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07 März 2024

Fundstücke (262)

Der Moment, wenn du erkennst, dass deine Terrorgruppe endgültig gescheitert ist. 

Entdeckt auf dem St.-Pauli-Nachtmarkt.


01 Februar 2024

25 Dezember 2023

19 Dezember 2023

Auf den Straßen von St. Pauli

Manches, was hier in der Seilerstraße so herumliegt, wirkt kieztypisch, etwa der damenlose Büstenhalter. Er wirkt ein wenig wie wütend entsorgt. Die Geschichte dazu würde mich interessieren, und ich ersuche Sie dringend, diese in erforderlicher Ausführlichkeit in den Kommentaren zu schildern.



Anderes mutet eher überraschend an – wie etwa die handliche Bibelausgabe im Fahrradkorb. Fahrradkörbe werden hier auf dem Kiez übrigens recht oft für Mülleimer gehalten. Ich weiß nicht, wie man diesem Irrtum aufsitzen kann; normalerweise lernt man die Unterschiede schon recht früh im Leben.


Die Stolpersteine in unserer Straße wurden nach dem bestialischen Massaker der Hamas in Israel von einem kleinen Schutzwall aus Grablichten umgeben. Inzwischen trotzen sie wieder unumsäumt Wind, Wetter und Antisemitismus.



Die tote Kieztaube hat ihr Dahinscheiden wohl der einen Zigarette zu viel zu verdanken. Alle Indizien sprechen dafür.



Es ist gewiss nur Zufall, dass das „Zu verschenken“-Schild neben einem völlig intakten und scheckheftgepflegten Mittelklassewagen herumliegt. Sonst wären seine Türen doch bestimmt – ähem – nicht verschlossen gewesen.
 


24 November 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (201)

Als ich heute auf dem Weg nach Hause die schwarze Novemberwolkenwand hinterm Riesenrad aufragen sah, während von vorne die Sonne eine Gondel links zum Erstrahlen brachte, trat ich justament auf die Bremse, stieg ab und fotografierte dieses stimmungsprachtvolle Bild.

Allerdings führten genau die dreißig Sekunden, die mich die Fotosession kostete, dazu, dass mich die schwarze Wand noch erwischte, bevor ich die Haustür erreichte. 

Egal: Es war nur Wasser. Und das hier ist für die Ewigkeit.


14 Oktober 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (200)

Es ist ja schon zum Fremdschämen, wenn Hamburger sich nicht entblöden, in Dirndl und Krachlederner ein „Oktoberfest“ in der Fischauktionshalle aufzusuchen.

Wenn aber just dann eine Sturmflut kommt und all die Pseudobayern sich draußen ratlos das Dekolletee und ihre weißen Waderln verkühlen, weil die Halle überschwemmt ist und sie nicht reinkönnen, dann ist das sogar zum Fremdhämen.


28 September 2023

20 August 2023

Fundstücke (259)

Dieser prachtvolle Lincoln Continental steht im Automuseum Loh Collection aufm Dorf in Hessen. Sinnigerweise wird er dort als der Wagen vorgestellt, den John F. Kennedy „zuletzt lebend verließ“. Das war am 22. November 1963 vormittags. Und in der Tat: Am selben Tag stieg JFK in eine dunkelblaue Variante des Lincoln um, tja, und dann kam Lee Harvey Oswald. Das dunkle Modell haben die USA aber ganz offensichtlich nicht rausgerückt, weshalb der autosammelnde Milliardär Friedhelm Loh zähneknirschend „nur“ das weiße anschaffen konnte. Deshalb musste er das Ausstellungsstück argumentativ ein wenig pimpen. Trotzdem auratisch, das Teil – am Wochenende selbst getestet. 

Ein Blogleser hat sich vom Foto eines Portals in Inverness aus diesem Eintrag zu einer – wie man sieht – sehr gelungenen Tuschezeichnung inspirieren lassen. Und da er mir postalisch sogar das Original vorbeischickte, hat nun unsere Bilderwand im Flur Zuwachs bekommen. 

Fußball spielt auf dem Kiez durchaus eine Rolle, für manche offensichtlich sogar eine derart wichtige, dass sie sich deswegen selbst das Betreten ihrer Loggia versagen. Entdeckt am Fischmarkt.


Apropos Fischmarkt: Hier präsentiere ich mit Stolz und Freude ein Sonntagmorgen-um-halb-zehn-Schnäppchen für insgesamt drei Euro. Und das Beste (und die große Ausnahme): keine verschimmelten dabei! 


30 Juli 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (198)


Die Ruhe vor dem Sturm am Millerntorstadion – am Samstag gegen die Fortuna 
wird es hier ganz anders aussehen.


03 Juli 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (197)

Mit Sicherheit der weltweit rollstuhl-, doppelkinderwagen- 
und Body-Positivity-freundlichste Gehweg von ganz Hamburg.

Entdeckt in der Clemens-Schultz-Straße, St. Pauli.


27 Juni 2023

Wir haben aufgerüstet


Seit anderthalb Jahrzehnten währt er nun schon, unser epischer Kampf gegen die Kieztauben. Seit heute hat dieser Konflikt seine nächste Evolutions- beziehungsweise Eskalationsstufe erreicht.

Denn ich habe eine Wasserspritzpistole angeschafft, und, verdammt, ich werde sie benutzen!

Mit seinem Achthundert-Milliliter-Magazin und einem Pumpstrahl von zehn Metern Reichweite vermag das Modell der Marke Paochocky, wie ich hoffe, eine ausreichend verheerende Wirkung auf die Taubenpsyche zu erzielen. Aber auch nur auf die, denn körperliche Schäden haben die Gluckscheißer nicht zu befürchten.

Ich bin ja kein Unmensch. Nur dauersauer und deshalb willens, die Vögel möglichst nachhaltig zu vergrämen – zumal sie auf empörte Zischlaute, explosives Klatschen und andere sonische Kampfmittel schon lange nur noch so reagieren wie Friedrich Merz auf die inständige Bitte, sich vom Acker zu machen: gelangweilt.

In der Tat orientierte sich die ekle Taubenschar, was mich angeht, zuletzt immer deutlicher an Karl Valentin und seinem zeitlosem Rat: „Des ignoriern ma net amoi!“ Parallel dazu arbeitete sie zudem erfolgreich am Abbau ihres Gespürs für soziale Distanz, was sich erst kürzlich in einem paarweise vorgenommenen Besuch unseres Wohnzimmers niederschlug.

Schreiend und mit dreschflegelartigen Armbewegungen bat ich die beiden zu gehen, was auch gelang. Leider nur recht geringe Befriedigung vermochte ich dabei aus der Tatsache zu ziehen, dass eine der beiden Vertreterinnen der Art Columba livia forma domestica bei ihrer widerwilligen Flucht erst einmal Kopf voran gegens Balkonfenster krachte.

Statt aus diesem Vorfall nun – wie es jeder mittelclevere Vogel getan hätte – den Schluss zu ziehen, unser Territorium künftig zu meiden, hockten die Terrorgurrer bereits kurze Zeit später wieder balzend auf unserem Geländer und schissen wohlig auf Sonnenschirm und Balkonmöbel.

All das dürfte Ihnen verdeutlichen, warum ich nach siebzehn zehrenden Jahren endlich entscheidend aufrüsten musste. Seit gestern liegt also eine Paochocky-Wasserspritzpistole im Hängegitter für Pflanzentöpfe, welches am Balkongeländer angebracht ist, parat und fiebert dort dem ersten Kampfeinsatz entgegen. Und ich noch mehr.

Allerdings gibt es ein Problem. Seitdem nämlich lässt sich – Stand heute – keine Taube mehr blicken. Wirkt meine Paochocky etwa ähnlich wie Atombomben in der Geopolitik: Es reicht, sie zu zeigen, um sicherzustellen, dass niemand sie einsetzt? Klar, das wäre die beste Lösung für uns alle, vor allem für sie. Aber wahrscheinlich beratschlagen sie einfach nur, was nun zu tun ist.

„Morgen Mittag“, prophezeiht Ms. Columbo, „ist die Pistole bestimmt vollgekackt.“



 

26 Mai 2023

Wir haben uns vergiftet

Als ich in Planten un Blomen gerade Bärlauch in der Blüte seines Lebens pflücke, stoppt neben mir ein Fahrzeug der Parkverwaltung. Zwei Frauen in Arbeitsklamotten sitzen darin, und ich befürchte das Schlimmste: dass sie mir die Ernte untersagen. Für uns ist die Bärlauchsaison nämlich quasi die fünfte Jahreszeit, eine paradiesische Phase zwischen Frühling und Sommer, in der wir uns mehrfach die Woche dem Genuss des – wie der Österreicher sagt – Latschenknofels widmen, meist in Form eines Salats. Soll das nun alles vorbei sein? Weil mich die Gärtnerinnen erwischt haben? Die Fahrerin beugt sich aus dem Fenster. „Sie wissen schon, dass Bärlauch giftig ist, wenn er blüht?“

Ich glaube mich verhört zu haben. Seit vielen Jahren ernten wir das köstliche Wildgemüse und sehen seiner Blühphase stets besonders vorfreudig entgegen. Zwar bedeutet sie einerseits das baldige Ende der fünften Jahreszeit, andererseits sind gerade die Bärlauchblüten von besonderer Schmackhaftigkeit. Noch intensiver als die inzwischen gar zu großen Blätter konzentriert sich in ihnen das knoblauchähnliche Aroma, und zudem trägt ihre weiße Pracht beträchtlich zur ästhetischen Veredelung von Ms. Columbos Salatkompositionen bei. Kurz: Wir lieben Bärlauchblütentage!

Das Wort Gift nun in einem nahtlos vorgetragenen Satz gemeinsam mit dem Wort Bärlauch zu vernehmen: Das irritiert mich. Und ich kann auch eine gewisse Verunsicherung nicht leugnen, denn wen habe ich hier vor mir? Eine hauptberufliche Gärtnerin! Gleichwohl lebe ich noch, was mich zur Gegenrede ermuntert. „Wie bitte?“, leite ich nach dem ersten Schreck (und der Erleichterung, dass sie mir anscheinend die Ernte nicht grundsätzlich untersagen möchte) meinen Einwand ein: „Wir verzehren Bärlauch seit Jahren, auch die Blüten, und vertragen alles bestens.“

„Ich sag’s ja nur“, rechtfertigt sich die Frau und lächelt bedauernd. Wenn ich also nachher tot umfalle, das soll mir wohl ihr gelächeltes „Ich sag’s ja nur“ mitteilen, dann ist keinesfalls sie schuld. Denn sie hat’s ja nur gesagt. Und sie ist die Expertin. Wobei ich an dieser Stelle betonen muss, ein glühender Anhänger des Expertentums zu sein. Während der Pandemie habe ich auf Virologen vertraut und nicht auf die YouTube-Universität, und bei Stromproblemen rufe ich den Elektriker, nicht den Klempner. Ja, ich mag Fachkräfte, und diese Frau hier betreut einen öffentlichen Park, sie wird doch wohl wissen, wovon sie spricht, nicht wahr.

Andererseits: Ich lebe noch.

Nach ihrem „Ich sag’s ja nur“ ist die Sache für die Gärtnerin erledigt. Sie und ihre Kollegin, die stumm geblieben ist, fahren weiter und überlassen mich meinem Schicksal – also Tod und Verderben. Zu Hause wird natürlich sofort gegoogelt. Eine fachlich kompetent wirkende Infoseite bestätigt mich vollumfänglich und blamiert die Gärtnerin: Viele Menschen glaubten, heißt es dort, dass Bärlauch zur Giftpflanze mutiere, sobald er blüht. „Doch das stimmt nicht.“

Das und die hervorragende Verträglichkeit des Bärlauchgiftes beweisen gerichtsfest: Was die Gärtnerin mir erzählt hat, ist Quatsch. Florales Querdenkertum. Mein unerschütterlicher Lobpreis des Expertentums, von dem mein Freundeskreis augenrollend Zeugnis ablegen kann, wirkt plötzlich schal. Ich meine: Diese Frau verdient ihr täglich Brot mit der Botanik, gleichwohl trötet sie Humbug über ein unschuldiges Wildgemüse in die Welt hinaus? Das ist ja ungefähr so, als glaubte ein Astronom an Astrologie. Oder ein Chemiker an Homöopathie.

Natürlich haben wir trotz alledem und gerade deshalb auch diese Portion Bärlauchblätter und -blüten zu einem köstlichen Salat verarbeitet – und ihn mühelos überlebt. Morgen geh ich wieder hin, vielleicht zum letzten Mal in dieser Saison. Denn die fünfte Jahreszeit ist schon fast wieder vorbei, es ist ein Jammer.




26 April 2023

Nur Luden sterben arm

Neulich fragte mich ein Blogbesucher nach meiner Meinung zur Amazon-Prime-Serie „Luden – Könige der Reeperbahn“, und ich musste gestehen, sie bisher nicht gesehen zu haben. Mein Interesse hält sich – nach allem, was ich darüber gelesen habe – auch in Grenzen. Noch eine Serie, die Zuhälter als irgendwie cool und ihren Lifestyle als erstrebenswert darstellt? Das macht so müde.

Zudem bin ich auch als Betreiber eines Blogs namens „Rückseite der Reeperbahn“ nur unzureichend kompetent, um eine Fiktionalisierung glaubhaft mit der Kiezrealität abgleichen zu können. Es gibt ja (mindestens) zwei St. Paulis: das Rotlichtmilieu und das Wohnviertel. Und ich tummle mich seit einem Vierteljahrhundert ganz überwiegend in Letzterem.

Meine Berührungspunkte mit dem Rotlicht sind an einer Hand abzuzählen. Einen echten Luden habe ich zum Beispiel nie kennengelernt. Ich sehe ab und zu Corvettes und Lamborghinis in der Straße parken (hier ein Bild von letzter Woche), aber gehören sie auch wirklich einer Rotlichtgröße? Gerichtsfeste Beweise fehlen. Bei einem Bier im La Paloma lernte ich mal eine Prostituierte kennen, die gerade Pause machte und mich und meinen Begleiter um eine Cola anschnorrte. Sie erzählte uns von ihrer Jugend in Ostdeutschland, was sie nach Hamburg verschlagen und wie sie ein Auskommen im Rotlichtviertel gefunden hatte. Eine freundliche junge Frau, die sich für die Cola bedankte und wieder zurückging an die Arbeit in der Davidstraße.

Persönlich kenne ich nur die nicht nur leicht schillernde Kiezgröße Kalle Schwensen. Der Kontakt kam beruflich zustande. Ich war Musikjournalist, und Kalle hatte die wiedervereinigten Tic Tac Toe am Start. Zeitweise informierte er mich via Facebook über seine Veranstaltungen wie Freistilboxen und Ähnliches.

Zweimal bin ich Kalle Schwensen in natura begegnet, und seither meide ich den Kontakt – vor allem deswegen, weil sein größter Ehrgeiz darin zu bestehen scheint, einem bei der Begrüßung den Mittelhandknochen zu brechen. Muss nicht sein. Auch dass er als selbst ernannter Welterklärer zuletzt mit Corona-Verschwörungsfantasien verhaltensauffällig wurde und Wolodymyr Selenskyj und Annalena Baerbock für europäische Großverbrecher hält (nicht aber Putin), spricht kaum dafür, den Kontakt zu reaktivieren.

Im Fitnessstudio begegnete mir ab und zu mal Inkasso-Henry, der in seiner großen Zeit für Luden Geld eintrieb. Henry ächzte und keuchte beim Bankdrücken wie ein Pottwal mit Katarrh. Irgendwann tauchte er nicht mehr auf, und dann las man Nachrufe auf ihn – wie jetzt auf den einstigen Nutella-Gang-Luden Klaus Barkowsky, der gestern früh vom Balkon seiner Wohnung in Altona gesprungen sein soll. Unter anderem seine Geschichte erzählt die erwähnte Amazon-Prime-Serie.

Was auffällt bei solchen Geschichten über Kiezgrößen, die sich einst die Zigarren mit Hundertmarkscheinen anzündeten: Die meisten (oder alle?) wurden arm, und sie sterben arm. Wo sind all die Millionen hin, die junge Frauen auf St. Pauli für sie erwirtschaftet haben? Jede Ludengeschichte, die ich je gehört habe, endet traurig, tragisch, deprimierend. Die Serie „Luden – Könige der Reeperbahn“ dürfte diesen Aspekt ihres Lifestyles aussparen. Aber wie gesagt: Ich habe sie nicht gesehen.

Wer sich hingegen bis heute mit cleveren Aktivitäten immer über Wasser halten konnte, ist Kalle Schwensen. Aktuell betreibt er einen anscheinend gut frequentierten Sadomasoklub in der Erichstraße. Aber Kalle ist ja auch kein Lude. Vielleicht bietet das die beste Chance, auf St. Pauli nicht arm zu sterben.



20 März 2023

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (192)

Welch kulinarische Verlockung sich hinter dem Rollo verbirgt – und dass es sich um eine solche handelt, dafür steht allegorisch der beleibte Koch links –, entzieht sich meiner Kenntnis. 

Dazu müsste ich erneut vorbeischauen, wenn der Rollo oben ist – sofern dies überhaupt noch einmal der Fall sein wird in diesem Leben.

Vielleicht will ich das alles aber auch gar nicht so dringend wissen.

Entdeckt am Nobistor.


14 Dezember 2022

Die gemütlichsten Ecken St. Paulis (181–189)


Tanzende Türme, Reeperbahn


Komet, Erichstraße


Paradise of Sex, Reeperbahn


Renovierungsstau, Reeperbahn


S-Bahn Reeperbahn


Schmuckstraße


Irgendwo auf St. Pauli


11 Dezember 2022

Die Rückseite der Reeperbahn brennt

Um Viertel vor eins heute Morgen höre ich, wie eine Frau „Hilfe!“ schreit. Ich eile zum Balkon – und sehe das Haus gegenüber brennen. Menschen sitzen in den Fenstern der vierten Etage und schreien, hinter ihnen Flammen oder dichter schwarzer Rauch, der in den frostigen Kiezhimmel steigt.

Ich wähle die 112. Nicht ein einziges Freizeichen ist zu hören, sofort ist jemand dran. Ich schildere die Lage, die Hilferufe von gegenüber werden live in die Notrufzentrale übertragen. Im Hintergrund klackern Finger über eine Tastatur; noch während wir reden, geht der Einsatz los.

„Wie lange dauert das?“, schreit es von drüben, „Wann kommen die?“. Rufe in Todesangst, auch wütend, vorwurfsvoll, panisch.
„In einer Minute!“, rufe ich zurück, obwohl ich es nicht genau weiß.

Ein Mann, der die Hitze hinter sich nicht mehr aushält, hat sich außen ans Fensterbrett gehängt und lässt sich fallen. Zwei Etagen tief stürzt er und prallt aufs Vordach in Höhe des Erdgeschosses. Er kriecht an den Rand und bleibt dort hocken, ein schweigender Schattenriss vorm Flackern der Flammen, die bald darauf hoch aus dem Fenster schlagen, durch das er eben erst gestürzt ist.

Nach ungefähr fünf unendlichen Minuten ist die Feuerwehr da. Mit einem Rammbock durchbrechen Uniformierte in Signalwesten die Tür zum Innenhof und ziehen einen Schlauch hinein. An den Fenstern im brennenden Haus sitzen um ihr Leben fürchtende Menschen. Sie leuchten mit Taschenlampen ins Dunkel, um auf sich aufmerksam zu machen.

Es dauert ewig, bis das erste Wasser fließt. Es dauert noch länger, bis die ersten Leitern stehen. Hinter einem Mann wüten bereits die Flammen bis zur Decke, als er es endlich schafft hinauszuklettern. Aus der Nachbarwohnung quillt schwarzer Rauch, dort holt die Feuerwehr eine Frau heraus, die einige Minuten später, von einem Sanitäter gestützt und barfuß, in Sicherheit gebracht wird.

Die Rückseite der Reeperbahn hat gebrannt, und ich bin bis obenhin voll mit Adrenalin. Es wird, wie sich herausstellt, Stunden dauern, bis es vom Melatonin verdrängt wird. Wie erst muss es denjenigen ergehen, die heute Nacht eine halbe Ewigkeit nicht wussten, ob die Retter rechtzeitig da sein würden? Wird ein Trauma sie quälen für den Rest ihres Lebens?

Sieben Verletzte gab es, steht heute in der Zeitung. Keine Toten.



03 Dezember 2022

Fundstücke (258)

Die im linken Foto dokumentierte Situation präsentierte sich mir heute in der Glacischaussee. Anscheinend erprobte dort die letzte Generation der Autofahrer erste Protestaktionen gegen Fahrradnutzer. Der Wagen war übrigens nicht etwa am Rangieren, wie man aus der Ferne vielleicht vermuten könnte, sondern in der Tat geparkt.

Nur wenige Dutzend Meter entfernt davon – am Millerntorstadion –  entdeckte ich ein weiteres Fundstück mit Verkehrsbezug: den Entfluchtungsweg

Wenn Sie jetzt das denken, was ich auch gedacht habe, nämlich: Haha, was für ein Bürokratenblähdeutsch zum Fremdschämen, warum sagen die nicht einfach Fluchtweg wie jeder andere auch?, dann verordne ich Ihnen (wie mir), das Wort einmal im Duden nachzuschlagen. Und siehe da: Es steht einfach so dort herum und wird ordnungsgemäß erläutert mit „Fortführung von Menschenmengen aus einer Gefahrenzone bei Großereignissen oder in Notfällen“.

Bitte integrieren Sie (wie ich) dieses Wort in Ihren Wortschatz, danke.