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29 Dezember 2023

Wieder mal die Bahn

Geplant ist, in Gießen in den ICE ein- und in Hamburg wieder auszusteigen, und gut is. Jedoch:

1. Der ICE ab Gießen fällt aus. Gerümpel auf der Oberleitung oder so. Alternative: Regionalzug nach Kassel, dort in einen ICE nach Hamburg. Und gut is.

2. Der ankommende Regionalzug ist ein geteilter. Die zur Weiterfahrt nach Kassel vorgesehenen Wagen fehlen allerdings, wie wir uns nach eiligem Auf- und Ablaufen ernüchtert eingestehen müssen. Die Bahn ist ratlos und weiß auch nicht, wo die Wagen sind. Ihr Rat: den Regionalzug nach Treysa nehmen, dort in einen Zug nach Kassel umsteigen, dann weiter nach Hamburg. Klingt praktikabel.

3. Der ankommende Regionalzug ist ein geteilter. Die zur Weiterfahrt nach Treysa vorgesehenen Wagen fehlen allerdings, wie wir uns nach eiligem Auf- und Ablaufen ernüchtert eingestehen müssen. Die Bahn ist ratlos und weiß auch nicht, wo die sind. Problem: Der nächste reguläre Zug von Gießen nach Kassel entfällt sowieso. Rat: Regionalzug nach Frankfurt nehmen, dort den ICE nach Hamburg entern. Der, so räumt man ein, sei jedoch so voll, dass unsere Reservierung nicht umgebucht werden könne. Wir holen uns deshalb die Gebühr direkt bar am Schalter zurück. Die neun Euro sechzig oder so kann uns keiner mehr nehmen – und das ist bisher das Beste, was uns heute passiert ist. Aber noch nicht das Allerbeste!

4. Der Regionalzug nach Frankfurt ist voll wie Harald Juhnke an Silvester. Sein Innenleben (also das des RE, nicht Juhnkes) erinnert an selige 9-Euro-Ticket-Zeiten. Aber hey, er bringt uns in Hessens heimliche Hauptstadt!

5. An Gleis 13 des Frankfurter Hauptbahnhofs fährt laut Anzeige erst noch ein anderer ICE ab; er steht schon parat. Wir kriegen nur durch Zufall mit, dass der wartende Zug bereits unserer ist und nicht etwa der an der Anzeigetafel. Beinahe hätten wir ihn unwissentlich ziehen lassen, was uns zwei tickende Zeitbomben wahrscheinlich hätte hochgehen lassen wie Harald Juhnke an Silvester, wenn sich herausstellt, dass Peter Frankenfeld den Schampus einzukaufen vergessen hat. Wir steigen ein, der Zug, er fährt los! Nach Hamburg!

6. Aber leider nicht zum Hauptbahnhof; er wird ihn nach einem Halt in Harburg links liegen lassen. Wir könnten allerdings in Kassel, Göttingen oder Hannover in einen Alternativ-ICE umsteigen, der jeweils auf dem Nachbargleis bereitstehen wird. Das ist die bisher drittbeste Nachricht des Tages (zweitbeste folgt unten, danach die allerbeste).

7. Wir beschließen, zunächst in unserem ICE sitzen zu bleiben und eventuell erst in Hannover direkt in den Speisewagen des Alternativzugs zu wechsen; schließlich haben wir hier trotz fehlender Reservierung zwei Abteilsitzplätze ergattert (= zweitbeste N. des Tages), und so was wäre bei einem früheren Umstieg gewiss nicht wiederholbar, denn DIE GANZE REPUBLIK STÜRMT GERADE DIE ZÜGE! Wir wollen ja unser Glück, das uns heute so hold war (vgl. die dritt- und zweitbesten Nachrichten des Tages), nicht überstrapazieren.

8. Nachdem also unterwegs drei Züge ausfielen und wir unversehens Mainhattan ein herzliches „Ei gude wie!“ entbieten konnten, kamen wir um siebzehn Uhr sechsunddreißig mit lediglich eindreiviertel Stunden Verspätung in Hamburg an. Das generiert die allerbeste Nachricht des Tages, nämlich eine fünfundzwanzigprozentige Rückerstattung des Ticketpreises. Hätte dieser blöde Zug bloß eine Viertelstunde Verspätung draufgepackt, wären es sogar fünfzig Prozent gewesen. Doch wir wollen uns nicht beklagen: Wir sind angekommen und damit Gebenedeite unter den DB-Kunden.

9. Nächsten Donnerstag trete ich die gleiche Reise erneut an. Bitte schließen Sie mich in Ihre Gebete ein.


 

06 November 2019

Wenn der Geisterzug nicht kommt

Natürlich: Bahnbashing ist wohlfeil. Andererseits denke ich mir: Besser wird es bestimmt nicht, wenn keiner was sagt. Oder schreibt. 

Am Sonntag jedenfalls hatten wir mal wieder ein Bahnerlebnis der besonderen Art. Unser gebuchter IRE Berlin-Hamburg fiel aus. IRE ist die Kurzform für Interregio Express. Der Name legt nahe, dieser Zug huschte in Windeseile von der offiziellen in die heimliche Landeshauptstadt. Dabei kröche er, sofern er denn führe, gemütlich in drei Stunden durch die Pampa gen Elbe. Doch er fiel ja aus – wie eigentlich immer, beschied uns eine Frau an der Information.

Üblicherweise entert man als Bahnkunde in einem solchen Fall einfach einen beliebigen Ersatzzug, und alle sind zufrieden. Nicht aber den IRE! Der nämlich ist von dieser Regel ausgeschlossen. Obwohl wir also ein gültiges Ticket vorzuweisen hatten, zwang uns die Bahn, ein neues Ticket zu kaufen. Zum Tagespreis, und der war happig: 135,20 Euro für zweimal Berlin-Hamburg einfach, im ICE. Die Rückerstattung dieses Betrags sei indes nicht sicher, eröffnete man uns beim gleichzeitig mit dem Ticket übergebenen Fahrgastrechteformular. Aber wir könnten es ja mal probieren. Und ob wir das mal probieren! Mit Begleitschreiben!

Für den ICE, den wir dann ersatzweise bestiegen, hätte man uns gleichwohl nach Maßgabe der UN-Menschenrechtskonvention gar keine Tickets mehr verkaufen dürfen. Denn darin befand sich die Bevölkerung einer halben Kleinstadt, überall standen, lagen, hockten so schlecht gelaunte wie riechende Menschen herum, auch in den Gängen, vor den Türen, und manche hatten neben ausladenden Koffern auch Zwillingskinderwagen dabei. Das war das Szenario. 

Zeitweise war sogar unsicher, ob diese zuggewordene Presswurst überhaupt losfahren würde. Selbstverständlich war die anfangs noch erreichbare Toilette in der Nähe unseres Standplatzes weit jenseits jeder Funktionsfähigkeit; in der Schüssel stand die Brühe bis zur Brillenkante. Ms. Columbos spätere Versuche, in beide Richtungen wenigstens noch irgendein Klo zu erreichen, scheiterten daran, dass sich die Leute, Koffer und Zwillingskinderwagen praktisch bis zur Decke stapelten. Wie ihr erging es natürlich auch vielen anderen, weshalb die Gefahr von Pipileaks minütlich wuchs.

Wären uns diese Zustände bekannt gewesen, hätten wir natürlich gar kein Ticket gekauft und den ICE (nach vorherigem Toilettengang!) trotzdem grimmig geentert. Und den Zugbegleiter hätte ich sehen wollen, der den Schneid gehabt hätte, deswegen eine Diskussion anzufangen …! Aber natürlich kamen von denen auch keiner durch.

Am Ende bleibt die Frage, warum die Bahn uns überhaupt eine IRE-Fahrkarte verkauft hat, obwohl dieser Geisterzug die Strecke Berlin-Hamburg anscheinend gar nicht mehr bedient. Aber vielleicht erwarte ich auch einfach zu viel von einem deutschen Dienstleister im 21. Jahrhundert.




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05 Juni 2017

Der Hosenflop

Pfingstflohmarkt auf dem Spielbudenplatz (Archivfoto). An einem Stand eine interessante Chinohose in Beige und meiner Größe. 

Wie viel soll sie kosten? Der Händler sagt fünf, ich sage drei, er sagt ja. Ich nehme die Hose, gehe über die Reeperbahn nach Hause, probiere sie an. 

Der Spiegel sagt: zu weit, zu groß und unten zu viel Schlag. Also wieder eingerollt das Teil, rüber zur Budapester Straße und hinein mit ihm in den Altkleidercontainer.

Das hätte sich diese Chinohose heute früh, als sie auf dem Flohmarkttisch drapiert wurde, wahrscheinlich nicht träumen lassen: dass da jemand kommt, sie für drei Euro auslöst und sofort entsorgt.

Der Jemand aber auch nicht.



15 April 2017

Vom Segen der Taubheit (mit Pareidolie 118)

Wien hat die in Deutschland alljährlich so heftig diskutierte Karfreitagsproblematik salomonisch geregelt. 

Da dieser Feiertag ein evangelischer ist, darf jeder Protestant seinem Chef – also dem weltlichen – straflos mitteilen, er bevorzuge einen Gottesdienstbesuch gegenüber der Bürofron, und ohne Diskussion darf er den lieben langen Karfreitag daheim bleiben. Wer aber nichts dergleichen vorbringt, muss halt arbeiten. Die Katholen und alle anderen Nichtevangelen sowieso.

Aus diesem Grund wirkt Wien am Karfreitag unbeeinträchtigt. Die Geschäfte haben geöffnet, die Stadt wimmelt vor Menschen, darunter auch jene, die sich mit der Zusage eines Gottesdienstbesuches einen freien Tag erschummelt haben. Statt erzwungener Bleischwere herrscht der übliche Großstadttrubel. Für uns ein „Segen“, da wir nur drei Tage hier weilen und schon gern ein bisschen was haben möchten von der Stadt.

Der Auftritt unserer Freundin, der Kabarettistin Angelika Niedetzky, findet ebenfalls am Karfreitag statt. In Deutschland würde derlei an diesem speziellen Tag gesetzlich unterbunden, denn die Frau erdreistet sich und macht WITZE! Sie singt und TANZT! Sie ALBERT HERUM!

Damit macht sie uns trübe Tassen wieder munter, denn die Nacht davor war geprägt vom Höllenlärm des Neubaugürtels, einer vielspurigen Rennstrecke, die tagein, nachtaus in nur drei Metern Abstand unser A&O-Hotel zum Beben bringt. Dort waren wir aus Gründen der Preisökonomie abgestiegen, mussten aber erkennen, dass Geiz nicht immer geil ist, sondern manchmal einfach nur hammerhart bestraft wird.

Selbst ein Umzug nach schlafarmer erster Nacht in eine Endetagenbutze, deren Dachluken das Neubaugürtelinferno nicht mehr direkt, sondern nur noch über Eck schallzuabsorbieren hatten, half kein bisschen, weil eine der beiden Luken nicht hermetisch schloss.

Sollten Sie also weder über juvenile Generaltoleranz gegenüber jedweder Umgebungsunbill noch über segensreiche Stocktaubheit verfügen, dann legen wir Ihnen als Übernachtungsalternative das A&O-Schwesterhotel am Hauptbahnhof ans Trommelfell. Die Preise sind identisch, doch dort gibt es sogar die Chance, das zur Verfügung gestellte Bett auch funktionsgerecht nutzen zu können.

Auch in Wien stieß ich beim Flanieren natürlich auf eine Pareidolie, wie es mir wohl überall auf der Welt gelänge, vielleicht abgesehen von der Wüste Gobi. Und schon hatte ich eine Bebilderung für diesen Text.

Wie sich immer wieder alles fügt, es ist erstaunlich.



02 April 2017

Wanderung mit (nur einem) Hindernis


Der Plan war eigentlich super, weil sowohl dem frühlingshaften Wetter wie unseren körperlichen Voraussetzungen adäquat: mit dem Zug nach Timmendorferstrand fahren und von dort immer an der Ostsee lang die ungefähr 13 Kilometer nach Travemünde wandern, von wo aus die Heimfahrt nach Hamburg angetreten würde. Natürlich nicht ohne vorher in Niendorf und möglichst noch einmal auf der Hermannshöhe einschlägige kulinarische Versorgungsstationen um süßschnabelkompatible Leckereien zu erleichtern.

Ein super Plan, wie gesagt, der allerdings bereits auf den ersten Metern zu scheitern drohte. Denn rotweiße Absperrbänder und daneben postierte, nicht selten adipöse Wachtposten in neongelben Wichtig-wichtig-Westen verwehrten uns bereits am Start in Timmendorferstrand den Zugang zur Strandpromenade – und zwar weil sich ebendort Hunderte mehr oder weniger tauglicher Körper keuchend und ohne Not dem Diktat eines sogenannten „Sparkassen-Ostsee-Laufes“ unterwarfen.

Wie ich später auf der Webseite dieser skandalösen Veranstaltung erfahren sollte, war sie sogar entgegen der ursprünglichen Planung eigens auf heute verlegt worden, nur um uns den Sonntag zu vergällen. 

Doch nicht mit uns! Wir wählten bis Niendorf – also ungefähr vier Kilometer lang – eine (leider meerblicklose) Parallelstrecke und schwenkten dann zurück auf die angepeilte, nun von x-beinigen Nummerntrikotträgern nicht mehr kontaminierte Strandroute, von der uns auch bis Travemünde nix und niemand mehr verscheuchen konnte.


Dieser Wanderweg – das glaube ich auch in Unkenntnis von ca. 99 Prozent aller einheimischen Wanderwege sagen zu können – gehört zu den wahrscheinlich zehn schönsten in ganz Deutschland, was vor allem für das Brodtener Steilufer gilt.

Denn links unten in der Tiefe schimmert die Ostsee silbrig unter den Frühlingswolken, während man streckenweise durch einen lichten Laubwald tänzelt, der erfüllt ist von Algendüften, Möwengekreisch und dem Beat der Spechte.

Das ist derart wunderbar, dort werden wir bald wieder langlaufen. Aber nicht ohne vorher im Netz nachzuschauen, ob vielleicht irgendeine dahergelaufene Sparkasse wieder mal die Promenade absperrt.

Man lernt ja dazu.

07 März 2017

„Fahrscheinkontrolle!“

An Murphys Gesetz (was passieren kann, passiert auch irgendwann, und sei es noch so unwahrscheinlich) denkt man leider nie präventiv, sondern immer erst dann, wenn es mal wieder zur Anwendung kommt. Also dann, wenn es zu spät ist.

Heute Morgen stieg ich um zwei Minuten vor 9 mit einer Karte, die ab 9 Uhr gültig war, an der Haltestelle U-Bahn St. Pauli in den 112er-Bus. 120 Sekunden Risiko – statistisch ist so etwas komplett zu vernachlässigen. 

Bitte streichen Sie „komplett“ aus dem letzten Satz, denn kaum, dass der Bus angefahren war – es war exakt 8:58 Uhr –, erhoben sich drei kräftige Herren in unauffälliger Funktionskleidung und sagten jenes Wort, das man als Besitzer einer ab 9 Uhr gültigen Tageskarte zu diesem Zeitpunkt keinesfalls hören möchte: „Fahrscheinkontrolle!“

Als einer der drei, ein wohlbeleibter Herr mit Brille und recht liberaler Einstellung zur Akkuratesse seiner Rasur, an meinen Sitz trat, aktivierte ich das größte mir mögliche Quantum mimischer Arglosigkeit und hielt ihm mit lässiger Eleganz mein Handydisplay hin.

Er schaute drauf, mich an, stutzte und sagte: „Sie dürfen erst ab 9 Uhr fahren.“
„Oh“, machte ich.

Auf seiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte. Parallel zerknautschte ein Ausdruck vorwurfsvoller Zerknirschung seine Mimik. Auch Bedauern und Mitleid schienen mir in diesem Gesichtsschauspiel mit Nebenrollen betraut zu sein. 

„Das kostet eigentlich 60 Euro“, sagte er und schaute hinter mir den Gang entlang. 
„Hm“, machte ich bang.

Allerdings ließen sowohl das verehrungswürdige, Gnade vor Recht verheißende Adjektiv „eigentlich“ als auch sein schweifender, an mir auf wohltuende Weise desinteressierter Blick Hoffnung keimen. 

Seine beiden Kollegen weiter vorne im Bus hatten bereits zwei Männer in der Mangel, doch ich schien – obzwar vollumfänglich schuldig im Sinne der Beförderungsbestimmungen – den Jagdinstinkt meines Kontrolleurs nicht zu wecken. Inzwischen war es Punkt 9 Uhr, wir hielten an der Handwerkskammer – und dieser Gandhi unter den Hochbahndetektiven ließ mich vom Haken und links liegen.

Habe ich schon erwähnt, dass er ein liebreizender Knuddelbär war? Dass HVV wahrscheinlich gar nicht die Abkürzung für „Hamburger Verkehrsverbund“ ist, sondern für „Herzensgüte Vor Verurteilung“? Dass Murphys Gesetz mir hinfort und immerdar heilig sein wird? Dass gute Rasuren völlig überschätzt werden?





26 August 2016

Wie erschlagen, und zwar zweifach


Ein Satz wie „Mozart würde sich im Grabe umdrehen“ war schon immer Stuss.

Gerade weil er im Grab liegt, kann er das, was ihn zu einer empörten Drehung bewegen würde, ja keinesfalls hören – nicht nur wegen der dämpfenden Wirkung der Erde über ihm, sondern auch wegen der längst irreparabel eingetretenen Dysfunktionalität seiner Ohren.

Stattdessen gilt hier der Umkehrschluss: Könnte Mozart den Empörungsgrund hören, läge er demnach nicht im Grab. Aber mal angenommen, er könnte das, was ihn empören würde, trotz seiner misslichen Lage six feet under doch sonisch wahrnehmen:

Warum sollte er sich dann ausgerechnet umdrehen wollen? Was wäre denn das für eine lahme Reaktion?

Wenn er, Mozart, also dort unten immer noch hören könnte, dann wäre es ihm doch gewiss auch ein Leichtes, sich wie ein Zombie der Rache hervorzuwühlen an die Oberfläche, um die Ursache seines Missvergnügens mit gnadenlosen Knochenhänden abzuwürgen. Statt sich einfach nur umzudrehen.

Der Satz, meine Damen und Herren, stimmt also hinten und vorne nicht, er war schon immer Stuss. Und er ist deshalb selbstverständlich auch völlig ungeeignet, um irgendetws Zutreffendes über das erste Soloalbum „Herzschlag“ des Ex-Adoro-Sängers Laszlo auszusagen, der zu Klassikpopbombast eingedeutschte Songs von u. a. Miley Cyrus derart schmettert, als versuchte er Mozart von den Toten aufzuwecken.

Mein Rat: Dieses Risiko sollte er lieber nicht eingehen.

Als wäre Laszlos Albumpräsentation heute Abend nicht schon erschlagend genug gewesen, fiel später in der U-Bahn auch noch ein junger, durchs ruckartige Anfahren von einer Zehntelsekunde auf die andere seines Gleichgewichtssinns beraubter junger Mann um und sodann auf mich drauf.

Sein frei flottierender Körper fegte mir den Hut vom Kopf, mein iPhone absentierte sich ins Nirgendwo, ebenso meine Orientierung.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Ich trug einen Hut. Und zwar einen billigen Strohhut vom Flohmarkt.

Joseph Beuys würde sich im Grabe umdrehen. 


 

 
 
 

31 März 2016

Rewe hat keine Eier!

Neulich, in dieser kleinen Pension in Schwerin, lag die „Bild am Sonntag“ neben dem Tresen. Dafür würde ich selbstverständlich niemals Geld ausgeben, aber wenn sie schon  rumliegt, kann man sie ja auch mal aufschlagen. 

Am interessantesten war eine doppelseitige Anzeige von Rewe, in der die Kette sich unter der Überschrift „Mit jedem Einkauf Gutes tun“ auf die Schulter klopft – für einen Grundpreis von 176.500 Euro. So viel kostet nämlich eine vierfarbige Doppelseite in der BamS. 

Besonders fesselte mich das vorgestellte „einzigartige Pilotprojekt“ namens „Spitz & Bube“. Dabei handelt es sich um eine Eiervariante, bei deren Produktion den Legehennen nicht die Schnäbel abgeschnitten und – noch lobenswerter – keine männlichen Küken geschreddert, sondern aufgezogen werden. Ihr Leben ist hinfort geprägt von Müßiggang und Rumpicken. So etwas könnte ich mir auch für mich vorstellen.

Ich muss vorwegschicken: Ich sehe mich als Flexitarier. Zu Hause esse ich kein Fleisch, aber wenn ich irgendwo ein Rinderfilet vorgesetzt bekomme, dann zicke ich nicht rum. Das Rind wurde aufgezogen, um gegessen zu werden. Es gibt sein Leben, um ein anderes zu erhalten; das ist nicht völlig ohne Sinn. 

Ganz anders bei der Massenherstellung von Eiern. Die nutzlosen männlichen Küken wandern dabei samt und sonders in den Häcksler oder die Gaskammer. Sie werden wie Abfall behandelt, und das sollte nicht sein.

Deshalb suchen wir seit einiger Zeit nach Alternativen – und dann kommt unverhofft der zweitgrößte Einzelhändler der Republik mit Eiern um die Ecke, die nicht mit toten Küken bezahlt werden müssen, sondern nur mit ein, zwei Euro mehr pro Packung. Das ist super, sagten wir uns einhellig, da melden wir doch gleich mal Nachfrage an, um so peu à peu die Republik in puncto Eiern umzukrempeln.

Also tat ich in Schwerin etwas, was ich sonst nie selten tue: Ich entnahm der BamS die 176.500 Euro teure Doppelseitenanzeige, faltete sie, schmuggelte sie mit nach Hamburg, ging in den nächstbesten Rewe am Großneumarkt und verlangte nach „Spitz & Bube“-Eiern.

Man hatte noch nie davon gehört.

Ich zeigte die Anzeige vor, man ging damit zum Chef. Der hatte noch nie davon gehört. Allerdings sei man nur ein kleiner Markt, das Gesamtsortiment gäbe es nur in den großen.

Nächster Versuch im Portugiesenviertel, auch kein großer Markt, aber einer, der auf dem Weg lag. Der Ablauf unseres Besuchs ähnelte auf verblüffende Weise dem ersten: Die Anzeige erzeugte Stirnrunzeln, Verblüffung, Ratlosigkeit.

Wollte Rewe uns veräppeln? Aber sind 176.500 Euro dafür nicht ein paar Tacken zu viel …?

In Altona gibt es zum Glück einen wirklich riesigen Rewe-Markt. Er liegt an der Max-Brauer-Allee und bildet fast ein eigenes Stadtviertel. Dort – ich war mir ganz ein bisschen sicher – würde ich endlich meine schredderfreien Eier erwerben können. 

Zunächst schnürte ich eine Weile erfolglos um die außergewöhnlich beeindruckende Eierauslage herum. Bestimmt hatte ich die „Spitz & Bube“-Sorte nur übersehen; das kann passieren bei einem exorbitanten Sortiment wie diesem. Jedenfalls war es erneut erforderlich, eine Rewe-Kraft mit meinem lodernden Bedürfnis, das eine bundesweite Anzeige unlöschbar geweckt hatte, zu behelligen.
 
Ich sprach eine Verkäuferin an, natürlich bewaffnet mit meinem besten Argument, der BamS-Anzeige, die so teuer war wie eine 130-Quadratmeter-Wohnung mit Fußbodenheizung und Schwimmbad in Schwerin. 

Die Verkäuferin hatte noch nie davon gehört. Aber möglicherweise, sagte sie, könne man eine „Spitz & Bube“-Packung für mich bestellen. 

Darauf also lief alles hinaus: Rewe gibt eine knappe Sechstelmillion Euro dafür aus, dass ein Kunde, nachdem er sich in drei Läden die Hacken wundgelaufen hat, eine Packung Eier bestellen kann. Mit ungewissem Lieferzeitpunkt.

Bisher dachte ich immer, man macht Werbung für etwas, das man auch hat. Sinn und Zweck einer solchen Investition – so meine naive Vorstellung – ist doch die Refinanzierung. Am Ende soll der durch die Anzeige generierte Gewinn höher sein als ihre Kosten. Aber vielleicht habe ich in diesem Punkt den Kapitalismus auch einfach falsch verstanden.

Ich schlich mich jedenfalls frustriert zu unserem Stamm-Edeka-Laden. Ob sie vielleicht ebenfalls Eier anböten, die ohne den Massenmord an fiepsenden Küken produziert worden wären? Immerhin habe Rewe so etwas neuerdings im Angebot, wie aus dieser Anzeige (ich zeigte sie vorwurfsvoll vor) unzweifelhaft hervorginge.

Bedauerlicherweise nicht, doch man versprach mit leichter Panik im Blick (verdammt, Rewe ist schon so weit, und dabei sind die nur die zweitgrößten hinter uns …!), sich zu erkundigen. Morgen könne ich wieder nachfragen.

Und verdammt: Das tue ich auch. Diese Spitzbuben kommen mir nicht davon.


Update v. 24.02.2017: Der Rewe-Markt im Brauerknechtsgraben (Hamburg, Nähe Michel) hat inzwischen die schredderfreien Eier. In der Edeka-Filiale Rindermarkthalle gibt es ebenfalls welche.






26 Februar 2016

Das Pümpelproblem

Ich habe unseren Pümpel geschrottet. Während des verdächtig folgenlosen Intensivgebrauchs am Badewannenabfluss bemerkte ich einen langen Riss im Gummi. Der Pümpel war nach jahrelanger klagloser Benutzung anscheinend einer spontanen Dysfunktionalität anheimgefallen. Ein neuer musste her.

Noch während ich suchend durch die Budni-Filiale in der Rindermarkthalle streifte, kam mir der innerlich bereits zurechtgelegte Satz „Entschuldigen Sie, wo finde ich die Pümpel?“, mit dem ich in Bälde eine der hinreichend vertretenen Verkäuferinnen zu behelligen trachtete, irgendwie anzüglich vor.

Vielleicht kannte sie das Wort gar nicht und dächte wer weiß was. Vielleicht würde ich mir dann mit Umschreibungen helfen müssen – zum Beispiel einer Formulierung wie „Ich suche einen manuellmechanischen Abflussreiniger auf Druckluftbasis“. Die Gefahr bestünde dabei natürlich, für wunderlich gehalten zu werden. Aber ich brauchte nun mal einen Ersatzpümpel!

Und plötzlich stand ich so zufällig wie innerlich erleichtert vor einem Pümpeltrio. Es erfreute sich der Nachbarschaft friedlich vor sich hin dösender Klobürsten. Diese waren auch ordnungsgemäß als Klobürsten deklariert, doch was stand wohl auf dem Schild zum Pümpel, etwa „Pümpel“?

Ich beugte mich hinab und las: „Pumpfix Saugglocke mit Holzstiel“. Ein frisch erworbenes Wissen, das ich an dieser Stelle gerne mit Ihnen und der Welt teilen möchte.

Andererseits weiß ich noch immer nicht, ob die Durchschnittsbudnifachkraft das Wort Pümpel kennt und ob sie beim Hören desselben aus irgendeinem Grund, den ich mir noch immer nicht recht erklären kann, rote Ohren bekäme.

Der neue Pümpel funktioniert übrigens tadellos. Auch wenn er sich offiziell als Saugglocke mit Holzstiel euphemisieren lassen muss.








20 Juli 2015

Zufälle gibt’s, die gibt’s … doch


Neulich las ich auf einer Nachrichtenwebseite gerade in einem Satz das Wort „Comeback“, während im Hintergrund Coldplay lief – und deren Sänger Chris Martin exakt in dieser Sekunde das Wort „Comeback“ lippensynchron sang. Ich war frappiert bis an den Rand der Esoterik.

Es gibt eben Zufälle, die gibt’s gar nicht, aber wie wir alle schon lange wissen, kommt, wenn man unendlich lange eine Horde Schimpansen auf Schreibmaschinen rumhampeln lässt, halt irgendwann „Faust 1“ dabei raus. Das ist auch kein Zufall, nein: That’s statistics, stupid!

In puncto Zufälle kann ich aber noch ein weiteres Ereignis beisteuern, das sich, wenn ich mich recht erinnere, auch noch am selben Abend zutrug wie Chris Martins „Comeback“-Singen bei meinem Lesen des Wortes auf einer Nachrichtenseite. An eben jenem Abend nämlich nahm ich im Bad die Elektrozahnbürste aus der Halterung und stieß dabei versehentlich Ms. Columbos Ring an, der auf der Ablage lag.

Wie in Zeitlupe sah ich das unschätzbar wertvolle Stück ins Waschbecken fallen und dort das metallisch tuende, aber federleichte Plastiksieb, welches bis dahin ohne Fehl und Tadel den Abfluss bewacht hatte, sanft anstupsen und beiseite stoßen, woraufhin der Ring umstandslos im Abfluss verschwand.

Man mag sich meinen Schrecken ob dieses ebenso unwahrscheinlichen wie doch soeben eingetretenen Ereignisverlaufs vorstellen. Ich war wie erstarrt, vermochte aber noch ein halb ersticktes „Oh nein!“ hervorzupressen, was Ms. Columbo auf den Plan rief.

Im Hinausstürzen – „Ich brauche eine Rohrzange!“ – und wieder Herbeieilen hechelte ich ihr die unglaubwürdige Geschiche vor, und schon hatte ich den Haupthahn abgedreht, das Siphon abgeschraubt und panisch nach dem Ring gefischt.

Natürlich fand er sich in der exakt dafür eingebauten Rohrbiegung, und mit zitternden Fingern legte ich ihn Ms. Columbo in die zarte Hand. Aber es war gar nicht – wie von mir die ganze Zeit befürchtet – der ideell unersetzliche Ehering, sondern irgendein schmuckes Modeschmuckteil aus Kunststoff. Was plötzlich ihre Gelassenheit recht plausibel erklärte.

Am Grad meiner Panik hätte das möglicherweise einiges geändert, doch dafür hätte ich erheblich früher davon Kenntnis erlangen müssen.

So viel zur Macht des Zufalls. Chris Martin würde mich verstehen, wenn er diesen Blogeintrag läse. Aber das wiederum ist noch unwahrscheinlicher, als wenn ein Ring sich im Waschbecken den Weg in den Abfluss durch Wegstupsen des Siebs bahnte.

Andererseits: Wenn Martin unendlich viel Zeit damit verbrächte, Blogs zu lesen, stieße er unweigerlich spätestens am Sanktnimmerleinstag auch auf diesen Eintrag, und zwar nicht zu seinem Schaden.

Irgendwie tröstet mich das. 



 

17 April 2015

Die Brötchenbetatscherin


Kiezbäcker, morgens um 9. Hinter mir die Schlange ist genervt, denn ich bin ein wenig eigen.

Sie möge doch bitte die Brötchen nicht mit den ungeschützten Händen anfassen, mahne ich die Verkäuferin, das fände ich unhygienisch. Habe sie doch gar nicht, protestiert sie. Doch, widerspreche ich, mit eigenen Augen hätte ich es gesehen – und nur deshalb überhaupt die Notwendigkeit zur Intervention verspürt und sodann auch umgesetzt.

Dann solle ich bloß nicht in die Backstube schauen, verteidigt sie sich verschnupft, denn dort wühle man unablässig tagein, tagaus mit bloßen Händen im Teig. Mag sein, kontere ich, doch hätten die fraglichen Hände wohl kaum vor ihrer Teigwühlarbeit unzählige klebrige Biotopenbesiedlungsgebiete namens Euroscheine angefasst und direkt danach dann distanzlos verzehrfertige Brötchen eingetütet.

Es geht hin und her zwischen mir und der Verkäuferin, und plötzlich sagt der Mensch hinter mir in der Schlange, Typ fusselbärtiger Mittzwanzigerhipster aus dem Schanzenviertel: „Ich nehme die Brötchen. Die können Sie ruhig anfassen. Mir macht das nichts.“

So, meine Damen und Herren, kann ich nicht arbeiten.

Statt mir im Dienst des Überlebens der Menschheit hygienetechnisch den Rücken zu stärken, riskiert der Schanzenfusselbart eine Erhöhung der durchschnittlichen deutschen Mortalitätsrate, nur um cooler zu wirken als ich.

Der Typ will mich eindeutig als Spießer dastehen lassen, und das gelingt ihm auch, zumindest in den Augen der genervten Schlange und der innerlich augenrollenden Kiezbäckerverkäuferin.

Doch wie auch immer: Da muss man durch als geistiger Bruder Jerry Seinfelds. Und am Ende kriege ich meine etepetete mit der Zange herausgeklaubten unkontaminierten Brötchen und sehe ihn, den Hipster, vorm geistigen Auge auf dem Sterbebett pickelgesichtig Blut husten.

Zu Hause stärkt mir Ms. Columbo, die eins der Brötchen immerhin inkorporieren muss, argumentativ den Rücken. Und alles andere ist auch völlig unwichtig, dass das mal klar ist.


PS: Das Foto zeigt in Ermangelung einer treffsichereren Illustration nicht die Fassade des Kiezbäckers, sondern irgendeines Standesgenossen aus Eppendorf.


 

 

16 Februar 2014

Kein Interesse


Heute flohen wir vorm einsetzenden Regen auf einen Tee bzw. Espresso in ein Kneipencafé in der Markstraße. 

Hinterm Holztresen empfing uns eine desinteressierte Schnepfe mit der typischen Schnute einer Soziologiestudentin, die diesen Scheißbedienungsjob nun mal tun MUSS, weil Papa nicht genug Kohle springen lässt für bedingungsloses Rumstudieren. 

Ms. Columbo nahm die den Raum füllende Muffelaura indes mit erheblich mehr Gleichmut hin, als es eigentlich logisch gewesen wäre. Denn so was hat auch Vorteile. Statt sofort von einer überaufmerksamen Bedienung bereits beim Ablegen der triefenden Mäntel mit einem Bestellaufnahmewunsch behelligt zu werden, durften wir in aller Ruhe ablegen, die Getränkekarte in Augenschein nehmen, den ranzigen Muff der Inneneinrichtung beschnuppern und die – kaum dass wir Platz genommen hatten – plötzlich durchs Fenster hereinflutenden Sonnenstrahlen genießen.

Als die Tresentrulla dann schließlich unwillig herbeigeschlurft kam und mit ins Nirgendwo schweifendem Blick unsere Tee-, Espresso- und Kuchenwünsche entgegennahm, waren die Mäntel schon wieder trocken.

Vorgestern hatten wir bereits ein Erlebnis, welches durch das gemeinsame Band des Desinteresses auf wundersame Weise verknpüft ist mit der Marktstraßenschnepfe. Wir waren am Fuß der Wexstraße auf ein Brot- und Brötchendepot gestoßen, welches für auf Straßen herumliegende Lebensmittel eine erstaunliche Güte und Unversehrtheit aufwies. Die Körnerlaibe hatten sogar noch unbeschädigte Banderolen, wie auf dem Beweisfoto oben gut zu erkennen ist. 

Warum sich aber nicht schon längst Abertausende von Tauben heiß und innig für diese unverhoffte Ladung Manna interessierten, kann mit einem unterfinanzierten Soziologiestudium wohl kaum hinreichend erklärt werden.

03 Januar 2014

Nahe null


Trotz aller Bemühungen, an denen ich Sie in der Vergangenheit regen Anteil nehmen ließ, verfügen wir immer noch über Restbestände an Büchern. Manchmal verschlechtert sich die Lage sogar – vor allem, wenn ich Weihnachten bei meinem Eltern verbringe und den Fehler begehe, auf den Speicher hinaufzusteigen. 

Dort lagern weiterhin mehrere Zentner Druckwerke aus der ersten Hälfte meines Lebens, doch meinen Eltern wäre es lieber, wenn dieser Zustand sich allmählich und endgültig änderte. Also kehrten wir vom Weihnachtsbesuch mit einer Tasche Bücher zurück, deren Onlineauktionseignung ich in Hamburg zu überprüfen gedachte. 

Darunter befand sich auch ein altes Buch mit hessischen Volksliedern, voll mit erbaulichen Moralballaden, die am Ende meist betonen, wie hilfreich unbedingtes Gottvertrauen sich gemeinhin aufs weitere Leben auswirkt. Das Buch ist eine Erstauflage von 1894, gut erhalten, mit immer noch stabil verklebten Buchdeckeln, ohne lose Seiten und bei Amazon mit beeindruckenden 40 Euro im Angebot. 

Flugs stellte ich mein Exemplar zum gleichen Preis wie das billigste Konkurrenzangebot dazu und harrte der Dinge. Fast ebenso flugs wurde ich um einen Cent unterboten. Ich zog umstandslos gleich. Der Konkurrent ging erneut einen Cent drunter, ich blieb milde gestimmt und zog wieder gleich; schließlich hatte ich kein Interesse an einem ruinösen Dumpingwettbewerb. 

So ging das eine ganze Weile hin und her, bis mir dämmerte, dass die jeweils prompte Reaktion meines Duellanten nur botgesteuert möglich sein konnte. Anscheinend hatte er ein hirnrissiges Tool im Einsatz, das automatisch das niedrigste Angebot um einen Cent unterbot – ohne zu bedenken, was unvermeidlicherweise geschähe, wenn sich auch irgendein anderer jenes Instruments bediente: Der Preis sänke – sofern kein heimlich festgelegter Mindestbetrag die fatale Entwicklung stoppte – binnen kurzem gen null.

Also beschloss ich den dumpfen Bot zu überrumpeln und senkte den Preis meiner erbaulichen hessischen Volkslieder schlagartig auf zwei Cent. Diese Aktion war freilich nicht ohne Risiko, denn jeder volkskundlich Interessierte musste sich augenblicklich alle zehn Finger nach diesem Schnäppchen lecken und zuschlagen. Inklusive Versandkosten erwürbe er die Rarität für 3,02 Euro, und das ist nun wirklich zu wenig für den Lobpreis unbedingten Gottvertrauens aus dem späten 19. Jahrhundert. 

Doch es klappte: Der rumpeldumme Bietautomat des Konkurrenten brauchte nur fünf Minuten, um sein Angebot auf einen Cent runterzuprügeln. Natürlich kaufte ich sein Buch sofort. 

Seither dämmert mein Exemplar friedvoll und unbehelligt einem interessierten Käufer entgegen. Die 39 Euro, die er dafür zahlen müsste, wären für Genreliebhaber immer noch ein echtes Schnäppchen. 

Übrigens nahm ich an, dass der von mir und seinem eigenen Bot ausgetrickste Konkurrent mich anmailen und die Unauffindbarkeit seines Exemplars heucheln würde, um ein Storno zu erwirken. Doch nichts da: Heute hat er’s schon verschickt. Angeblich. 

Bald werde ich, der eigentlich weltweit größte Bücherabschaffer von ganz St. Pauli, also doppelt so viele Exemplare dieses historischen Meisterstücks zu Hause verwahren dürfen. Und wahrscheinlich werde ich keins der beiden je wieder los. 

Ich meine: Wer interessiert sich schon für hessische Volkslieder von 1894? Also ich nicht.


20 Dezember 2013

Cezary und Brutus

Eigentlich wollte ich bei den Hamburger Wasserwerken am Ballindamm nur eine Probenflasche zum Testen unserer Bleiwerte abholen, aber um die Ecke liegt nun mal eine Saturn-Filiale. 

Nach Hause kam ich demzufolge nicht nur mit der Probenflasche von Hamburg Wasser, sondern auch mit einem 47PFL7008K/12. Das ist ein 3D-Fernseher. 

Was hier beim Darniederschreiben so unverhofft und plötzlich klingt, war allerdings das spontane grande Finale eines über Monate gereiften Entscheidungsprozesses. Der alte Plasmatrumm zu Hause tat’s schon länger nicht mehr richtig; außerdem verantwortete er gefühlte acht Prozent des jährlichen deutschen Energieverbrauchs. Anders gesagt: Eine Heizung brauchten wir im Wohnzimmer eigentlich nicht mehr, wenn der Plasma rötelte. 

Jetzt stand ich jedenfalls unversehens mit einem 47PFL7008K/12 vorm Lager von Saturn und wartete auf das Taxi, das ihn und mich nach St. Pauli karren sollte. Ihm entstieg – nach 20 statt der telefonisch angekündigten sieben Minuten – ein grauhaariger Pole mit Schnauzer und dem kaiserlichen Namen Cezary, der mich nach dem Hineinwuchten des 47PFL7008K/12 umstandslos über die Dummheit der Leute im Advent aufklärte. 

„Läutä sind dumm“, kommentierte er mit großer Ernsthaftigkeit das Wuseln und Treiben da draußen, „jäddes Jahr Gleiche! Jäddes Jahr!“ Stumm nickte ich, während ich verstohlen das Taxameter im Auge behielt. „Helfen Sie mir  für einen Fünfer extra den Fernseher in den zweiten Stock tragen?“, fragte ich ihn vorm Haus. 

Ich hatte mit einem dank zusätzlicher Verdienstaussichten freudigen Aufblitzen in Cezarys Augen gerechnet, doch sie wurden skeptisch und schmal. „Nur mit Pausän“, grummelte er. „Klar“, versicherte ich. „Aber Sie müssen auch nicht.“ „Doch, ist ägal“, winkte er unwirsch ab und schälte sich aus dem Wagen.

So richtig gut beeinander wirkte er in der Tat nicht mehr. Der sitzende Beruf und generell zu wenig Bewegung, deren fatalen Effekt auf seinen Energiehaushalt er augenscheinlich mit zu vielen Pirogi zu potenzieren versucht hatte – all das führte dazu, dass Cezary über Gebühr ächzte beim Weg nach oben.

Und als auf der vorletzten Stufe der 47PFL7008K/12 auch noch durch den Karton brach, weil das verfluchte Saturn ihn auf der Unterseite nur liederlichst verklebt hatte, und wir das Gerät im letzten Moment mit vereinten Kräften vorm Absturz durchs Treppenhaus bewahren mussten, da spürte ich, wie Cezary nicht nur mich, sondern auch den Fünfer verfluchte, den er so leichtfertig angenommen hatte. 

Mein Dank, der ihm treppab folgte, war deshalb weniger überschwänglich als schamgeschwängert, zumal ich sein Keuchen und Röcheln noch eine ganze Weile verebbend mitanhören musste. Nicht, dass ich ungewollt noch zu Cezarys Brutus werde.

Der 47PFL7008K/12 jedenfalls hat alles unbeschadet überstanden. Ich sollte einen Teil der Anschaffungskosten auf Hamburg Wasser abwälzen. Mal schauen, wie wohlwollend sie dieser Idee gegenüberstehen, wenn ich morgen die Probe abgebe. Scherz!

15 Dezember 2013

Das Blaue vom Himmel

Des Franken neue Freundin zieht es unverständlicherweise zu ihm in den Norden. Also brauchte er Leute, die beim Umzug helfen. 

Kramer und ich waren leider nicht schnell genug auf den Bäumen, also wurden wir vom Fleck weg dienstverpflichtet. Um die trübe Lage zu beschönigen, versprach uns der Franke das Blaue vom Himmel herunter, nämlich: 

1. selbstgemachte Frikadellen à la Schömel, die in Form und Größe in die Hand passen wie die Brüste einer Frau
2. trockenes Wetter
3. eine pipisimple Einlagerung des Krimskrams per Aufzug

Statt aufs Blaue vom Himmel lief es am Ende aber – wie natürlich a priori abzusehen – volle Lotte aufs Graue vom Toten Meer hinaus: 

1. Chili con Carne 
2. Nieselnässe
3. vielfaches Besteigen eines vierstöckigen Treppenhauses
4. Muskelkater am Tag danach

Immerhin mundete das Chili con Carne vorzüglich, und an sedierendem Abschlussbier ließ es der Franke ethnisch bedingt ebenfalls nicht mangeln. Auch der Zwischengang vorm Umzug (Weißwürste mit Brezen und Händlmaiers süßem Senf) schien zunächst zu seinen Gunsten zu sprechen, doch zu diesem Zeitpunkt wussten wir auch noch nichts von den vier Stockwerken.

Beim nächsten Mal hab ich a priori Rücken, aber so was von.

PS: Das abgebildete Sofa dient nur der beispielhaften Illustration. Jenes, das wir transportieren mussten, war in erheblich desolaterem Zustand – ein Anblick, den ich Ihnen allen nicht zumuten wollte.

20 November 2013

So nah und doch so fern


Ungefähr einmal die Woche kehren der Franke und ich mittags beim Büffetinder ein, füllen uns zwei-, dreimal die Teller und wechseln danach pappsatt ins benachbarte Torrefaktum, um mit einem Espresso der drohenden nachmittäglichen Verdauungsträgheit präventiv entgegenzuwirken. 

Das Torrefaktum gibt Bonuskarten aus. Wenn man zehn Espressi getrunken hat, bekommt man den elften umsonst. So weit die Theorie. Die Praxis vor Ort erwies sich nun als erheblich trüber: Handwerker statt Barista, Leitern statt Kaffeemühlen, Leere statt Espresso.

Mein elfter also verfällt ersatzlos. Und ich war sooo nah dran. Aus Frust gehe ich jetzt auf eine Schiffsreise – mit Ms. Columbo und vorab gebuchter Espressoflatrate.

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