17 Januar 2012

Es gibt Wurstschneidemaschinen!

Der Sonntag war schön wie Uschi Obermaier anno 68, die Sonne brachte Hamburg zum Leuchten, und wir fuhren weit raus nach Steilshoop, weil dort laut iPhone-App ein Flohmarkt anberaumt war. Allerdings ein spezieller, wie sich herausstellte.

Wir wussten vorher kaum etwas über Steilshoop, haben aber seit diesem Ausflug eine ungefähre Vorstellung von der Zusammensetzung der dortigen Population – zumindest, wenn man die Flohmarktstände als Datenbasis zugrundelegen darf.

Praktisch jeder Steilshooper Flohmarktanbieter hatte sein Angebot nämlich auf die Bedürfnisse von Besuchern mit breitgefächertem Migrationshintergrund abgestellt. Es gab polnische Pierogi, die in der Wintersonne klammheimlich ihr Mindesthaltbarkeitsdatum heruntersetzten, ein Händler offerierte „Hausschuhe für zwei Euro!“, und zwar welche, die gefüttert waren mit original Lammfellimitat, und komplette Kunstfaserbettgarnituren wurden für sagenhafte acht Euro unter die dankbaren Völker dieser Welt gebracht.

Auch Handyschalen gab es sonder Zahl, russische und türkische Wortfetzen tanzten Ringelreihen in der frostigen Luft, und an einem Stand stapelten sich für kleines Geld die unfassbarsten Küchenhelfer. Darunter auch der „Wurst-Schneider Curry Max Das Original“, bekannt aus der TV-Werbung.

Kein Zweifel: Dieser Steilshooper Flohmarkt war an einem Tag, der so schön war wie Uschi Obermaier anno 68, auch eine etwas weitere Anreise wert, selbst wenn wir, Ms. Columbo und ich, dort draußen als Zielpublikum völlig versagten. Doch vielleicht entwickeln wir uns ja noch, man kann nie wissen.

Dieser Schokobrunnen für zehn Euro brachte mich jedenfalls schon mal ins Grübeln, verdammt.


16 Januar 2012

Hausverbot mit Ansage

Ein Kioskladen in der Silbersackstraße, schräg gegenüber der berühmten Kneipe (Foto). Vor mir in der Schlange steht ein Mann. Geduldig rückt er vor. Als er dran ist, sagt er zum Verkäufer: „Haste ma fümunswansich Cent?“

Das bringt den Verkäufer binnen einer tausendstel Nanosekunde auf 180. „Hausverbot!“, platzt es augenblicklich aus ihm heraus, „du hast Hausverbot!“ Er zeigt mit leninesker Geste zur Tür, seine Augen funkeln vor Zorn.

„Steck dir dein Hausverbot in’n Arsch!“, ruft der Schnorrer. Derweil geht er allerdings gehorsam hinaus, die Hände tief in den Taschen, wie ein Flaneur.

Dieses Kleinbeigeben trotz vokaler Renitenz – eine Ton-Bild-Schere in freier Wildbahn – ist natürlich inkonsequent. Es verhindert aber zuverlässig jede weitere Eskalation, und darauf kommt es doch an.

Erstaunlicher war eh seine von vorneherein sinnlose Strategie des Anstellens. Schließlich war absehbar, wie das alles ausgehen würde. Wäre ich ein Schnorrer, hätte ich eher die Leute in der Schlange statt den Verkäufer angebaggert – also zum Beispiel mich.

Aber was weiß ich schon.


15 Januar 2012

„Ich muss GAR NICHTS!“



Ich radle durch die Annenstraße, die zwar eigentlich eine Einbahnstraße, für Fahrräder aber in beide Richtungen befahrbar ist, als mir ein Auto entgegenkommt.

Es visiert eine Parklücke an – allerdings eine auf meiner Seite und zudem genau in dem Moment, als ich vorüberradeln will.

Beide steigen wir in die Eisen, ich vermeide es in letzter Sekunde, dem Wagen dekorativ über Kühlerhaube, Dach und Heck zu rollen – und bin sauer. Und zwar mit allem Recht, das die Straßenverkehrsordnung herzugeben in der Lage ist.

Der Fahrer leiert die Scheibe runter. „Sagen Sie mal …“, hebe ich an, als er auch schon losblökt. „Ich hab den BLINKER gesetzt“, schreit er, „weißte nich, was’n BLINKER ist?“

Wie immer, wenn Leute, die ich gerade aus einer Position moralischer Überlegenheit heraus anblaffen will, stattdessen mich anblaffen, bin ich derart verblüfft, dass ich nicht in adäquater Eloquenz reagieren kann.

„Wenn Sie einparken wollen, müssen Sie doch erst mal den Gegenverkehr …“, versuche ich eine Belehrung, doch er – ein Mittfünfziger mit Sorgenfurchen um die Lippenwinkel, dessen eigentlich beeindruckend üppige Haarpracht dadurch immens an Wirkung einbüßt, dass er sie trägt wie Jürgen Drews 1977 – haut dazwischen.

„Ich muss GAR NICHTS!“, brüllt er, „und jetzt fahr weiter!“ Dann leiert er die Scheibe hoch. Was schade ist.

Denn ich hätte ihm einerseits noch sehr gerne erläutert, dass er als PS-starker Beweger einer ganzen Tonne Stahl 76-Kilo-Radler grundsätzlich wie Mingvasen behandeln sollte, auch und gerade beim ordnungswidrigen Versuch, die Fahrbahn trotz Gegenverkehrs zu queren.

Und zum andern hätte ich ihm auch gerne noch in wohlgesetzt harschen Worten dafür kritisiert, mich ohne Not geduzt zu haben. So aber blieben mir nur dumpfer Groll sowie zwei Überzeugungen: Dieser Mann kann unmöglich St. Paulianer sein – und er gibt Blogstoff ab.

Und so geschah es dann ja auch.


PS: Einen Vorteil hat es ja, die Szene vor lauter Schreck nicht fotografisch dokumentiert zu haben: Ich kann irgendwas hier reinstellen. Sogar ein Foto des hübschen Graffitis am Lieblingshaus der Wildpinkler an der Großen Freiheit, Ecke Schmuckstraße.


13 Januar 2012

Schlappenalarm



Sechs Tage lang ächzte und rödelte mein MacBook unermüdlich Tag und Nacht, um jene 5.524 Songs aus meiner Mediathek, die iTunes unbekannt waren, in die Wolke zu schaufeln. Und genau in dem Moment, als das letzte Stück endlich, endlich seine Himmelfahrt hinter sich hatte, klingelte es.

German Psycho und Twelectra standen
vereinbarungsgemäß vor der Tür, um sich an unserer seilerstraßenweit weltberühmten Spezialität zu delektieren, nämlich Estragonlachs an Basmatireiskuchen mit Backofenkürbis.

Herr GP war ausstaffiert, als hätte er in letzter Sekunde den Neujahrsempfang des Bundespräsidenten boykottiert. Also musste ich ihn auf Filzpantoffelniveau runterbrechen und reichte die Einwegschlappen, die vom letzten Aufenthalt im Maritim-Hotel übrig waren.

Anzug mit Einstecktuch, Krawatte, Hemd etcetera – und dazu Einwegschlappen: Bei diesem fotografisch ordnungsgemäß dokumentierten Anblick braucht selbst ein Blogeintrag keine Pointe mehr.

12 Januar 2012

Die Tatterattacke



Heute stieß der Franke beim vergeblichen Versuch, mit Hilfe einer Metallzange Amaretti auf die Untertasse zu legen, zweimal hintereinander seine Espressotasse um, so dass sich beider Inhalt durchaus ästhetisch über den Holztresen ergoss.

Da die Kaffeebar, wo sich das erbarmungswürdige Schauspiel begab, nur Menschen mit Behinderungen beschäftigt, muss man diese Tatterattacke wohl als ernsthaftes Stellengesuch des Franken interpretieren.

Wenn sie ihn einstellen, ist dieses Blog am Ende. Drücken wir also alle

gemeinsam die Daumen.

Oder lasset uns beten.

10 Januar 2012

Schnick Schnack Schnuck um Speckfrikadellen



Also: Rahmspinat mit Rührei oder doch lieber Speckfrikadellen mit Senfsauce und Röstkartoffeln? Die Mittagskarte des Voltaire in der Friedensallee (Foto) macht es dem Franken und mir nicht leicht, doch schließlich ist die Sache für uns beide klar.

„Die Speckfrikadellen, bitte“, sagt der Franke, und darauf hätte ich natürlich unbesehen meine komplette Sammlung 1976er Trockenbeerenauslesen verwettet.


„Nehme ich auch“, sage ich.
„Nehmen Sie nicht“, sagt die Bedienung.

Wir schauen sie an, als hätte sie uns gerade erzählt, der Papst habe in Strapsen das Casino von Travemünde überfallen. „Es ist nämlich“, präzisiert sie genüsslich, „nur noch eine Portion da.“ Ach so. Da der Franke bereits geordert hat, bescheide ich mich generös mit dem Spinat. Ist ja ebenfalls eine feine Sache, fragen Sie Popeye.

Doch der gemeinhin auch inwendig eher grobschlächtig geformte Franke entdeckt plötzlich ein der Welt bislang tief verborgen gebliebenes Faible für Fairness und schlägt vor, Schnick Schnack Schnuck um die Portion Speckfrikadellen zu spielen. Bis drei.

Als Freund jedweden Duellierens – unabhängig von Speckfrikadellen – willige ich freudig ein. Sofort gerate ich 0:1 ins Hintertreffen, gleiche mit Stein gegen Schere aus und drehe schließlich in der finalen Runde das Spiel mit Schere gegen Papier. Der Franke hat gedacht, ich setzte auf Brunnen. Ich hingegen habe gar nicht gedacht, sondern nur gemacht.

Just als mir also die Speckfrikadellen zuungunsten des Spinats wieder als mittägliche Verheißung vorm geistigen Auge auferstehen, kommt die Bedienung zurück. „Entwarnung“, sagt sie, „es sind doch noch zwei Portionen da.“

In des Franken Auge flammt sofort die Freude schöner Götterfunken auf; es ist Ausdruck tiefempfundenen Glücks desjenigen, der unversehens doch noch etwas zu mümmeln kriegt, das er längst abgeschrieben hatte: Speckfrikadellen. Und nichts und niemand wird ihn von ihrem umstandslosen Verzehr abhalten können, nicht mal Brunnen.

„Gerade haben wir noch Schnick Schnack Schnuck um die Speckfrikadellen gespielt“, schildere ich der Bedienung die Ereignisse der letzten 30 Sekunden, „und ich habe gewonnen.“ Sie zuckt mit den Schultern.

Irgendwie fühle ich mich jetzt, als hätte man mir am grünen Tisch einen Sieg geklaut, dabei kriege ich doch ebenfalls Speckfrikadellen.

Versteh einer die menschliche Psyche.

PS: Die „Frankensaga“ ist bei Amazon billiger geworden: 3,42 statt 3,82 €. Sale! SALE!


09 Januar 2012

Peinlich: Senat schämt sich für Elbphilharmonie (oder?)

Seit fast 17 Jahren wohnen wir in Hamburg, also wird es endlich Zeit für eine Stadtrundfahrt. Und Süßschnäbel wie wir sollten uns auch das frischeröffnete Chocoversum am Meßberg ansehen. „Eine richtige Touritour“, vorfreut sich Ms. Columbo, „nur ohne Anreise.“

An den Landungsbrücken erwischen wir die besten Sitze oben im Doppeldeckerbus, und schon kreuzen wir gemütlich durch unsere Stadt, untermalt von einem (natürlich) auf Ortsfremde gemünzten Soundtrack inklusive uralter Herrenwitze („Wissen Sie, warum der Neue Wall auch Schick-Scheck-Schock-Straße genannt wird? Weil die Dame erst was schick findet, dann den Scheck zückt und der Mann zu Hause einen Schock kriegt.“).

Wir erfahren auch, warum wir Zugezogenen „Quiddjes“ genannt werden. Irgendwann in grauer Vorzeit nämlich sollen die Hamburger von Auswärtigen, die ihre Stadt betreten wollten, Eintrittsgeld verlangt haben. Dafür wurde ihnen eine Quittung ausgestellt, auf Plattdeutsch „Quiddje“ …

Jedenfalls plaudert unser Reiseführer munter vor sich hin, verweist auf dies und das, identifiziert für uns die rosa Villa von Karl Lagerfeld, ohne dessen Namen zu nennen – doch irgendetwas fehlt. Eine der größten hiesigen Attraktionen spart der Mann merkwürdigerweise aus, obwohl wir zweimal dran vorbeifahren: die Elbphilharmonie.

Das kommt mir sehr komisch vor, und ich frage ihn am Ende der Rundfahrt, warum er dieses so berühmte wie berüchtigte Halbmilliardengrab mit keiner Silbe erwähnt hat.

„Weil die Stadt das nicht möchte“, sagt er freimütig. Alle Rundfahrtbetreiber, erzählt er, hätten ein Schreiben bekommen, in dem sie darum gebeten worden seien, die Elbphilharmonie tunlichst nicht zu erwähnen.

Habe ich das richtig verstanden? Ganz Deutschland liest ständig etwas über neue Kostenexplosionen dieses Prestigebaus, der die Skyline Hamburgs auf Generationen prägen wird, aber hier, vor Ort, Aug in Aug mit seinen Bullaugenfenstern, wird die Existenz Ihrer Exzellenz vor den Touristen totgeschwiegen?

Olaf Scholz hat also quasi eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen mit dem Ziel, eine Veröffentlichung zu verhindern, und falls die Rundfahrtbetreiber sich nicht dran halten, ist der Rubikon überschritten, und es wird Krieg geführt, oder was …?

Diese anscheinend öffentlich noch gar nicht bekannte „Bitte“ des Senats trägt jedenfalls Früchte; denn kein unbedarfter Tourist erfuhr heute während unserer Stadtrundfahrt, welch kapriziöses Gebäude an der Kehrwiederspitze gen Himmel wächst und warum sein Anblick so dröhnend verschwiegen wird.

Eine Blamage für Hamburg – und ein peinlicher Beweis dafür, wie sehr die Stadt sich mittlerweile schämt für ein Projekt, das einst als das genaue Gegenteil geplant war: als hanseatischer Imagebooster.

Nach dieser derart kurios geendeten Rundfahrt ging es noch ins sogenannte Chocoversum, das angesichts seiner Größe und Ausstattung eher Chocohütte heißen sollte. Und trotz 9,50 Euro Eintritt rücken sie nicht mal eine kostenlose Rippe Schokolade raus – hach, Hachez, so wird das nix.


08 Januar 2012

Die alte Frage: Koinzidenz oder Korrelation?



Thaimasseurin Mina agierte eine Stunde lang derart phänomenal, dass ich ihr am Ende fünf Euro Trinkgeld extra in die Hand drückte.

Später, auf dem Weg zum Glascontainer, fand ich auf dem Gehweg einen gefalteten Geldschein. Es waren fünf Euro.

Danke ans Universum!




06 Januar 2012

Fundstücke (151)



Inhaltlich möchte ich diesen am Hauptbahnhof entdeckten Aufkleber erst einmal nicht bewerten. Denn jede Exegese würde sowieso überstrahlt und kontaminiert von der bestürzenden Tautologie des Wortes „KACKSCHEISSE“.

Um das wieder aus dem Kopf zu kriegen, gehe ich am besten heute Vormittag zur Thaimassage. Es wird funktionieren, ich weiß es. Dank Joy.



04 Januar 2012

Vermintes Gelände

Als der Franke und ich im Fischrestaurant in der Bahrenfelder Straße die Rechnung bezahlt haben, schenkt uns die Bedienung unversehens noch zwei Promoflaschen Cola Zero. Wir nehmen sie höflich und dankend an, obgleich wir beide zu diesem „Getränk“ stehen wie ein ralliger Ozelot zu Kopfsalat.

Auf dem Weg zurück ins Büro überlegen wir, wem wir damit eine Freude machen könnten. „Ich schenke sie Kramer“, entscheidet der Franke. „Und ich einfach einer sehr schlanken Frau“, sage ich. „Damit bin ich auf der sicheren Seite. Jede Frau, die nicht sehr schlank ist, würde doch automatisch denken, ich hielte sie für fett. Und wenn die schlanke Frau, der ich sie schenke, das aus irrationalen Gründen ebenfalls denkt, dann kann ich ihr genau erklären, warum ich genau ihr die Flasche geschenkt habe und keiner … Vollschlanken.“

Derart argumentativ abgesichert betrete ich selbstgewiss dieses schwer verminte Gelände und schenke meine Cola Zero einer sehr schlanken Kollegin. Sie betrachtet die Flasche. „Meinst du denn“, fragt sie, während sie unsicher lächelt, „ich hätte das nötig?“

„Siehst du!“, rufe ich dem Franken hinterher, der bereits auf dem Weg zu Kramer ist, dem man übrigens jederzeit alles schenken kann, zum Beispiel auch Schwartemagen, Fruchtgummi oder alte Nachos; Hauptsache, man schenkt ihm überhaupt etwas.

Der Franke stürzt feixend herbei, und ich erläutere in seinem Beisein der sehr schlanken Kollegin, wie ich vorhin überlegt hätte, ob sie wohl annähme, ich hielte sie für fett, wenn ich ihr diese Flasche Cola Zero gäbe, und dann erkannt hätte, dass ich dieser Falle nur dadurch entgehen könne, indem ich sie einer sehr schlanken Frau schenkte.

„Danke“, haucht sie.
Es klingt geradezu ergriffen.


PS: Vielleicht sollte man als Mann generell mehrere Flaschen Cola Zero vorrätig haben.
(War das gerade der Flirttipp des Tages? Scheint so.)

03 Januar 2012

Pareidolie (39)

Das neben Sex beliebteste Blogsujet Pareidolie habe ich in letzter Zeit schmählich vernachlässigt. Allerdings kommt einem ja auch nicht jeden Tag eine derart knautschig dreinschauende Umhängetasche unter.

Sie lugte aus einem Schaufenster am Schulterblatt – und erinnert mich an einen als Beduinen verkleideten Walter Matthau, dem Jack Lemmon gerade eine Bommelmütze auf den Kopf geklebt hat.

Aber das liegt mit Sicherheit an mir, machen Sie sich bloß keine Vorwürfe.

PS: Eine ganze Galerie an Pareidolien gibt es bei der Pareidolie-Tante.


02 Januar 2012

Fundstücke (150): Zum Thema Außenwerbung



„Ich nehme eine Portion Internet, bitte.“
„Tut mir Leid, Internet ist grad aus. Aber einen 1-a-Wasserschaden könnte ich Ihnen noch anbieten.“
„Hm, nicht schlecht … Mein letzter war nämlich mau, so eher zwei minus.“
„Sehen Sie! Unserer hingegen hat Topqualität. Der reicht fürs ganze Haus! In welchem Stockwerk wohnen Sie?“
„Im vierten.“
„Hervorragend! Dann mache ich Ihnen einen Sonderpreis. Wollen wir gleich einen Termin vereinbaren?“
„Passt es Ihnen nächsten Mittwoch?“
„Klar! Bis dahin müsste auch Internet wieder reingekommen sein. Das bringe ich gleich mit.“
„Ich glaube, ich muss über Sie qypen.“
„Na hoffentlich positiv, hahaha!“
„Kommt ein bisschen auf den Wasserschaden an. Ist der wirklich 1 a?“

(Schild entdeckt am Schulterblatt)




01 Januar 2012

Nein, alles macht Sinn …



… natürlich auch nicht richtig. Aber beim gemütlich in der Landschaft Herumliegen zwischen Wetzlar und Herborn macht diesem Dorf weltweit niemand etwas vor. Für manche der sechseinhalbtausend Einwohner ist es sogar das Sinn des Lebens.

Wie Sie bereits an diesen wenigen Sätzen merken, nimmt hier auch 2012 die Kalauerdichte nicht ab. Höchstens ab und zu, dann aber über kurz oder lang nicht mehr, nur hie und da mal mehr oder weniger schlecht als recht.

Das alles macht natürlich Sinn. Und zwar mit mir.

31 Dezember 2011

Offener Brief zu Silvester (6)

Alle Jahre wieder steht hier an dieser Stelle zu genau diesem Zeitpunkt ein inständiger Appell an Ihre Restvernunft, und alle Jahre wieder muss ich Anfang Januar in der Zeitung lesen, dass sie ihn überhört haben, ignorierten, darauf spuckten, in die Tonne traten, wegwischten, ja hohnlachend missachteten. Das betrübt mich sehr. Aber vielleicht wird ja diesmal alles anders. Vielleicht denken Sie: Mensch, Matt könnte ja recht haben, ich spreng mir dieses Jahr einfach mal nicht Nase, Augen, Arme, Beine und Geschlechtsteile weg. Klingt jedenfalls nach einer guten Idee. Und genau die sollten Sie jetzt umsetzen. Ich will nämlich einmal Anfang Januar keine einzige dieser Silvestersplattergeschichten in der Zeitung lesen. Deal? Deal. Und hier nun das Original von 2006. Es ist der am wenigsten angestaubte Text im ganzen Blog.

 
Liebe Krüppel vom Neujahrsmorgen,

schaut bitte jetzt noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Das ist gut. Noch.

Denn heute Nacht werdet ihr euch etwas wegsprengen. Ja, genau. Wahrscheinlich ein, zwei Finger, vielleicht auch eine Hand. Oder beide.

Manche von euch wird es noch schlimmer erwischen. Im Gesicht nämlich. Ihr werdet die Nase verlieren, den Unterkiefer, die Augen. Und einige von euch auch den Rest: euer Leben.

Alles ist momentan noch dran, wenn ihr an euch herabschaut. Das ist gut. Doch in den Zeitungen vom 2. Januar werdet ihr auftauchen: als Beispiele für Dumm-, Blöd- und Bescheuertheit. Jedes Jahr stehen diese Beispiele in den Zeitungen vom 2. Januar. Und diesmal seid ihr es, die zu blöd wart, einen Böller ordnungsgemäß abzufackeln.

Euer ganzes Leben – wenn ihr es denn behaltet – wird danach ein völlig anderes sein. Wahrscheinlich verliert ihr eure Mobilität. Vielleicht könnt ihr euch danach nie mehr alleine die Zähne putzen. Vielleicht verliert ihr euren Job. Oder euren Partner. Vielleicht beides.

Und alles aus Blödheit.

Aber noch ist nicht Mitternacht. Noch könnt ihr es vermeiden, am 2. Januar in den Zeitungen als Beispiele für lebensgefährliche Blödheit aufzutauchen.

Wie wär’s? Ist eigentlich ganz leicht.

Aber ich habe wenig Hoffnung. Denn genau das definiert ja Blödheit: Sogar das eigentlich Leichte noch zu leicht zu nehmen.

Schaut bitte noch mal an euch herab. Arme, Hände, Beine, Füße: Alles ist noch dran. Und jetzt sagt zu all dem bitte leise servus.

Melancholische Grüße,
Matt

Foto: Gruppe anschlaege.de

30 Dezember 2011

Die Diktatur des Gutscheins



Ms. Columbo
: Wir müssen unbedingt den Car2go-Gutschein einlösen. Der läuft Silvester ab.
Matt: Ich lasse mir doch von einem Gutschein nicht vorschreiben, wann ich Auto zu fahren habe!
Ms. Columbo: Zur Not fahren wir einfach zweimal um den Block.
Matt
: Das rettet die Welt aber nun wirklich nicht.

Dennoch kam es am Ende doch dazu, dass wir mal wieder dem anachronistischen Irrsinn des Autofahrens frönen werden.[1]


Ein Smart, den wir eine halbe Stunde lang kostenlos durch Hamburg bewegen können: Hat jemand einen Vorschlag, wohin? Und zu welchem Zweck?

[1] Präteritum mit Futur 1 zu kombinieren: Das traut sich auch nicht jeder.


29 Dezember 2011

Raus in Uelzen



Der IC strandete in Celle. Triebwerkschaden. Lange standen wir ratlos auf dem Gleis, ehe es weiterging, aber nur bis nach Uelzen. Hier war der Zug endgültig kaputt.

In Uelzen auszusteigen ist dank Susanne Fischer literarisch unabdingbar, praktisch aber möglichst zu vermeiden. Dort gibt es ja gewöhnlich nichts – heute aber immerhin den außerplanmäßigen Stopp des ICE aus München, der uns Havarierte liebevoll aufnahm („Kommen Sie, gehen Sie gleich in die erste Klasse!“, rief der Zugbegleiter) und weiter gen Hamburg transportierte.

„Ab 30 Minuten Verspätung gibt es eine Teilrückerstattung“, informierte ich Ms. Columbo, und da es bereits jetzt 35 waren, entschlossen wir uns, den zu erwartenden Geldsegen präventiv zu verfuttern. Im Speisewagen orderten wir Chili con Carne.

Man lieferte uns dazu einen Brotkorb von üppigster Ausstattung, den ich als posthume Backpfeife für Mitropa interpretierte. „Das sollte man fotografieren und an Rach mailen“, jubelte Ms. Columbo, die sich noch ungut an jene berühmte singuläre Minischeibe Brot erinnerte, die uns damals im Tafelhaus eine Livrierte mit großer Geste auf den Teller hub, ehe sie auf Nimmerwiedersehen entschwand in Rachs halbdunkler Räuberhöhle.

Sofort fotografierte ich den Brotkorb, um das Dokument an Rach zu mailen. Während des Chili con
Carne erreichten wir Lüneburg. Die Verspätung war noch immer befriedigend bis gut, und wir hielten sie locker bis Harburg, in Hamburg waren es weiterhin 35 Minuten. Damit hatten das Stranden in Celle und das Aussteigen in Uelzen etwas echt Gutes, was Susanne Fischer in ihrer nächsten Uelzen-Geschichte mitberücksichtigen sollte.

Vom Zugbegleiter ließ ich mir handschriftlich die Ankunftszeit bestätigen und begab mich vergnügt ins Reisezentrum, um die Teilrückerstattung entgegenzunehmen. „Wir sind erst mal in Celle liegengeblieben“, versüßte ich der jungen Frau hinterm Schalter die Lektüre meines inzwischen vielschichtigen Onlinetickets, „und dann mussten wir in Uelzen den Zug wechseln.“

Die Bedeutsamtkeit gerade letzterer Information schien der Frau trotz meiner kursivierten Sprechweise gar nicht recht bewusst zu sein; wahrscheinlich hatte das arme Hascherl Susanne Fischer überhaupt nicht gelesen. „Schließlich sind wir mit 35 Minuten Verspätung in Hamburg angekommen, deswegen hätte ich gern eine Teilrückerstattung.“

Sie schaute lächelnd hoch, legte das Köpfchen schief und klimbimberte mit den Lidern. „Das tut mir Leid“, sagte sie, „erst ab einer Stunde Verspätung. Da kann ich leider nichts machen.“

Ich war verdattert. Hatte mir nicht der mit allen Bahnwassern gewaschene Franke etwas von einer halben Stunde als Untergrenze der Rückerstattungsfähigkeit erzählt? „Aber … Ich dachte … 30 Minuten …“, stammelte ich, „hat sich das denn geändert?“

Noch immer trug sie ihr mädchenhaftes Tröstungsgesicht zur Schau. „Ach“, lächelte sie mich final in Grund und Boden, „da ändert sich immer mal wieder was.“

Und wer, frage ich, ersetzt uns jetzt das Chili con
Carne?
Also Rach bestimmt nicht.


26 Dezember 2011

Sagahaft!



Da schreibt ein Jonathan Lehmann bei Amazon eine begeisterte Rezension zum Album des Bluessängers WellBad, die mit den Worten endet: „Das Alter des Sängers ist kaum zu fassen, wenn man Wikipedia glauben schenken kann!“ (sic)

Der von seiner Entdeckung offenbar völlig überwältigte Rezensent hat also extra bei Wikipedia nachschlagen müssen, um etwas über WellBad zu erfahren – dann handelt es sich wohl doch nicht um dessen eigenen Presseagenten, der ebenfalls Jonathan Lehmann heißt. Sonst wüsste er doch sicherlich, wie alt der Künstler … na egal.

Apropos Amazon: Pünktlich zu Heiligabend wurde mir die erste Tantiemenüberweisung für „Die Frankensaga“ angekündigt, und war die Oktobererlöse. Sie belaufen sich auf 119,08 € – damit war also schon innerhalb des ersten Verkaufsmonats das selbstgesteckte Ziel erreicht, mir mithilfe der „Frankensaga“ einen Kindle zu finanzieren.

Aufrichtigen Dank an alle, die dieses doch etwas schräge Werk erworben haben! Mein nächstes Tantiemenziel ist nun das Äquivalent eines Lamborghinis – und dies war in der Tat ein Wink mit der Weihnachtstanne, das haben Sie völlig richtig verstanden.

PS: Sollte das klappen, werde ich nie mehr Fotos der geschmackvollen Weihnachtsdeko in der Gänsemarktpassage veröffentlichen. Hand drauf.


24 Dezember 2011

Im Grunde eine Filmkritik



Hier sehen wir ein erschütterndes Dokument der Verwüstung, zerstört und brandgeschatzt in einer mehrwöchigen Orgie allmorgendlicher Gewalt: mein Smarties-Adventskalender.

Ein Exemplar ist noch drin, es ist gelb und wird – das drohe ich schon mal an – Heiligabend nicht überleben. Übrigens ebensowenig wie der Kalauer „Kaviar: Nahrung, die über Laichen geht“, der mir vorhin beim Anschauen des Zweiteilers „Das Jesus-Video“ einfiel.

Allein das zeigt schon, wie grottig dieser Film war.


22 Dezember 2011

Achtung: Pferdecontent!



Heute Abend gaben gleich zwei besonders liebenswerte Musikpromoterinnen – Pat und Conny – ihren Ausstand, weil sie Hamburg zu verlassen beabsichtigen. Objektiv haben sie zwar gute Gründe für diesen Schritt, subjektiv aber ist das doch sehr schade.

Die beiden hatten zum Behufe des Ausstandes einige besonders liebenswerte Journalisten eingeladen, um sie erst- und letztmals ordentlich abzufüllen, darunter schmeichelhafterweise auch mich.

Wir saßen also traulich im Hadley’s herum, und kaum hatte ich meine altbekannte und abgedroschene, in dieser Runde allerdings noch unbekannte Lieblingsthese aufgewärmt, die Stadt als solche sei ja ganz okay, nur die Menschen wirkten störend, da wechselte das Gespräch auf Pferde.

Dabei hatte ich die Verfeinerung meiner These noch gar nicht dargelegt, nämlich dass es – genauer gesagt – nicht die Menschen an sich sind, welche der Stadt ihr störendes Gepräge geben, sondern der Raum, den sie unverschämterweise einnehmen. Sie stehen herum, wo man sie nicht braucht, stolpern einem in den Weg, wo es keineswegs opportun ist, wölben sich schamlos ins Dreidimensionale, obgleich ebendort sich irgendjemand anders aufzuhalten beliebt, zum Beispiel ich.

Aber wie gesagt: Trotz der allgemeinen Zustimmung, die meine These am Tisch fand, war mir wegen des plötzlichen Themenwechsels Richtung Pferde die entscheidende Vertiefung derselben nicht mehr möglich. Jedenfalls erzählte Pat von ihrem Exemplar, welches aus Dänemark den kurzen Weg herüber nach Hamburg gefunden hat, und spätestens als sie seine Rassenzugehörigkeit namentlich spezifizierte, war es um diesen Abend geschehen, aber im positiven Sinne.

Das Pferd ist nämlich ein Knappstrupper.

Dieses rhythmisch wie klanglich becircende Wort verbreitete sich in Windeseile am Tisch und sorgte unter den Nichtpferdespezialisten – also allen außer Pat – für höchste Erheiterung und in der Folge für enorme Nonsensdiarrhö. Und um unsere Knappstruppermanie weiter zu steigern, hätte Pat ruhig verraten können, dass diese Tiere sich auch noch eines ramsnasigen Kopfes befleißigen.

Aber das erfuhr ich erst spätnachts aus dem Pferdewiki.


PS: Da ich zufällig gerade kein Knappstrupperfoto parat habe, behelfe ich mir mit der Reiterstaffel der Hamburger Polizei, die periodisch die Reeperbahn mit Pferdeäpfeln zu verzieren pflegt.

20 Dezember 2011

Bier wird überschätzt



Die Botschaft, die mein Becher mir zu übermitteln schien, war widersprüchlich. Zwar zierte ihn ein Konterfei des Mannschaftskapitäns Fabio Morena, doch was darin schwappte, war keineswegs der bisher als axiomatisch angesehene Gerstensaft, sondern simples Wasser.

Da die Partie des FC St. Pauli gegen Eintracht Frankfurt als Problemspiel galt, schenkte man stadionweit nur alkoholfreie Plörre aus, die Bier zu nennen sich nicht nur der Feinschmecker
sträubt, sondern ganz generell der gesunde Menschenverstand.

Alkoholfreies Bier nämlich schmeckt wie angegammeltes Heu, wie vergessene Socken aus dem Kleiderschrank eines vor Jahren stillgelegten Altenheims, wie ausgewrungener Pudel. Deshalb war ich auch mental nicht in der Lage, durch die Bestellung eines solchen „Getränks“ wenigstens die Farbgestaltung des Namensbechers aufrechtzuerhalten. Voller Angstlust bestellte ich daher Wasser.

War dies die entscheidende Komponente, welche die Theorie, derzufolge St. Pauli immer zu Hause siegt, sofern ich mit einem Namensbecher auf der Haupttribüne sitze, zu Fall bringen würde, und das ausgerechnet beim letzten Heimspiel des Jahres? Für all jene, die noch keine Nachrichten gehört haben und sich jetzt beinah einnässen vor Spannung:


N
ein.

Die Bechertheorie steht, sie steht wie eine Eins, sie geht glorios mit mir ins neue Jahr und vielleicht sogar in die erste Liga. Zum Gesamtensemble, das hat dieser Abend eindrucksvoll bewiesen, muss nicht einmal Bier gehören, irgendein Getränk reicht, Hauptsache, der Becher ist bedruckt.

Der FC St. Pauli nämlich siegte glücklich 2:0. In der ersten Hälfte hatten die Frankfurter ungefähr vier Chancen und St. Pauli eine, aber die war drin. In der zweiten ein ähnliches Bild: Kruse machte mit der ersten St.-Pauli-Gelegenheit auch gleich den entscheidenden Treffer.

Hinterher gab es zwar noch zwei, drei mindestens hundertelfprozentige Chancen für die boys in brown, wie das halt immer so ist, wenn man kontern kann – und trotzdem fragt sich die konsternierte Eintracht wahrscheinlich auch jetzt noch, wieso sie dieses überlegen geführte Spiel eigentlich verloren hat.

Tja, hätte sie sich vorher intensiver mit diesem Blog beschäftigt, wüsste sie warum.

Übrigens erzielte wie beim letzten Mal (Boll) auch diesmal ein Spieler, der mich während der 90 Minuten von meinem Becher aus sympathisch anlächelte, ein Tor. Möglicherweise muss dadurch die Bechertheorie um eine weitere Variable erweitert werden.

Aber jetzt überwintert sie erst einmal unfalsifiziert, und das versüßt mir Weihnachten doch ganz erheblich.

PS: Alle bisherigen Folgen der Bechertheorie gibt es hier.

19 Dezember 2011

Der Vorteil von Vorurteilen



Ms. Columbo möchte in „Mission impossible 4“, ich in „Jane Eyre“ – ja, in welcher Welt leben wir eigentlich? Das ist übrigens schon das zweite Mal, dass ich mir in den vergangenen Tagen diese Frage stellen musste.

Bei einem Presseempfang im Maritim-Hotel Reichshof war ich mit einer bereits etwas betagteren Kollegin ins Gespräch gekommen. Sie wirkte wie eine altgediente Vollhanseatin, die bewusst einer leichten Tendenz zum Kiezchic huldigte; so deutete ich jedenfalls ihre Staffage aus Echtpelzstola und etwas zu klobiger Perlenkette, die im etwas zu tiefen Dekolletee versank.

Ihr Sohn, so stellte sich im Gespräch heraus, ist in meinem Alter, was andersrum bedeutet: Die Kollegin mit der Echtpelzstola ist so alt wie meine Mutter – und war neulich in Köln.

Beim Metallica-Konzert.

„Aber nur“, raunte sie mir vertraulich zwischen zweimal Nippen am Schampus zu, „meinem Freund zuliebe. Ich mag AC/DC lieber.“

Ich überbrückte und vertuschte mein Erstaunen nun meinerseits mit einem ausgiebigen Nippen am Schampus. Das verschaffte mir genug Zeit, um im Stillen einer bereichernden Erkenntnis nachzuspüren, die vielleicht sogar das Zeug zum Aphorismus haben könnte.

Sie lautet: Wer keine Vorurteile hat, erlebt weniger Überraschungen – und führt ein uninteressanteres Leben.

PS: Nein, ich habe früher nie mit Puppen gespielt. Ehrlich nicht.

PPS: Wir waren dann doch in „Jane Eyre“. Aber nur, weil das Kino fußläufig zu erreichen war. Ehrlich!

17 Dezember 2011

DeLonghi sucht Anschluss

Aufgemerkt, Hamburg; hergehört, Blankenese, Pinneberg und Poppenbüttel; spitz die Ohren, o Schanze und St. Pauli:

Wir verkaufen schon wieder eine Nespresso-Maschine. Diesmal handelt es sich um eine DeLonghi Lattissima, und weil der beste Motor nicht läuft, wenn der Tank leer ist, packen wir sämtliche Kapselvorräte dazu, und das sind sagenhafte 370 Stück – Anschaffungswert: 120 Euro.

Ab sofort kann bei Ebay auf dieses Ensemble geboten werden; los geht es bei sportlichen 1 Euro.

Wir übergeben das tadellos funktionierende und kreditkartengepflegte Schmuckstück aber nur hier in der Seilerstraße an Selbstabholer. Um die Anreisestrapazen zu mildern, servieren wir außerdem bei dieser Gelegenheit einen Espresso aus unserer neuen Siebträgermaschine. Das alles kann noch vor Weihnachten abgewickelt werden.

Alles Weitere steht im Auktionstext, Rückfragen beantworte ich – wie es meine Art ist – natürlich trotzdem gerne.

16 Dezember 2011

Die seligen 80er



Heute Abend traf ich den Direktor des Hamburger Maritim-Hotels, wo seit rund hundert Jahren der abgebildete Kronleuchter an der Restaurantdecke hängt.

Der Direktor erzählte von den 80er Jahren auf dem Kiez, seiner großen Zeit. Am Spielbudenplatz gab es damals seinen Erinnerungen zufolge eine Kneipe namens „Kombinat in der Bauphase“. Er musste das wiederholen, weil wir dachten, es handele sich um eine Kneipe namens Kombinat, die er bereits vor Fertigstellung besucht habe, doch nein: Sie hieß wirklich „Kombinat in der Bauphase“.

Drinnen gab es keinen Tresen, sondern nur diverse herumstehende Kühlschränke. An jeden davon war eine Servicekraft mit Handschellen gekettet, und wenn man ein Bier wollte, öffnete der immobilisierte Mensch die Kühlschranktür und reichte eins rüber.

In der Mitte des Raumes, so erinnerte sich der Direktor, wurde der DJ, der The Cure etc. zu spielen hatte, allabendlich rituell mit Styroporsteinen eingemauert und verbrachte dann den Rest der Schicht in diesem kläglichen Zustand.

Was genau mit all diesen lokal fixierten Angestellten geschah, wenn sie mal wollten oder mussten, konnte der Hoteldirektor leider nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls scheinen das originelle Zeiten gewesen zu sein.

Heutzutage hingegen gehört es auf dem Kiez schon zum Originellsten, wenn man auf der falschen Seite der Reeperbahn von einer Prostituierten angekobert wird. So wie ich heute Abend.


15 Dezember 2011

Ausgetickt? Im Gegenteil!



Seit mehreren Jahrzehnten besitze ich keine Uhr mehr. Schließlich schlägt dem Glücklichen keine Stunde, wozu also braucht er einen Chronometer?

Außerdem ist meine innere Uhr durch dieses jahrzehntelange Training von einer verblüffenden Treffsicherheit, mit der ich Ms. Columbo immer wieder neu auf eine Weise beeindrucken kann, als beherrschte ich das Jonglieren im Kopfstand, und zwar unter Wasser.

Wenn ich hingegen wirklich mal hundertprozentig genau wissen muss, wie spät es ist, dann hängt – o Segen der Großstadt! – immer gerade irgendeine Uhr in Sichtweite rum, und für Notfälle gibt es ja auch noch das iPhone in meiner Hosentasche.

Kurzum: An der Notwendigkeit, mein Handgelenk mit einem Zeitmesser beschweren und somit ständig diesen eklen Schweißfilm ertragen zu müssen, der sich zwangsläufig an der Uhrenunterseite bildet, gebricht es mir total.

Als ich heute auf dem Heimweg allerdings mal wieder einen Blick in die öden Weiten der progressiv dahinsiechenden Woolworth-Filiale in der Großen Bergstraße warf, gewahrte ich einen Tisch, an dem Uhren verramscht wurden. Unverbindlich schaute ich mal drauf – und verliebte mich augenblicklich ins abgebildete Objekt.

Es war indes keineswegs die recht schlicht konzipierte Uhr an sich, welche mich in ihren Bann schlug, sondern die Zusatzapplikation Flaschenöffner mitsamt der Befestigungsmöglichkeit am Schlüsselbund. Der Preis gab mir dann den Rest, denn Woolworth vertickt (sic!) das Teil für fünf Euro und legt sogar noch eine Ersatzbatterie bei.

Ja, ich habe ein Herz für Ramsch. Und ich weiß, in Ihren Augen hebt diese Schwäche meinen sozialen Status keineswegs. Doch eins kann ich Ihnen sagen: Wenn sie das nächste Mal ratlos mit einer zuen Flasche Astra anner Reeperbahn rumstehen, dann werden Sie heilfroh sein, wenn ich mit meinem Uhrenschlüsselanhängerflaschenöffner zufällig des Weges komme – und Ihnen sagen kann, wie spät es ist.

Einfach so.

14 Dezember 2011

Ein Anfängerfehler



Ms. Columbo
: „Wo hast du denn den gelben Schirm hingetan?“
Matt: „In die Abstellkammer. Wo hattest du ihn denn hergeholt?“
Ms. Columbo: „Aus der Abstellkammer.“
Matt: „Dann ist ja alles gut.“

Nun, das war gestern. Heute aber ist nichts mehr gut, gar nichts mehr. Der gelbe Schirm, das ist eine traurige Tatsache, wird nie mehr in die Abstellkammer zurückkehren.

Wir verließen kurz vor neun das Haus, es regnete, und ich spannte den gelben Schirm aus der Abstellkammer auf. Als wir auf die Reeperbahn einbogen, attackierte uns eine wilde Überraschungsbö von Osten, und mir unterlief der erste von zwei Deppenfehlern: Ich stemmte mich dagegen.

Der gelbe Schirm aus der Abstellkammer verbog sich sofort ächzend unter der Gewalt des Sturms, was zu meinem zweiten Deppenfehler führte: Ich drehte mich um. Sofort juchzte die Bö vor unverhofftem Glück, stürzte sich kopfüber in die kuschelige Heimeligkeit der Schirmhalbkugel und schlug sie in die falsche Richtung um.

Als ich endlich das einzig Richtige tat, also das, was ich trotz des Regens von Anfang an hätte tun sollen, nämlich das Gerät sofort zusammenzuklappen, war bereits nichts mehr zu retten.

Das gelbe Ding war binnen handgestoppten 3,4 Sekunden in ein Klappergestell zerlegt worden, und ich stopfte es missgelaunt in die nächstbeste Mülltonne – zu all den anderen Opfern, die noch vor kurzem im Besitz von Deppen gewesen waren.

Denn diese Panne hier war das Resultat eines lächerlichen Anfängerfehlers. Im nassen Hamburger Wind den Schirm aufspannen – das passiert normalerweise nur Touristen; also den gleichen Leuten, die auf Radwegen Hans-guck-in-die-Luft spielen und sich trotzdem nur unter allen Anzeichen der Empörung wegklingeln lassen.

Immerhin: Der gelbe Schirm war spottbillig. Ms. Columbo unterlaufen halt keine Anfängerfehler.

13 Dezember 2011

Von denen hätte ich das nicht gedacht

Neulich traf ich auf einer Weihnachtsfeier einen Alleinunterhalter, der schon derart viele Weihnachtsfeiern intus hatte, dass er einschlägige Ranglisten erstellen konnte.

„Es gibt nur eine Weihnachtsfeier, auf der mehr gesoffen wurde als auf der von Saturn“, verriet er und schwieg kurz sardonisch, um unsere erwartungsvollen Blicke auszukosten. „Und zwar auf der von … Greenpeace!“

Wir staunten allesamt Bauklötze aus nachhaltiger Produktion: Das Jahr über piesacken die Wal-, Watt- und Weltretter also Ölplattformen, und im Advent saufen sie unverdrossen Saturn untern Tisch? Das macht sie ja noch sympathischer – es sei denn, man ist gerade auf Entzug.

An diese kleine Nähkästchengeschichte des erfahrenen Alleinunterhalters musste ich heute denken, als ich mir den Dokumentarfilm „Blood into Wine“ ansah. Er erzählt davon, wie der Rocksänger Maynard James Keenan (Tool, A Perfect Circle) in der Hochwüste von Arizona Wein anbaut; und an einer Stelle im Film trägt Keenan das oben abgebildete Kalauer-T-Shirt.

Sollten Sie, die Sie dies hier lesen, wirklich noch kein Weihnachtsgeschenk für den berüchtigten Ökoaktivisten und Waffennarr German Psycho haben, so interpretieren Sie das bitte als gutgemeinten Vorschlag. Erhältlich ist das Hemd übrigens in diesem Webshop – und nein, ich werde von denen nicht bezahlt, sondern suche nur nach einer nonchalanten Möglichkeit, die Fotoquelle zu erwähnen, um dadurch eventuell dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung zu entgehen.

Es würde – nebenbei bemerkt – diesen Blogbeitrag auf besonders elegante Weise harmonisch abrunden, wenn Saturn das Kalauer-T-Shirt im Angebot hätte, doch das kann man von einem Elektrohöker, der sich sogar von Greenpeace unter den Tisch saufen lässt, einfach nicht verlangen.

PS: Übrigens hat Gunter Gabriel den Johnny-Cash-Song „Cry, cry, cry“ mal mit „Wein, Wein, Wein“ übersetzt. Ob es ein Roter oder Weißer war, erwähnte er allerdings nicht.


12 Dezember 2011

Chucky, die Grinsepuppe



Um nach Rahlstedt zu Marks alljährlichem Greueljulklapp zu kommen, lösten wir eine Tagesgruppenkarte für 9,60 €.

Zwar galt sie gar nicht für die erste Klasse, als die Schnellbusse wie der zielgenaue 36er anachronistischerweise deklariert sind, doch die Handyticketapp bot die richtige Gruppenkarte für 11,20 nicht an, und der Busfahrer würde ja schon was sagen, wenn er sähe, dass wir die falsche gelöst hatten, nicht wahr.

Doch wie alle Busfahrer betrachtete er den flüchtig präsentierten QR-Code auf dem iPhone-Display so interessiert wie Godzilla ein vegetarisches Antipastibüffet. Und ehrlich gesagt hatten wir darauf auch ein wenig spekuliert.

Nach Rahlstedt heizte der Fahrer wie ein Irrer. Ich zählte vier überfahrene rote Ampeln, was mich aber überhaupt nicht aufregte, sondern sogar sehr gelassen machte. „Wenn er sich nicht an die Regeln hält“, raunte ich Ms. Columbo im Hinblick auf unsere mutwillig verbilligte Gruppenkarte zu, „dann müssen wir das auch nicht.“ Sie war ganz meiner Meinung und vermutete, der Mann müsse einfach mal dringend aufs Klo.

Durch seine spezifische Fahrweise erreichten wir unsere Haltestelle mehr als fünf Minuten zu früh und kehrten spontan noch in eine Videothek ein, die des Weges kam. Ergebnis: drei gebrauchte DVDs für zehn Euro – nur weil der Fahrer dringend aufs Klo musste.

Marks Greueljulklapp ist übrigens nicht nur stets mit kulinarischen Köstlichkeiten wie Kinderpunsch und selbstgebackenen Smartieshäuschen verbunden, sondern auch mit dem immens hohen Risiko, am Ende Sachen mit nach Hause zu schleppn, die man im schlimmsten Fall als Sondermüll entsorgen oder von einem Sondereinsatzkommando abholen lassen muss.

Gut, das hätte weder für die monströse Handsäge noch für Chucky, die Grinsepuppe (Foto), gegolten. Dennoch waren wir heilfroh über die DVD „No talk“, auf der sich sechs Talkmaster eine halbe Stunde lang anschweigen, sowie eine selbstbefüllte Bügelverschlussflasche undeklarierten Inhalts. Es roch nach Glühwein. Die Antwort kennt allerdings allein der Ausguss.

In der Julklapprunde kamen rasch Fantasien auf, was man Chucky mithilfe der Handsäge antun könnte, vor allem die schief grinsenden Gewinner beteiligten sich rege. Doch alle blieben relativ zivilisiert und nahmen noch einen Kinderpunsch.

Als wir gingen, kontrollierte Mark persönlich, ob auch jeder seinen Greueljulklappgewinn eingepackt hatte. Es gibt einfach kein Vertrauen mehr unter den Menschen.

11 Dezember 2011

Eine Süßspeise namens Lachs



Die Kiezbäckerei in der Silbersackstraße, wo ich samstags- und sonntagsfrüh immer Karottenbrötchen hole, stellt ihrem Streuselkuchen ein Schild vor der Nase, auf dem „Lachs Baguette“ steht.

Der Himbeerkuchen hingegen gilt als „Rühr-Ei Krabbe“, dafür sieht die „Nordsee Krabbe“ original aus wie Tiramisu.

Im Grunde spielt das aber überhaupt keine Rolle. Nach einer langen Nacht sind die hereintaumelnden Kunden eh tolerant bis zur Bewusstlosigkeit; die meisten bemerken mit Sicherheit nicht mehr den geringsten Unterschied zwischen Senf und Sorbet.

Bei den Karottenbrötchen, die – nebenbei bemerkt – sanktpauliweit die mit Abstand weltbesten sind, sieht die Kiezbäckerei die Nomenklatur übrigens erheblich enger. Karottenbrötchen heißen hier nämlich komischerweise „Karottenbrötchen“ – und nicht etwa Matjestartar mit Majo oder so.

Letzteres sollte ich eigentlich mal bestellen, um zu sehen, ob vielleicht Crème Brulee dabei herauskommt oder doch eher Wackelpudding.

Aber ich trau mich nicht.

09 Dezember 2011

Die Betriebsweihnachtsfeier



Spätestens als Kramer irgendwann anfing, vom „titten Mal“ zu faseln, und der Franke als Alternative zu einem Benefizkick den „Benefizfick“ erfand, der auf dem Sender Blue Movie übertragen werden solle, natürlich für 69 Euro pay per fuck … spätestens da war es für mich allerhöchste Zeit, noch länger dazubleiben.

07 Dezember 2011

Alt oder Avantgarde?

Genau seit dem 1. Januar 2002 frage ich mich immer, wenn ich an diesem Hotel in der Querstraße vorbeikomme, wann es endlich die Euroumstellung mitkriegt.

Vielleicht tut es das ja nie; vielleicht verkörpert dieses Etablissement einfach nur das ganz alte St. Pauli. Oder aber – und das ist gar nicht so unwahrscheinlich angesichts der jüngeren Entwicklungen – der Betreiber ist besonders vorausschauend und daher entschlossen, diese lachhafte Europhase einfach gemütlich auszusitzen.

Alt oder Avantgarde? Werden die Letzten die Ersten sein? Und wer hat noch genug D-Mark unter der Matratze, um das vor Ort zu überprüfen?

Das sind alles so Fragen.

06 Dezember 2011

Kerner und der Weltuntergang

Weihnachtsfeier einer Promotionagentur in einem Restaurant am Hein-Köllisch-Platz (Foto). Nicht nur ich bin eingeladen, sondern auch eine Redakteurin der Beckmann-Show.

Sie sitzt neben mir, wir kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen und irgendwann auch auf die offene „Wetten, dass …?“-Moderatorenfrage. Für sie ist die Sache glasklar: Nachfolger von Gottschalk kann nur einer werden, nämlich Johannes B. Kerner.

Ich lächle sie aus, doch die von ihr vorgeschlagene Wette ist mir doch zu riskant. Zwei Grauburgunder später hat sich die subjektive Sachlage geändert, und ich schlage ein.

Es geht um eine Flasche guten Weins, und gleich mehrere Indizien stimmen mich inzwischen optimistisch. Zum einen die Einschätzung einer weiteren sachkundigen Fernsehredakteurin, die für den Beckmann-Konkurrenten Markus Lanz arbeitet.

„Wie hoch ist die Chance, dass Kerner Gottschalk-Nachfolger wird?“, frage ich sie. Sie schaut mich an, als hätte ich sie gefragt, ob Anke Engelke Josef Ratzinger beerben könne, und ihre Antwort fällt entsprechend aus: „Gleich null“, sagt sie, und ich zeige der Beckmann-Frau zwei geballte Fäuste. Sie grinst säuerlich.

Das zweite Indiz dafür, dass ich die Wette gewinnen werde, ist ihre offenkundig eingetrübte Urteilskraft. Sie glaubt nämlich allen Ernstes an den Mayakalender, der den Weltuntergang für 2012 ankündigt. Kerners Übernahme von „Wetten, dass …?“ wäre allerdings eine triumphale Verifizierung des Mayakalenders.

Bitte beten Sie also aus mehrerlei Gründen inständig für meinen Wettsieg, danke.

05 Dezember 2011

Die arme Banane



Besuch aus der hessischen Provinz; übers Wochenende ist C. da. Jener Mensch, der bekanntlich dank einer speziellen Hanglage nur im Winter fernsehen kann, weil im Sommer die Blätter zu dicht sind für seine Satellitenschüssel.


Egal: C. hat vor der Abfahrt nach Hamburg im Frühstücksradio etwas über die originellsten Weihnachtsmärkte Deutschlands gehört, und jetzt will er den originellsten von allen besuchen, nämlich den hiesigen, Santa Pauli. Und weil es schon kurz vor Mitternacht ist, steuern wir so stil- wie zielsicher das Stripzelt an.

In der Schlange vor uns steht eine rothaarige Löwenmähnige. Sie dreht sich zu uns um. „Und was seid ihr für welche, wollt ihr Titten sehn, oder was?“ Wie verneinen eifrig und schützen stattdessen Bierdurst vor.

„Ich hab die Titten schon gesehen“, fährt sie ungerührt fort und schüttelt sich einzelne Strähnen der Löwenmähne aus dem Gesicht. „Nichts Besonders, echt nicht. Die macht kurz das Jäckchen auf, und dann ist es vorbei. – Ihr kommt nicht aus Hamburg, ne?“

Drinnen ist die Lage beim Astra super, tittentechnisch aber bestürzend erbärmlich, denn um Mitternacht ist – aus paritätischen Gründen – der Männerstrip dran. Der Verantwortliche versucht allerdings mit fragwürdigen Elementen aufzutrumpfen.

Höhepunkt seiner Show: Nachdem er zunächst eine willige Mollige aus dem Publikum fischte, spielt er nun auf beschämend untalentierte Weise einen Gynäkologen, holt sich eine Banane aus der Bux, tupft einen Klecks Sahne drauf und lässt die willige Mollige abbeißen.

Wir fliehen ins Windjammer, denn schlimmer kann es ja nicht mehr kommen.

Dachte ich.

01 Dezember 2011

Lemmy und mein limbisches System

Es muss im Pleistozän gewesen sein. Mein Klassenkamerad Klaus, der Hinkefuß, hatte schon einen Kassettenrekorder, wir standen an der Bushaltestelle, und der Kassettenrekorder spielte „Silver Machine“ von Hawkwind.

Ich war sofort hoffnungslos verloren an diesen Song und wusste jahrzehntelang nicht, woran das eigentlich lag. Jetzt weiß ich es: Es ist der Basslauf. Dieses tiefe hektische Sägen, das dem Stück den Takt gibt.

Selbst der Drummer muss sich ihm unterwerfen. Er kann nur versuchen, diesem Bass zu folgen, er ist sein Lakai, sein Diener, er muss sich unterordnen, weil nichts und niemand der Macht dieses Basslaufs widerstehen kann.

Und weil dieser Bass so elementar ist, bricht das Stück auch ausgerechnet im Refrain, der doch eigentlich der Höhepunkt des Songs sein soll, komplett zusammen. Der Bass überlässt das Feld plötzlich der ideenlosen Multiplikation eines ideenlosen Refrains, und es ist jedes mal eine tiefe Erleichterung, wenn er den liegen gelassenen Groove wieder aufnimmt.

Jahrzehntelang hat es gedauert, bis ich endlich das Geheimnis dieses Stückes begriff – und noch einmal einige Jahre, bis mir klar wurde, wer diesen Bass
überhaupt spielt: Es ist Lemmy Kilmister. Der Mann, der heute Abend in der Alsterdorfer Sporthalle Motörhead anführt.

Und jetzt erst begreife ich auch, was einen Abend mit Motörhead so euphorisierend, so einmalig macht: vor allem dieser Bass. Lemmy spielt ihn wie 1971 in „Silver Machine“. Es ist immer noch dieses tiefe hektische Sägen, eine Demonstration der Stärke, eine Verkörperung der Essenz des elektrischen Rock’n’Roll.

Dieser Bass prägt jedes, jedes Stück von Motörhead, und deshalb ist es mir auch egal, dass seit einem Vierteljahrhundert alle ihre Platten gleich klingen. Ihr Werk ist eine große, gewaltige Kathedrale, erbaut zu Ehren dieses Basses, der seit dem Pleistozän in der Welt ist, als mein Klassenkamerad Klaus, der Hinkefuß, draußen an der Bushaltestelle seinen Kassettenrekorder anwarf und „Silver Machine“ von Hawkwind herauskam, ein Song, an den ich sofort verloren ging.

Wir trafen heute Abend einen völlig verrückten Kasselaner, der im T-Shirt in der Kälte stand und seinem 132. Motörhead-Konzert entgegenfieberte. Ich frage ihn, was ihn antreibt, was Motörhead für ihn bedeutet.

Seit Jahren reist er Lemmy hinterher, geht auf jedes verdammte Konzert, das irgendwie zeitlich und verkehrstechnisch erreichbar ist, er hat eine ganze Schublade voller abgerissener Motörhead-Eintrittskarten, er hat buchstäblich Monate seines Lebens in Gegenwart von Motörhead verbracht, und doch wusste er auf meine Frage nur hilflos zu antworten:

„Weil sie einfach geil sind.“

Lemmy hat ihn so oft in der ersten Reihe stehen sehen, dass er ihn irgendwann hochwinkte auf die Bühne. Jetzt hat der Kasselaner den bandinternen Status „Superfan“, er bekommt bei jedem Konzert einen V.I.P.-Ausweis (Foto) und darf hinter die Bühne. Heute ist Lemmy ein bisschen erkältet, verrät uns der Superfan, er trinkt vor allem Wasser und nur ein bisschen Jack Daniel’s.

Ich frage mich, ob eine Band taktisch das Richtige tut, wenn sie Superfans auf die Bühne winkt und hinter die Bühne lässt. Ist nicht gerade deren Hingabe Beweis einer für die Band merkantil gesehen lukrativen Glorifizierung, die keineswegs durch Backstageerlebnisse entmystifiziert werden darf?

Aber was weiß ich schon über Lemmy. Nur, dass er den Bass auf eine Art spielen kann, die im limbischen System Dinge dauerhaft verändern kann, über Jahrzehnte.

Und das ist einfach geil.
Foto: German Psycho