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27 April 2022

Mein erstes und letztes Interview mit Klaus Schulze

Von der Blogserie mit oben genanntem Titel hoffe ich ja immer, es möge niemals weitere Anlässe geben, sie fortzuführen. Aber heute ist es traurigerweise wieder einmal so weit. Denn Klaus Schulze, der Synthiepionier und unbestrittene CEO der Berliner Elektronikschule, ist gestern 74-jährig gestorben. Ein Anlass, der mich an mein Interview mit ihm im Jahr 2000 zurückdenken lässt. 

Ich hatte all meine Schulze-Alben dabei, über ein Dutzend, und schlug ihm ein kleines Quiz vor: Er solle mir bitte zu jeder Platte das Veröffentlichungsjahr nennen. Angesichts seines Outputs im Laufe von damals schon mehr als einem Vierteljahrhundert – sein Werk belief sich auf eine dreistellige Zahl von Alben – schien mir das eine nicht zu bewältigende Gedächtnisleistung. Doch weit gefehlt: Schulze machte keinen einzigen Fehler. Danach signierte er mir bereitwillig alle mitgebrachten Alben. Um so etwas habe ich im Laufe von 25 Musikjournalistenjahren nur zwei Künstler je gebeten: ihn und Townes Van Zandt

Hier nun mein erstes und letztes Interview mit Klaus Schulze, erschienen im November 2000. Aufs Duzen hatte übrigens er bestanden – nachdem ich ihn selbstverständlich respektvoll mit „Herr Schulze“ angesprochen hatte.

Man sollte meinen, der von der Technogeneration hochverehrte Elektronikguru Klaus Schulze, 52, residierte in wolkigen Höhen, wo er monumentale Werke wie die aktuelle Zehn-CD-Box „KS Contemporary Music“ (Rainhorse) zusammenstöpselt. Weit gefehlt: Der Berliner ist eine urige Type, der röhrende Motoren manchmal lieber mag als zirpende Synthies.
 
mw: Klaus, wie man hört, bist du Formel-1-Fan.
Schulze: Aber hallo! Jeder, der mich kennt, weiß, dass er mich alle 14 Tage von Donnerstagabend bis Sonntagabend nicht anrufen kann. 
mw: Häkkinen und Schumacher haben geweint. Dabei wurde die Formel 1 doch hochstilisiert zur Spielwiese der Alphamännchen …
Schulze: Ja, aber in Wahrheit steckt Romantik in jedem Rennen – wie einst bei den Rittern, wo es darum ging, wer als Erster mit der Lanze trifft. Und zu dem ganzen Romantikkram gehört auch dazu, dass man mal heulen kann.
mw: Verwunderlich, welchen Ausstoß an Alben du trotz deiner Rennleidenschaft produzierst …
Schulze: Ist doch nur alle 14 Tage, so ein Rennen. Und ich verbringe jeden Tag zehn Stunden im Studio; da kommen ein paar Platten bei heraus.
mw: Wie viele sind es denn inzwischen?
Schulze: Na, über 100 auf jeden Fall. Aber in 30 Jahren. Rechne det ma runter: Sind nur drei im Jahr. 
mw: Du hast dir immer viel Zeit gelassen, um Stimmungen, Atmosphären und Spannungen aufzubauen, während das Tempo unserer Kultur immer mehr zunahm.
Schulze: Ja, das ist das Problem mit der Kommerzialität, das die Firmen immer mit mir haben.
mw: Hast du diesen Widerspruch gespürt?
Schulze: Ich habe so angefangen und bin dabei geblieben. Ich kann’s nicht anders. Du könntest auch Fellini nicht zum Werbespot überreden.
mw: Flächen und Beats sind die wichtigsten Elemente deiner Musik. Um 1980 hat die Bedeutung der Beats allerdings zugenommen. Hing das mit der just erfundenen digitalen Technik zusammen?
Schulze: Beim Rhythmus nicht, aber bei der Aufnahmetechnik. Mein Album „Dig it“ war auch, glaube ich, das erste digitale überhaupt.
mw: Nein: Das war Ry Cooders „Bop til you drop“ …
Schulze: Ach, nee? Siehste, dann hat Stereoplay sich geirrt. Meine war von 1980 …
mw: … und Cooders von 1979.
Schulze: Ach ja.
mw: Im Lauf der Zeit hat Elektronik den Pop infiziert, Synthesizer übernahmen von der Gitarre die Führungsrolle – Musterbeispiel: das neue Madonna-Album „Music“. Fühlst du dich als Pionier dieser Entwicklung?
Schulze: Pionier würde ich mich nicht nennen, denn ich habe die 220 Volt nicht erfunden. Trotzdem ist es eine tolle Befriedigung für mich. 
mw: Auf dem „Mirage“-Cover beschreibst du den Synthesizer als „universale Musikmaschine, deren Möglichkeiten weit über das menschliche Hirn hinausgehen“. Da scheint eine fast religiöse Verehrung mitzuschwingen … 
Schulze: Religiös nicht, Verehrung schon. Denn ohne diese Geräte gäbe es mich nicht. Ganz einfache Sache. 
mw: … zumindest nicht als Musiker und Künstler.
Schulze: Du, ohne wäre ich wirklich eingegangen. 
mw: Der amerikanische Wissenschaftler Ray Kurzweil prophezeit ja über kurz oder lang den Cyborg, also die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Ist das für dich ein Traum oder Alptraum?
Schulze: Alptraum. Ich möchte schon ein organischer, mit allen Fehlern und Vorteilen behafteter Mensch sein. Nur möchte ich auch die Möglichkeiten des Cyborgs nutzen können. Meine Traumvorstellung war ja immer: vom Midistecker direkt in den Kopp. 
mw: Warum hast eigentlich ausgerechnet du eine solche Credibiliy bei der Technogeneration – und deine alten Kumpels von Tangerine Dream nicht?
Schulze: Die waren seit Ende der 80er nur amerikaorientiert, machten kurze Stücke mit Pausen dazwischen, damit die Leute ihr Popcorn kaufen konnten. Wir haben uns den Markt aufgeteilt: Ihr macht Amerika, ich mache Europa … Kennst du eigentlich den Unterschied zwischen Amerika und Joghurt?
mw: Na? 
Schulze: Joghurt hat Kultur.

 

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27 Oktober 2020

Mein erstes & letztes Interview mit Tony Joe White

Vor zwei Jahren, am 24.10.2018, starb der unvergleichliche Songwriter, Gitarrist und Soulgrummler Tony Joe White, wegen dem ich sogar extra mal nach Amsterdam gefahren bin. Damals, als die Nachricht seines Todes mich erreichte, hatte ich vor lauter Bestürzung die Gelegenheit versäumt, ihm unser kurzes Interview von 2014 nachzurufen. Deshalb folgt es jetzt, zum zweiten Todestag.


mw: Mr. White, Ihr aktuelles Album „Hoodoo“ klingt wieder nach Ihren Anfängen Ende der 60er. Was macht diesen dunklen, erdigen Sound in Ihren Augen so zeitlos, dass Sie ihn im 21. Jahrhundert wieder aufwärmen?
Tony Joe White: Ich denke nie darüber nach, ob ich nach einer bestimmten Ära klinge, sondern versuche einfach so soulig wie mögich zu singen und zu spielen.

mw: Ihnen scheinen Atmosphäre, Langsamkeit, Intensität am wichtigsten zu sein. Hat das vor allem klimatische Gründe? Sie sind ja in den Südstaaten aufgewachsen …
White: Ja, auf einer Baumwollfarm in Louisiana. Die Zeit vergeht dort wirklich langsamer. Ich habe auch nie das Bedürfnis gehabt, etwas zu beschleunigen. Und das schlägt sich wahrscheinlich nieder in meinem Sprechen, Singen und Gitarrespielen. Das ist für mich alles dasselbe.

mw: Elvis hat ihr Lied „Polk Salad Annie“ gecovert. Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Stück vor den Augen des King Gnade findet?
White: Na, ein großartiges! Ich hatte in den Clubs oft Elvis gecovert, bevor ich selbst anfing zu schreiben. Es war sehr cool, als er plötzlich einen meiner Songs aufnahm – und dann noch zwei weitere. Er war ein Held für mich, deshalb waren das sehr aufregende Zeiten.

mw: 1989 wahrscheinlich auch: Da packte Tina Turner gleich vier White-Songs auf ihr Studioalbum „Foreign Affairs“, das sie sogar nach einem davon benannte. Haben Sie manchmal damit gehadert, dass Künstler mithilfe Ihrer Songs zu Superstars wurden, während Sie bei Weitem nicht so bekannt sind?
White: Was für Elvis gilt, gilt auch für Tina Turner: Sie war meine Heldin. Dass sie vier Stücke von mir aufnahm, war grandios. Ich war damals auch mit ihr im Studio und habe Gitarre gespielt – da wurde ein Traum Wirklichkeit. Jedenfalls habe ich nie drüber nachgedacht, ob ich bekannt bin oder nicht. Nein, ich fand es immer wunderbar, wenn jemand meine Songs aufgenommen hat.


Foto: mw

12 September 2019

Mein erstes und letztes Interview mit Daniel Johnston

Vorgestern starb der US-amerikanische Singer/Songwriter Daniel Johnston († 58). Vor neun Jahren habe ich mal mit diesem schrägen Vogel telefoniert. Daraus entstand ein kleiner Text, erschienen im April 2010 in der Zeitschrift uMag. Anstelle eines Nachrufs erscheint er hier noch mal.

„DANKE, GUT“  
Kurt Cobain pries ihn als weltgrößten Songschmied, Indienerds vergöttern ihn: den manisch-depressiven Sänger Daniel Johnston. Ein Mann am Abgrund – doch uMag hat ihn lachen hören.
In zehn Minuten soll ich noch mal anrufen, sagt sein Vater Bill. Und zwar in genau zehn Minuten. Okay, okay. Nach zehn Minuten: „Daniel, hi, how are you?“ Eine Anspielung auf seinen berühmten Graffitispruch, mit dem er als Teenager Kalifornien pflasterte. „Danke, gut“, sagt der größte Songschmied der Welt. 
Kurt Cobain trug mal ein T-Shirt mit dieser Grußfloskel auf MTV. „Das war echt was!“, gluckst Johnston, „richtig cool!“ Er kennt nur Fotos davon. Überhaupt hat er’s nicht so mit Technik. Mail, Web? Nix für Johnston. Er hat auch so genug damit zu tun, sein Leben auf die Reihe zu kriegen – und Alben wie „Beam me up!“ zu schreiben, ein windschiefes, rumpeliges Meisterwerk voller Jaulgesänge und besoffener Bläser, das deine Gefühlswelt völlig durcheinanderbringt. 
„Daniel, unter deinen Fans scheinen mehr Künstler zu sein als Plattenkäufer.“„Ja“, lacht er, „ich bin mehr so der Undergroundtyp.“  
Johnston hat gelacht! Der Typ, der während einer Depression mal den Zündschlüssel eines Flugzeugs abzog und es zum Absturz brachte, hat gelacht! „Daniel, wäre es immer noch riskant, dein Beifahrer zu sein?“ „Yeah“, sagt er und scheint trocken zu grinsen, „man vertraut mir kein Flugzeug mehr an.“  
Ein paar seiner neuen Stücke sind beinah optimistisch, etwa „True love will find you in the End“, der schönste, schrägste Trostsong des Jahres. Wird am Ende doch noch alles gut? „Ich möchte jeden aufheitern, der das Album hört“, sagt der größte Songschmied der Welt mit dieser dünnen Schlingerstimme, die eiern kann wie keine andere. „Jedenfalls ist mir das lieber, als jeden zu deprimieren.“ 
Beim Hören seiner Songs passiert beides, aber das müssen wir ihm ja nicht sagen. Denn es geht ihm gerade danke gut.

PS: Das Foto entstand in der Hamburger Fabrik im April 2010. Dass es ein bisschen verwackelt ist, passt eigentlich ganz gut zu diesem Typen.




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13 März 2015

Mein erstes und letztes Interview mit Daevid Allen

Es häuft sich: dass Künstler, die Interviewpartner waren, sich für immer verabschieden. Im Januar war es der Tangerine-Dream-Chef Edgar Froese, heute der Mitbegründer der legendären Band Gong, Daevid Allen (77). 

Hier als Hommage an einen ganz Großen der Rock- und Fusiongeschichte noch einmal unser Interview, erschienen erst vor wenigen Wochen, im Dezember 2014 in kulturnews.


Die weibliche Null

Der 1967 in Frankreich gestrandete Australier Daevid Allen (76) ist eine Fusionlegende. Nun hat er seine alte Liebe Gong wiederbelebt – und erklärt, warum diese Band niemand je verlassen kann.

Mr. Allen, es gab im Lauf der vergangenen viereinhalb Jahrzehnte verwirrend viele Inkarnationen der Band Gong. Welche war denn die einzig wahre?
Daevid Allen: Na, die heutige! Und auf Tour war die jeweilige Formation immer die einzig wahre. Wenn du dir das aktuelle Album anhörst, merkst du, wie wahr die aktuellen Gong sind und was für eine Wahnsinnskraft diese Band hat.

Sie sind gebürtiger Australier und bekamen 1967 nach einer Frankreichtour mit Soft Machine keine Einreisegenehmigung mehr nach Großbritannien, wo Sie damals lebten. Was hatten Sie denn verbrochen?
Allen: Ich war 1960 nach Großbritannien gezogen und hatte als Australier zunächst die gleichen Rechte wie britische Staatsbürger. Dann wurden die Einwanderungsgesetze geändert, was ich aber erst mitkriegte, als ich 1967 mit Soft Machine wieder einreisen wollte. Die Band hatte sich einen ziemlich schlechten Ruf erarbeitet, weil sie einige sehr prominente Londoner Debütantinnen mit LSD versorgt hatte – was dem einflussreichen englischen Establishment eine gute Ausrede lieferte, um mich draußen zu halten. Das neue Gesetz bot die Chance dafür.

Immerhin: Ohne diesen Umstand hätte es Gong nie gegeben, denn Sie blieben in Frankreich und gründeten die Band. Glauben Sie eigentlich an so etwas wie Schicksal ...?
Allen: Klar - und es hält überraschende Volten bereit. Es scheint, als hätte ich viel Glück gehabt, und ich bin dankbar dafür. Man kann Magie definieren als perfekten Mix aus Fantasie und Willenskraft. Damals war ich enttäuscht vom Schicksal Soft Machines, aber ich wollte einfach unbedingt was erreichen, und das trieb mich weiter an.

Obwohl sehr viele Musiker zur Band stießen und irgendwann wieder gingen, hat ein Exmitglied, der Gitarrist Steve Hillage, mal gesagt: „Niemand verlässt jemals Gong.“ Wie hat er das denn gemeint?
Allen: Gong ist nicht nur eine Band, sondern eine ganze Gemeinschaft von Bands, Künstlern und einem weltweiten Publikum aller Altersgruppen. Von Zeit zu Zeit veranstalten wir die „Gong Unconvention“, ein Festival mit Gong und befreundeten Bands. Jeder, der mal Mitglied war, ist eingeladen. Das Fest ist ein Magnet für Gong-Freaks, die aus der ganzen Welt anreisen. Das letzte fand 2006 im Amsterdamer Club Melkweg statt. Nächstes Jahr soll es ein weiteres geben. Wenn Sie vorbeikommen, werden Sie sehen, dass niemand je Gong verlassen hat …

Neue Tracks wie das hektische „Occupy“ schließen den Kreis zur hochpolitischen Gründungszeit von Gong, dem Jahr 1968. Was empfehlen Sie denn der Jugend von heute: Wogegen soll sie auf die Barrikaden gehen?
Allen: Mit dem Internet ist eine ganz neue Form der Politik entstanden, ganz klar. Die Bewegung unterscheidet sich von allen davor, und es ist unvorhersehbar, wie sie sich als frei organisiertes Netzwerk entwickeln wird. Und natürlich ist auch die Jugend von heute geprägt von diesem dynamischen Prozess, der die noch im 19. Jahrhundert verwurzelten politischen Systeme entweder weiter transformieren oder sogar ganz überwinden wird. Es gibt zurzeit viele interessante Köpfe wie Thomas Pickety oder Slavoj Žižek, und in vielerlei Hinsicht ist Musik ein Indikator für den anstehenden sozialen Wandel. Allerdings ist der eine visionäre Denker noch nicht aufgetaucht, der eine große internationale Bewegung lostreten könnte.
Die nächste Revolution, sagen Sie in einem Song, wird nicht mehr auf den Straßen stattfinden, sondern in uns selbst. Wenn Marx mit seiner materialistischen Philosophie den Idealisten Hegel auf die Füße gestellt hat, dann stellen Sie mit dieser Prognose wohl Marx auf den Kopf ...
Allen: Einige von uns warten in der Tat auf einen umgedrehten oder von innen nach außen gekehrten Karl Marx. Der neue Gestalter des politischen Fortschritts ist aber wohl eher ein Think-Tank. Ein Kreis Gleichgestellter. Eine weibliche Null statt einer männlichen Eins.
Zurück zur Musik: Bei welchem jungen Fusionkünstler sehen Sie – als Pate des ganzen Genres – eine strahlende Zukunft, wer wird mal ganz groß?
Allen: Oha, ich sehe hier eher Konfusion … Ich lebe praktisch in einem Teehaus am Strand. Aus der Fusion, auf die ich als Pate Einfluss hatte, ist die Infusion geworden. Der Körper und der Teebeutel sind eins, und deshalb sind Vergangenheit und Zukunft für mich auch nicht mehr zu unterscheiden.

Das Album "I see you" ist seit Mitte November im Handel.   

Foto: Madfish Music





25 Januar 2015

Mein erstes und letztes Interview mit Edgar Froese

Schon wieder geht es hier nicht um den Kiez, sondern um Musik, leider. Denn am 20. Januar ist, wie gestern bekannt wurde, einer meiner großen musikalischen Helden gestorben: Edgar Froese, Kopf, Gitarrist und Keyboarder der Berliner Elektroniklegende Tangerine Dream. 
Im vergangenen Frühjahr konnte ich ihn anlässlich der bevorstehenden Deutschlandtour interviewen. Zum Berliner Auftritt bin ich natürlich angereist, denn trotz all meiner Verehrung für die frühe Schaffensphase der Band: Live gesehen hatte ich sie bis dahin nie – was vor allem daran lag, dass sie überall anders Superstarstatus und somit viele Touranlässe hatten, nur in ihrem Heimatland nicht. 
Hier also mein Edgar-Froese-Interview, das im April 2014 in kulturnews gedruckt wurde. In seiner letzten Antwort erwähnt er das „Ende seiner Tage“, aber mit Trotz und Stolz.

Unverkäuflich
Edgar Froeses Band Tangerine Dream ist eine Weltmarke – und beehrt endlich mal wieder die alte Heimat. Ein Interview über Grammys fürs Klo, doofe Labels und den Reiz von Tarantino.

Herr Froese, die herausragenden Vertreter der Berliner Elektronikschule – Sie, Klaus Schulze, Manuel Göttsching – haben Weltgeltung, aber ausgerechnet in Deutschland merkt man davon wenig. Wie sehr fuchst sie das?
Edgar Froese: Es berührt mich überhaupt nicht, da es den Ausgleich gibt, in vielen anderen Teilen der Welt für seine Arbeit geschätzt und respektiert zu werden. Deutschland war und ist für uns eine Erinnerung an die Anfangszeiten einer elektronisch orientierten Rockmusik, nicht mehr und nicht weniger, und das ohne jede Bitterkeit.

Bei den frisch Grammy-gekrönten Kraftwerk ist das anders. Hat die Düsseldorfer Konkurrenz sich einfach besser vermarktet?
Froese: Derartige Vergleiche setzen ein sehr kleinkariertes Konkurrenzdenken voraus, und so etwas ist mir völlig fremd. Es ist doch ein sehr positives Zeichen, wenn Kollegen, die auch in Deutschland musikalische Geschichte geschrieben haben, in anderen Teilen der Welt dafür honoriert werden. Letztlich kommt eine progressive Bewertung neuer Entwicklungen allen Musikern zugute.

In den 90ern wurden jedenfalls auch Sie ständig für Grammys nominiert, allerdings ohne Erfolg. Wäre es Ihnen wichtig, diese Trophäe irgendwann mal mal in der Vitrine stehen zu haben?
Froese: Sollten wir den Grammy eines Tages erhalten, habe ich in einer Ecke meiner hausinternen Badezimmertoilette schon einen Platz reserviert. Bis dahin steht dort eine wunderschöne Donald-Duck-Replika.

Ihre aktuelle „Phaedra Farewell“-Tour greift den Titel Ihres 1974er-Albums auf. Diese Aufnahme bräuchte – wie viele aus der Virgin-Ära – dringend ein weiteres Remastering, welches die Räumlichkeit und Transparenz besser herausarbeitet.
Froese: Vieles, was musikalisch und tontechnisch verbessert werden könnte, liegt in den Händen jener Plattenfirmen, mit denen wir damals unter Vertrag standen. Somit ist es deren Aufgabe, diese Verbesserungen vorzunehmen. Dass diese Firmen durch Unwissenheit und Inkompetenz oft an diesen notwendigen Aufgaben scheitern, darf man uns nicht anlasten.

„Phaedra“ mit seinem fast 18-minütigen Titelstück war 1974 hoch in den britischen Charts, was aus heutiger Sicht unglaublich anmutet. Warum waren Käufer damals offener für Experimente als heute?
Froese: 1974 existierte auf dem Tonträgermarkt nichts Vergleichbares. Dadurch hatten wir es leichter, auf diese neuen Klänge und rhythmischen Strukturen aufmerksam zu machen. Heute arbeitet fast jede Band mit Synthesizern, und es ist schwieriger, bahnbrechend neue Musik kommerziell auszuwerten.

Auch Ihre „Tatort“-Single „Das Mädchen auf der Treppe“ war 1982 in den Hitlisten. Sie sollen das damals als „Betriebsunfall“ bezeichnet und sich entschuldigt haben. Hatten Sie Angst, an Glaubwürdigkeit einzubüßen, wenn Sie plötzlich neben Abba und Nicole gelistet werden?
Froese: Ich habe mich für diese Produktion nie entschuldigt, da es musikalisch genau die Musik war, die in diesem „Tatort“ sinnvoll angelegt war. Dass daraus ein Hit wurde, konnten wir nicht planen, und es war auch nicht vorhersehbar, insofern könnte man es als „Betriebsunfall“ bezeichnen, allerdings mit positiven Nebenerscheinungen.

Insgesamt haben Sie zu über 60 Filmen Soundtracks beigesteuert und mit den größten Regisseuren gearbeitet. Welchen weiteren Namen würden Sie sich gern noch als Kerbe in den Colt ritzen?
Froese: Wir haben keinen Western vertont, deshalb besitze ich für Gravuren dieser Art auch keinen entsprechenden Gegenstand … Wahr ist allerdings, dass fast 16 Jahre für Hollywood musikalisch arbeiten zu dürfen eine unschätzbare Erfahrung bedeutet. Spielberg und Tarantino sind zwei Regisseure, für die zu arbeiten noch äußerst reizvoll wäre.

Sie sind die einzige Konstante bei Tangerine Dream und verwalten sozusagen eine Weltmarke. Wie viel Euro müsste man auf den Tisch legen, um sie Ihnen abzukaufen …?
Froese: Ich war und bin nicht käuflich, und daran wird sich auch bis zum Ende meiner Tage nichts ändern.

Foto: MFP




23 März 2010

Freibier dank Erwin



Morgen Nachmittag (24. März) um 17 Uhr findet eine Abschiedsfeier für den im Februar verstorbenen Kiezmaler Erwin Ross statt, und zwar im Hamborger Veermaster an der Reeperbahn 162.

Natürlich gibt es dort auch einige seiner Werke zu sehen, darunter ein unvollendetes Beatles-Bild. Ab 20 Uhr singt der Hopfenchor Hamburger Lieder, und damit die Trauerfeier nicht gar zu traurig wird, gibt es Freibier – von Carlsberg in Flaschen, von Warsteiner in Fässern.

Wer Astra vermisst, muss sich halt selber welches mitbringen. Is so.

Foto: Günter Zint

17 Februar 2010

Rubens ist tot



Wieder ein Kiezoriginal weniger.

Nach Stefan Hentschel, Käse-Renate, Opa Edi und Domenica hat es nun auch den Maler Erwin Ross erwischt.

Bis zuletzt hat der 83-Jährige – Kampfname: Rubens von der Reeperbahn – in seinem Atelier Bilder produziert. Seine saftigen Porträts draller Nackter zieren flächendeckend den Kiez. Auch die gespreizten Beine, durch die man die Ritze an der Reeperbahn betritt, sind sein Werk, und zwar sein berühmtestes.

Ross’ malte Frauen immer so, wie Klischeemachos sie sich vorstellen: üppig, kurvig, verspielt und mit sinnlichem Blick.

Die Härte des Sexgeschäfts, den Schmuddel, die emotionale Verrohung, die auf dem Kiez ja auch zu Hause sind, hat er stets rausgehalten aus seinen Bildern. Stattdessen verkörpern sie das Versprechen auslebbarer Lust – und zugleich die Chance, dass die porträtierte Sexbombe dir irgendwann zwei Kinder schenkt und ihr glücklich werdet im Treppenviertel mit Elbblick.

Seit dem 12. Februar ist Ross nicht mehr da. Seine Nackten aber werden es noch lange sein.