24 Juni 2012

Überall ist es schlechter, wo wir nicht sind



Hamburg sollte uns wirklich dafür bezahlen, dass wir die Stadt nicht verlassen. Denn bereits mehrfach, wenn wir das taten, passierte irgendetwas, das besser nicht geschehen wäre – oder dem man besser fernbleiben sollte, was wir ja auch in intuitiver Voraussicht manchmal tun.

Zum Beispiel schlug mal der Blitz in unser Haus ein, als wir gerade auf der Ostsee herumschipperten. Statt wie unsere Nachbarn im Nachthemd, Regen und Blaulicht zitternd auf dem Bürgersteig vorm Haus herumzustehen, flanierten wir elegisch durch St. Petersburg. Die weitaus bessere Wahl.

Das gilt seit neuestem auch für dieses Wochenende, welches wir in Wolfsburg (Foto) statt in Hamburg verbringen. Nicht nur, dass wir so wie durch ein Wunder dem Horror der Harley Days entgehen, nein, auch die am Samstagnachmittag in der Großen Freiheit entdeckte Weltkriegsbombe, von der uns die segensreiche App „Katwarn“ per SMS warnte, tangierte uns buchstäblich nur peripher.

Kurz überlegte ich, was alles verlorenginge, wenn der Kiez komplettemang in die Luft flöge, während wir in Wolfsburg weilten – und merkte: Alles Wichtige ist sicherheitskopiert. Und das Materielle – CD-Sammlung, Plasmafernseher, Benjaminus, Weinklimaschrank – wäre zu ersetzen. Außer der letzten verbliebenen Flasche Chateau D’Yquem natürlich.

Ein guter Grund, schnellstmöglich nach Hamburg zurückzukehren. Denn wie gesagt: Wenn wir dort sind, passiert ja nichts. Außer manchmal der Schlagermove, wogegen eine Weltkriegsbombe übrigens nur Pipifax ist.

22 Juni 2012

Pareidolie (46)



Da steht man arglos an Gleis 8 des Berliner Hauptbahnhofs (tief) und wird plötzlich blöde von der Wand angestarrt. Kein Wunder, dass man da in den nächstbesten ICE einsteigt.

Vor allem, wenn er nach Hamburg fährt.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.


20 Juni 2012

Die Krux mit der Kiste



Morgens stehe ich meistens ein, zwei Minuten an der Fußgängerampel am Ende der Großen Bergstraße und lehne mich, um nicht vom Fahrrad absteigen zu müssen, an den Ampelmast. Seit neuestem hängt daran eine sogenannte Pfandkiste, die meine Aufmerksamkeit während der Rotphase in Beschlag nimmt.

Dort hinein soll man Flaschen stellen. Aufgedruckte Begründung: „Mülleimer zu durchsuchen ist gefährlich und demütigend. Stellt Eure Pfandflaschen deshalb daneben. Oder in diese Kiste. Danke!“

Eine sinnvolle Sache. Doch die Verwirrung, welche die Pfandkiste auslöst, übersteigt deutlich meine Fähigkeit, ihr Wirkungsprinzip hinreichend zu lobpreisen. Denn ich kapiere einfach nicht, wie sie dahinkommt.

Der Ampelmast – oben durch die Signalanlage erheblich verbreitert und unten festgemauert in der Erden – durchstößt die Pfandkiste widersinnigerweise mittig, und ich konnte bisher bei meinem je ein- bis zweiminütigen Aufenthalt keine Nahtstellen an der Kiste entdecken.

Und das wäre doch die einzig logische Vorgehensweise, die Pfandkiste so zu befestigen, wie sie nun mal befestigt ist: Man müsste sie symmetrisch in zwei Hälften zersägen, in ihrer Mitte ein Loch vom Durchmesser des Mastes herstellen, sie dann um den Ampelmast herumlegen und wieder zusammenkleben.

Höchstens Harry Potter traute ich die Schilderung und Umsetzung einer Alternativmethode zu. Oder einem meiner Blogleser, in den Kommentaren.


18 Juni 2012

Von Brötchen, Büchen und Benzin



Sonntagmorgens um halb neun ist beim Kiezbäcker die Schwankungsbreite vor allem der männlichen Kundschaft immens groß – und ich meine das nicht im übertragenen Sinne. Dennoch gelang es mir auch diesmal, dort unbeschadet Brötchen zu ergattern.

Nach dem Frühstück fuhren wir nach Ratzeburg, was – wie Dr. K. mir neulich vorschwärmte – eine schöne Inselstadt mitten im See sein sollte, und siehe da: Das stimmt auffällig.

Die Ratzeburger haben neben viel Kopfsteinpflaster auch einen schönen Klinkerdom mit urgemütlicher Aura, der zudem beweist: Auch in vormodernen Zeiten gab es schon das Deppenleerzeichen. Ein Gemälde im Seitenschiff (Foto) versorgte uns mit dieser bestürzenden Erkenntnis.



Auf dem Rückweg statteten wir der Eulenspiegelstadt Mölln noch einen Besuch ab (toller Marktplatz!), und als wir zurück nach Hamburg aufbrechen wollten, fiel der Zug aus. Notarzteinsatz. Also nahmen wir den Bus, der außer uns niemand an Bord hatte, und krochen gemütlich über die Dörfer bis zum Büchener Bahnhof (2. Foto).

„Stell dir vor, wir haben eine Panne“, sagte ich irgendwo mitten im Wald zwischen Nestern wie Benzin, Göttin und Besitz (sic! sic! sic!) zu Ms. Columbo, „es wird allmählich dunkel, und dann kommen die Hillbillys.“ Sie bekam sofort eine Gänsehaut.

Kurz: Diese Busfahrt möchten wir hiermit wärmstes empfehlen. Auch ohne Notarzteinsatz.


15 Juni 2012

Alle Wege führen nach …



„Nicht streiten, nicht streiten“, murmelt Kramer (l.) ohne hochzuschauen mantraesk vor sich hin, als der Franke (r.) und ich (m.) heftig diskutierend sein Büro betreten. „Nicht streiten.“

Wir gucken erst uns, dann ihn an, als habe der Papst öffentlich gestanden, er träume von einer Karriere als Strapsmodell bei Victoria’s Secret. Was ist bloß los mit dem Großcholeriker Kramer, der normalerweise hochgeht wie ein Chinaböller, selbst wenn gar niemand seine Zündschnur unter Feuer gesetzt hat? Ist er vielleicht nach dem Besuch eines Splatterfilms zum Pazifisten geworden?

Der Franke hat eine bessere Theorie. „Ich glaube, seine Freundin hat ihm was in den Kaffee getan“, sagt er. „Ja“, sekundiere ich nickend, „vielleicht Brom.“ Der Franke giggelt.

Kramer aber schaut mild hoch, als sei er jener Enkel, den Ghandi sich immer gewünscht hat. „Alle Wege“, sagt er leise, „führen nach Brom.“

Keine Pointe.


13 Juni 2012

Pareidolie (45)



Ich dachte heute, ich schau nicht richtig, als mich aus meiner Espressotasse im Ottenser Café Vero mein eigener Avatar (l.) anstarrte.

Ehe ich aber dieses verblüffende Dokument des Zufalls in Kunstharz gießen und für acht Millionen Euro auf Ebay versteigern konnte, hatte ich es schon ausgetrunken.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.



12 Juni 2012

Bigos wurde gar nicht aufgestellt



Kia-Fanfest, Heiligengeistfeld. Die Partie Ukraine-Schweden erweist sich nicht als der ganz große Bringer.

Ein paar hundert junge Leute hängen herum, träge umhegt von Sicherheitsleuten, gelangweilten Polizisten und vorüberschlurfenden Rotkreuzlerinnen in unvorteilhaft bauschenden Diensthosen.

Anders als bei den letzten Weltmeisterschaften wollte man bei der Lizenzvergabe diesmal nicht die kulinarische Vielfalt der Teilnehmerländer abbilden. Schade, denn was war das schön, 2010 am südafrikanischen Fressstand Gnu zu knabbern wie ein König der Löwen!

Und jetzt? Ein Pizzastand beargwöhnt den nächsten, Schwenkgrills, Kartoffelchipshöker und immer wieder Wurst mit Pommes. Dazwischen Bier- und Cocktailbuden. Aber wo, Kia, ist der Wein? Der Espresso? Wo ein französischer Stand mit Rohmilchcamembert und Knusperbaguette? Wo wenigstens die Pirogi?

Nein, dieses Fanfest will mich nicht. Es will geschminktes Facebookpartyvolk in Landesflaggen, das zwischen dem Torjubel die vertilgten Pommes Frites mit Bier spült und Bigos für einen portugiesischen Ersatzspieler hält.

Die zweite Halbzeit verbrachte ich zu Hause vorm Plasma. Und die Ukrainer und Schweden drehten auf, als seien sie gottfroh darüber.


09 Juni 2012

Nicht (gut) fürn Arsch



Ein Wochenende in Berlin. Dr. K., immer für originelle Vorschläge gut, regt eine Tandemfahrt durch Kreuz- und Schöneberg an.

Zunächst müssen wir zwei Sechsjährige auf einem Kindergeburtstag abliefern und packen sie in den Anhänger. „Ihr werdet wirken wie ein schwules Paar mit Adoptivkindern“, schmunzelt Frau Dr. K. But so what?

Das pseudoschwule Pseudotandemfamilienidyll scheitert allerdings schon nach wenigen Kilometern an einem kapitalen Nagel, der den rechten Anhängerreifen zerfetzt und uns zum Laufen zwingt. Wir liefern die Mädchen ab, lassen den invaliden Anhänger an eine Stange gekettet zurück und radeln weiter.

Tandemfahren ist für Novizen etwas gewöhnungsbedürftig, auch als Beifahrer. Wenn ich mich auf den starren Handgriffen abstütze, sehe ich von der Gegend kaum mehr als den breiten Rücken eines Solarforschers. Und wenn ich mich zwecks besserer Aussicht freihändig aufrichte, leidet recht bald der Glutaeus maximus unter unschönen Verschleißerscheinungen.

Die Lösung: häufige Pausen. Espressotrinken. Eisessen. Über Flohmärkte schlendern. Auf einem davon die ersten beiden „Seinfeld“-Staffeln für 2,50 € erwischen und aus lauter schlechtem Schnäppchengewissen 50 Cent Trinkgeld drauflegen.

Nachts sitzen wir auf dem Balkon und sehen träge ein Ufo über den Himmel ziehen, während sich in der Ferne der Mercedesstern auf dem Europacenter dreht wie immer seit „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

Von drei Solarlampen in den Blumenkästen funktioniert nur eine – was wir beide als untolerables Manko im Haushalt eines Solarforschers einstufen. Mir tut dafür der Hintern weh. Ein Tribut ans Tandem. Ein lohnenswertes.

06 Juni 2012

Niemand hat den Kopf verloren



Heute verbrachte ich den ganzen Abend auf der Frau Hedi, was außerhalb Hamburgs wahrscheinlich anzüglicher klingt als innerhalb, denn die Frau Hedi ist – wie Stammleser wissen – eine hochanständige Barkasse.

Sie tuckerte heute Abend drei Stunden lang kreuz und quer durch den Hafen, und nicht nur ich war an Bord, sondern auch zwei Bands, die sogenannte Showcases spielen sollten. Das sind Konzerte speziell für Journalisten, damit sie warm werden mit den Künstlern und vielleicht geneigter sind, ein Interview zu führen. Die Konkurrenz um die raren Artikelplätze ist schließlich groß.

Einer der Künstler war Stefan Dettl, der bayerische Frontmann von La Brass Banda, der vehement eine Solokarriere anstrebt. Wie so vielen vor ihm war ihm aber die Spezifik eines Showcases nicht ganz klar. Ich zum Beispiel gehöre zu jenen spezifisch gestrickten Menschen, die sich von Aufforderungen, mitzuklatschen oder gar zu -singen, gänzlich unbeeindruckt zeigen. Sie sind mir sogar zuwider.

 
Schließlich bin ich nicht automatisch Fan, sondern im Dienst, warum also sollte ich Euphorie heucheln? Er tat jedenfalls alles, der Dettl, und das ist wirklich viel, doch die Journaille inklusive mir verließ nie das Terrain der höflichen Akklamation, und das war auch gut so.

In der Kloschlange bekam ich Kontakt zu einer Frau, die sich als frühere Produktmanagerin der Toten Hosen herausstellte. Eine gute Gelegenheit, um ihr Vorhaltungen zu machen. Sie konnte sich ja nicht wehren, wir standen in der Kloschlange.

„Sie sind also dafür mitverantwortlich“, schimpfte ich, „dass die Toten Hosen zwar immer um Rezensionen gebettelt, aber ihr Label innerhalb von 20 Jahren niemals eine einzige Anzeige in den Medien geschaltet haben, für die ich arbeite.“

Sie verkrampfte, das war deutlich zu sehen, doch noch ehe sie zur Verteidigungsrede ansetzen konnte, fuhr ich die zweite Angriffswelle. „Tickten alle so wie die Toten Hosen“, erläuterte ich ihr mit bitterem Hohnlächeln, „dann wären wir längst Pleite – und ich arbeitslos.“

Immerhin stünden wir dann jetzt nicht in der gleichen Kloschlange, schoss mir durch den Kopf; das Ganze hätte also auch Vorteile. „Ich war ja immer nur die Botin mit der schlechten Nachricht“, piepste sie verunsichert. Dann ging zu ihrer (doppelten) Erleichterung die Toilettentür auf, was sie zur Flucht nutzte.

In absolutistischen Zeiten, fiel mir ein, hat man Boten, die schlechte Nachrichten überbrachten, geköpft. Ob das auch für Botinnen galt, weiß ich allerdings nicht.

Mal Google fragen.


05 Juni 2012

Und nun zu etwas ganz anderem

„Bügeln ist undemokratisch!“
„Wegen der freien Entfaltung, die man verhindert?“
„Nein, weil alles gleich- und plattgemacht wird. Es lebe das Knitterhemd!“
„Du willst doch deine Faulheit nur politisch verbrämen.“
„… Oh, ein Eichhörnchen …!“


(Entdeckt in Planten un Blomen)



02 Juni 2012

Die doppelbedeutende Wurst



Passant (unterwegs mit Bratwurst auf der kommunikativen Seite der Davidstraße): isst
Hure (tritt ihm in den Weg): Hallo Süßer, darf ich mal in deine Wurst beissen?
Passant (hält ihr die Wurst hin): Gerne – hier, bitte sehr.
Hure: So war das aber nicht gemeint ...


Erlebt vom Einheitskanzler, als er noch neu war in Hamburg.

PS: Er war übrigens der Passant.


31 Mai 2012

„Ahhhhhhh!“



An der Endoklinik (Foto von 2008), wo St. Pauli friedfertig an Altona grenzt, ist schon seit langem eine Großbaustelle. Wir Radler müssen uns den Radweg seither mit den Fußgängern teilen, was immer wieder zu Konflikten führt.

Gestern auf dem feierabendlichen Heimweg passierte ich dort einen älteren Zausel, den ich nicht mal wegklingeln musste, weil er mir entgegenkam und mich heranrollen sah, als der urplötzlich auf mich zusprang, die Arme ausbreitete wie die Jesusstatue über Rio und „Ahhhhhhh!“ brüllte.

Dieses überraschend atavistische Verhalten hatte binnen einer Hundertstelsekunde eine fatale Wirkung auf meine Körperchemie. In meiner vollkommenen Arglosigkeit erschreckte ich mich derart, dass ich beinah rechts in den Bauzaun gebrettert wäre, und ich wette, der Zausel hat genau das beabsichtigt. Nach kurzem Schlingern vermochte ich mich allerdings auf dem Rad zu halten.

Ganz ohne das Zutun meiner Ratio, die sicherlich korrigierend eingegriffen hätte, murmelte ich im Weiterfahren übrigens ein unflätiges Wort aus der Sphäre des Fäkalen, für das ich mich als zivilisierter Mensch ordnungsgemäß schäme.

Falls der Primat hier mitliest: WAS IN DREITEUFELSNAMEN SOLLTE DAS?


29 Mai 2012

Ein weißer Schimmel



Bei Aldi im Gemüsefach gibt es nur noch eine einzige Packung Strauchtomaten, und die ist großflächig verschimmelt.

Da ich zwar einen Einkaufswagen dabeihabe, aber nichts weiter einkaufen möchte, also sowieso den Weg durch den Kassengang wählen muss, um den Laden wieder verlassen zu können, nehme ich die Tomaten mit und reihe mich in die Schlange ein.

Die Schimmeltomaten ruckeln gelassen übers Band Richtung Kasse. Währenddessen überlege ich, was ich zur Kassiererin sagen soll. Immerhin behauptet Aldi, bei niedrigsten Preisen höchste Qualität anzubieten. Allerdings kommt es dafür doch etwas zu oft zu Schimmelbefall. Schon einmal trug ich eine verdorbene Tomatenschale zur Kasse, wo sie ein junger Mann mit den fröhlichen Worten „Ach, die waren auf dem Lieferwagen schon verschimmelt!“ entgegennahm und wegschmiss.

Jedenfalls plane ich den Satz: „Diese Tomaten sind verschimmelt, lassen Sie sie mir etwas billiger?“ Ein guter Satz. Ein sarkastischer, provokanter Satz. Und ein schwer zu sagender, wenn man so sehr auf Konfliktvermeidung getrimmt ist wie ich.

Als ich dran komme mit meinem leeren Einkaufswagen und dem in weißliche Fäden gehüllten Gemüse, überfällt mich die übliche Feigheit, und ich sage: „Diese Tomaten sind verschimmelt. Ich möchte Sie Ihnen gerne zwecks Entsorgung zurückgeben.“

Die Verkäuferin stutzt nur einen winzigen Moment, dann nimmt sie wortlos die Packung und wirft sie neben sich in einen Mülleimer.

„Sonst habe ich nichts“, ergänze ich entschuldigend, weil ich meinen leeren Wagen einfach durchschiebe und nicht einen Cent Aldi-Umsatz generiere. Sie sagt noch immer kein Wort. Keins des Bedauerns, keins der Entschuldigung, einfach nichts. Sie scheint Routine in so etwas zu haben, und das sagt ja letztlich genug.

Die ersatzweise besorgten Rispentomaten von Edeka (Foto) sahen übrigens toll aus. Vielleicht eine Spur zu makel- und schimmellos, aber ich will nicht kleinlich sein.



27 Mai 2012

Pareidolie (43–44)



Nicht nur Wasserhähne können gucken wie Pferde, auch Lederhandtaschen.
 

Entdeckt in Breitscheid-Medenbach (Hessen) und Hamburg.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.


24 Mai 2012

Wir haben alle unsere Negerpuppe im Keller

Nichts zu sagen ist allerdings gegen meinen Mohrenkopf. Ein riesiges Lockspeisenungetüm, ganze acht Zentimeter purer, unschuldiger Rassismus mit einem obszön großen Überzug, der so schwarz ist, dass er praktisch kein Licht spiegelt und dem Mohrenkopf so permanent einen ergreifend niedergeschlagenen Eindruck verleiht.

Als wäre das nicht schon entsetzlich genug, wird das Ganze noch von einer furchterregend süßen, zähen Füllung getoppt. Vollkommen undenkbar, dass so etwas heute noch verkauft würde …

Ja, in meiner Kindheit ging es ähnlich unerhört zu wie bei Frau Kuttner. Und jetzt verklagen Sie mich endlich, nachdem Sie das damals schon versäumt hatten.

Foto: Rainer Zenz (Creative-Commons-Lizenz)

23 Mai 2012

Im Eroscenter



Khatia Buniatishvili trägt ein hauchdünnes chiffonartiges Kleid mit Spaghettiträgern.

Immer, wenn Liszt, Chopin oder Strawinsky einen dynamischen Part in ihre Sonaten und Scherzi eingebaut haben, stürzt sich die Georgierin mit solcher Vehemenz auf den Steinway, dass sie hochhüpft vom Hocker und die Erschütterungswellen der Tastenanschläge sich in ihrem Körper fortpflanzen bis in tiefere Regionen, wo sie ihren aparten südlichen Speck zum Wallen bringen …

Beobachtungen wie diese, dass beim Klavierkonzert der akustischen eine adäquate visuelle Attraktion zur Seite gestellt wird, hätte man noch zu den großen Zeiten einer Martha Argerich in keinem Konzertsaal der Welt notieren können. Doch seit Vanessa „Ms. Wet Shirt“ Mae wird man auch in den heiligen Hallen der Hochkultur wie selbstverständlich mit sündiger Ästhetik verwöhnt.

Kurz: Wir hätten heute Abend den Kiez eigentlich gar nicht gen Laeiszhalle zu verlassen brauchen.

PS: Die Schreibweise des Namens Khatia Buniatishvili sieht auf Georgisch übrigens genauso kurvig aus wie die Frau selbst: ხატია ბუნიათიშვილი.


20 Mai 2012

Die Verrohung des Viertels nimmt überhand



Wir haben hier auf dem Kiez schon alles gesehen oder zumindest davon gehört:

Massenschlägereien, marodierende Hooligans, Bandenkriege, Drogentote, den ein oder anderen Mord, ja sogar hemmungsarme Harleyfahrer und einmal jährlich den Eurovision Song Contest auf dem Spielbudenplatz.

Doch das hier überschreitet eine Grenze. Das geht wirklich zu weit und deshalb gar nicht: ein umgeworfener Blumenkübel. Der entsetzliche Anblick bot sich uns heute ausgerechnet vorm Yogazentrum in der Otzenstraße.

Das ist nicht mehr unser Viertel, vielleicht sollten wir doch wegziehen.


19 Mai 2012

Pareidolie (42)



Speziell zum Champions-League-Finale heute Abend: Mario Gomez’ nachvollziehbar angespannt dreinblickender Sixpack. (Erinnert mich übrigens an Kiefer Sutherlands Lippenskyline, aber das nur nebenbei.)

PS: Eine volle Pareidoliedröhnung gibt es hier.


17 Mai 2012

Ein bisschen aufgesetzt



An einem Tag wie diesem wagt man sich am besten nur vorsichtig aus dem Haus.

Sie nennen diesen Tag Vatertag, und jene Leute, die sich sonst immer erst am Wochenende einen Vorwand zum Saufen auf dem Kiez zurechtreimen, finden ihn nun bereits am Donnerstag.

Unterm Balkon sammeln sie all ihre Kräfte und Alkoholvorräte, über die Hauptstraßen cruisen im Schneckentempo Bierbikes. Ich husche zwischen zwei Regengüssen hinüber in die Schanze zum Flohmarkt und entnehme einer Kostenloskiste eine sozirote Schirmmütze mit der Aufschrift „IG-Metall“. Kann man immer gebrauchen, so was.

„Und, steht sie mir?“, frage ich Ms. Columbo zu Hause, nachdem ich all die Bierbikes und grölenden Suffköppe mit ihren Astrawägelchen unfallfrei umslalomt habe. „Na ja“, sagt sie, „sieht ein bisschen aufgesetzt aus.“

Ich bin halt einfach kein Gewerkschaftstyp.


15 Mai 2012

Pareidolie (41)



Mancher Pareidolie begegnet man überraschend sogar im Liegestuhl. Es hätte aber nicht unbedingt der vom Zahnarzt sein müssen.
 

PS: Eine ganze Galerie an Pareidolien gibt es bei der Pareidolie-Tante.


14 Mai 2012

Eine kiezspezifische Gefahr



Unten auf der Straße wieder mal großes Geschrei. Vom Balkon aus sehe ich einen Jungen flüchten vor zwei anderen, von denen der eine sich benimmt wie ein Pavian.

Er springt mit gereckter Brust auf der Stelle und brüllt irgendetwas auf Türkdeutsch, während er dabei die Arme ausbreitet. Möglicherweise handelt es sich dabei um Dominanzgesten, ich weiß es nicht.

Sein kleinerer Kumpel trägt eine Basecap und markiert derweil sein Revier: Er stellt sich vor eine hölzerne Haustür, um dagegen zu pinkeln.

Ja, er strullt nicht etwa gegen die steinerne Wand dieses bedauernswerten Wohnhauses, was kiezweit durch unzählige Wiederholungen längst den Rang eines Gewohnheitsrechtes gewonnen hat, sondern gegen die Haustür.


Versuchte also ausgerechnet jetzt ein Bewohner das Haus zu verlassen, sähe er sich unversehens konfrontiert mit dem hereinpladdernden lauwarmen Strahl eines Basecapträgers und einem hinter ihm herumhüpfenden Brüllpavian.

Deswegen fiele er zwar bestimmt nicht aus allen Wolken. Doch sich umziehen zu müssen, nur weil man die Straße betreten wollte: Das wäre schon unschön, sogar auf St. Pauli.

10 Mai 2012

Zurück aus der Zukunft



Erstaunlich, welche Subkulturen so alles im Verborgenen vor sich hin existieren. Unlängst war ich zu einem Konzert ins Grünspan (Große Freiheit) eingeladen und fand überraschenderweise vor:


Mädchen in Petticoats, die lustig ihre Lederhandtaschen schwangen und die Köpfchen schieflegten; Jungs mit pomadisierten Ententollen und ausrasierten Schläfen, die Sonnenbrillen trugen und kaugummikauend versuchten, coole Blicke zu simulieren.

Ich fühlte mich wie Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“, nur dass die verkleideten Menschen im Grünspan bereits wussten, wer das Gitarrenriff von „Johnny B. Goode“ geschrieben hatte. Zum Glück war das Völkchen so höflich, diesen komischen Cargohosentyp mit seiner fleecegefütterten Wetterjacke (wasser- und winddicht sowie kälteresistent bis minus 25 Grad) zu ignorieren.

Was ich sagen will: Es gibt harmlos aussehende Menschen in unserer Mitte, die zu bestimmten Zeiten so tun, als hätten wir 1958. Gleichwohl erfreute mich ein kleiner Veranstaltungsflyer auf der Theke mehr als die ganze gefakte Halbstarkenästhetik um mich herum.

Dort warb nämlich ein „Horst with no Name“ für seinen Auftritt – und verdammt, das nenne ich mal einen Künstlernamen! Wo dieser so grobschlächtig wie verblüffend daherkommende Kalauer seinen Ursprung hat, hätte ich den Petticoathupfdohlen natürlich bei Bedarf erklären können, aber sie haben mich nicht gefragt, diese Hühner.

Mit Horst with no Name, der „international one man band“, kann man übrigens am 17. Mai durch den Hafen tuckern. Klingt nach einem Plan.


08 Mai 2012

Fundstücke (161)



Man kann sich seine Nachbarn eben nicht aussuchen …
Entdeckt von Ms. Columbo beim Straßenfest in der Osterstraße.


06 Mai 2012

Saisonende mit Naki-Moment



Der schönste Moment heute Nachmittag im Stadion war der, als einer brüllte: „Duisburg führt vierzwo! VIERZWOOOO!“ Und der unschönste, als sich das als frei erfundene Fehlinformation entpuppte.

Trotz neutralem Becher fegte der FC St. Pauli Paderborn am Ende mit 5:0 aus dem Stadion. Die Bechertheorie ist also ungefähr so plausibel wie Ufosichtungen, Bachblütentherapie, Feng Shui oder Nazis auf der Rückseite des Mondes.

Amüsant, aber durchaus auch bestürzend fand ich jene Stimmen, die mich seit Einführung dieses kleinen Serienspaßes im vergangenen Sommer als Esoteriker glaubten brandmarken zu müssen. Es gibt halt immer welche, die den Schuss nicht hören.




Der rührendste Moment heute Nachmittag im Stadion war der, als ich das abgebildete, allem Anschein nach von einem gerade so des Schreibens mächtigen Deniz-Naki-Fan gekrakelte Schild* auf dem Boden entdeckte. Und der schmerzhafteste, als mir beim Fotografieren desselben ein Einsneunzigtrumm mit Schmackes in den Rücken sprang.

Er hatte gerade ohne Rücksicht auf Verluste (und herumstehende Blogger) das Trikot eines Spielers gefangen. Wahrscheinlich das von Naki.


*Text: „Naki kriege ich bitte dein Triko / bitte bitte bitte / ich bin dein größter Fen! / bitte, bitte“

Völlig sinnlos



Mein 1. FC Köln ist abgestiegen. „Vielleicht“, sage ich auf dem Weg zum Holsten-Brauereifest zu Ms. Columbo, „sollte ich mich heute einfach sinnlos betrinken.“

„Das klingt nach einem tollen Plan“, antwortet sie. Der Anblick des oben zu sehenden Deppenapostrophs lieferte mir weitere starke Argumente, diesen Plan unverzüglich in die Tat umzusetzen.

Gleichwohl muss ich explizit betonen, dass ich nur für einen Teil der unten abgebildeten Gebrauchtbecher verantwortlich bin.




Retten kann das Wochenende nun morgen Mittag nur noch der FC St. Pauli. Ich setze auch euch, Jungs. Hurra.

05 Mai 2012

Ein IQ von 38

Ich bin ein Idiot. Mindestens.

Obwohl ich mich normalerweise vorm Erwerb immer rückversichere, wie teuer ein Produkt oder eine Dienstleistung ist, habe ich das heute nicht getan. Es ging ja nur um ein paar lächerliche Kopien im Copyoffice in der Clemens-Schultz-Straße, und ich kam nicht mal auf die Idee, den Preis dafür zu erfragen, sondern überreichte der jungen Frau einfach den USB-Stick mit dem 19-seitigen PDF-Dokument.

Sie sollte es zweimal farbig ausdrucken. Das dauerte keine zwei Minuten. Ich packte die Seiten ein und stellte mich arglos an die Kasse. Die junge Frau schlug in der Preisliste nach und sagte: „Macht 38 Cent.“

Das war auch ungefähr das, was ich mir vorgestellt hatte. Na gut, es kam mir spontan schon ein bisschen wenig vor. 3,80 € zum Beispiel wären durchaus ebenfalls plausibel gewesen. Ich kramte jedenfalls nach Kleingeld, als ihr Kollege herbeistürzte.

„Nein“, rief er, „38 Euro!“

Der Satz hallte in mir nach, als hätte er mir mitgeteilt, der Papst habe sich soeben erfolgreich um einen Job als Koberer vorm Lady Lynn in der Großen Freiheit beworben. „Wie bitte …?“, machte ich daher – und muss dabei ausgesehen haben wie ein verdutzter Karpfen, dem man gerade erklärt hat, was hinter der Bezeichnung „Weihnachtskarpfen“ steckt.

„Stimmt“, sekundierte nun die junge Frau und zeigte beweiskräftig auf den entsprechenden Posten in der Preisliste. Dort stand in der Tat: „Farbkopien pro Stück: 1 Euro“.

Ich starrte stumm auf das surrealistische Blatt. 38 Euro. Dafür hätte ich mir bei Amazon den Canon-PIXMA-iP2700-Tintenstrahldrucker kaufen können, inklusive einem Set Farbpatronen. Oder den Kyocera-Mita-FS-1030D-Laserdrucker, dessen Toner für 3600 Seiten reicht (na gut: nicht in Farbe).

Ich war wie betäubt, wusste in diesem Betäubtsein aber augenblicklich und mit höchstmöglicher Klarheit, welcher Idiot vollumfänglich für dieses Desaster verantwortlich war.

Und ich meine nicht das Copyoffice in der Clemens-Schultz-Straße.

04 Mai 2012

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (70)

Wie auch immer die Saison für den FC St. Pauli ausgeht (Sonntagabend mehr): Es war schön auf der Haupttribüne. Und zwar aus Gründen.

Einer davon war mein Sitznachbar, der honorige Herr Tüsselmann. Er war stets vor mir da und sicherte seit dem dritten Spieltag immer eine Stadionzeitung für mich mit, weil ich Schussel sie jedesmal abzugreifen vergaß (und irgendwann im Vertrauen auf Herrn Tüsselmanns zuverlässige Fürsorglichkeit auch gar nicht mehr zu beschaffen versuchte).

Der im verblüffend hitzezähen Thermoplastikbecher servierte Espresso vom Kaffeewagen war weitaus besser als in den meisten Cafés dieser espressotechnisch – zumindest im Vergleich zu Rom – armseligen Stadt. Und dafür zum Ausgleich auch billiger.

In den großzügig bemessenen Toiletten, nach denen sich die Fans im Stadion an der Müllverbrennungsanlage (verzeihen Sie das nach bestem Wissen und Gewissen unappetitlich schiefe Bild) alle zehn Finger lecken würden, musste ich niemals Schlange stehen. Was zugegebenerweise auch damit zu tun hatte, dass ich diese Räumlichkeiten sicherheitshalber immer schon in der 40. Spielminute aufsuchte – und trotzdem bisher kein einziges Tor verpasste.

Ja, es war schön auf und unter der Haupttribüne – und diesen Satz schreibe ich mit letzter Tinte, denn ob ich je noch mal zu den wenigen Auserwählten gehören werde, die sabbernd vor Dankbarkeit 640 Euro für den Kauf einer Saisonkarte hinzublättern bereit sind: Wer weiß das schon.

Hier also eine kleine Fotohommage an einen der gemütlichsten Orte weltweit, wenn nicht von ganz St. Pauli: das Millerntorstadion.
























03 Mai 2012

Eine Hommage



Wäre der junge Schäfer Diego F. nicht anno 1962 aus seiner sardischen Heimat gen Norden aufgebrochen und in Wolfsburg zunächst bei VW und wenig später bei einem einheimischen Backfisch gelandet, und hätte Diego F. keine zwei prachtvollen deutsch-sardischen Töchter gezeugt, von denen mir 1989 zum Glück eine zufällig in Marburg über den Weg lief –…


ja, dann hätten wir am vergangenen Montagabend nicht nur alle gemeinsam keine 50 Jahre alte Flasche Barolo dekantiert, sondern dann lebte ich wahrscheinlich nicht einmal auf St. Pauli, und Ms. Columbo erst recht nicht.

So hängt alles mit allem zusammen; die eine Entscheidung beeinflusst tausend andere, was sich über die Jahre gleichsam unendlich und global potenziert, und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie nicht nur meine, sondern die ganze Welt beschaffen wäre, hätte der junge Schäfer Diego F. 1962 nicht die (folgen)schwere Entscheidung getroffen, seine sardische Heimat gen Norden zu verlassen.

Der altehrwürdige Barolo, dieses weingewordene Sonnengold von anno 62, war übrigens schon ein ganz klein wenig klapprig. Aber besser der als Diego F.!


01 Mai 2012

Fundstücke (160): Kann man so stehen lassen



Entdeckt und fotografiert in der U3, während mir ein barfüßiger Irrer in Clogs mitteilte, er käme aus dem „SS-Bunker in Lüdenscheid“ – ehe er anfing, „Who let the dogs out“ zu … äh … singen.