach. In aller Ruhe steigt er vom Rad, nimmt noch etwas Kettenartiges vom Lenker (das scheint definitiv ihm zu gehören, denn der Jüngere interveniert nicht) und schlurft gelassen davon.

„Kannst froh sein“, schreit der Fahrradeigentümer ihm hinterher, „dass ich nicht die Bullen rufe!“, und ich frage mich augenblicklich: ja, warum denn eigentlich nicht? Warum rufst du nicht die Bullen? Was um der Davidwache willen wäre falsch daran? Endlich könnten die – statt immer nur hoffnungslose Anzeigen aufzunehmen – mal einen der sonst so verlässlich Davonkommenden hopsnehmen. Stattdessen schlurft der Dieb gelassen davon und widmet im Vorübergehen den unterm Haus am Geländer angebundenen Rädern einen interessierten Blick. Auch meinem.

Der beinah Bestohlene ruft ihm derweil weiter Beschimpfungen hinterher, darunter das immer wieder gern genommene „Wichser!“. Ob diese Bezichtigung hier berechtigt ist, dafür kann ich von meiner Balkonwarte aus jedoch keine konkreten Indizien benennen. Und dafür bin ich sehr dankbar.


 

21 Mai 2020

Der Pitbull unter den Fahrradschlössern

Anfang August 2016 wurde mir zum bisher letzten Mal ein Fahrrad gestohlenEs war bereits der achte Verlust dieser Art, seit wir auf St. Pauli leben. Zum Glück aber handelte es sich dabei nur um mein Zweitrad vom Flohmarkt, ein hauptsächlich von Rost und Kabelbindern unzulänglich zusammengehaltenes Ensemble minderwertiger Bauteile. 

Mein Hauptrad hingegen, ein robustes 16-Kilo-Modell von Trento mit sieben Gängen und Rücktrittbremse, hatte ich ein Jahr zuvor erworben – neu zwar, aber mit einem Kaufpreis von rund 450 Euro keineswegs hochkarätig genug, um bei ethisch-moralisch desorientierten Vollspacken sofort Gedanken an eine illegale Aneignung auszulösen. Außerdem hatte ich damals endlich, endlich erstmals erhebliche finanzielle Ressourcen in eine Sicherungsmaßnahme gesteckt. Will sagen: in ein Schloss, das laut Stiftung Warentest und anderen seriösen Quellen bei Dieben gemeinhin zu Heulen und Zähneklappern führen soll.

Es handelte sich dabei um ein gummiummanteltes Faltschloss aus gehärtetem Stahl namens Bordo Granit XPlus 6500, kostete sechsundachtzig Euro (also fast doppelt so viel wie das oben erwähnte Flohmarktrad) und hätte sich mit seinen knapp zwei Kilo Gewicht auch problemlos für eine Karriere als Bizepshantel entscheiden können. Doch das Bordo Granit XPlus 6500 wollte nie etwas anderes als Fahrradschloss sein, und diese Aufgabe erfüllte es in meinen Diensten hinfort mit Duldsamkeit und Eifer. 

Seit fast fünf Jahren arbeitet es nun schon Tag und Nacht, bei Sonne und Regen, Sturm und Eis, ohne je zu klagen oder Anzeichen von Müdigkeit zu zeigen – und siehe da, ich habe mein Rad noch immer. Da die bisherige Durchschnittshaltedauer meiner Fahrräder bis zum unweigerlich stattfindenden Diebstahl bei knapp drei Jahren lag, rechne ich das voll meinem Bordo an. Es ist halt der Pitbull unter den Fahrradschlössern: Niemand wagt es, sich mit seinem Herrchen anzulegen.

Vorgestern wurde das mal wieder äußerst evident. Das direkt neben meinem ans Fußweggeländer angeschlossene Fahrrad war gestohlen worden. Ein seiner Verantwortung nicht gerecht gewordenes Zahlenschloss hing düpiert am Rohr, die zerfetzten Fasern seiner Stahlseilspirale lugten ratlos aus dem Kunststoffschlauch (im Bild rechts). Und links daneben mein Bordo Granit XPlus 6500: unversehrt und tadellos. Es würdigte seinen Artverwandten, diesen Chihuahua unter den Fahrradschlössern, keines Blickes. Ich platzte fast vor Stolz.

Allmählich übrigens zeigt mein 450-Euro-Trento-Stadtrad – obgleich scheckheftgepflegt! – erste Anzeichen von Abnutzung, ja vielleicht sogar von Altersschwäche. Nach fünf Jahren und mehr als 10.000 gefahrenen Kilometern darf ich ihm das wahrscheinlich nicht einmal krummnehmen. 

Dass es mir endlich gestohlen wird, wie es im Schnitt nun mal alle drei Jahre vorkommt auf St. Pauli, ist diesmal allerdings keine Option. Bordo wird es nicht zulassen.



 

04 Juni 2019

Neuste Seltsamkeiten aus dem Kiezuniversum

Neulich sahen wir in der Clemens-Schultz-Straße etwas ganz und gar Verblüffendes: einen Mann auf einem Fahrrad, der beim Fahren nicht telefonierte. Wir starrten ihm fassungslos nach. 

Was war nur los mit diesem Mann – hatte er keine Freunde? Waren seine Kommunikationsskills verkümmert? Oder noch schlimmer: Gab es etwa gerade nichts Wichtiges zu sagen, also Sachen wie „Ich radle gerade durch die Clemens-Schultz-Straße und ein Paar starrt mich komisch an“? 

Wir werden es nie erfahren. Wäre der nicht telefonierende Radfahrer jedenfalls unlängst in der Rindermarkthalle zufällig dabeigewesen, als die Schauspielerin Nina Bott (41) eines Cafés verwiesen wurde, weil sie am Tisch ihr Kind stillte, hätte das zumindest ein Telefonthema sein können. 

Dass hier auf St. Pauli jemals eine Frau in Schwierigkeiten geraten würde, weil sie blankzieht, hätte ich mir in den ganzen 23 Jahren, die ich inzwischen hier wohne, niemals (alp)träumen lassen. Wo in Salambos Namen ist Kalle Schwensen (65), wenn man ihn mal braucht als Hüter und Verteidiger hiesiger Sitten und Gebräuche? Nina Bott (41) jedenfalls soll Tränen in den Augen gehabt haben, und ich kann sie verstehen.

Zurück zum Fahrradfahren und trotzdem zu einem ganz anderen Thema: Analog zur Elektroautoprämie hätte ich nämlich gern eine Nichtnutzungsprämie. Da ich nachgewiesenermaßen freiwillig praktisch komplett auf den Gebrauch jedweder motorisierter Verkehrsmittel verzichte, entlaste ich die öffentliche Hand, senke sogar dramatisch den Bedarf an Straßenbau- und Luftsäuberungsmaßnahmen, an Waggons, Kraftfahrern, Kontrolleuren. 

Kurz: Ich spare der öffentlichen Hand eine Menge Geld, das als generelle Nichtnutzungsprämie u. a. in den Unterhalt der polizeilichen Pferdestaffel (Foto), aber zum Teil vor allem zurück in meine Tasche fließen sollte, und zwar zu einem großen. Dafür verpflichtete ich mich auch, beim Radeln niemals zu telefonieren – selbst wenn ich beim Vorbeifahren mitbekäme, wie Nina Botts Brüste gerade eines Kiezcafés verwiesen würden. 

Meine Kontodaten, Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (44), gibt es gern auf Anfrage.


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24 Januar 2019

Wo ist der Schlurfer?

Immer morgens gegen viertel nach neun stehe ich mit dem Rad an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer und warte darauf, dass das Heer der Feinstaubförderer widerwilig innehält, um mich die Mörderkreuzung überqueren zu lassen. Und jeden Morgen gegen viertel vor neun, wenn ich dort eintreffe, kommt just ein schiefer, bärtiger Bettler mit Krücke auf dem Grünstreifen zwischen den beiden zweispurigen Rennstrecken herangeschlurft. Sein Job beginnt anscheinend zur gleichen Zeit wie meiner. 

Wenn ich nachmittags gegen viertel nach drei (gelobt sei der Teilzeitjob!) auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung dann erneut aufs Innehalten des Heers der Feinstaubförderer warte, passiert erstaunlicherweise genau dasselbe: Der Bettler schlurft auf dem Mittelstreifen Richtung Ampel – ganz so, als käme er just aus seiner (späten) Mittagspause und nähme seine Arbeit wieder auf. Der schlurfende Humpler und ich: Wir sind offensichtlich verschränkt wie Zwillingstquanten, die der geisterhaften Fernwirkung unterliegen. 

Diese verblüffende Verbindung nahm ich monatelang als gegeben hin, ohne mich groß zu wundern. Wir haben halt beide einen 9-to-3-Job, dachte ich mir, nur halt in unterschiedlichen Branchen. (Und ich könnte nicht mal sicher sagen, wer mehr verdient.) 

Neulich aber verschob sich meine Nachmittagsankunft an der Mörderkreuzung durch Umstände, die hier nichts zur Sache tun, um mehr als eine Stunde. Es war also nicht viertel nach drei, sondern gegen halb fünf, als ich dort eintraf. Und welcher Anblick bot sich mir? Sie ahnen es: Der schiefe, bärtige Bettler schlurfte erneut auf dem Mittelstreifen Richtung Ampel. 

Kam er etwa gerade aus der Kaffeepause, die dann allerdings einen unzureichenden Abstand zum späten Lunch gehabt hätte? War vielleicht die geisterhafte Fernwirkung, die dafür sorgte, dass wir immer gleichzeitig an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer eintrafen, auf unheimliche Weise realer, als es die Naturgesetze erlaubten? 

Ich war verwirrt, ja fast verstört. Bis mir die Lösung dämmerte. Der fleißige Mann schlurfte nicht etwa nur zweimal täglich immer dann heran, wenn ich mich auf dem Fahrrad ebenfalls dem Ort des Wunders näherte, sondern absolvierte sein Schlurfen auf dem Mittelstreifen unablässig, den ganzen lieben langen Tag lang, immer hin und her. Wenn die Autoschlange zum Halten kam, humpelte er sie bettelnd ab, Wagen für Wagen, und wenn sie sich wieder in Bewegung setzte, schleppte er sich auf seiner Krücke zurück zur Kreuzung – wo er mir ins Blickfeld geriet. 

Es wäre demnach völlig egal, zu welcher Uhrzeit ich dort einträfe: Mir böte sich zuverlässig das immergleiche Bild, solange meine Arbeitszeit kürzer wäre als seine und von dieser zeitlich gleichsam umschlossen würde.

Der Mann arbeitete also hart, tagein, tagaus, wahrscheinlich sogar ganz ohne Mittags- und Kaffeepause. Dass ich ihm arglos solche Vergünstigungen unterstellt hatte, weckt nun in mir ein Gefühl der Scham. Von wegen 9-to-3 – wahrscheinlich 7-to-7! Wenn das mal reichte!

So war also dieses Rätsel gelöst. Doch seit einigen Tagen gibt es ein neues: Der Mann ist nämlich verschwunden. Weder morgens noch nachmittags taucht er auf. Wo ist er bloß – von seinem rumänischen Clan nach Lüneburg versetzt? Erkrankt, verletzt? Oder hat er nach jahrelangem 7-to-7-Einsatz an der Mörderkreuzung Alsterglacis/Alsterufer schlicht seine Schäfchen im Trockenen?

Ich weiß jedenfalls nicht recht, ob ich mich freuen oder sorgen soll. 
Eins aber weiß ich sicher: Diese Kreuzung ist nicht mehr dieselbe. 


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05 Juli 2018

Fundstücke (230)

Da hast du in der Schanze nur mal kurz gecornert, und dann das.
Entdeckt am Schulterblatt.



25 Mai 2018

Der den Ständer hasst

Normalerweise hat gerade hier auf St. Pauli nix und niemand Probleme mit einem Ständer. Im Gegenteil: Bei vielen kieztypischen Freizeitangeboten rund um die Reeperbahn ist er geradezu essentiell. 

Doch irgendjemand zieht hier gerade über den Kiez und schneidet Ständer ab – einstweilen erst mal die von Fahrrädern.

Schlimm genug. Manchmal lässt derjenige – ich benutzte hier ganz bewusst das generische Geschlecht, liebe Genderer, also verzichten Sie bitte auf einen Shitstorm – manchmal also lässt der Ständerkiller das Amputat sogar einfach achtlos zurück. Es bleibt auf dem Gehweg liegen als stummer Zeuge einer fehlgeleiteten Kastrationsfantasie, an der die freudianisch geprägten Vertreter der Psychiatrie gewiss ihre stille Freude hätten.

Und so geht es auch mir, wenn ich ehrlich sein soll. Ich erführe allzu gerne Ursache, Sinn und Zweck dieser schwer behämmerten Freizeitgestaltung. Denn nach und nach zwingt sie uns Kiezradler alle dazu, bei jedem Halt nach einem immobilen Gestänge oder Gewächs zum Anlehnen zu suchen, statt unser Fahrrad einfach mal auf freier Fläche zwischenparken zu können. Ich weiß nicht, ob der Täter das bedacht hat, aber in der Sahara hätten wir jetzt echt Probleme, Mann.

Mein Interesse an der Motivation des Ständermörders ist übrigens ein durchaus ernsthaftes. Mithilfe der Kommentarfunktion unten gibt es für Sie, der Sie sich jetzt unweigerlich angesprochen fühlen, die rechtssichere Möglichkeit, mich und das interessierte Publikum dieses Blogs über die Hintergründe Ihres Tuns und Lassens aufzuklären.

Dank der Anonymität, die ich Ihnen hiermit DSGVO-kompatibel zusichere (siehe dazu den neuen seitenlangen Sermon in der Spalte links), brauchen Sie dabei auch kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Mein Dank vorab. Und jetzt steigt die Spannung.





14 Oktober 2017

Unterwegs mit einem Bolzenschneider

Wie langjährige Leser und Leserinnen wissen, sind mir bereits acht Fahrräder entwendet worden, sieben davon auf dem Kiez. Wer die Chronik der traurigsten dieser Vorfälle noch einmal nachlesen möchte, kann das hier, hier, hier, hier, hier und hier tun.  

Heute aber wurde mal keins geklaut, sondern es geschah so etwas Ähnliches wie das Gegenteil: Irgendein Witzbold nämlich hatte Ms. Columbos Rad, obgleich es bereits mit ihrem eigenen Faltschloss ans Geländer gekettet war, mit einer zusätzlichen Kette dort befestigt (Foto oben), allerdings ohne den Schlüssel da zu lassen. Das Fahrrad war also immobil. 

Um meinen Ruf als der weltweit erfolgreichste Ermöglicher unserer Haushaltes zu festigen, erbot ich mich, das Problem zu lösen, und suchte den Fahrradladen um die Ecke auf, um mir einen Bolzenschneider zu leihen. Nach einer kurzen Schilderung der Umstände und aufgrund meines ehrlichen Gesichts sowie eines 20-Euro-Scheins als Pfand drückte man mir das Werkzeug in die Hand. „Aber sagen Sie vorher der Polizei Bescheid“, riet mir der Kollege noch. Eine gute Idee – das fand man auch auf der Davidwache. 

„Wenn Sie in der Seilerstraße mit einem Bolzenschneider rumwerkeln“, sagte der Diensthabende, „stehen sofort drei Polizeiwagen da.“ Nun, dachte ich im Stillen, während meine acht Räder entwendet wurden, hätte ich mich schon über das Auftauchen eines einzigen gefreut, aber gut. Schnee von gestern. 

Die Freunde und Helfer der Davidwache erklärten sich zu meiner Freude bereit, mich zu begleiten, sogar in Gesellschaft eines polizeieigenen Bolzenschneiders. Das Gerät, welches aus der Waffenkammer hervorgeholt wurde, verhielt sich zu dem, das ich bei mir führte, wie der Hulk zu einem Heinzelmännchen. 

Noch ganz benommen von diesem Eindruck stieg ich mit zwei Uniformierten, einem Mann und einer Frau, in den Streifenwagen. Wir kamen allerdings nicht direkt durch, obwohl die Seilerstraße praktisch gegenüber der Davidwache schon anfängt. Auf dem Hamburger Berg nämlich taumelte uns ein zirka 60-jähriges Faktotum mit Fusselbart, Piratenkopftuch und Jeansweste vors Auto und verlangte die Aufnahme einer sofortigen Anzeige. 

Vorm Penny, keuchte der Mann in höchster Erregung, habe ihn so’n Typ mit Glatze und ganz, ganz komischen Augen irgendwie am Ohr erwischt und zudem damit gedroht, ihm auffe Fresse zu hauen, dabei „hab ich seine Frau gor nich annemacht!“. Die Polizistin schickte ihn auf die Wache, ihr Kollege murmelte „Spinner“, und wir fuhren weiter. 

In der Seilerstraße angekommen, trat der nächste Passant auf uns zu. Ach, man sei im Einsatz? Er wolle aber dringend eine Meldung machen, und zwar habe er im Lauf der Woche beobachtet, wie jemand dort drüben – er zeigte ins Ungefähre – haufenweise Steine gehortet und deponiert habe, wer weiß, zu welchem Behufe. 

Als auch dies registriert worden war, widmeten wir drei uns Ms. Columbos festgesetztem Zweirad. Mit ihrem Fahrradpass und durch Aufschließen des Faltschlosses hatte ich mich vorher als Bevollmächtigter der Eigentümerin legitimiert. Sonst könnte ja jeder kommen und sich von der Polizei beim Fahrraddiebstahl helfen lassen.

Zunächst probierte der Polizist es mit meinem Zwergenbolzenschneider, vergeblich. „Vielleicht doch der große?“, regte ich an, begierig darauf, das Monster im Einsatz zu sehen. Der Mann war einverstanden, doch das Billigschloss erwies sich als ungeahnt zäh. Oben zog die Polizistin die Kette stramm, unten ich, und in der Mitte nagte der von kräftiger Bullenhand geführte Bolzenschneider wütend und verzweifelt am längst freigelegten Drahtgeflecht.

Wir mühten uns gewiss fast zehn Minuten ab mit diesem zähen Miststück, ehe es endlich knack machte und die Sache erledigt war. Danach suchten wir noch längere Zeit nach der Rahmennummer, um sie mit dem Fahrradpass abzugleichen; mir traten schon die ersten Schweißtröpfchen auf die Stirn, und nicht nur, weil dieser goldene Oktobertag sich so sommerlich gerierte.

Das zerbissene Schloss entsorgte ich im Mülleimer. Wer eine Theorie hat, wieso man fremde Fahrräder irgendwo ankettet, möge hervortreten und sie darlegen. Ich bin neugierig. Als ich den kleinen Bolzenschneider wieder zurück in den Laden brachte, fragte mich der Verleiher, während er mir die 20 Euro zurückgab, ob alles geklappt habe. „Nö“, sagte ich. „Aber der kriegt sonst eigentlich alles durch“, antwortete er.

Aus diesem Erlebnis habe ich mehrerlei gelernt. Erstens: Auch mit einem Bolzenschneider vom Ausmaß eines Laubbläsers braucht man zu dritt außerordentlich lange, um ein Popelschloss zu knacken. Mir als Dieb wäre das zu nervenzerrend, ich nähme lieber eine Flex. 

Zweitens: Aus einem Polizeiwagen kann man nicht aussteigen, ohne dass jemand von außen die Tür aufmacht. Selbst wenn man nicht verhaftet ist.

PS: Ein ähnlicher Fall ist mir schon mal passiert. Und er ging so aus.



02 Oktober 2017

Fundstücke (221)


Manchmal frage ich mich ja schon, wie Automobilisten reagieren würden, wenn man ihnen solche Streckenführungen zumutete. 

Als Radfahrer jedenfalls nimmt man lustige Einfälle Hamburger Verkehrspolitik wie plötzlich an der Bordsteinkante endende oder botanisch herausgeforderte Radwege inzwischen duldsam hin. 

Oder fotografiert und verbloggt sie.

15 November 2016

Guter Rat ist mini

Neulich Abend ist der seltene Fall eingetreten, dass ich einmal vorausschauend agiert habe. 

Während der Rückfahrt vom Palazzo-Zelt (Foto) herrschten Minustemperaturen, und deshalb stellte ich hier auf St. Pauli mein 7-Gang-Fahrrad bewusst im fünften Gang ab. Die diesbezüglich sich bereits im vergangenen Winter als sehr anfällig geoutete Schaltung sollte nämlich kontrolliert auf diesem Niveau einfrieren – damit stellte ich sicher, am nächsten Morgen nicht durch die Stadt juckeln zu müssen wie ein Frettchen auf Speed. 

Und siehe da: Volltreffer. Zwar sind selbst die Hamburger „Berge“ im fünften Gang eine Herausforderung, aber so viele gibt es auf meinen Standardstrecken zum Glück nicht. Zusammengefasst: Wenn ich mich dereinst einmal unter Folter für einen Einheitsgang beim Fahrrad entscheiden müsste, so wäre es unzweifelhaft der fünfte. 

Apropos Fahrrad: Bestimmt wundern Sie sich, warum meins bereits seit Monaten nicht mehr gestohlen wurde. Ich mich auch, denn von einem Nachbarn erfuhr ich zu meiner Beunruhigung vor kurzem von den Unzulänglichkeiten meines sündhaft teuren Faltschlosses, dem ich bisher auf ähnliche Weise vertraute wie Tim Wiese dem Proteingehalt von Bisonhack. 

Faltschlösser nämlich, so hatte es ihm ein Polizist der Davidwache erzählt, wo mein Nachbar aus einem Sie-wissen-schon-Grund aufgeschlagen war, hätten Diebe inzwischen zum brachialen Aufrüsten gezwungen. Sie nutzten neuerdings handelsübliche Wagenheber, mit denen man sonst Anderthalbtonner aufbockt, um diese Schlösser schlichtweg aufzusprengen. Und weg ist ist das Rad. 

Seitdem mein Nachbar das weiß, verwendet er nicht nur ein Faltschloss (was immerhin bei Dieben, die zufällig gerade keinen Wagenheber zur Hand haben, noch immer für Haareraufen und Zähneklappern sorgt), sondern auch ein extrem kleines Bügelschloss. Es muss so klein sein, dass man nicht mit einem Wagenheber dazwischenkommt. 

Dieser Bericht sorgte bei mir, der ich bisher von geradezu kindlichem Glauben an die Macht meines Faltschlosses beseelt war, nicht nur für brutalstmögliche Beunruhigung, sondern auch für die sofortige Anschaffung eines kleinen Bügelschlosses. 

Wenn Sie also bisher dachten, dieses Blog sei eher mittelmäßig unterhaltsam als maximal lehrreich, so verspüren Sie nun eine erfreuliche Produktenttäuschung. Und rennen hoffentlich los, um sich ein Minibügelschloss zu kaufen, ehe es wieder mal zu spät ist.

Gern geschehen.




19 August 2016

Fundstücke (215)

Warum ich mich als Radler von den Autofahrern nicht immer ganz ernst genommen fühle. 

Entdeckt in der Glacischaussee, St. Pauli.

02 August 2016

Bye, bye, Nummer acht



Ungefähr anderthalb Jahre ist es her, da streunte ich über den Schlachthofflohmarkt auf der Suche nach einem billigen und doch haltbaren Fahrrad.

Eins, das mich trotz aller hoffentlich sichtbaren Defizite noch eine Weile trüge über die Hamburger Straßen und zugleich jedem Dieb suggerierte: Nimm mich nicht, ich bin schrabbelig, ich falle beim erstbesten Bordsteinkontakt in mich zusammen.

Meine Wahl fiel auf ein Fischer-Fahrrad mit Stoßdämpfer. Schon bei der Probefahrt merkte ich, dass eine Affinität zum Seekrankwerden auf Dauer den Nutzwert des Bikes erheblich mindern könnte, doch als kreuzfahrtgestählter Seebär bin ich zum Glück nicht anfällig für derlei.

Der vielversprechend halbseiden wirkende Händler wollte, wenn ich mich recht entsinne, 70 Euro für den zusammengetackerten Schrotthaufen. Ich schaute aus taktischen Gründen skeptisch und runzelte die Stirn. Er deutete diese Mimik wohl als Kritik an den unübersehbaren Rostflecken.

„Hier, sehen Sie“, sagte er und begann sogleich an allen möglichen Stellen herumzukratzen, „das geht ganz leicht ab.“ Das stimmte, war aber keineswegs das, was ich wollte. Schließlich sollte das Fahrrad unbedingt so aussehen, als sei sein illegaler Erwerb eher Verlustgeschäft als Gewinn.

„Schon gut“, beeilte ich mich daher zu sagen, ehe der Mann das ganze billige Alugestell mit seinen nur mittelgut intakt wirkenden Fingernägeln freigewienert hatte.

Er hörte auch sofort damit auf – und zudem gut zu, als ich ihm ein mit viel gespieltem Widerwillen formuliertes Gegenangebot von 50 Euro machte. Sofort schlug er ein.

Ich bezahlte bar und erhielt eine handschriftlich hingeschlurte Quittung, die er quasi mit dem Schmutz unter seinen Fingernägeln signierte. Hinfort befand ich mich im Besitz eines Fischer-Fahrrads mit Stoßdämpfer und 21 Gängen, eins mit zwei Handbremsen und ohne Rücktritt, auf dem ich dank seiner für meinen Körperbau höchst ungünstigen Konstruktion draufsaß, als wäre ich gerade dabei, vom Einmeterbrett geschubst zu werden.

Doch die Hauptsache war, dass jeder Mensch ohne funktionierenden moralischen Kompass beim Anblick des Fahrrads sofort auf pawlowsche Weise dächte: unter. keinen. Umständen. klauen.

Denn der Wiederverkaufswert, den es ausstrahlte mit seinen Rostflecken und dem lachhaften Stoßdämpfer, mit seiner klobigen Konstruktion und der marktschreierisch ausgestellten Billigbauweise, lag maximal bei acht Euro, wohlwollend geschätzt.

Das ist der beste Diebstahlschutz der Welt, dachte ich. Weshalb ich ihm auch nur ein billiges Zahlenkombinationsschloss spendierte. 

Nun, während unseres letztwöchigen Urlaubs in Norwegen wurde es gestohlen.
 
Es ist das achte Fahrrad, das mir auf diese entwürdigende Weise abhanden kam (Sie möchten die ganze schreckliche Historie nachlesen? Dann bitte hier klicken.). Die Energie, mich wieder einmal der so zähen wie stets nutzlosen Diebstahlsanzeigeprozedur auf der Davidwache auszusetzen, bringe ich diesmal nicht mehr auf.

Stattdessen werde ich mir auf dem Schlachthofflohmarkt die nächste Schrabbelkiste besorgen – und anschließend ein mindestens dreimal so teures Mördermegafahrradschloss erstehen.

Am Ende werde ich gewinnen, so viel ist sicher. 
Nicht.







28 November 2015

Fundstücke (209)


Gut, er hatte zwar dummerweise den Bolzenschneider vergessen, als er morgens loszog. 

Doch dann kam ihm eine pfiffige Idee, die doch noch den Tag rettete.

Entdeckt in der Seilerstraße.