23 November 2006

Fußball auf Fränkisch

Mit dem Franken in einer Kneipe Champions League zu gucken, ist ein schwieriges Geschäft. Wenn gerade seine Bayern nicht spielen, verfällt er nämlich in eine konsequente Muffelstarre. Vor allem dann, wenn Bremen spielt.

Halbkreisförmig und mit aufgestütztem Kopf sitzt der Franke dann trübe da. Meist schweigt er, nur manchmal purzelt ihm feindseliges Gegrummel aus dem Mund.

„Hühnerhaufen“, wirft er etwa mit müdem Triumph in die desinteressierte Runde, wenn die Bremer eine Kombination des Gegners nicht augenblicklich stoppen können. „Kein Foul“, kommt es unvermittelt aus dem fränkischen Muffelzentrum, wenn beispielsweise Frings gerade einen Ellenbogen ans Jochbein gerammt bekommt.

Und unser Jubeln und Klatschen beim Siegtor kommentiert er mit: „Die können euch nicht hören. Ihr seid albern.“ Aber glücklich!, erläutere ich dem Griesgram frohgemut. Und erinnere ihn an gemeinsame Momente im Wohnzimmer beim Konsum meist öder Bayernspiele, als sein zartfühlendes „Hau ihn um!“-Geschrei Richtung Fernseher noch lange durch die Häuserschluchten St. Paulis hallte, trotz der geschlossenen Fenster.

Auch sah ich ihn schon bei Toren auf der richtigen Seite zutiefst aufgewühlt vom Freischwinger rutschen und ein animalisches „Jaaaaaa!“ brüllen, welches von einer Provenienz war, für die er sich jedesmal hinterher entschuldigen zu müssen glaubte. Zurecht übrigens – schließlich musste ich weiter mit den Nachbarn leben, nicht er.

Werder Bremen gewann heute Abend wirklich gegen Chelsea, und im Kiez-Beach an der Reeperbahn herrschte selige Ausgelassenheit. Nur im Zentrum des Glücks hockte ein pechschwarzes Loch, und es kam aus Franken.

Ich gestehe: Dieser Anblick verdoppelte meine Freude über Bremens Coup. Aber sagt's ihm nicht, sonst kommt er nächstes Mal nicht mehr mit.

Die bisherigen Teile der Frankensaga
19. Der Kulturstoffel 18. Fußball auf Fränkisch! 17. Auhuuu! 16. Die Bettelblickattacke 15. Der Franke bleibt störrisch 14. Der unvollendete Panini-Coup 13. Duck dich, Sylt! 12. Auf Partypatrouille 11. Laggs auf vier Uhr 10. Der Franke ist überall 9. Die Greeb-Pfanne 8. Erste gegen dritte Liga 7. Die verspätete Riesenkartoffel 6. Der historische Tag 5. Der Alditag 4. Der Faschingskrapfen 3. Der Klozechpreller 2. Der Dude 1. Das Alte Land


22 November 2006

Stimmt

Am Montag kam der Spiegel mit einer Afghanistan-Story und dem Slogan „Die Deutschen müssen das Töten lernen“ auf den Markt.

In Emsdetten lief derweil der waffenstarrende Sebastian Bosse Amok, und dpa meldete 27 Verletzte.


Wäre man Zyniker, müsste man sagen: Am Spiegel-Slogan ist was dran – und „Counterstrike“ als Tötungstrainer ein Flop.

19 November 2006

Kleinkrieg der Knöpfe

Mein Kraftbuch spinnt. Genauer gesagt die Tastatur. Abwechselnd pausieren Tasten. Es begann mit dem H. Als es wieder ging, verabschiedete sich das B. Und ureit ist es ein Buchstabe, den ich naturgemäß gerade nicht tippen kann, der sich aber anhört wie „ts“. Es ist, als bräuchten sie nacheinander Urlaub – und nähmen ihn sich auch.

Wahrscheinlich gewährt jede Taste einem kleinen Bewohner Obdach, der immer, wenn sie angeschlagen wird, hochhuscht hinters Display, sein gants persönliches Tseichen von hinten auf die Scheibe klatscht und wieder tsurückhuscht unters heimelige Dach seines Tastenhäuschens. Und wenn ich die Löschtaste drücke, flucht er, rast wieder hoch und radiert sein Tseichen wieder aus.

Dieser Job ist wahrscheinlich schlecht betsahlt, selbst als E, obwohl du als Tastenbewohner immer in Bereitschaft sein musst, sogar nachts. Kein Wunder, dass der Wunsch nach Urlaub mit der Tseit ins Unermessliche steigt – und irgendwann einfach mal umgesetst werden muss.

Nach heißen Diskussionen im Untergrund konnte offenbar tsunächst das H seine Erholungsbedürftigkeit am schillerndsten schildern, weshalb es als Erstes abdampfen durfte. Nach seiner Rückkehr sagte das B für eine Woche tschüs, und jetst ist es eben just das „ts“.

Ich sollte eine Urlaubssperre für Tastenbewohner durchsetsen, aber wahrscheinlich sind sie allesamt tarifgebunden. Vielleicht tut’s erst mal eine Rattsia.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über Buchstaben
1. „Love is just a four letter word" von Bob Dylan
2. „I-feel-like-I'm-fixin-to-die-rag" von Country Joe & The Fish
3. alles von ABC

18 November 2006

Nicht aus gutem Grund

Heute im Gemüseladen beklagte sich eine wartende Kundin (ca. 40) bei ihrer Begleiterin lautstark über Köln.

„Die Stadt ist irgendwie so … ich weiß nicht“, führte sie mit großem Engagement gewichtige Anti-Köln-Gründe an, und ihre Freundin war ehrlich bestürzt über die Schlagkraft dieser Herleitung.


Ich freilich hätte gern nachgehakt, doch das stand mir als stillem Lauscher natürlich nicht zu. Die Spezies der starken Argumente scheint jedenfalls zu den bedrohten Arten zu gehören. Denn auch der Nachwuchs, auf dem ja jede Besserungshoffnung ruht, kennt so etwas wie Begründungen nur noch vom Hörensagen.

Neulich fragte ich meine Nichte (13), wie ihr denn das Konzert von Silbermond gefallen habe, zu dem ich sie begleitet hatte. „Cool“, sagte sie.

Was denn konkret daran cool gewesen sei, begehrte ich vertiefend zu erfahren, und sie sagte: „Weiß net.“ Was war denn besonders toll? „Weiß net.“ Und die Solonummer des Drummers, wie fand sie die? „Cool.“

Mehr ließ sie sich nicht entlocken, aber warum auch? Sie war ja längst auf dem Argumentationslevel der 40-jährigen Kölnfeindin im Gemüseladen angelangt – und das bereits mit 13!

Rückschluss: Meine Nichte ist möglicherweise ein Genie.


Weil Gemüse Erwähnung fand, verbrate ich einfach mal ein weiteres Romfoto. Merkt ja eh keiner.

16 November 2006

All you need is … den richtigen Namen

Zur Feier des neuen Beatles-Albums seilten sich heute Abend Menschen ohne jede Höhenangst – also offenkundig Aliens – vom trutzigen Weltkriegsbunker an der Feldstraße ab, um den Albumtitel „LOVE“ ins Novemberdunkel zu lächeln. Ein rührender roter Triumph übers gewaltige Grau des Betons.

Wie man sieht, musste der Buchstabe „V“ ohne persönlichen Betreuer auskommen, doch das lag nicht an einem vorangegangenen Absturz; von vornherein standen für den „LOVE“-Dienst nur drei Mann parat.

Das später im fünften Stock anberaumte Büffet war dann – trotz der in Rotwein(!) marinierten Lachshappen – den einleitenden Worten der taffblonden High-Heels-Labelchefin weit überlegen. Ihr fiel nämlich der Name der weltberühmten Hamburger Beatles-Fotografin nicht ein, was sie kaltlächelnd mit „Astrid Irgendwer“ überspielte.

Daraufhin verließ Eurovison-Contest-Moderator Peter Urban schnaubend und kopfschüttelnd den Saal, der Rest der Anwesenden tuschelte gepeinigt.

Sollte Astrid Kirchherr persönlich hier gewesen sein, was angesichts der Promidichte mit Beatles-Bezug (darunter Star-Club-Gründer Horst Fascher) sogar wahrscheinlich war, dann hat sie bestimmt Peter Urban im Aufzug getroffen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Beatles-Songs (Version November 2006)
1. „While my guitar gently weeps (Demo-Version)“
2. „Don't let me down“
3. „Rocky Raccoon“

Bauchpinseleien

Heute im Fitnesskurs sagte der Trainer zu einer Teilnehmerin während der Übung: „Du musst den Bauch einziehen!“ Und die Frau antwortete: „Der IST eingezogen!“

Daraufhin fiel mir eine Begebenheit ein, bei der ich eine ähnliche Rolle spielte wie heute der Trainer. Vor meinem Flohmarktstand tauchte plötzlich eine Bekannte auf, von deren fortgeschrittener Schwangerschaft ich wusste, und ich fragte sie: „Und: Wann ist es denn soweit?“ Woraufhin ihr Mann, der unbemerkt danebenstand, mir mit vorwurfsvollem Stolz das Baby entgegenhielt.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich halbwegs ungeschoren aus der Situation rauskam. Aber es hatte irgendwas mit dem Winter zu tun und dem dicken Mantel, den meine Bekannte trug.

Auch der Verkauf lief an jenem Tag sehr schleppend.

(Foto: Baciar)

14 November 2006

Negerkuss als Bumskopf

Unbemerkt hat sich Schmalhans bei uns zum Küchenmeister aufgeschwungen, zumindest was das Dessert angeht. Keine Schokolade mehr da, nicht mal Erdbeerjoghurt. Und bei mir keine Bereitschaft, noch schnell zu Penny auf der Reeperbahn zu laufen – was nicht ausschließlich abendlicher Faulheit zuzuschreiben ist, sondern vor allem der mangelnden Sachkompetenz Pennys in punkto Süßigkeiten.

Bei Penny, mal ehrlich, kauft man doch nur das allerdings sehr passable Klopapier „Happy End“. So füge ich mich in mein temporäres Schicksal als frustrierter Süßschnabel und schleiche moderat missmutig hinüber in die Prinzenbar, wo John Vanderslice im Angesicht von Stuckengeln ein Konzert spielt.

Und was passiert? Nach dem dritten Stück fragt der Mann, ob es eigentlich schon spät genug für „candy“ sei. Das Publikum, inklusive mir, bejaht ahnungsvoll, woraufhin der vergötterungswerte Künstler anfängt, Schüsseln voller Süßigkeiten zu verteilen, darunter Schokoladenplätzchen mit ganzen Nüssen und Exemplare jenes Schaumgebäcks, welches in Zeiten, als man die Abkürzung „pc“ noch für einen Rechner hielt, als Negerkuss bekannt und beliebt war.

So komme ich doch noch zu meinem Dessert und muss an eine alte Weisheit denken: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Im Zuge meiner Recherchen zum Negerkuss, der mittlerweile unter dem Tarnnamen „Schokokuss“ eine erneut erfolgreiche Existenz aufgebaut hat, stoße ich auf weitere Bezeichnungsvarianten, wovon mir am meisten die aus dem Bayerischen Wald behagt.


Dort nennt man das Süßgebäck nämlich „Bumskopf“.

David würde mich rauspauken

Immer, wenn ich ein Konzert von Cracker besuche, bin ich wie euphorisiert. Schon nach wenigen Minuten hege ich die feste Überzeugung, Cracker sei die beste Band der Welt. Und David Lowery der weltbeste Songwriter.

Keine Band harmoniert besser, keine setzt die instrumentalen Pointen geschickter, keine rockt grandioser, keine hat die besseren Refrains. Immer, wenn ich ein Konzert von Cracker besuche, bin ich überzeugt, die Band habe eine ganze Schmuckschatulle voller Welthits – mit dem einzigen Manko, dass die Welt nichts davon weiß.

All das habe ich heute Abend wieder gedacht, als ich das Konzert von Cracker im Knust besuchte. Und verdammt: Cracker ist die beste Band der Welt. Aber die Welt weiß nichts davon.

Wenigstens kann ich ihr einen Song zu Füßen legen. Auch wenn ich dafür wahrscheinlich in den Knast wandern werde. Aber David Lowery wird mich rauspauken, davon bin ich fest überzeugt.


Er ist schließlich der weltbeste Songwriter, da hat man auch das weltbeste Herz.


Ex cathedra: Die drei besten Cracker-Songs

1. „It ain't gonna suck itself“
2. „Sinaloa cowboys“
3. „Euro-trash girl“

13 November 2006

Auf Landpartie

Ein Wochenende im ländlichen Hessen, genauer gesagt in meinem 1200-Seelen-Heimatdorf. Dort konnte ich als Zuschauer beim Bezirksligaspiel folgenden Dialog belauschen:

„Siechhard, sache mol, ärbbst dau da immer noch off’m Sozialamd?“
„Ach woss, ajch sei doch schu seit zwansich Juhr bei dor Carridas!“


In punkto Informationsfluss und Mobilität ist das Heimatdorf ganz offensichtlich noch immer jeder urbanen Hektik abhold. Ansonsten aber ist man voll ausgestattet, sogar mit Alkis und Junkies, mindestens vier Religionsgemeinschaften und einer Atemluft, für die man in Rom töten würde. St. Pauli liegt olfaktorisch übrigens irgendwo dazwischen.

Acht Kilometer vom Heimatdorf entfernt, in der nächstgrößeren Kleinstadt mit Bahnhof, entdeckte ich übrigens das abgebildete Parkschild, welches kaum verhohlen von leidvollen Erfahrungen in der Vergangenheit kündet.

Auch Sarkasmus also gehört inzwischen wie selbstverständlich zur Möblierung der Provinz, zumindest in Hessen.

10 November 2006

Lyssa leidet – auch unter unpassenden Mails

Warum lese ich Stoffel eigentlich nie den aktuellsten Eintrag auf Lyssas Blog, bevor ich ihr eine Mail schicke?

Im Sommer schrieb ich ihr aus irgendeinem Anlass etwas Humoriges, ging danach auf ihr Blog – und erfuhr, dass sie beinah in einem abgestürzten Flugzeug gesessen hätte.

Und heute morgen schickte ich ihr eine süffisante Glückwunschmail, weil Harald Schmidt sie gestern in seiner Sendung erwähnt hat (mit dem berüchtigten Spitznamen „Peitschen-Borchert“ …) – und erfahre danach in Lyssas Lounge vom Tod ihres Hundes.

Eine kleinlaute Betroffenheitsmail hinterherzuschicken, unterstreicht natürlich nur das Versäumnis, ist aber (schon wieder) das Mindeste, was ich tun kann.

Zumal sie ernstgemeint ist.

09 November 2006

Geiler geizen

Trotz der subtilen und charmanten Außenwerbung habe ich es heute versäumt, in diesem Schuhgeschäft in Ottensen einzukaufen.

Vielleicht bin ich einfach noch geiziger, als es sich der Ladenchef vorstellen kann.

Kurz an der Macht

Heute musste Fitnesstrainer Awed während des Bauchkurses mal kurz weg, und beim Rausgehen bat er mich – MICH! –, die bereits laufende Übung zu Ende zu moderieren. „Zähl bis 20 hoch“, raunte er konspirativ und verließ zügig den Raum.

Ich fühlte mich wie damals während meiner überschaubar langen Zeit als stellvertretender Schulsprecher, obwohl das Amt mich wenig gefordert hatte. Genauer gesagt ist mir keine einzige Handlung als stellvertretender Schulsprecher in Erinnerung geblieben, die ähnlich bedeutsam gewesen wäre wie den Bauchkurs heute auf 20 Crunches hochzupuschen. Vielleicht lag es daran, dass der amtierende Schulsprecher damals nie krank oder sonstwie verhindert war – im Gegensatz zu Awed.


Beim Hochzählen während der Übung spürte ich, wie unangebracht es wäre, auch nur im Geringsten außer Atem zu geraten, weshalb ich mich um haarscharfe Artikulation bemühte. Schließlich durfte ich die neugewonnene Autorität, die ja weder auf charismatischer Herrschaft noch auf demokratischer Wahl beruhte, sondern auf bloßer autokratischer Ernennung, nicht gleich wieder aufs Spiel setzen – selbst wenn diese 20 Crunches wohl die einzige Amtshandlung während meiner Machtübernahme bleiben würden.

So absolvierte ich die Aufgabe mit Würde, Eleganz und überspielter Kurzatmigkeit. In die Geschichtsbücher werde ich damit wohl nicht eingehen, aber das kenne ich ja schon aus meiner Amtszeit als stellvertretender Schulsprecher.


(Foto: Rubner)

08 November 2006

Warum George Michael ein ganz Großer ist

„Wenn ich heute Abend einen Wunsch frei hätte“, sage ich zu Ms. Columbo, als sie gerade beim Zähneputzen und wehrlos ist, „dann wünschte ich mir, George Michael würde nicht ,Last Christmas' spielen.“

Doch die Hoffnung ist natürlich klein. Schließlich ist es November, das klingt schon fast wie Dezember, und was im Dezember lauert, ist: Weihnachten. Warum also sollte George Michael den größten Hit seiner Karriere nicht spielen?

Auch die zweitgrößte Gefahr des Abends habe ich bereits nachmittags in der Redaktion benannt: dass er auf der Bühne der Color Line Arena einschlafen könnte – wie es ihm zuletzt mehrfach am Steuer passiert ist, meist mitten auf der Kreuzung.

In der Halle erwartet uns indes eine abgezirkelte Großshow. Ein Hit jagt den nächsten, die Band, welche die Songs geradezu verdächtig originalgetreu intoniert, wurde breit auf Tribünen im Bühnenhintergrund verstreut. Denn hier ist nur einer der Star. Meist steht Michael alleine und gleichsam übergroß auf einer LED-Fläche, die hinter ihm als Vorhang zur Decke aufsteigt und visuell keinerlei Wünsche offen lässt.

Klar, das alles ist unfassbar exakter Stechuhrpop, sogar die Pause wird als Countdown heruntergezählt, und pünktlich auf die Sekunde geht die zweite Hälfte los. Doch das Ganze ist auch auf eine Weise perfekt, die bei mir als Heimeligkeit ankommt.

Der Abend schnurrt ab wie die Tausendstelsekundenschritte einer Atomuhr, und Michael gibt dir damit die Illusion, die ganze große weite Welt sei berechenbar bis ins letzte Molekül. Er suggeriert, die Gegenwart und die Zukunft, das ganze Leben seien hier und heute und ein für alle Mal in den Griff zu kriegen. Ich beschließe, mich genau dieser Illusion hinzugeben, und es funktioniert fantastisch.


Die Zugaben kommen. Jetzt wird es geschehen. „Es ist November“, erinnert mich Ms. Columbo mit spöttischem Lächeln, „wegen mir kann er ruhig ,Last Christmas' spielen.“

Aber er tut es nicht.
George Michael ist ein ganz Großer.


Auf dem Foto versucht er übrigens eine Art Hund, der Tony Blair symbolisieren soll, von George Bushs Mittelteil fernzuhalten – oder ihn genau dort hinzudirigieren, das war auf die Entfernung nicht ganz klar.

07 November 2006

Voll von der Rolle

Endlich habe ich mir Rollenapier für die Kleingeldhaufen besorgt. Das Reaktivieren alter Fertigkeiten (ich war mal Bankkaufmann …!) klappte gut, und mit flinken Fingern habe ich Münzen gestapelt, gekippt und eingewickelt. Dann setzte ich alle Rollen – Gesamtwert: 8,50 Euro – dem Postmann vor und erbat einen Umtausch in größere Einheiten.

„Das geht nur aufs Konto“, sagt er. Ich habe kein Konto bei der Postbank. „Dann geht es nicht“, ergänzt er, „nicht ohne Konto.“

Wohin jetzt mit den Rollen? Es ist Samstag, meine Hausbank pausiert. Doch wozu gibt es den Einzelhandel? Allerdings soll der gemeinhin nicht gerade in Jubel und Lobpreis ausbrechen, wenn man mit Popelmünzen in Kilomengen antanzt. Einen Versuch aber ist es wert.

Beim Bäcker Kamps in der Paul-Roosen-Straße habe ich in der Schlange Zeit für strategische Überlegungen. Die Rechnung wird sich auf rund zwei Euro belaufen. In meiner Tasche befinden sich u. a. vier Rollen mit je 50 Eincentmünzen, macht exaktement zwei Euro. Und Geld ist Geld, nicht wahr?

Ich beschließe, diese lapidare Erkenntnis in selbstbewusstes Vorgehen umzuformen. „Macht 2 Euro 18“, sagt die noch arglose Verkäuferin. Mit einer eleganten und kraftvollen Bewegung, die Ruhe genauso verkörpern soll wie eine generelle Üblichkeit meines Handelns, packe ich ihr mit dumpfem Klackern vier Rollen auf den Tresen und sage: „Das sind schon mal zwei Euro.“ Sodann suche ich mit furios gespielter Gelassenheit nach einem weiteren 20-Cent-Stück in der Jackentasche.

Sie schaut baff. „Hehe, hehe“, keckert mein bislang muffeliger Schlangennachbar und grinst breit. „Hehe, hehe, da hat aber einer sein Sparschwein geknackt, hehe.“

Ich lächle schmal und mustere dann wieder ernst die Verkäuferin, und zwar mit dem hoffentlich gut simulierten „Aufmachen!"-Blick eines altgedienten Gerichtsvollziehers.

Und ich habe sie. Das sehe ich an ihrem unsicher zuckenden Lächeln. Dann nimmt sie die Rollen und die 20 Cent, und ich ziehe wohlgemut mit vier Brötchen davon.

Im „Zafer Call Shop“ (der inzwischen den Namen gewechselt hat, aber nicht das Personal) lege ich mit neugewonnener Routine und geräuschvoll eine Rolle Zweicentstücke für die Samstagszeitung vor. Erneut stoße ich auf Erstaunen, aber nicht auf Widerstand.

Es geht also! Man kann dem Einzelhandel massig Münzgeld unterjubeln, zumindest gerolltes. Dabei kann ja niemand wissen, ob ich ich nicht vielleicht doch die ein oder andere Münze „vergaß“; nachgewogen hat jedenfalls keiner.

Und so kam es, dass ich weiterhin über kein Postbankkonto verfüge. Ein Vorzug, den manche Menschen besonders zu schätzen wissen.

05 November 2006

Gammelsprech

Ich hatte es ja prophezeit – aber etwas früher damit gerechnet.

Und ich wäre schon enttäuscht, wenn sich nicht bald weitere Treffer dazugesellen würden. Darf ich also bitten …?

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (4)

Eigentlich ist es ja mein Fachgebiet, das Herrenklo, wie ich in bisher drei Beiträgen (1, 2, 3) versucht habe nachzuweisen. Doch auch Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig entpuppt sich überraschend als überaus kundig.

Dieses Foto hätte unbedingt die Originalgrundlage für meinen Herrenklotext Nummer 4 werden sollen, aber wann komme ich schon mal in die Wiener Opernpassage?

03 November 2006

Gesichtszwillinge (12)

Polens Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski möchte nicht mehr von der Seite fotografiert werden. Ein Wunsch, der sogar in den Rang einer Regierungsrichtlinie erhoben wurde und somit die Windelweichheit eines Wunsches in Richtung schnarrender Befehl verlassen hat.

Da sein eineiiger Bruder, Staatspräsident Lech Kaczynski, praktisch genauso aussieht wie er, kann die polnische Presse allerdings die Direktive leicht umgehen: Sie nimmt einfach Lech von der Seite auf und verwendet das Foto zur Bebilderung beider Brüder.

Über die Gründe für Jaroslaws Profilneurose kann bisher nur spekuliert werden. Meine These: Jaroslaw ist es peinlich, so auszusehen wie ein Röntgenbild von Homer Simpsons Schädel.

Zumal dort Luft vorherrscht.

Nachtrag von 21.38 Uhr: Nachdem Jaroslaw Kaczynski es geschafft hatte, die Abbildung seines Doppelkinns weltweit ins Unermessliche zu steigern, hat er heute Nachmittag laut Spiegel online die Zensurvorschrift wieder zurückgenommen. Der Beitrag hier bleibt trotzdem stehen. So.

Weitere Gesichtszwillinge:

- Franz Beckenbauer und Erich Honecker
- Angela Merkel und Peter Ustinov
- Anthony Hopkins und Köbi Kuhn
- Udo Lattek und Sven-Göran Eriksson
- Gene Hackman und Luiz Filipe Scolari
- Corny Littmann und Homer Simpson
- Kofi Annan und Morgan Freeman
- Chris Stills und Jens Lehmann
- Robert Mitchum und Jean Reno
- Neil Young und Tony Joe White
- Ronaldinho und Jar Binks


Mein Blogklon auf stern.de

Neulich meldete sich stern.de: Ob ich mir vorstellen könne, auch für sie zu bloggen. Gerne, sagte ich; aber nicht exklusiv und zusätzlich, sondern nur Texte von der Rückseite der Reeperbahn.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und heißen müsse mein Blog bei ihnen genauso wie der hier.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und wenn ich Lust hätte, Schätze aus dem Archiv zu kramen und dort erneut zu veröffentlichen, dann würde ich das gerne tun wollen.

Kein Problem, sagte stern.de.

Und so kam es, dass seit gestern auch stern.de über eine Rückseite der Reeperbahn
verfügt.

Ex cathedra: Die Top 3 der besten Songs über Mond und Sterne
1. „Wanderin' star“ von Lee Marvin
2. „Just one star“ von Antony & The Johnsons
3. „Moon“ von Roger Eno

01 November 2006

Warum? Darum!

Der HSV hat im Champions-League-Spiel gegen den FC Porto nicht nur erneut eine üble Klatsche kassiert, sondern auch keinerlei Idee mehr, woran es liegt und wie das Elend abzustellen sei.

Hier der beweisführende Interviewausschnitt mit HSV-Manager Dietmar Beiersdorfer im DSF:


Moderator
: „Herr Beiersdorfer, warum ist die Champions League eine deutliche Nummer zu groß für Sie?“

Beiersdorfer
: „Weil wir zurzeit nicht in der Verfassung sind, dieses Spiel zu gewinnen.“


Ah so.


PS: Man verzeihe mir die plumpe Fotosymbolik, doch die auf den Kopf gestellte Rolltreppe schien mir noch das geeignetste Motiv für den HSV 2006.

Die Fundstücke des Tages (29)

1. Warum habe ich eigentlich so viele flüchtige Blogbesucher – und nicht nur solch edle Wesen wie dieses, dessen anbetungswürdige Verweildauer ich hier per Bildschirmfoto verewigt habe? Leider kann man kein Poster draus machen, wegen der schlechten Auflösung.

2. Heute Abend klingelte es. „Ja, bitte?“, frug ich in die Gegensprechanlage. „Halloween!“, quäkte es enervierend kinderstimmig aus dem Lautsprecher, „machen Sie bitte auf!“ Von wegen. Die Gören ließ ich natürlich im Regen stehen. Sie können von Glück sagen, dass ich nicht stantepede zu Michael Myers mutierte. Halloween – was soll das eigentlich?

3. Hier und jetzt möchte ich ein neues Wort kreieren, dessen Aufnahme in den Duden ich unverzüglich wünsche und als dessen Ersterwähner ich hiermit verlange in die Annalen einzugehen. Dieses Wort soll hinfort als Sammelbegriff für alle Deppenapostrophverwender, Denglischverbrecher, Verbenvergesser, Grammatikschänder und Pidginpappnasen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen und erst dann wieder daraus verschwinden, wenn ihm jegliche Grundlage entzogen wurde. Und sein Name sei GAMMELSPRECH. Ab morgen bei Google.

4. Schon jetzt mein Konzert des Jahres, und das ohne dabeigewesen zu sein: der Gig der Original Schornsteinfeger in der Günzhalle Großkötz. In Großkötz gibt es nicht nur die Günzhalle, sondern auch einen Sportverein, den Verein für Leibesübungen Großkötz, und dessen Vereinschronik erzählt von der ganzen deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts, zum Beispiel von den bewegenden Duellen des VfL Großkötz mit Ettenbeuren, der Einweihung des Vereinsheims 1976 oder der vereinsinternen Machtergreifung eines gewissen Anton Zwibel – und das alles in Großkötz, mitten in Deutschland, genauer gesagt: in Bayern. Wie ich auf all das gestoßen bin: k.e.i.n.e A.h.n.u.n.g.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, Oh, my Google!

31 Oktober 2006

Die Kartoffelamnesie

Wenn ich im Kumpir meine überbackene Stammkartoffel mit Spiegelei bestellen möchte, fällt mir nie der Name des Gerichts ein, sondern immer nur der meines Weinhändlers. Der heißt Ardahan, die Kartoffel aber … wie heißt die noch mal? Ach, ja: Rafadan.

Diese verflixte Kartoffelamnesie ist mir inzwischen peinlich, und ich gehe nicht mehr so oft zum Kumpir. Zumal ich feststellen musste, dass es sich dabei um eine Fränscheißkette handelt. Das entwertet den Laden; es schmeckt dort einfach nicht mehr so wie vor dieser Information.

Es ist wie mit einem geheimen Lieblingssong, der plötzlich in die Charts geht: Danach klingt er fad – als büßte er durch die schiere Quantität des Gehörtwerdens an Qualität ein.

Zurück zum Essen. Heute stieß ich beim Schlendern durch die Karstadtfiliale an der Mönckebergstraße auf etwas Wunderbares: eine Schokoladenmischmaschine. Ich hätte stundenlang verzückt zusehen können. Leider geschah der ganze Vorgang hinter Glas, sonst wären wohl Dinge geschehen, für die sich Ms. Columbo fremdgeschämt hätte.

Aber ich habe einfach 30 Sekunden davon gefilmt. So muss ich nicht immer wieder zu Karstadt.

Weiß eigentlich irgendjemand ein Kumpirrezept mit Schokolade?

29 Oktober 2006

Hauen und Stechen

Das war ja klar: St. Pauli ist erneut der brutalste Stadtteil Hamburgs. Die Zahl der Gewaltdelikte rund um Reeperbahn und Seilerstraße liegt um satte 69.600 Prozent über der des Stadtteils Nienstedten! Dort nämlich gab es im Lauf der letzten zwölf Monate nur einen, hier hingegen 697 aktenkundige Tatbestände.

Allerdings haben sich wahrscheinlich auch nur elf Leute nach Nienstedten verirrt, nach St. Pauli aber grob geschätzte zehn Millionen. Und nur 697 davon polierten Fressen oder (später zu Hause) ihre Messer. Klingt doch gar nicht mehr so schlimm.

Sicherlich hat der Kiez dieses gute Ergebnis auch der deeskalierenden Klassik zu verdanken, die im U-Bahnhof St. Pauli läuft. Heute erklang dort die hochliebliche Melodie von „Greensleeves“ in der sinfonischen Adaption von Ralph Vaughan Williams, und ich stellte mich in Lautsprechernähe, um diesem Stück friedlich hinterherzusinnieren, als mich das abgebildete Warnschild wieder brutalstmöglich in die Realität zurückzerrte.

Gefahr droht offenbar überall und immer, und mir fiel ein Vorfall wieder ein, den ich neulich bei Aldi erlebte:


Verkäuferin: rangiert mit Getöse eine Art Gabelstapler durch den Gang
Kunde säuerlich: „Sie sind aber laut.“

Verkäuferin, rot vor Wut: „Man muss doch hören, dass ich arbeite!“


Abends hat diese Frau möglicherweise – zuungunsten ihres Mannes – die Gewaltdelikte Nienstedtens verdoppelt, was das Verhältnis zu St. Pauli schlagartig auf 39.800 Prozent halbiert hätte.

Insofern wäre das sehr wünschenswert gewesen.

28 Oktober 2006

Mittendrauf, akustisch

Trillionen Nachfragen waren einfach zuviel: Ich beuge mich dem Druck der Straße und stelle die Kiezgeschichte „Mittendrauf, statt nur dabei“ als Podcast zur Verfügung.

Hier kommt sie. Ich habe mich übrigens nur einmal verlesen, worauf ich – als bekennender Haspelsprecher und Nuschelleser – stolz bin wie Bolle.

Wer die (Schnitt-)Stelle identifiziert, erhält eine lauwarme Belobigung.


27 Oktober 2006

Römische Erkenntnisse (3 und Schluss)

1. Wie man an der Namensgebung des Restaurants Casa Nostra sieht, beherrschen die Römer auch die Nuancen der Selbstironie. Was die kalabresische Mafia von dieser kulinarisch gemeinten Verballhornung hält, will ich aber lieber nicht wissen.

2. Die Schönheit und die Aura jedes Ortes trägst du selbst zu ihm hin. Ob du dort nur alte Steine vorfindest oder die wispernden Zeichen eines versunkenen Imperiums: Darüber entscheidest du allein – mit der Qualität deiner Imagination.

26 Oktober 2006

Passfotos abzugeben

Lieber abgebildeter Unbekannter,

am Bahnhof Termini in Rom hast du deine Passbilder im Automaten liegen gelassen, und ich habe sie gefunden.

Auch wenn deine ansonsten grandiose Bewerbung wahrscheinlich an diesem Mangel scheiterte: Vielleicht hast du ja trotzdem noch Verwendung fuer die Bilder. Es sind ingesamt acht. Und immerhin haben sie Geld gekostet.

Jetzt weisst du, wer sie hat. Im Menue links gibt es einen E-Mail-Button.

Ciao, bello

Matt

25 Oktober 2006

Rom raucht nicht mehr

Ob man aus römischen Cafés kommt oder aus Restaurants, man verlässt sie beschwingt und gutgelaunt. Es hat Tage gedauert, bis wir diesen Umstand trennen konnten von der vorauseilenden Vermutung einer urlaubsbedingten Gutgestimmtheit.

Nein, es ist eine kleine Großigkeit, die nicht unerheblich beiträgt zum unbestimmten Wohlgefühl: Man geht nämlich nach Hause, ohne bestialisch zu stinken. Denn nirgendwo in Kneipen, Discos, Cafés, Trattorien und Restaurants darf mehr geraucht werden. Die Italiener haben das offenbar weggesteckt wie einst den Verlust der Kolonien: mit einem Achselzucken. Überall herrscht Trubel, Heiterkeit, Gestikulationsfreude und eine ausgeprägte Bereitschaft zu genussvollem Konsum – aber keinerlei Ärger über Rauchmangel.

Es geht also. Und wenn man nach Hause kommt, haftet Jacke wie Hose höchstens ein Anflug von Caffé an, aber nicht der in Deutschland übliche kalte Kippenqualm, was tagelanges Auslüften oder gleich eine Vollwäsche erfordert.

In Irland, wo sie öffentliches Rauchen ebenfalls verboten haben, ging unter Kneipenbeschäftigten die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 20 Prozent zurück. Gleichzeitig wurden die Gasthäuser voller – denn jetzt traut sich auch jener Teil der Bevölkerung wieder aus dem Haus, den früher die Diktatur der Qualmer vom öffentlichen Leben ausschloss. Und dieser Teil war groß.

In Rom genieße ich das Ausgehen mit Ms. Columbo sehr. Denn in Hamburg kriege ich sie gewöhnlich kaum aus dem Haus – sie hasst Rauch. Würde man den selbstverständlichen Terror der Raucher endlich auch bei uns ahnden, stürmte die schweigende Mehrheit, die zurzeit aus Qualmophobie zu Hause schmollt, gewiss bald wieder Kneipen und Clubs. Und die rückläufigen Einnahmen durch die Tabaksteuer wären ratzfatz ausgeglichen – oder, wie man in Irland sieht, gar überboten.

Nikotinsucht ist die einzige bekannte Abhängigkeit, die andere Menschen chemisch in Sippenhaft nimmt. Italiener und Iren finden das nicht in Ordnung – und kurbeln so die Wirtschaft an.


Und heute Abend machen wir dabei wieder mit, diesmal dreigängig.

24 Oktober 2006

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (3)

Ja, auch römische Männer pinklen an Hauswände. Beim recht häufigen Anblick der eingetrockneten Rinnen versuche ich die unweigerlich aufkeimende Kiezheimeligkeit zu unterdrücken. Vergeblich.

Apropos pinkeln:
Armin Hary könnte 1960 die gleiche Toilette im römischen Olympiastadion benutzt haben wie ich. Ob vor oder nach seiner Goldmedaille im 4x100m-Rennen, bleibt aber unklar.

Wahrscheinlicher allerdings ist: voher. Denn er lief bestimmt nur deswegen wie ein Windhund über die Bahn, weil er unbedingt recht bald im Hotel eine Nachreinigung gewisser anatomischer Regionen vornehmen wollte. Papier gibt es nämlich bis heute keins im Olympiastadion zu Rom, und nicht nur das: Man hält so etwas auch offenbar für völlig unnötig - es ist nicht einmal eine Halterung dafür vorgesehen.

Das abgebildete Etwas an der Decke hingegen scheint seine Unabdingbarkeit einsichtig nachgewiesen zu haben, denn es hängt in jeder Kabine. Aber um was handelt es sich dabei bloß? Es ist jedenfalls keine Lampe. Ein Sprinkler auch nicht (glaube ich).

Eine Art Megafon?

Armin Hary weiß es vielleicht.

23 Oktober 2006

Beim Fußball

Nachdem wir eine Stunde durch die Stadt gegurkt sind, um an der Piazza Colonna Tickets für das Seria-A-Fußballspiel AS Roma gegen Chievo Verona zu kaufen, entdecken wir zwei Tage später nur 15 Meter von unserem Pensionseingang entfernt einen Roma-Fanladen. Super.

Als Weltmeister Francesco Totti in der zweiten Halbzeit endlich den Ausgleich schießt, geht meine Nachbarin, eine äußerst kregle rothaarige 60-jährige im orangen Strickpulli, vollends in die Luft – und haut mir unter indianischem Kriegsgeschrei („Franci! Franci! Franciiiii!!!“) mehrmals derart enthemmt auf die Schulter, dass ich wünschte, Totti hätte erst in den letzten fünf Minuten getroffen.

Da hatte die Frau nämlich das Stadion schon verlassen.

22 Oktober 2006

Von den Formen der Blasiertheit

Römische Frauen sind im Schnitt nicht hübscher als die Durchschnittshanseatin. Das als Trost nach Hamburg. Jene aber, die aus der Masse der Matronen und grauen Mäuse herausstechen, überspringen gleich die Stufe des Stolzes und stoßen direkt zur Blasiertheit vor.

Ich sah frischverputzte reife Damen, die waren blasiert wegen ihres Reichtums. Und ich sah junge Römerinnnen, die waren blasiert wegen ihres Dekolletees. Teenies sind in der Regel blasiert wegen ihrer coolen Sonnenbrillen, doch nur wenigen von ihnen wird es je gelingen, zur Dekolleteeblasiertheit vorzustoßen oder gar zur Pelzmantelblasiertheit.

Nein, die meisten dieser Mädchen werden bald hinabsinken in die Welt der Matronen oder grauen Mäuse, und dann werden sie sich schämen für ihre Sonnenbrillen von einst. Ihre Söhne hingegen werden diesem geschlechtsunspezifischen Accessoire länger verfallen – vielleicht sogar für immer: Heute sah ich in der Metro einen grauen alten Herrn mit leicht verwegenen Haaren bis zum Hemdkragen, der hatte seine voluminöse Sonnenbrille Marke 70er Jahre leicht hochgeschoben, um im Funzellicht der U-Bahn sehen zu können.

Während Römer bis zum Alter von etwa 50 ihre Brillen (auch ungetönte!) auf der Kopfmitte tragen, trug der Metromann sie mit den Gläserunterkanten auf Brauenhöhe. Wie er sie dort fixiert hatte, weiß ich nicht; eigentlich ist das unmöglich, ich habe es versucht. Ihm aber war es gelungen – und es sah bescheuert aus.

Die Würde, die er dabei wahrte, war gleichwohl ganz und gar römisch; nur wenig mehr davon, und sie wäre in Blasiertheit übergegangen. In die Trotzblasiertheit der Fastwitzfigur.

Die allerdings ist komplett geschlechtspezifisch.

20 Oktober 2006

Römische Erkenntnisse (1)

Es ist etwas substanziell anderes, ob man vorm Forum Romanum mit dem Bus im Stau steht – oder vorm Elbtunnel.

Tja, tut mir leid.

19 Oktober 2006

Das Graffititabu

Rom ist schmutzig. Rom atmet grauen Staub. Und was der Ruß nicht schafft, führen die Sprayer zu Ende. Doch interessanterweise verschandeln sie die Stadt strikt auf italienisch.

Während sich in Deutschland sogar die intellektuelle Elite längst einem den Werbern abgelauschten Deppendenglish ergeben hat, besteht in Rom selbst der brutalste Sprühdosenvandale auf muttersprachliche Artikulation. Und nicht nur das: Vor seinen größten Kulturgütern, den allgegenwärtigen Ruinen, scheint ihn eine gleichsam heilige Scheu fernzuhalten.

Kein Graffito am Petersplatz, kein „Fascismo no!“ am Kolosseum (Foto). Nicht mal an den gewaltigen Basiliken, als Instanzen moralischer Macht traditionell Ziel juveniler Anarchie, ist das kleinste „Forza Lazio!“ zu finden.

Was hält rebellische römische Teens bloß brav fern von der Antike? Drohende Strafe kann es nicht sein. Vielleicht ist es genetisch. Vielleicht ist die Aura der Ruinen eingesickert in ihre DNS. Vielleicht wissen sie intuitiv, dass ihre Stadt kaum bedeutender wäre als Baden-Baden, verfügte sie nicht mehr über die wuchtigen Insignien einer jahrtausendealten Geschichte, die dem Abendland gemeinsam mit Athen das komplette Zeichen-, Gesellschafts- und Moralsystem bereitstellte.

Ja, das muss es sein. An Gelegenheiten nämlich fehlt es den Sprayern nicht. Doch sie schlagen sie aus. Für die Besitzer von Nichtruinen freilich ein ganz schwacher Trost.

18 Oktober 2006

„Are we in Rome yet?“

Ein Mann aus Philadelphia, klischeehaftes Opfer der Fastfoodära, fragt mich im Zug, wie er in Rom von einem großen Bahnhof zum andern kommen könne. Ich, selbst noch nie in Rom gewesen, sage ihm, es führe gewiss eine Metro oder eine Tram.

Sofort strahlt sein massiges Gesicht auf vor Glück. Er klagt mir zur Belohnung sein Leid unter Beigabe unangenehmer Ausdünstungen. Neben seinem schlechten Atem emittiert er auch Stressschweiß, der, wie man weiß, schlechter riecht als der durch Bewegung verursachte.

Dafür gibt es in diesem Fall auch einen gewichtigen Grund, denn er und seine Gruppe sitzen im falschen Zug. In Siena oder so hatten sie nur vier Minuten zum Umsteigen, sie ächzten sich hoch in den nächstbesten Waggon; es war der nach Neapel, also dieser hier.

Nach Neapel aber wollten die Philadelphier gar nicht, sondern ganz woanders hin. Jetzt müssen sie in Rom den Bahnhof wechseln. Wie wenig gerüstet die Gruppe für eine solche Reise ist, beweist sie auf einer gottverlassenen Station namens Orte. Alle steigen aus, weil sie sich bereits in Rom wähnen, was laut Fahrplan auch der Fall wäre. Doch was heißt schon Fahrplan in Italien?

Wer jedenfalls das Kaff Orte mit einem römischen Bahnhof verwechselt, der hält bestimmt auch die Schöpfungsgeschichte für plausibler als die Evolutionstheorie.

Die Gruppe steht ratlos auf dem Bahnsteig herum. „Are we in Rome yet?“, ruft der dicke Mann mir zu. Ich verneine, und die ganze Gruppe ächzt hastig wieder hoch in den Zug, umdünstet von Stressschweiß und dem Duft lebenslanger falscher Ernährung.

Gute Reise, Guys.

17 Oktober 2006

Alive and well in Rome

Kaum sind wir in Rom, krachen U-Bahnen ineinander. Uns geht es aber gut. Wir haben bisher nicht mal die Linie A benutzt, sondern nur die B.

Keine weiteren Witze an dieser Stelle, dazu ist die Sache zu ernst.

Aber mir ist es ein Raetsel, wie man ueberhaupt unbeschadet durch den roemischen Verkehr kommen kann, ob unter- oder ueberirdisch. Durch einfaches Hupen zum Beispiel kann man hier das Vorfahrtsrecht erwerben. Vor allem Vespafahrer machen davon haeufig Gebrauch.

Dass das nicht immer gutgehen kann, signalisieren die unablaessig durch die Stadt jaulenden Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Sie brauchen dafuer nicht mal ein U-Bahn-Unglueck. Ihr Sirenenton ist uebrigens original bei Johnny Weissmueller abgekupfert, der in den 30er Jahren den ersten Tarzan der Filmgeschichte gab.

Der Podcastbeweis folgt nach unserer Rueckkehr.

15 Oktober 2006

Neues aus den Charts

Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen, schon klar.

Aber könnte der Souverän – das konsumierende Volk also – nicht ein bisschen rücksichtsvoller umgehen mit empfindsamen Künstlerseelen?

Gerade Lemmy wird sich vom Schürzenjägerschock nur mit Hilfe seines Therapeuten Jack Daniels erholen können.

Wenn überhaupt.

14 Oktober 2006

Aktuell: Hamburg in den Bundesligen

Blumenmädchen live

Vor einigen Jahren spielte sie im Weißen Haus ein Ständchen für Bill Clinton, und ab Montag gießt sie bei uns zu Hause die Blumen: Tish Hinojosa, eine der größten texanischen Songwriterinnen. Dabei können Ms. Columbo und ich nicht mal ihr Konzert am kommenden Donnerstag (19. 10., Knust) besuchen, weil wir zur fraglichen Zeit durch römische Ruinen stolpern werden.

Andererseits liefert genau dieser Umstand den Grund, weshalb irgendjemand bei uns zu Hause die Blumen gießen muss, und das übernimmt halt Tish, gemeinsam mit Andreas.

Wer das alles jetzt viel zu wirr und kompliziert findet, sollte die Sachlage einfach am 19. persönlich vor Ort klären. Am besten aber nicht zwischen den Songs, sondern erst nach dem Konzert, wenn Tish sich unter die Gäste mischen wird.

Unten folgt ein Appetizer: „The real west“, 2002 live aufgenommen in Austin, Texas. Die herzensgute Frau Hinojosa hat spontan zugesagt, mich wegen der Veröffentlichung dieser MP3-Datei erst mal nicht zu verklagen, und ich hoffe, ihre Plattenfirma schließt sich dieser Politik an. Sonst könnte es sein, dass Tish noch eine ganze Weile länger bei uns zu Hause die Blumen gießen muss – sofern mich Ms. Columbo solidarisch ins Gefängnis begleitet.

Hm, das war, glaube ich, der verdrechselste Promotext aller Zeiten. Eigentlich wollte ich nämlich nur sagen:

BESUCHT DIESES KONZERT, VERDAMMT NOCH MAL!

Eine Ausrede gibt es übrigens nicht, denn die Tickets kosten lachhafte 11 Euro, und Einlass ist um acht.


Ex cathedra: Die Top 3 der Songs von Tish Hinojosa
1. „Something in the rain“
2. „Blue eyed Billy“
3. „The real west“

12 Oktober 2006

Unter Nerds

Matt auf Tour. Im Bunker an der Feldstraße besuche ich das Konzert einer Band aus Austin, die sich ihren entsagungsvoll pathetischen Namen bestimmt nur deshalb zugelegt hat, um traurige Nerds ins Netz zu locken: I Love You But I’ve Chosen Darkness. Ich setze mich zu zwei kiezbekannten traurigen Nerds auf den Boden, werde allerdings sogleich von links angetippt. Eine junge Frau.

Sie sagt: „Hier sitzt aber mein Freund.“ Ich sage: „Ups. Ich bin doch gar nicht dein Freund!“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn momentan bin ich ein trauriger Nerd und alles andere als schlagfertig, weshalb mir ein lahmes und furchtbar nerdiges „Ich stehe auf, wenn er zurückkommt“ herausrutscht. Kein Ruhmesblatt.

Am nächsten Abend folgen Ms. Columbo und ich der Einladung zur Neueröffnung einer Kaffeerösterei an der Alster. Neben mir steht der Posaunist Nils Landgren. Er trägt einen tadellosen blauen Maßanzug; bei seiner leicht rundlichen Körperform eine weise Investition. Allerdings tummelt sich auf seinem Jackett unterm linken Schulterblatt ein fröhliches Ensemble weißer Fussel, das mein ästhetisches Empfinden massiv stört.

Ich tippe ihm auf die Schulter und sage: „Entschuldigen Sie, Herr Landgren, Sie haben störende weiße Fussel auf dem Rücken, darf ich Sie Ihnen entfernen?“ – zumindest in meiner Fantasie sage ich das, denn Landgren ist in weiblicher Begleitung, und das ist ja wohl ihre Aufgabe. Doch erst nach einer enervierenden Viertelstunde wird sie leicht vorwurfsvoll tätig.

Einen Espresso und ein paar Schnittchen später ziehen wir weiter ins Indra (Foto) auf der Großen Freiheit, dorthin, wo die Beatles ihren ersten Auftritt in Hamburg hatten. Die Luft ist angedickt mit Aura und Zigarettenqualm, und die Bühne betritt der auf tragische Weise verkapselte Singer/Songwriter Ray LaMontagne. Ein Mann, demgegenüber Nick Drake ein Zirkusclown gewesen sein muss.

Er sagt fast nichts, hält die Augen so fest geschlossen, als wäre er Lots Gattin und vor ihm läge Sodom; manchmal flüstert er „Thank you“ wie ein deprimierter Hamster – doch er singt mit heiserhoher Stimme die traumhaftesten Songs.

LaMontagne ist der Prototyp des traurigen Nerds, und wäre er eine Band, er hieße I Love You But I’ve Chosen Darkness, das wäre nur logisch. Irgendwann macht er eine kleine Ansage, so kraftvoll wie ein Kolibri. Ich rufe: „Lauter!“ – zumindest in meiner Fantasie, denn das Rufen übernimmt ein Typ in Thekennähe. Idiot.

Als Zugabe spielt LaMontagne mein Lieblingsstück. Es heißt „All the white horses“, und wenn man es hört, denkt man drei Minuten lang, es sei das Erstrebenswerteste auf der ganzen weiten Welt, ein trauriger Nerd zu sein.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs für Nerds
1. „Creep“ von Radiohead
2. „Loser“ von Beck
3. „Nobody loves you when you're down and out“ von John Lennon

11 Oktober 2006

Dreimal fünf Dinge

Herr Stard hat ein Stöckchen unentschlossen ins Vage geschleudert, und ich bin Hirtenhund genug, um auch ohne richtige Aufforderung hinterherzuhecheln. Hier also …

… fünf Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte
1. Haare (an der richtigen Stelle natürlich.)
2. Ein schallisoliertes Musikzimmer.
3. Eine Sekretärin.
4. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.
5. Zeit.

… fünf Dinge, die ich habe, aber lieber nicht hätte
1. Das komische Zeug auf dem Speicher.
2. Den Lottojackpot vom letzten Wochenende
. (ups, hätte ich das jetzt nicht sagen sollen …?)
3. Angst vorm Fliegen.
4. Eine Promo-CD von Ivan Rebroff.
5. Die Glatze.

… fünf Dinge, die ich nicht habe und auch nicht haben möchte
1. Tickets für einen Langstreckenflug.
2. Windows.
3. Ein Auto.
4. Krankheiten, ganz generell.

5. Mehr Begeisterung beim Staubsaugen.

… fünf Gerngelesene, an die das Stöckchen weiterfliegt
1. Rabe
2.
mspro
3.
April Showers
4. Stefan Niggemeier
5. Ramses

10 Oktober 2006

Morgenpost, 9. 10. 2006

Erst haben sie den verdienstvollen Investor Burim Osmani verhaftet, der neben unserem Haus bereits Sandhaufen für einen Neubau hatte hinkippen lassen.

Und jetzt ist man selbst als harmloser kleiner Messerstecher, der in der kuscheligen Seilerstraße sein Taschengeld aufbessern möchte, nicht mehr sicher vor den Nachstellungen der Kiezpolizei.

Nein, St. Pauli ist auch nicht mehr das, was es mal war.

09 Oktober 2006

Mail ans Hoang Bistro in Altona

Sehr geehrtes Hoang Bistro,

heute fand ich in unserem Briefkasten in der Seilerstraße Ihre Postwurfsendung vor, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice anbot.

Allerdings hätte sich diese Sendung keinesfalls in meinem Briefkasten befinden dürfen. Sie fragen sich bestimmt, warum eigentlich nicht. Nun, der Grund ist folgender: Auf der Vorderseite des Kastens prangt sehr groß und in augenattackierender roter Signalfarbe folgende Botschaft: „KEINE Werbung!


Ich gebe zu: Die Botschaft ist verkürzt dargestellt, doch geschah dies nur, um ihr einen noch prägnanteren Zuschnitt zu verpassen.

Aus Gründen zusätzlicher Unmissverständlichkeit ist zudem ein typografisches Stilmittel verwendet worden, nämlich Großbuchstaben. Diese sogenannten Versalien heben das Wort „KEINE
noch einmal verdeutlichend hervor. Dies, damit jedermann, der vor unserem Briefkasten steht und eine einwurfbereite Postwurfsendung in der Hand hält, auf gar keinen Fall dem Irrtum erliegen möge, es sei erwünscht, er würfe sie in besagten Briefkasten.

Im Gegenteil: Das ist vollkommen unerwünscht!

„KEINE Werbung!, verstehen Sie?

Warum aber, Hoang Bistro, geschah genau dies dennoch? Warum - zum Gäng Phad Gung für 9,90 Euro noch mal! - fand ich Ihre Postwurfsendung, die mir „Asiatische Spezialitäten“ im Lieferservice offeriert, heute in meinem Briefkasten vor? WARUM? (Beachten Sie bitte die Versalien. Danke.)

Diese Frage sollten Sie Ihrem verschlagenen Helfershelfer vor Ort stellen, und zwar in scharfer Form. Und dann informieren Sie mich bitte darüber, was er Ihnen geantwortet hat.

Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen

Matt Wagner

PS: Ähm, welche Überraschung halten Sie eigentlich „bei einer Bestellung ab 35 Euro“ für mich bereit?

08 Oktober 2006

Notration

Das Tolle am Bloggen ist ja: Man kann tun und lassen, was immer man will. Ob es einer liest oder nicht, ist letztlich nicht so wichtig (Anm. d. Red.: Gelogen!).

Nein: Allein die Freiheit des Tunundlassenkönnens zählt, und sie wird nur eingeschränkt durch den allgemeinen Rahmen der Gesetze und natürlich selbstgesteckte Grenzen.

Heute ist mal das Lassenkönnen dran. Ein Foto muss reichen.

Hauptbahnhof, Bahnsteig der U3.

07 Oktober 2006

Letzte Geheimnisse: Das Herrenklo (2)

Diese Serie beschäftigt sich mit dem, was der weiblichen Hälfte der Menschheit gemeinhin verborgen bleibt: Herrentoiletten. Genauer gesagt: dem Innern der Kabinen.

Die zurecht als Kultkneipe geltende Ritze an der Reeperbahn versucht mit der gewagten Kombination aus Zierkacheln und Holzfurnier zu punkten, und das scheint selbst jene Besucher, die zufällig Schreibutensilien dabei haben, in eine Schockstarre zu versetzen. Denn Grafitti ist hier kaum zu sehen. Und wenn, dann ist es kryptisch statt vulgär.

Vielleicht liegt die Grafittiarmut auch an der abschreckenden Wirkung des in unmittelbarer Nähe liegenden Boxrings. Oder an der respekteinflößenden Aura von Michalczewski und anderen Weltmeistern, die im Lauf der Zeit vor dieser Klokabinenwand gestanden und versonnen an sich herab geschaut haben.

In der warmen Farbgebung offenbart sich schließlich doch ein entscheidender Vorteil der nur auf den ersten Blick fatalen Kachel/Holz-Kombi, denn mal ehrlich: Welches andere Herrenklo wirkt schon derart heimelig wie das im Bauch der Ritze? Nein, nein: Man hat hier alles richtig gemacht.

Teil 1: Bar Hamburg

Tannenzapfenzupfen (5)

(Foto via FHS Holztechnik)

Mensch, ist das lange her, das
letzte Tannenzapfenzupfen! Dabei fällt mir fast täglich was vor die Füße. Also muss mal wieder ein bisschen was zusammengekehrt werden: gruselige Promoprosa, Pidginpoesie am Rande der Körperverletzung, „Hohlspiegel“-reife Stilblüten. Wie immer gilt: Alles Blaugefärbte wurde Originalpressetexten der Musikbranche entnommen, natürlich inklusive der bisweilen eigenwilligen Orthografie; diesmal ist allerdings ein Lawblog-Kommentator Gaststar. Los geht’s mit dem besonders gruseligen Genre …

Denglisch:

1.
„Please spread the news und sorge mit deinem Statement für einen mögliches Umdenken der Band.“
2.
„Parallel zur 2-Track-Version im Slimcase erscheint auch eine enhanced 4-Track-EP im edlen Digi-Pack.“
3. „
Das CURSE Mixtape "Einblick Zurück!" ging bereits vor einigen Tagen an Euch raus. Bitte gebt uns feedback ob ihr es in den reviews featuren werdet.“
4.
„Wir betreiben selbst mehrere Mailserver und es ist kein Problem, z.B. lokal einen MTA wie Postfix zu installieren und dort entweder vorher die Sources entsprechend zu patchen oder aber auch mittels einfachem IP Spoofing das Relay zu täuschen. (via lawblog, Kommentar 5)

Einfach nur peinlich schlecht:

1.
„Selbst seine Musik klingt eher lakonisch obenaufig als weinerlich jammernd. (Lest es bitte noch mal: „obenaufig“ …!)
2.
„Durcheinander wuselnde Menschen in den Einsatzzentralen prasseln auf den Zuschauer ein.
3.
„Bereits auf dem Schoss seiner Mutter entdeckte Baby-Chris das Piano.“(Mann, muss das ein Schoß gewesen sein! Oder was für ein putziges Pianochen!)
4.
„Vier zappelige junge Männer aus den wirreren Ecken Göteborgs geben wohldosiert schlichtweg Alles, und davon viel. Alarma Man sind … Action voller Action.


Was bisher geschah

Tannenzapfenzupfen 4

Tannenzapfenzupfen 3

Tannenzapfenzupfen 2

Tannenzapfenzupfen 1

06 Oktober 2006

Rosen in der Ritze

Beim Zechen mit Joshuatree und German Psycho im Herz von St. Pauli, der Ritze und Gretel und Alfons gehen unterwegs die Rosen verloren, die ich spontan bei einem fliegenden Händler für Ms. Columbo erstanden habe.

Genauer gesagt: Ich vergesse die Blumen in der Ritze, wo die platinblonde Drohne von Wirtin sich als besonders geschäftstüchtig erwiesen hatte (auf ihre Frage: „Noch drei Bier?“ antwortete GP besänftigend „Langsam“, woraufhin sie praktisch sofort drei Bier servierte – die wir widerstandslos akzeptierten.)

Zum Glück macht mich nach dem Ende der Zechtour joshuatree per SMS auf die verlorenen Rosen aufmerksam, woraufhin ich mich lange nach Mitternacht noch mal aufs Rad schwinge – und einen fulminanten Beweis für meine Orientierungslosigkeit abliefere.

Denn ich finde unfassbarerweise die Ritze nicht mehr.

Rauf und runter radle ich die Reeperbahn, und was präsentiert sich mir? Ein Tabledanceschuppen nach dem anderen, hochmotivierte Koberer, Hotdog-Läden, Polizisten im Einsatz, „Amazing grace“ grölende Penner – aber keine Ritze, nirgends.

Erst bei der dritten, inzwischen verzweifelten Durchfahrt entdecke ich sie; sie hat sich hämisch versteckt am Ende eines Seitengässchens, das seit dem Rosenvergessen mindestens um den Faktor 3 schmaler geworden ist.

Die Wirtin aber weiß schon Bescheid. Sie hat die Rosen verteidigt wie eine Löwin ihr Junges. „Da wollten schon viele ran“, erklärt sie stolz und saugt an ihrer Zigarette, dann wickelt sie die Blumen in eine Serviette und überreicht sie mir mit einer Anmut, die mir vorhin, als sie uns die drei unverlangten Biere hinklatschte, gar nicht aufgefallen ist.

Ein versöhnlicher Abschluss eines sowieso versöhnliches Abends, wie Joshuatree und German Psycho sicher bestätigen werden.

Sofern sie sich noch daran erinnern können.

04 Oktober 2006

Podcast-Premiere mit Müllmail


Manchmal ist es sogar ganz okay, wenn eine Müllmail die Stacheldrahtzäune meiner Firewall überwinden kann. Zum Beispiel ein Phishingversuch von heute, angeblich von Ebay: Seine wirre Poesie und interessante Argumentation bereicherte meinen Tag enorm. Zumal das verantwortliche Übersetzungsprogramm trotz all seiner Schwächen bereits die Höflichkeitsform des großgeschriebenen Siezens fehlerfrei beherrschte.

Vollends mein Herz gewann die sympathische kleine Mail dann mit ihrem Schlusssatz, der in einen grandiosen Neologismus mündete. Selbst Ms. Columbo brachte ich beim Deklamieren dieses Textes zum glockenhellen Auflachen.

Hier kommt diese Müllmail als selbstverlesener Podcast; die Aufnahmequalität bitte ich zu entschuldigen.

03 Oktober 2006

Der Wink mit dem Bolzenschneider

Als ich nach viertelstündigem Besuch Andreas’ Wohnung in der Beckers Passage wieder verlasse und mein Fahrrad vom Eisenzaun gegenüber abschnallen will, steht dort zwar ein Fahrrad, aber nicht mehr meins.

Ich muss ähnlich konsterniert dreinschauen wie damals, als ich statt unseres Wagens nur eine bestürzend leere Asphaltfläche vorfand. Ich schaue mich ratlos um – und da ist es ja, mein Fahrrad. Es lehnt unversehrt auf der anderen Seite des Fußwegs, am Gitterzaun auf Andreas' Seite.

Allerdings hängt ihm nun lose die plastikummantelte Stahlkette über der Stange; die Kette ist mit einem sauberen Schnitt durchtrennt worden.

Offenbar wollte der Besitzer des zuständigen Bolzenschneiders so seinen Unmut über den Parkplatz meines Rades ausdrücken. Es wäre ihm wohl weitaus genehmer gewesen, ich hätte es gleich auf Andreas’ Seite angeschlossen. Doch statt mir dies auf altmodisch umständliche Weise mitzuteilen – etwa über einen Klebezettel auf meinem Sattel fürs nächste Mal –, wählte er die unverblümt brachiale, gewissermaßen metaphorische Kommunikation.

„Eure Rede sei ja, ja oder nein, nein“, plädiert ja schon die Bibel für Klarheit des Ausdrucks und gegen die schwachmatischen Anwandlungen der Diplomatie. Jedenfalls war dem Bolzenschneiderführer die Verdeutlichung seines Anliegens sogar ein Delikt wert (Sachbeschädigung), was mir noch einmal klar vor Augen führt, wie sehr ihn mein Falschparken innerlich aufgewühlt haben muss.

Wahrscheinlich habe ich sogar Glück gehabt, nicht persönlich zugegen gewesen zu sein, als der Herr (es muss ein Herr gewesen sein!) mit seinem Gerät die Szenerie betrat.

Kurz: Ich empfinde diesen Nachmittag als beglückend gelungen.

Ex cathedra: Die Top 3 der Songs über unangemessenes Verhalten
1. „Folsom prison blues“ von Johnny Cash
2. „I’d rather go blind“ von Chicken Shack
3. „If you don’t love me (I'll kill myself)“ von Pete Droge

Die Fundstücke des Tages (28)

1. Unfassbar, aber wahr: Nach den diesjährigen Hamburger Auftritten von Robbie Williams und Bruce Springsteen wird demnächst ein dritter Megastar unserer Zeit die Hansestadt beehren: Poodle! Anlass ist eine Bloggerlesung am 28. Oktober, die federführend das rührige Frl. Fuchs organisiert und bei der im Hauptprogramm neben Poodle nicht nur sie höchstselbst, sondern auch Herr Rationalstürmer und die in jeder Hinsicht aparte Ally Klein lesen werden. Details stehen hier – keiner soll sagen, er habe nix gewusst. Ms. Columbo und ich werden übrigens mit fliegenden Rockschößen aus Rom zurückeilen, um dabeisein zu können. Oja.

2. Wenn einer sagt, jedermann habe seine dunklen Geheimnisse, dann beweist das nur eins: Er selbst hat auf jeden Fall welche.

3. Im Gewürzmuseum in der Speicherstadt (das Foto zeigt ein Gebäude in der Nähe) entpuppt sich meine Suche nach einer Herrentoilette als fruchtlos. Verfügbar in Hülle und Fülle hingegen: Damentoiletten. In der Not freilich betritt der hanseatische Mann auch Orte, die er bislang als No-go-Area eingestuft hat – allerdings nur mit Ms. Columbo und dem Franken als Bodyguards vor der Tür. Man sollte jedes Risiko minimieren, ganz generell.

4. Beim lustvollen Suchen im CD-Archiv nach Songs, die ich mir als Vinylsingles für die Musikbox pressen lassen möchte, ertappe ich mich dabei, wie ich mich ärgere, einen dieser Songs bereits als reguläre Single zu besitzen. Oh Mann … Menschen sind schon verkorkste Kreaturen. Aber vielleicht sollte ich das gar nicht verallgemeinern.

Alle bisherigen Fundstücke des Tages:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17,
18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, Oh, my Google!

01 Oktober 2006

Wichtige Fragen (2)

Ich bin wahrlich nicht der Einzige, dessen Waschmaschine Socken auf Nimmerwiedersehen in ein Paralleluniversum beamt.

Aber drei Stück während eines einzigen Waschgangs …?

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