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24 Januar 2020

Wo das Büchsenbier regiert

Juhu, endlich mal ein Getränkekiosk auf St. Pauli! Mann, der hat am Nobistor eingangs der Reeperbahn echt gefehlt. Und so was wie die bisher dort ansässige St.-Pauli-Textilreinigung braucht schließlich kein Mensch. 

Dass Letztere all meine Charles-Tyrwhitt-Hemden und Schurwollanzüge besser kannte (und vor allem liebevoller behandelte) als ich selbst: geschenkt. Der Vorteil, dort demnächst billiges Vorglühbüchsenbier abgreifen zu können, das später am Abend in Form von Kotze und Pisse an unseren Haustüren und -wänden landen wird, macht diesen „Verlust“ mehr als wett.

Mir fielen auf dem Kiez übrigens spontan noch weitere Standorte für neue Getränkekioske ein. Zum Beispiel Pepis Friseurgeschäft in der Seilerstraße oder Albertos winzige Änderungsschneiderei schräg gegenüber. Und wozu taugt eigentlich noch das kleine Restaurant Thai-Town in der Taubenstraße, das eh seit Jahr und Tag mehr schlecht als recht vor sich hinkrebst – wäre das nicht ein wunderbarer Standort für einen Getränkekiosk? Dito die „Fahrrad-Börse“ in der Talstraße, die der stets melancholisch lächelnde türkische Inhaber eh gerade aufgegeben hat. Ich meine, Gebrauchträder bekommt man auch jederzeit samstags auf dem Schlachthofflohmarkt – und zwar billiger, weil geklaut.

Seit Jahren stehen außerdem hier unten an der Straßenecke gegenüber vom Tippel II die Räumlichkeiten der ehemaligen Postfiliale leer – Vorschlag: ein Getränkekiosk! Und wieso gibt es überhaupt noch diesen anachronistischen Winzplattenladen im Souterrain der Simon-von-Utrecht-Straße namens MinigrooveDa fiele mir spontan eine perfekte Anschlussverwendung ein.

In der Nähe des Großneumarktes habe ich gestern einen Ersatz für die St.-Pauli-Textilreinigung gefunden. Mit Übernachtservice haben sie es dort aber leider nicht so. Mein Hemd kann ich erst in einer Woche wieder abholen. 

Und das vergleichen Sie jetzt bitte mal mit dem Sofortservice eines Getränkekiosks!



16 November 2017

18 August 2016

Kobern anno 27

Unlängst wurde ich von dem verdienstvoll in der Literaturgeschichte stöbernden @germanpsycho auf einen Text von Kurt Tucholsky hingewiesen. 

Der, also Tucholsky, war bereits 1927 nach einem St.-Pauli-Besuch zu dem Schluss gekommen: Rund um die Reeperbahn (oben ein Foto von heute) wird ganz schön rumgentrifiziert. Und nicht in jeder Hinsicht zum Nachteil des Viertels:


So leid es mir tut: Sankt Pauli ist sehr brav und fast gut bürgerlich geworden. Der stöhnende Trubel der Inflation ist dahin; und es gibt keine ›Sailors‹ mehr, die vier Monate auf dem Meer mit dem Schiffszwieback und den Ratten und dem Kapitän allein waren, und vier salzige Monate lang keine Frau mehr gesehen hatten; und es gibt nicht mehr diese tobenden Nächte und nicht die bunten Verbrechen ...

Nun, Tucho wusste natürlich noch nichts vom Schlagermove, sonst wäre sein Urteil anders ausgefallen. 

Was es 1927 ebenfalls schon gab, waren die Koberer, die Passanten in die Etablissements locken sollten und wollten. Ihre Sprüche unterschieden sich damals allerdings deutlich von den heutigen.

Während unsereins bisweilen konfrontiert wird mit unwiderstehlichen Verheißungen wie „Ihr könnt gar nicht so schnell wichsen, wie die sich ausziehen!“, versuchte man Tucho vor 90 Jahren mit einem anderen Killerargument zu bezirzen:

Da, an der Ecke, wollte uns der Portier hineinlocken – die Damen seien alle in Schwimmhosen, versicherte er. 

Wie es bei den Damen obenrum aussah, erwähnte der „Portier“ leider nicht. Und da die Aussicht auf Schwimmhosen bei Tucholsky nicht verfing, bekam er auf St. Pauli keine einzige dieser Damen zu sehen, weshalb er sich zu weiteren Bekleidungsdetails auch nicht äußert.

Erfolgreicher war er aber in der Nähe des Gänsemarktes, jedoch nicht mehr in jener Nacht; längst nämlich war auch diese Gegend, wie Tucholsky bedauert, des nachts brav und bieder geworden.

Doch er erinnert sich noch an einen Anbaggerspruch, mit dem ihn dort am Gänsemarkt einst eine Frau ins Separee bitten wollte, wahrscheinlich zu einem philosophischen Gespräch.

Der Spruch sollte, wie ich hiermit finde und ultimativ verlange, sofort auf dem Kiez – vor allem in der David- und Herbertstraße – wiederbelebt werden:

»Na Kleiner! Komm! Dich kenn ich doch noch aus Honolulu!« 

Und wäre sie wirklich jemals dort gewesen, dann hätte diese Dame – darauf setze ich alle meine Dollhouse-Dollar – Schwimmhosen getragen. 



23 Dezember 2013

Dann müssen alle dürfen



Bitte stellen Sie sich mal vor, jede politische Gruppierung, die es nicht geschafft hat, eine Mehrheit für ihre Position zu organisieren, würde sich so verhalten wie der schwarze Block am vergangenen Wochenende auf dem Kiez (s. hier).

Dann hätten wir plötzlich überall im Land steinewerfende, zündelnde, krakeelende Grüppchen – Autonome, Nazis, Veganer, Pädophile, Kurden, Windkraftgegner, Flughafenausbaukritisierer, Jungliberale.

Alle zögen sie marodierend durch die Städte, nur weil ihre Position in der Gesellschaft, in der sie leben, aus irgendwelchen Gründen keine Mehrheit gefunden hat.

Wer jedenfalls – wie der schwarze Block am vergangenen Wochenende auf dem Kiez – denkt, dieses Verhalten sei auch in einer parlamentarischen Demokratie eine legitime Methode, seine Position zu vertreten, der muss sie logischerweise auch anderen Minderheiten ohne Mehrheit zugestehen.

Zum Beispiel Nazis.

Oder fällt irgendwem ein nachvollziehbares Argument ein, mit dem der schwarze Block dem braunen Mob die Legitimation zum Abfackeln von Asylbewerberheimen absprechen könnte?

Entweder man akzeptiert ein durch die demokratische Mehrheitsgesellschaft legitimiertes Gewaltmonopol der Exekutive oder nicht. Wenn nicht, dann muss man auch so tolerant sein zu sagen: Ja, jeder darf schlagen und morden, der das für richtig hält.

Manche Leute glauben ja, die Randalierer vom Wochenende seien größtenteils Leute, die einem verqueren Spieltrieb folgen. Das ist eine wohlwollende Interpretation. Ich glaube allerdings, es ist schlimmer. Natürlich gibt es auch die Fraktion derjenigen, die Party machen wollen, und sei es mit Pflastersteinen. Aber dabei sind wahrscheinlich auch solche, die ernsthaft davon überzeugt sind, es sei ein legitimes Mittel der Politik, Postfilialen, Polizeiwachen, Autos oder Wohnhäuser zu zerstören.

Diese Leute müssen ernstlich glauben, dass all dies – sofern sie damit Erfolg hätten – zu einem Staat führen würde, in dem es sich mehr zu leben lohnt als in dem, den wir zurzeit haben.

Klar, es ist unschön, sich einem Mehrheitsentscheid beugen zu müssen, der einige Jahre lang Leute wie Pofalla oder Nahles an die Macht spült. Aber wollte man sie wirklich austauschen gegen jene, die nachts durch die Straßen streunen und kiloschwere Wackersteine auf Gebäude und Menschen werfen?

Was wäre dann zu erwarten, wenn sie das Sagen, wenn sie das Gewaltmonopol inne hätten? Wie würden sie das Land regieren? Was wäre das für ein Staat? Und wie würde er mit jenen Minderheiten umgehen, die es nicht geschafft haben, eine Mehrheit für ihre Position zu organisieren, und deshalb marodierend durch die Städte zögen?

Und eins noch, bevor hier wieder das große Wehklagen von den Wasserwerfern etc. losbricht: Wenn die Polizei Gesetze bricht, dann gehört sie angezeigt. Wenn ein Gericht diese Rechtsbrüche nicht ahndet, dann geht man in Berufung. Und da wir nicht im Iran, in Nordkorea oder Russland leben, gibt es die Chance, dass Verbrecher in Uniform verknackt werden. Ja, das ist schon passiert.

Diesem Schweinesystem traue ich im Bedarfsfall nämlich sogar Gerechtigkeit zu. Den Steinewerfern vom vergangenen Wochenende eher weniger.



PS: Eine recht fruchtbare Diskussion zum Thema gibt es auch bei Don Alphonso

PPS vom 31. Dezember 2013: Ein Spiegel-online-Artikel, der die Konfliktlinien sachlich beschreibt und einstuft: http://bit.ly/1kYsgxt

22 Dezember 2013

Gelungene Werbung in eigener Sache


Gestern Abend, als die ersten schwarzvermummten Stoßtrupps unter unserem Balkon durchmarodierten, mitten auf der Straße irgendwelche Haufen aufschichteten und sie anzündeten, da war noch nirgendwo Polizei zu sehen. 

Auch nicht, als die liebenswerten Freunde der Roten Flora wahllos Mülltonnen auf die Straße zogen und sie dort umwarfen. Nicht, als sie die Scheiben der Postfiliale zerdepperten. Und auch nicht, als sie unser Nachbarhaus, welches das bittere Schicksal der späten Geburt schultern muss (Gentrifzierung! Hohe Miete!), mit Gegenständen bewarfen.

Währenddessen: nirgends Polizei. 
Keinerlei Staatsmacht. 
Niemand, der die Marodeure provoziert hätte. 

Nur St. Paulianer, die sich selbst auf ihren Balkonen nicht mehr sicher fühlen konnten.


PS: Und hier noch ein paar Argumente, wieso man auch Nazis und anderen Minderheiten Gewaltausübung zugestehen müsste.

PPS vom 31. Dezember 2013: Ein Spiegel-online-Artikel, der die Konfliktlinien sachlich beschreibt und einstuft: http://bit.ly/1kYsgxt

12 September 2013

Die Gentrifizierung wird immer schlimmer


Neulich, als ich feier(abend)lich übern Kiez nach Hause schritt, stürzte plötzlich ein Mann hastig quer über den Gehweg, stützte sich beidarmig schwer auf den hier abgebildeten Mülleimer am S-Bahn-Eingang Reeperbahn und erbrach sich ausgiebig in dessen deckellose Öffnung.

Ein unerhörter Vorgang. Denn hier verzichtet der handelsübliche Vomiteur normalerweise auf jeden lästigen Standortwechsel. Stattdessen folgt er seinem Göbelbedürfnis umstandslos an Ort und Stelle.

Was indes diesen Herren bewog, seinen Schwall unter Missachtung aller Kiezusancen in ein dafür durchaus geeignetes Behältnis zu reihern und nicht einfach vorn Verkaufstresen des Hotdoghökers, werden wir wohl nie erfahren.

Der Kiez jedenfalls – dieses Fazit muss man allmählich wohl kopfschüttlend ziehen – ist auch nicht mehr das, was er mal war. Ganz und gar nicht, um genau zu sein. Demnächst fangen die Leute womöglich noch an, öffentliche Pissoirs zu benutzen statt unseren Hauseingang.

Verdammte Gentrifizierung!



30 September 2012

Volksverdummung auf dem Kiez

Hier in St. Pauli stößt man zurzeit öfter auf das oben abgebildete Plakat; es wendet sich gegen die Gentrifizierung unseres Viertels. Inhaltlich kann man das ja durchaus gutheißen – doch ästhetisch ganz und gar nicht.

Wir beide, Ms. Columbo und ich, fühlten uns jedenfalls unisono an antijüdische Hetzplakate der Nazis erinnert: Ein ins Groteske übersteigertes Menschenmonster – Goebbels hätte von „Volksschädling“ gesprochen – macht sich über etwas her, das eigentlich uns allen gehört. Die Grundidee des Plakats steht verblüffend unverblümt in dieser Propagandatradition; die volksverdummende Plumpheit der Darstellung ebenso.

Hier zum Vergleich zwei historische antisemitische Beispiele (Quellen: links, rechts), von deren Überzeugungskraft sich die hiesigen Antigentrifizierer anscheinend inspirieren ließen:  

 


Man könnte fast zum Fan der Gentrifizierung werden.


08 November 2011

Keine Chance mehr für die Schanze?



„Also jetzt glaube ich auch, dass die Schanze gentrifiziert wird“, sagte Ms. Columbo, als wir gestern im Zirkusweg dieses Plakat auf einer Litfaßsäule erblickten.

Und das stimmt: Es gibt kaum ein stärkeres Indiz dafür, dass ein Stadtviertel von gehobener Bürgerlichkeit infiltriert wurde, als der Bau einer Waldorfschule.

Wenn man diese von einem esoterischen Rassisten gegründete und von seinem Denken weiterhin subkutan kontaminierte Verbildungseinrichtung erst mal im Viertel hat, dann ist alles zu spät. Schon das Deppenleerzeichen auf dem Plakat ist Vorbote verheerenden Unheils.

„Wo ist eigentlich der schwarze Block, wenn man ihn mal braucht?“, wäre mir deshalb beinah rausgerutscht. Doch zum Glück
wird das niemand je erfahren.

20 Juni 2011

Die Neigung zur Axt



Immer, wenn ich in St. Pauli auf die Folgen einer der zahlreichen Straftaten stoße und in gedankenlosem, beiläufigen Automatismus einen Geschlechtsgenossen der Täterschaft verdächtige, ernte ich Kritik. Es könnte doch auch eine Frau gewesen sein, wird mir dann vorgehalten. Ja, ja. Ist es aber meistens nicht.


Bei dem hier dokumentierten Straftatenindiz
habe ich erneut den starken Verdacht, jemand habe der Menschheit als solcher, aber vor allem speziell meinem Geschlecht wenig Ehre gemacht. Denn das Tatwerkzeug wurde augenscheinlich mit großer Wucht geführt, was Frauen traditionell schwerer fällt, aus objektiven Gründen.

Wenn man das Loch in unserer Haustür, welches seit gestern Nacht klafft, genauer betrachtet, könnte der Täter mit einer Axt hantiert haben; eine Kugel war es jedenfalls nicht, denn das Loch hat die Form eines schmalen Schlitzes. Ausgehend von dieser erstaunlich zentral platzierten Lücke im Glas strahlen Risse in alle Richtungen durch die Scheibe. Wie erstarrte Blitze.

Rund um das Zentrum des maskulinen Hiebs ist die Haustür nach innen gewölbt, man könnte sie wahrscheinlich jetzt mit der Hand eindrücken und ihr so den Rest geben. Es muss einen gewaltigen Wumms gegeben haben, als der Irre zuschlug, doch wir haben nullkommanichts gehört. Das ist beunruhigend.

Unsere Hausfront bewirbt sich immer mal wieder erfolgreich um vandalistische Attacken, doch so geht es vielen in den Straßen rund um die Reeperbahn. Und das, ihr Lieben, die ihr erwägt, hier auf dem Kiez ein 740.000-Euro-Neubauloft zu erwerben, um einem sogenannten „neuen Wohnkult“ zu huldigen, senkt den Lebenswert auf St. Pauli erheblich. In einer verqueren Reaktion auf diese Entwicklung steigen komischerweise unablässig die Mieten, auch unsere, und zwar turnusmäßig bis zum gesetzlich möglichen Anschlag.

Wer sich darüber beklagt, bekommt von Hausverwaltungen und Eigentümern auch gerne mal gesagt: Dann ziehen Sie doch weg. Sozusagen das „Geh doch rüber“ des 21. Jahrhunderts.

Eine Entwicklung, bei der man übrigens fast die Neigung verspürt, sich an der Axt ausbilden zu lassen.

(Denkfalle, schon klar.)

10 Juni 2011

Im Visier der CIA oder dergleichen



Nein, nicht alles, was nach den festen Hinterlassenschaften des gemeinen Canis lupus familiaris aussieht, schmeckt so gut wie die Morcilla.

Dabei handelt es sich um eine spanische Blutwurst, welche uns heute Abend in der Weinbar St. Pauli warm kredenzt wurde. Dazu servierte Geschäftsführer Raphael einen vorzüglichen Rioja, denn die Veranstaltung firmierte völlig wahrheitsgemäß unter dem Namen „Wurst & Wein“.

Wir waren irgendwo in der Mitte der viergliedrigen Gangfolge, die später in der warmen Morcilla ihren Höhepunkt finden sollte, als plötzlich schon wieder Ina Finn vor mir stand. Erstmals sei sie heute in der Weinbar St. Pauli, erklärte sie, sie habe schon immer mal hier vorbeischauen wollen.

Und noch während sie sprach, wurde mir auf einmal alles klar.

Diese Frau nämlich ist zweifellos nichts anderes als eine zugegebenermaßen geschickt als Sommelière getarnte Geheimagentin, die aus bislang noch okkulten Gründen auf mich angesetzt ist – wahrscheinlich, weil ich immer mal wieder gegen die Gentrifizierung St. Paulis blogge oder die Gentrifizierung nicht ausreichend laut genug verdamme.

Ja, genau so ist es.

Vielleicht bin ich aber auch nur ein wenig übersensibilisiert, weil wir uns gerade eine Staffel nach der anderen von „Alias – Die Agentin“ reinziehen. Mit der üblichen Verspätung des nearly adopters natürlich.

25 Mai 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (46)



Die Zwillingstürme eingangs der Reeperbahn sollen irgendwann einmal tanzen, doch zurzeit wachsen sie nur.

Übrigens haben sie aus mehreren Perspektiven jeweils einen deutlichen Knick in der Optik, und das musste der Vollständigkeit halber hier auch mal dokumentiert werden.

Wir wohnen um die Ecke, und sollte hier ein Technikfex mitlesen, der vor Ort unsere neue Fritz!Box reibungslos in die DSL-Umgebung einklinken kann, dem ist nicht nur unsere ewige Dankbarkeit sicher, sondern auch ein angemessenes Honorar.

Zumal dann auch die ganzen abgedroschenen Wortspiele („Weh-LAN“, „WLAHM“) endlich aufhören würden in der Seilerstraße.

07 April 2011

Strategien gegen Architektur

In der Altonaer Großen Bergstraße bauen sie ein neues Ikea-Möbelhaus. Besser gesagt: Momentan reißen sie noch die alten Gebäude ab und planieren die Fläche.

Es gab einigen Widerstand gegen das Projekt, aber als man in Altona eine Volksbefragung durchführte, entschied sich die Mehrheit der Bürger dafür. Demokratie ist manchmal unberechenbar.

Die Gegner sind gleichwohl noch aktiv und bekleben den Bauzaun gern mit antischwedischen Parolen in Blau-Gelb. Manche davon sind allerdings ein wenig arg simpel gestrickt, zum Beispiel die hier:



Sehr viel gelungener hingegen finde ich die unten folgende. Ihr vielschichtiger popkultureller Anspielungsreichtum korrespondiert aufs Entzückendste mit der absoluten Knappheit des Ausdrucks. So soll, so muss es sein.



Und wer jetzt nicht zu Hause sein Billyregal zu Klein(sperr)holz macht, glaubt wohl immer noch an Volksbefragungen.

18 Februar 2011

Die Sollbruchstelle



Das Besondere und definitiv auch Schöne an der Architektur der sogenannten tanzenden Türme, die seit einigen Monaten eingangs der Reeperbahn entstehen, ist natürlich der deutlich hervortretende Knick in der Optik.

Vor allem deshalb, weil man schon jetzt genau sehen kann, wo dereinst die Sollbruchstelle bei der Abrisssprengung liegen wird.

PS: Übrigens sollte man als Blogger, wie mir gerade durch den Kopf schießt, den Ehrgeiz entwickeln, in jedem Beitrag ein Wort mit einem Tripelbuchstaben unterzubringen. Mal schauen, ob dieser Gedanke sich als tragfähiger erweist, als die tanzenden Türme aussehen.

08 Februar 2011

Der rätselhafte Sticker



Hier auf dem Kiez nimmt man oftmals die Eigenschaften jener an, deren Pendant man eigentlich zu sein glaubt.

Neulich in der Haspafiliale an der Reeperbahn zum Beispiel sollte ich etwas unterschreiben. Der Haspamitarbeiter machte mich mit den Worten „Das müssen Sie noch unterschreiben“ auf diesen Umstand aufmerksam.

Ich schaute etwas ratlos auf das Dokument. „Wo denn?“, fragte ich. Und der Haspamann mit seinem Anzug, seiner Krawatte und der sorgfältigen Scheitelakkuratesse auf dem Schädel antwortete nur mühsam beherrscht: „Wo man halt unterschreibt.“

Da sieht man mal, wie die raue Herzlichkeit unseres Viertels auch vor traditionell förmlichen Bankangestellten nicht Halt macht. Nein, sie sickert Tröpfchen für Tröpfchen auch in die Herzen jener ein, die sich eigentlich in einer anderen Sphäre wähnen.

Manche betreiben die Mimikry möglicherweise auch ganz bewusst – wie jener Anonymus, der den oben abgebildeten Aufkleber an die Fassade eines Hauses klebte, das einst, in den 80ern, zu den hart umkämpften besetzten Häusern der Hafenstraße gehörte.

Damals riefen Besetzer und Sympathisanten der Polizei den Schlachtruf „Hafenstraße bleibt!“ entgegen. (Sie hatten übrigens Recht: Die Hafenstraße ist noch immer genau an der gleichen Stelle wie damals.) Und heute parodiert jemand mit sticheliger Häme diesen Klassiker, indem er ihn zu „Hafen city bleibt!“ verballhornt.

Bei der HafenCity (übrigens nur echt mit Binnenmajuskel!) handelt es sich, wie man in – sagen wir – Kornwestheim vielleicht nicht ganz so genau weiß, um die größte Baustelle Europas. Dort entstehen überwiegend Luxusbüros und -wohnungen für Menschen, die auch mal 10.000 Euro pro Quadratmeter auf den Tisch legen können, um vor Gästen mit einem unverbaubaren Wasserblick prunken zu können.

Dieses Megaprojekt nun per Sticker mit den damaligen Bruchbuden der Hafenstraße in Verbindung zu bringen, hat durchaus einen gewissen Pfiff. Aber wer steckt dahinter? Eine klandestine Yuppiebruderschaft, die sich nun beömmelt über ihre zynische Persiflage des linken Aktivistenjargons? Oder die Hafenstraßenbewohner selbst, die uns damit die Absurdität eines künstlich geschaffenen Luxusrefugiums mitten im Hafen vor Augen führen wollen?

Beides ist denkbar, beides möglich. Der Sticker jedenfalls wird bislang toleriert unter all den sich harmonisch in den Sound der Hafenstraße einfügenden Konkurrenzslogans. Das spricht eigentlich dafür, dass ihn doch jene erfunden haben, die so tun wollen, als seien sie die anderen, die jene persiflieren.

Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.

06 Februar 2011

Neuigkeiten aus dem Szeneviertel


00:40 Uhr. Unten an der Postfiliale hat eine große Gruppe „Hooligans!“-brüllender Hooligans einen geparkten Streifenwagen entdeckt. Das bekommt dem Ärmsten nicht gut.

Sie ziehen ihm alles mögliche über, darunter jene Sperrgitter, die erst vorgestern vom schwarzen Block als Barrikaden missbraucht wurden.

Dann zünden sie Feuerwerkskörper. Immerhin illuminieren sie so mein bis dahin arg dusteres Video. Vielleicht tun sie das aber auch, weil das eigentlich für heute Nachmittag angesetzte Derby zwischen HSV und dem FC St. Pauli kurzfristig abgesagt wurde und sie enttäuscht darüber sind, die Feuerwerkskörper nicht im Stadion hochjagen zu können.

Die Seilerstraße füllt sich jedenfalls rasend schnell mit Rauch. Dann kommt die Kavallerie mit Blaulicht und Getöse, die Hools verflüchtigen sich wie böse Geister in die Detlev-Bremer-Straße, die Streife jagt hinterher.

Übrigens begründet unsere Hausverwaltung die neuesten Mieterhöhungen damit, St. Pauli sei ja inzwischen ein Szeneviertel geworden.

Arschlecken.


01 Februar 2011

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (44)



Also bitte, ja: Ich kann ja auch nichts dafür, dass der Hafen sich ausgerechnet nach Südwesten erstreckt und die Sonne deshalb abends oft aufs Postkartigste die Kräne illuminiert.

Ein Schlaumeier könnte mir natürlich jetzt entgegenhalten, ich müsse ein solch abgeschmacktes Schauspiel ja nicht auch noch fotografieren, doch da bin ich anderer Meinung.

Denn hier in diesem Blog wird die Wahrheit dokumentiert und nichts als die Wahrheit, selbst (und gerade) wenn sie so aussieht wie auf diesem Foto.

Wollte ich nur mal gesagt haben.

24 Juli 2010

Und es hat Ping gemacht



Auch in einem Yuppietempel können nette Menschen arbeiten, und so einer ist DJ Ping.

In der zweiten Wochenhälfte beschallt er Restaurant und Lounge des East-Hotels, einem jener Gentrifizierungsbeschleuniger hier auf dem Kiez. Ping heißt eigentlich Peter und ist ein erfrischend unrasierter, erdiger Schwabe mit Glatze, Brille und freundlichem Gemüt, der sehr oft „Geil!“ sagt und es genauso meint – weil er begeisterungsfähig ist und nicht saturiert.

Ich lernte ihn vor einigen Monaten bei einem Pressetermin kennen. Dort wurde ein Loungesampler präsentiert, den er im Namen des East kompiliert hat. Netter Bursche, dachte ich gleich, und seither besuche ich ihn ab und zu mal auf der Arbeit, nachdem ich mir an der Bar einen sündhaft überteuerten Grauburgunder organisiert habe.

Gestern hing ich mal wieder den ganzen Abend bei ihm rum, störte ihn bei der richtigen Musikauswahl, sabotierte die Übergänge und belaberte ihn fröhlich unsensibel viel zu oft immer dann, wenn er gerade konzentriert in den Kopfhörer hineinlauschte. Aber natürlich tat ich das ohne böse Absicht.

Die Luxusesser unten im Restaurant würden es wahrscheinlich eh nicht merken, wenn DJ Pings fluffige Klangtapete mal die eine oder andere Mea-culpa-Falte schlüge. Tat sie aber nicht, denn der unrasierte Schwabe ist ein Superprofi.

Bald macht er Urlaub, erzählte er zwischen LTJ Bukem und Trentemøller, und ich wollte eingedenk dieses ganzen „Café del Mar“-Klischees gerade grinsend „Bestimmt auf Ibiza!“ witzeln, als er sagte: „Und zwar auf Ibiza.“

Die East-Wanddekoration hinter ihm ist in ihrer biomorphen Gigerhaftigkeit übrigens von außerordentlicher Anziehungskraft, Gentrifizierung hin oder her.


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15 Juli 2010

Fundstücke (89): Liebe in Zeiten der Gentrifizierung



Die Fassaden in der St.-Pauli-Hafenstraße sind bis heute geprägt von den Auseinandersetzungen der 80er und frühen 90er Jahre, als dort leerstehende Häuser besetzt wurden, (u. a.) radikale Linke Zuflucht fanden und Straßenschlachten mit der Polizei die Geschäfte der benachbarten Huren störten.

Relikte jener Zeit werde ich bald in einer kleinen Fotostrecke vorstellen, das drohe ich schon mal an, doch der Anfang soll meinem Wesen entsprechen, also sanft und versöhnlich sein.

Die an einer Hafenstraßenhausfassade entdeckte Liebeserklärung nämlich rührt in ihrer schlichten, grundlosen Zuversicht mein Herz, jawohl. Und dass heute noch jemand Hans heißt und heiratet, das ist nachgerade rosamundepilcheresk.

Vor allem in der Hafenstraße.

28 Mai 2010

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (28): Reeperbahn 1



Hier liegen sie noch vibrierend vor Tatendrang herum, die bereits jetzt rostig schimmernden Stangen. Doch schon bald werden sie den tanzenden Türmen innere Stabilität verleihen.

Die Baugrube direkt eingangs der Reeperbahn ist die größte diesseits der Hafencity, und das ist natürlich alles wieder Gentrifizierung etc. pp., aber, meine Damen und Herren, ins Erdgeschoss dieses Hochhausbaus wird wer einziehen?

Der Mojo Club. Tja.