07 April 2013

Die allerletzte Butze

Inzwischen denkt ja jeder dahergelaufene Hipster, es sei obercool, in St. Pauli zu wohnen – also zwischen Huren, Hundekacke und anderen Hipstern.

Deshalb steigen hier zwangsläufig die Mieten, und Hauseigentümer bekommen auch noch die letzte Butze für teuer Geld an den Mann.

Wenn ich letzte Butze sage, dann meine ich seit heute übrigens auch: Friseurstühle.

Aber kann man darauf überhaupt auf Dauer vernünftig schlafen?

(Entdeckt in der Hein-Hoyer-Straße.)


05 April 2013

Die Seilbahn kommt!?

Bisher wurde ja der Plan, eine Seilbahn zwischen Millerntor und Musicaltheater im Hafen einzurichten, vom Bezirksamt Mitte abgelehnt. Begründung: Die Mehrheit der St. Paulianer sei dagegen.

Uns, St. Paulianer seit 1996, hat allerdings keiner gefragt. Deshalb, Bezirksamt Mitte, nimm das: Sobald die Seilbahn fertig ist, kauf ich mir ne Dauerkarte. Und Ms. Columbo auch.

Foto: Handelskammer Hamburg

04 April 2013

Ein Paket, drei Planeten

Das Paket, welches da mit allem gängigen DHL-Pipapo (Bote in Gelb, Funkerfassungsgerät, Unterschrift) zugestellt wurde, gab keinerlei Hinweise auf seinen Inhalt.

Was bloß hatte ich da wohl mal wieder bestellt in diesem Internet?

Nun, es war ein USB-Stick.

Die versendende Firma Conrad hatte es opportun gefunden, ihn in einen umbauten Pappraum von etwa sechs Litern Fassungsvermögen zu packen und inmitten von Pi mal Daumen zweitausend Styropornupsies stoßfest zu lagern.

Einen USB-Stick.

An dieser Stelle müsste ich jetzt eigentlich ausführen, wie mir durch diese Verpackungswahl die These veranschaulicht wurde, dass wir bei unserem Lebensstil mindestens drei Planeten brauchen.

Aber in Wahrheit habe ich mich einfach über einen schönen Karton fürs Altpapier gefreut.

01 April 2013

Time to say goodbye (4)



Wir waren sooo knapp dran …

Der nette Mann von der Rathauspassage hatte angerufen und einen Termin mit uns vereinbart. Er wollte – wirklich wahr, kein Scherz –  die Bücher abholen.

Aber dann, kurz vorm Termin, rief er wieder an: Er könne doch nicht kommen. Irgendein Unfall sei passiert, Genaues wissen wir nicht.

Aber eins wissen wir: Die Bücherwand ist immer noch da. Der große, kühne Plan, uns nach und nach vom Ballast irdischer Güter zu trennen: Er wird immer wieder torpediert, wahrscheinlich vom Universum.

Aus Frust spazierten wir am Wochenende stundenlang kreuz (sic!) und quer durch Hamburg und entdeckten dabei überall Hinweise auf den uns umgebenden Feiertag – siehe Fotos.


Doch als wir wieder nach Hause kamen, war immer noch da und nicht gen Himmel gefahren: die Bücherwand.

29 März 2013

Der Cheesecake reicht für zwei

Diese lustige Deckendeko dürfte in Rinderkreisen als nicht sonderlich amüsant empfunden werden.

Beim Humor ist das Restaurant The Bird halt generell mit einer gewissen Hemdsärmeligkeit gesegnet, wie hiesige Blogleser spätestens seit dem Eintrag vom 3. März wissen. Doch „Nashville Nutte“ hin oder her: Von einem Besuch hält uns so was ja nicht ab, im Gegenteil. Und zum Glück.

Denn mein von dezenten Röstaromen geprägtes dickes Ribeye, das sie dem Rind dort nur in mindestens 400-Gramm-Stücken aus den Rippen schneiden, war von genau jener Zart-, Rosa- und Saftdurchdrungenheit, die auch einen Preis von 34 Euro gut verschmerzbar macht.

Zum Nachtisch bestellten wir Käsekuchen, der es sich seit einiger Zeit gefallen lassen muss, zum neudeutschen „Cheesecake“ transformiert zu werden. Der tätowierte Kellner empfahl uns, am besten nur ein Stück, dafür aber zwei Gabeln zu nehmen, denn es sei doch „sehr groß und mächtig“. Und er wusste natürlich, wovon er sprach, verdammt.

Ungebetene Insidertipps wie diese finde ich persönlich ja hinreißend. Ein Restaurant, welches den Gästen solche scheinbar kontraproduktiven Empfehlungen zuflüstert, verzichtet dadurch heute Abend natürlich auf einen kleinen Zusatzgewinn, gewinnt mich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit als Stammkunden, weil es den Eindruck erweckt, als wollte es mich auch in allen anderen Hinsichten nicht übers Ohr hauen.

Und auch in Cheesecakekreisen kommt so was wahrscheinlich super an.



25 März 2013

Pareidolie (58)

Man kann hinfahren, wohin man will: Sie sind immer schon da. Auch in Portofino an der ligurischen Küste.

Dort beobachtete uns ein turmartiger Bau derart aufmerksam, dass mir das Fotografieren beinah peinlich war.

Aber was tut man nicht alles für diese Rubrik.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante. Und hier die Sammlung aller hiesigen Beispiele.


23 März 2013

An die Heimatfront (4)



Nach der Weinprobe im Gut Poggio Allore mit Käse, Olivenöl, Salami und Blick auf die Skyline des mittelalterlichen Städtchens San Gimignano (ioben) karriolten wir fröhlich mit dem Bus durch die toskanischen Hügel, begleitet von Verdi-Arien.

Was mir vorher noch nicht so ganz klar war: Serpentinen sind geradezu perfekt, wenn man besoffen hinterm Steuer sitzt – dann fällt Letzteres nämlich überhaupt nicht mehr auf, selbst den Carabinieri nicht, die, wie ich erfuhr, gar keine Polizisten sind, sondern Soldaten.

Mit der Serpentinenbemerkung möchte ich natürlich nicht andeuten, dass auch unser Busfahrer mitgezecht hätte. Aber man gewinnt halt so seine Erkenntnisse, wenn man sanft angetütert zwischen Olivenhainen, Weinbergen und ockerfarbenen Steinvillen dahinschwebt.

Bevor wir zurückkehren auf den Kiez, möchte ich übrigens dringend darum bitten, dort ein akklimatisierungsfreundliches Wetter vorzubereiten. Schnee, Eis und Sturm sind dabei strikt untersagt. Wir würden uns auf maximal 13 Grad bei leichter Schleierbewölung runterhandeln lassen.

Wäre das machbar? Entzückend. Dann bis morgen.

21 März 2013

An die Heimatfront (3)

Das Ausmaß an Zorn, Neid und Missgunst, welches mir entgegenschlägt, seit ich das arktische Hamburg gen Italien verließ und nun vom ausbrechenden Frühling ebendort berichte, ist sehr wohltuend.

Allerdings hilft es mir kaum weiter bei der Frage, wie ich mit dem Sonnenbrand umgehen soll, den ich mir heute in La Spezia (wolkenlos, 20 Grad) zugezogen habe. Oder ob ich die Hose noch mal anziehen soll, die untenrum nass wurde, als ich am Strand von Monterosso (wolkenlos, 17 Grad) erstmals im Leben in die Riviera stieg.

Dort, in Monterosso, liegen übrigens herrlich flache, an den Ecken kongenial gerundete Steine im Sand, die bei entsprechender Wurftechnik ausgelassen übers silbrig glitzernde Meer hüpfen.

Aber all das interessiert Sie bestimmt kein bisschen. Deshalb mach ich an dieser Stelle auch Schluss.

Zumindest für heute.

20 März 2013

An die Heimatfront (2)

Heute Regen in Portofino!

Aus Protest fallen die Mandarinen von den Bäumen, und die bis dato begeistert vor sich hin blühenden Kirsch- und Mandelbäume sind auch nicht amüsiert.

Gleichwohl bleibt die Stimmung bei uns blendend – vor allem, weil wir herausgefunden haben, wie sie hierzulande die Schlümpfe nennen: „i Puffi“.

Erinnert mich irgendwie an den Kiez, weiß auch nicht warum.

19 März 2013

An die Heimatfront (1)

Erster Statusbericht der Kiezaußenstelle Toskana, Station Forte dei Marmi:

17 Grad, wolkenarmer Himmel, Pinien im Gegenlicht. Meer sehr bewegt, die linde Luft satt vor frühlingshaften Nadelbaumaromen. In der Ferne leuchtet Carraramarmor.

Werde die Lage weiter beobachten; Balkon bietet beste Voraussetzungen. Rauschen der Brandung verfälscht Erkenntnisse nur unwesentlich.

Und bei Ihnen so?


18 März 2013

Time to say goodbye (3)

Der Versuch, die von den unverlässlichen Freunden bisher verschmähten Bücher komplett an einen Profihöker zwecks Vermarktung zugunsten eines sog. „sozialen Projektes“ zu verschenken, scheiterte heute Mittag kläglich.

Dabei hatte der Ankäufer überall Kiezlaternenpfähle und -hauseingänge mit Zetteln bepflastert, auf denen ebenso großspurig wie offenkundig widerrechtlich behauptet wurde, er käme mit Freuden vorbei und nähme die ganze Sammlung mit – sofern „gut erhalten“.

Ja, Pustekuchen! Nach einem Blick auf die oben abgebildete Bücherwand verzog das überpünktlich hereinschneiende mittelalte Paar beinah angewidert das Gesicht und murmelte etwas von „maximal zwei bis drei Prozent interessant“. Die feinen Herrschaften vermissten plötzlich Sciencefiction und Krimis und waren derart schnell wieder draußen, dass Ms. Columbo und ich uns ungläubig schief angrinsten.

Ja, wo sind wir denn, dass diesen Leuten auf einmal Schiller, Lessing (Doris und G. E.), Houellebecq, Melville oder Foster Wallace nicht mehr gut genug sind? Ja, wo denn??

Das Foto oben war eigentlich als Erinnerungsstück gedacht, an dem sich dereinst Wehmut und Nostalgie entzünden könnten, sofern der bald losbrechende Sonnensturm der X-Klasse alle Daten der Welt hinwegrafft, auch die auf unseren elektronischen Lesegeräten. Wobei auch das Foto weggeblitzt werden würde, aber das ist jetzt mal kurz egal. (So funktioniert Dialektik.)

Erst neulich erst musste ich ja die Demütigung des Weggeschicktwerdens verdauen, als ein Plattenhändler angesichts meiner Tasche mit alten CDs quasi einen Lachanfall bekam. Und jetzt das. Kann man sich denn heutzutage nicht mehr ordnungsgemäß von seinen Besitztümern trennen, ohne zum Gespött zu werden? Kann man im 21. Jahrhundert nicht mehr vom Jäger und Sammler zum Abschaffer umschulen, ohne gesellschaftliche Ächtung zu riskieren?

Es war jedenfalls viel leichter, den ganzen Kram herbeizuschaffen, als ihn jetzt wieder loszuwerden. Wir müssen uns also wohl oder übel über kurz oder lang der charakterlichen Fragwürdigkeit des schnöden Wegwerfens schuldig machen. Mit dieser Schuld werden die Händler der Welt leben müssen. Und unsere feinen Freunde natürlich.

Als die unwilligen Höker entflohen, riefen sie uns noch einen Tipp zu. „Gehen Sie zur Rathauspassage“, schallte es schon halb aus dem Treppenhaus, „die nehmen ALLES.“

Der Subtext dieses Ratschlags gefällt mir übrigens ganz und gar nicht.


14 März 2013

Ich muss mich dringend reformieren

Am Brustmuskeltrainingsgerät schuftet ein panzerschrankbreiter Glatzendeutscher.

Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit Doom-Metal-Motiv, und wenn er zum nächsten Gerät wechselt, richtet er sich auf dem Weg dorthin ausgiebig die wahrscheinlich kirchenglockengroßen Kronjuwelen.

Seine Kumpels sind von ähnlichem Zuschnitt. Einem sprengen die Muskelwülste fast das Shirt. Dessen Ärmelansätze sind derart knapp bemessen, dass keins der zahlreichen Bizepstattoos Gefahr läuft, davon bedeckt zu werden.

Und plötzlich sagt der Panzerschrank zum Tattooberg: „Wegen dir verpasse ich gerade die Simpsons!“

Er hat wahrhaftig „Simpsons“ gesagt. Er meint also jene Serie, die gelobt wird für ihre „hintergründige kritische Kommentierung sozialer, politischer und gesellschaftlicher Phänomene“ und sich gesellschaftskritisch mit  „Umweltzerstörung, dem Bildungssystem, den Medien, religiöser Doppelmoral oder patriarchalen Familienverhältnissen“ auseinandersetzt, wie es bei Wikipedia heißt.

Und ich dachte, der Brocken interessiert sich nur für Walhalla. Ich sollte dringend meine Vorurteile reformieren.

„Nächste Woche hole ich mir den Wagen“, sagt er versöhnlich zu seinem Kumpel. „Ich hatte noch nie ein weißes Auto – und noch nie ne weiße Weste.“ Kumpel grinst. „Die kannste dir doch auch kaufen.“

Die beiden sind reif für einen Simpsons-Gastauftritt, finde ich.

PS: Aus naheliegenden Gründen gibt es heute mal wieder ein Platzhalterbild – aber, wie findige Beobachter sicher gleich bemerkt haben, mit einem gewissen Fitnessbezug.

09 März 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (82)


Schon wieder avanciert der samstägliche Flohmarkt auf dem Schlachthofgelände zur gemütlichsten Ecke – aber was soll ich machen, wenn diese arm- und beinlose Puppe sich derart pittoresk vom Märzschnee überzuckern lässt?


07 März 2013

Ein Alien auf der Reeperbahn




Da steht einmal ein Ufo über St. Pauli, und ich krieg’s nicht mit. Wie ich überhaupt das meiste nicht mitkriege, was auf St. Pauli so passiert. Keine Messerstechereien, nichts.

Ich habe auch noch nie jemand live kotzen sehen, sondern immer nur das traurige Ergebnis weiträumig umschifft. Und jetzt kriege ich natürlich auch das Ufo nicht mit.

Es stand überm Heiligengeistfeld, die Polizei rückte aus, alle waren ganz aufgeregt.  Nur ich nicht, weil ich’s ja nicht mitgekriegt hab.

Natürlich war’s am Ende wieder der übliche Lenkdrachen mit Leuchtdioden, aber trotzdem. Hätte ich es mitgekriegt und auch noch zufällig an der Reeperbahn mit den Leuten zusammengestanden, die den oben verlinkten Film aus dem Off kommentieren, wäre das für mich allerdings noch schlimmer gewesen als so. Und zwar aus Fremdschämgründen.

Ein Schlaumeier nämlich sagt peinigenderweise den Satz: „Es ist für uns Menschen unmöglich, Batterien da hoch zu bringen, die so eine Leuchtkraft haben.“

Ich hoffe mal, das war kein St. Paulianer, der das gesagt hat, sondern ein Tourist. Oder ein Alien. Allerdings fällt mir keine Herkunftsregion ein, der ich spontan so was Rumpeldummes zutrauen würde.

Übrigens hat Curiosity oben auf dem Mars seit ein paar Tagen ein Computerproblem, und die in Houston resetten gerade das System.

03 März 2013

Sie haben das N-Wort gesagt!





In den Seitenstraßen von St. Pauli entdeckt man auch nach vielen Jahren immer wieder Neues, zum Beispiel überraschend auftauchende Essgelegenheiten.

Unlängst stolperte ich in der Trommelstraße über ein mir bis dato völlig unbekanntes Steakhaus namens The Bird. Laut Speisekarte befleißigt es sich der gehobenen US-Küche und versucht sie dem Gast mit allerhand Allegorien schmackhaft zu machen.

So bewirbt The Bird eins seiner T-Bone-Steaks mit einem Vergleich, den selbst Brüderle höchstens denken, aber niemals sagen würde: „Fleischig und saftig wie eine hochbezahlte Nashville Nutte“.

Wenn ich eins auf dem Kiez gelernt habe (danke, Miele!), dann das: Nenn eine Prostituierte meinethalben Hure, aber nie, nie, niemals Nutte. Ersteres trägt sie wie ein Ehrenabzeichen, Letzteres dir ewig nach.

Dass nun ausgerechnet ein Restaurant auf St. Pauli eine in seiner Nachbarschaft  überproportional stark vertretene Berufsgruppe pauschal schwerst beleidigt, scheint mir doch recht unklug.

Am empörendsten aber – und da sind wir uns sicher sofort einig –  ist das hirnlose Deppenleerzeichen in „Nashville Nutte“.

Spätestens dieser Klopper dürfte in orthografisch gebildeten Ludenkreisen das Fass zum Überlaufen bringen. The Bird sollte schon mal die Fenster verrammeln.

Oder schnell die Speisekarte überarbeiten. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät.


27 Februar 2013

Wo die Dirndl wirklich voll sind

Einige Bedienungen im Hofbräuhaus am Speersort, wo wir das Pokalspiel Bayern-Dortmund verfolgen, interpretieren die berühmte Brüderle-Vermutung nicht nur konjunktivisch. Und zwar ganz und gar nicht.

Vor allem, wenn es ans Bezahlen geht und sie sich tief über den Tisch beugen, um wunderbare Zeichen auf ihre hinreißenden Rechnungen zu malen, wird das ausnehmend evident.

„Das ist doch alles nicht echt, das ist doch gepuscht!“, mokiert sich Kramer aus purem Selbstschutz. Ich muss den armen Wirren allerdings darauf hinweisen, dass vor allem das Echte gern gepuscht wird und gerade das Falsche darauf frohen Herzens verzichten kann.

Kramer hingegen zweifelt weiter und fantasiert von einer manuellen Überprüfung des Sachverhaltes, woraufhin der Franke ihm androht, in circa zwei Jahren einen Artikel darüber zu schreiben, was unweigerlich zu einer Popularisierung der Kramer-Vermutung führen und all seine politischen Ambitionen augenblicklich beenden würde, so er welche hätte.

Der Franke hat zwischendurch ganz andere Probleme, nämlich eine halbe Stunde lang keinen Biernachschub auf dem Tisch. Als er die Bedienung endlich zu „fassen“ kriegt, erlischt seine erstaunlich hoch aufgestaute Wut sofort – wegen der kalmierenden Wirkung ihres Dekolletés, wie ich unwidersprochen schlussfolgere.

Übrigens gehört „Dekolleté“ zu jenen durchaus rar gesäten Wörtern, die ich immer wieder im Duden nachschlagen muss, ohne dass je eine endgültige Verankerung der Schreibweise in meinem Langzeitgedächtnis die Folge wäre.

Und jetzt sind Sie dran, Dr. Freud.

22 Februar 2013

Pareidolie (57)

Hätte ich gewusst, wie standardmäßig mürrisch die Unterseite meines Bürotelefons in die Gegend guckt, wäre ich bestimmt die vergangenen fünf Jahre (so lange spreche ich ungefähr schon rein in dieses Modell) allmorgens weniger beschwingt zur Arbeit gefedert.

Ab sofort nenne ich das Gerät Matthau.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.

21 Februar 2013

Schon wieder eine Wohnung zu vermieten

Die Rückseite der Reeperbahn entwickelt sich anscheinend zum Marktplatz für freie Hamburger Wohnungen, und das auch noch erfolgreich, wenn man das blitzartig vermittelte erste Angebot zugrundelegt.

Diesmal geht es zwar nicht um eine Bleibe auf St. Pauli, sondern im schönen Ohlsdorf, und sie wird zurzeit noch von einem großartigen Kerl aus meinem Freundeskreis bewohnt, nämlich von Cinema noir.

Er ist u. a. auch Fotograf und pflegte dereinst einmal eine potentiell unendlich fortsetzbare Bilderserie mit dem programmatischen Titel „Orte, an denen noch nie das Blog von Matt Wagner gelesen wurde“. Ich hoffe immer noch auf eine Wiederbelebung dieser verdienstvollen Reihe.

Aber zurück zur Wohnung, zu deren Vermittlung wir nun endlich schreiten sollten. Die Eckdaten:

• zwei Zimmer (etwa gleich groß)

• 50 Quadratmeter
• Vollbad und Kellerraum
• rund drei Fußminuten vom S- und U-Bahnhof Ohlsdorf entfernt
• Warmmiete momentan 485 Euro monatlich

„Wenn man bedenkt, dass der St.-Pauli-Kiez alles für die Anbahnung von Nachwuchs im weitesten Sinne anbietet“, schreibt Cinema_noir in seiner antichambrierenden Begleitmail, „so befindet sich hier in Ohlsdorf ja der spezielle Kiez für den letzten Gang des Menschen. Also eine Art Beendigungskiez.“

Das meint er übrigens positiv. Und es ist ja auch wirklich so, dass die Nachbarschaft in dieser grünen Lunge Hamburgs unübertrefflich illuster ist. So wird die Gegend etwa aufgewertet durch die dauerhafte Anwesenheit von Hans Albers, Heinz Erhardt, Gustav Gründgens, Heinrich Hertz, Inge Meysel oder des oben abgebildeten Herrn mit Rose.

Gentrifizierungseffekte sind dort überhaupt nicht zu beobachten; die erwähnten alteingesessenen Bewohner ziehen garantiert nicht mehr weg. Aber Sie ja vielleicht hin – Mail genügt, ich leite weiter.
 

19 Februar 2013

Mein Ausflug in den Familienblock

St. Pauli gegen Köln: Als Doppelfan muss ich da hin! Dass mir dies siedendheiß erst am Abend des Spiels einfällt, verbessert indes die Chance auf Umsetzung nicht unbedingt.

Doch siehe da: „Ja, ich habe noch eine Karte für 27 Euro, aber im Familienblock“, sagt die liebreizende Frau am Kartenschalter. „Gerne!“, jubiliere ich. „Familienblock deshalb“, erläutert sie, „weil Sie dort nicht rauchen und trinken dürfen.“

Wahrscheinlich glaubt sie, für mich sei diese Karte damit gleichsam vergiftet, doch es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Denn: Ich werde hinterher nicht stinken wie Don Draper nach einem Kundenmeeting, mir werden keine Suffköppe Plörre übern Latz kippen, und auf der Toilette werde ich nicht ausrutschen, nur weil irgendein beschwipster Schwanker sich jedwede Treffsicherheit weggesoffen hat.

„Kein Problem“, sage ich also heiter, „aber ich muss doch kein Kind mitbringen oder so?“

„Nein, nein“, beschwichtigt sie.

„Und wenigstens Wasser gibt es dort zu kaufen?“

„Ja, ja.“

Vorfreudig schlendere ich kurz vor 8 rüber zum Stadion – und erblicke Schlangen vorm Einlass wie anno 77 in Ostberlin nach einer Bananenlieferung. Mild panisch reihe ich mich in etwa 50 Metern Entfernung vorm Eingang ein und nehme an, dass sie natürlich den Anpfiff verschieben werden. Schließlich kann man nicht Tausende draußen stehen lassen und drinnen einfach so tun, als wären sie schon drin.

Doch es geht recht zügig voran, weil vorn die Kontrolleure die Gefahr eines Aufstandes anscheinend mit einer zunehmenden Laxheit beim Abtasten zu mindern versuchen. Im Familienblock angekommen sehe ich aus dem Augenwinkel gerade noch das 0:1 und finde anschließend meine Reihe nicht.

Denn nirgends stehen Nummern, die Ordner können auch nicht helfen („Bin neu hier“). Als ich einen bereits sitzenden Fan frage, in welcher Reihe er sich befindet, glaubt er, ich wolle ihm seinen Platz streitig machen. „Ich sitze schon seit Jahrhunderten hier!“, schwört er mit Panik in der Stimme.

Immerhin finde ich heraus, dass es die richtige Reihe ist. Nur liegt mein Platz anscheinend am anderen Ende. Der seit Jahrhunderten mit seinem Schalensitz verwachsene Fan rät mir mit deutlicher Erleichterung, es vom anderen Aufgang aus zu versuchen, das sei leichter. Wahrscheinlich will er mich nur loswerden, weil er in mir einen Sargnagel für seine Sitzschalendynastie zu erblicken glaubt.

Also treppab, treppauf – und wieder das gleiche Problem: keine Reihennummern am Sockel. Deutlich zu lesen sind sie – wie ich bald herausfinde – nur auf den Lehnen der Sitzschalen, aber nur auf den Vorderseiten, und die werden ja verdeckt von denen, die draufsitzen. Ein Teufelskreis, und schuld ist der Stadionarchitekt.

Unmerklich habe ich inzwischen den Familienblock verlassen, das Spiel schreitet fort, Kalla ballert Horn an, und ich habe immer noch keinen Platz. Also gebe ich auf und setze mich einfach irgendwohin, ist ja hie und da noch was frei, trotz ausverkauft.

Ähnlich halten es auch andere Herumirrende. Keiner von ihnen findet den Platz, für den er bezahlt hat, also wird improvisiert. Ein fröhliches Hin und Her, schön chaotisch, aber hochkommunikativ. Wahrscheinlich möchte der FC St. Pauli so den Zusammenhalt der Fanbasis stärken, und das klappt auch. 


Man könnte die Maßnahme vielleicht noch effizienter gestalten, indem man von vorneherein überhaupt keine nummerierten Karten mehr anbietet, sondern „freie Platzwahl“ draufdruckt. Den Rest regeln dann der Markt und die Evolution („survival of the fittest“).

Um mich herum wird übrigens wohlgemut gekifft und gesoffen, als gäbe es morgen kein Gras und auch kein Astra mehr; als Thorandth mit Gelb-Rot vom Platz fliegt (42.), tun es ihm viele volle Becher nach; die eisige Luft ist plörregesättigt, und auf der Toilette pieselt bestimmt gerade irgendein beschipster Schwanker auf die Brille und gern auch mal daneben. Als ich nach Hause komme, stinke ich wie Don Draper nach einem Kundenmeeting.

 

So viel also zu meinem Ausflug in den „Familienblock“. Aber kein weiteres Wort zum Ergebnis des Spiels. Da, euer Ehren, berufe ich mich auf mein Aussageverweigerungsrecht als Schwerstbetroffener.

18 Februar 2013

Doppelt kodiert

Mit Mark beim ausverkauften Konzert von Fraktus in der Fabrik. Die Band ist seit 30 Jahren eine absolute Legende, auch wenn sie bis vor kurzem noch niemand kannte.

Ohne sie nämlich hätte es Kraftwerk, Rammstein, Scooter (!) oder Jethro Tull (Heinz Strunks Querflöte!) nie gegeben – und natürlich auch sämtliche Technoclubs zwischen Rio und Mojo nicht. Nicht ein einziger „Café del Mar“-Sampler würde existieren – und an dieser Stelle muss man sich natürlich fragen, ob das wirklich ein Verlust für die Menschheit wäre.

Egal: Als wir nach anderthalb vergnüglichen Stunden die Halle verlassen, zetert uns unaufgefordert ein Mann an. „So’n Scheiß hab ich mein Leben noch nicht gesehen!“, zürnt er lauthals. „Das war das Schlechteste, was es überhaupt gibt!“
Der Mann sieht echt wütend aus.

„Ich glaube“, raune ich Mark zu, „er hat den Witz nicht verstanden.“

„Oder“, lächelt Mark fein, „er möchte, dass wir glauben, er habe den Witz nicht verstanden.“

Handelt es sich bei diesem Wutanfall also etwa um eine doppelt dekodierte Ironie? Um ein zweifaches Um-die-Ecke-Denken?

Nun, wir werden es niemals erfahren.


14 Februar 2013

Fundstücke (171)

1. Der Herr (Kiezbäcker) hat’s gegeben, der Herr (bzw. sein Gehweg) hat’s genommen. Wahrscheinlich war es von vorneherein ein Fehler, den von Samstagnacht übriggebliebenen Promilleplauzen hausgemachten Kartoffelsalat mit Riesenbockwurst vorzusetzen. Blärch …

 


2. Das abgebildete Produkt gibt es bei Tchibo zu kaufen. So richtig zum Mitnehmen. Offensichtlich habe ich das Prinzip „Luftgitarre“ bisher völlig falsch verstanden.

3. Den Amazon-Preis von 66.567 € für die Dandy-Warhols-LP „Welcome to the Monkey House“ finde ich recht knackig; es gibt dort zurzeit auch kein teureres Album. Bei Ebay kriegt man das gleiche Modell für 34,69 €, aber wahrscheinlich ist es einfach nicht ganz so gut erhalten.

4. Liebes Vattenfall, Sie fragen bestürzt nach den Gründen für meinen Wechsel. Nun, vielleicht liegt es daran, dass Sie ihn mir ausdrücklich nahelegten, nachdem ich sehr muffig auf Ihre Preiserhöhungen reagiert habe. MfG, Matt


12 Februar 2013

Kiezpoeten unter sich

Wir sitzen in der Kiezbar 3 Freunde in der Clemens-Schulz-Straße (s. unpassendes Beispielfoto), als ein Hinz-&-Kunzt-Verkäufer hereinkommt und seine Zeitschrift anbietet. Ich möchte ihm eine abkaufen und krame nach Kleingeld.

„Darf ich Sie um eine kleine Spende bitten?“, fragt der Mann. Er ist ungefähr in meinem Alter und wirkt nicht sonderlich abgerissen. Nur seine dentale Situation war sicher schon mal besser.

Ich nicke, komme auf ungefähr zweiachtzig, reiche sie ihm und harre der Ausgabe Hinz & Kunzt. Allerdings hat der Verkäufer, wie er nur moderat verdruckst verdeutlicht, das mit der Spende etwas anders gemeint.

Er möchte die Zeitschrift nämlich am liebsten gar nicht herausrücken („Die kann ich woanders noch gut gebrauchen“), sondern für die Spende lieber eine immaterielle Gegenleistung erbringen.

„Kann ich Ihnen stattdessen etwas vortragen?“, fragt er, „ein Lied vielleicht oder ein Gedicht?“ Das Angebot überzeugt mich sofort. Angesichts des mittelmäßigen HipHops, den die ansonsten verehrungswürdige Barkeeperin heute aufgelegt hat, scheint mir ein Lied allerdings zu große Dissonanzgefahren zu bergen, weshalb ich mich für ein Gedicht entscheide.

Und nicht nur deswegen. Sondern auch wegen meiner frühen Vergangenheit als gescheiterter Lyriker („Auf Wiedersehen, Haferhalm“, Hugendubel, 1984, ein Sammelband mit praktisch ausschließlich schlechten Gedichten, was das Büchlein im nostalgisch verbrämten Rückblick zumindest sehr homogen erscheinen lässt. Immerhin war es im Offsetverfahren auf Sympathikus-Werkdruckpapier gedruckt, holzfrei weiß mit zweifachem Volumen.).

„Ein fremdes oder ein selbstverfasstes?“, fragt der Hinz-&-Kunzt-Verkäufer, der die Hinz & Kunzt eigentlich gar nicht verkaufen will. Natürlich das selbstverfasste.
 

Augenblicklich beginnt er mit routiniert fester Stimme ein Poem über das Wesen des Künstlertums zu deklamieren, dessen vollendetes Versmaß mir Ver- und Bewunderung abringt.

Nach einem herzlichen Lob geht er zufrieden hinaus in die Kieznacht, in die nächste Bar, zum nächsten Mildgestimmten, der eine Spende rausrückt und ihm die Zeitung dennoch lässt.

So was erlebt man nur auf St. Pauli. Und auch wenn die Sozialromantiker unter Ihnen jetzt wieder mal aufgeregt und rotwangig mit den Flügeln flattern: So richtig intensiv gelesen habe ich die Hinz & Kunzt eh noch nie.


09 Februar 2013

Gescheitert beim Verramschen

Die Trainingsphilosophie von Chris, dem Schlächter, kann man kurz und bündig zusammenfassen. Sie lautet: Zuckerbrot und Peitsche – nur ohne Zuckerbrot.

Sein allsamstägliches Vorgehen beim Fitnesskurs ist der Hauptgrund, weshalb ich über den Schlachthofflohmarkt wankte, als spielte ich in einem George-Romero-Film mit, aber keinen von den Lebendigen.

Die trotz dieser anatomischen Einschränkungen tapfer durchgeführte Suche nach Weinraritäten zum kik-Preis führte zu keinerlei Ergebnissen. Wenn ich also schon nichts zu  kaufen finde, dachte ich mir, dann verkaufe ich wenigstens was.

Also suchte ich zu Hause einen Stapel alter CDs zusammen und radelte ächzend in die Feldstraße zu Ruff Trade Records. Ein graubärtiger Althippie saß dort hinterm Tresen. Ich fragte ihn, ob er mir ein paar CDs abnehmen wolle.

„CDs?“, brummte er und schaute, als hätte ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, mit mir nach Tuvalu auszuwandern, „die kannste gleich wieder mitnehmen.“ Und das meinte der Mann auch noch ernst; er wollte nicht mal einen Blick in meine Tasche werfen.

Solche Erlebnisse zeigen überdeutlich, dass die Totenglöckchen für dieses kaum 30-jährige Trägermedium längst bimmeln. Mit Vinyl kann man inzwischen wieder richtig was reißen, aber CDs sind oft nicht mal mehr so viel wert wie ein Ersatzjewelcase, das man für das verkratzte alte kaufen muss, damit die CD überhaupt noch was wert ist.

Ich sitze übrigens auf Tausenden dieser Scheiben. Aber das haben Sie sicher schon geahnt.


03 Februar 2013

Damals mit Norah



Heute Abend fand das weltweit erste Konzert im wiedereröffneten Mojo Club an der Reeperbahn statt, und wer war gebenedeit genug, um dabei zu sein? Moi. Als Beweis mag das beigefügte Video gelten, welches einen kurzen Ausschnitt des Auftritts der Jazzband Studnitzky zeigt.

Wie mir aus gemeinhin glaubwürdiger Quelle zugetragen wurde, soll es weiterhin strikt untersagt sein, Teile der Mojo-Architektur zu fotografieren. Aber „Filmen“ ist ja schon etwas ganz anderes als „Fotografieren“, nicht wahr, und außerdem ist im Film von der Mojo-Architektur lediglich das Ensemble der Deckenlampen zu sehen. Und das – so habe ich insgeheim ex cathedra entschieden – zählt nicht.

An die erste Mojo-Ära habe ich übrigens nur wärmste Erinnerungen. Gut, auch die aufdringliche Gutgelauntheit eines Roger Cicero drängt sich dazwischen, doch weit wärmer sind die Erinnerungsgefühle, wenn ich zum Beispiel an die schüchterne Norah Jones denke. Am 17. Mai 2002 versteckte sie sich dort bühnenrandöffentlich hinterm Klavier, noch nichts ahnend vom anstehenden Weltruhm und den 20 Millionen verkauften Exemplaren von „Come away with me“.

Nur vier Tage später – das habe ich ebenfalls in meinen alten Terminplan nachgeschlagen – rockte Chris Isaak die Hütte. Zwischen den Stücken flirtete er mit den Damen im Publikum und gab jeder einzelnen das Gefühl, er würde sie und nur sie nach der Show mit aufs Zimmer nehmen. (Am Ende waren es wahrscheinlich alle.)

Mal schauen, ob es wieder so gut wird im neuen Mojo. Der Sound und die Luft sind jedenfalls schon mal spitze, Studnitzky sowieso.

Und die Architektur erst!


01 Februar 2013

Ich ist ein anderer

Beim Stöbern in meiner eigenen Plattensammlung fiel mir heute ein apart gestaltetes Album in die Hände, welches ich noch nie im Leben gesehen zu haben glaubte.

Neugierig geworden googelte ich danach – und stieß bei Amazon auf meine eigene Albumrezension.

An unserer Wohnzimmerwand hängt ein Gemälde des Künstlers Bodo W. Klös. Es zeigt ein viergeteiltes Porträt des Poeten Arthur Rimbaud, der einst den mysteriösen Satz schrieb: „Ich ist ein anderer.“

Meine Kritik des Albums ist übrigens erstaunlich zutreffend. Von diesem Rezensenten würde ich gern mehr lesen.

Wo kann man ihn liken?

30 Januar 2013

Es folgt: kein Mucks über Bowie!

Gestern  spielte man mir an streng geheimem Ort, einem versteckt gelegenen Aufnahmestudio in Altona, das neue Album von David Bowie vor. Es erscheint am 8. März.

Bevor es losging, musste ich eine verpflichtende Erklärung unterschreiben. Sie ermöglicht es den Sicherheitskräften, mich standrechtlich zu köpfen, sofern ich vor dem 25. Februar auch nur den leisesten Mucks über die Musik abtropfen lasse. Aufs Niveau dieses Blogs hätte die Strafe wahrscheinlich eine qualitätssteigernde Wirkung, mein Wohlbefinden allerdings wäre womöglich beeinträchtigt.

Deshalb halte ich lieber fein säuberlich die Klappe und erzähle nur von diesem dringenden Bedürfnis, das mich nach dem letzten Track befiel (und nein, das hatte GAR NICHTS mit dem letzten Track zu tun und ist somit KEIN MUCKS über Bowie, damit das ganz klar ist!).

„Entschuldige“, sagte ich zu einem Studioangestellten, „gibt es hier eine Toilette?“ „Ja, nur kenne ich das Passwort von dieser Etage nicht“, antwortete er und entsicherte sein Smartphone, „aber ich kann dir schnell das Hotspotlogin vom WLAN zumailen.“

Hotspot? Login? WLAN? Ich wollte doch einfach nur pinkeln.

Aber so dringend war es dann auch wieder nicht.


PS: Beim Bild oben handelt es sich lediglich um ein allgemeines Beispielfoto. Eigentlich wollte ich den Zettel mit den Songtiteln als Illustration benutzen, doch dann habe ich von Guillotinen geträumt und es lieber gelassen.


26 Januar 2013

Nachmieter auf dem Kiez gesucht! (echt jetzt!)

Nach allem, was Sie jahrein und -aus hier lesen müssen, können Sie gewiss überhaupt nicht verstehen, warum um alles in der Welt man auf den Kiez ziehen (oder dort wohnen bleiben) sollte.

Dennoch werden viele Irregleitete wie magisch angezogen von Hipnessfaktoren wie Huren, Hundehaufen und Schnapsleichen. Mein Freund A. allerdings, dem ich hier vor sechs Jahren einen ebenso zweifelhaften wie dauerhaften Ruhm als Pornobalkensachverständiger verschaffte, zieht jetzt weg.

Was bedeutet:

Mitten. Auf. St. Pauli. Wird. Eine. Wohnung. Frei.

Genauer gesagt in der Herrenweide. Und er sucht einen Nachmieter. Die Daten folgen unten.

Wer also schon immer davon geträumt hat, nach dem Totalabsturz im Casino Novolino (Foto) oder dem Silbersack binnen fünf Minuten im eigenen Bett weitervegetieren zu können, dem kann geholfen werden. Interessenten bringe ich gern in Kontakt mit A. – ganz ohne Maklergebühr.


• Altbau (an der Fassade steht das Baujahr: 1885, ein altes Seemannshaus), 3. OG (Endetage), 2 Zimmer

• Gesamtfläche: 49 m²
– Wohnzimmer (22 m²): sehr hell und sonnig (komplett nach Südwesten)
– Schlafzimmer (6,5 m²)
– Küche (10 m²): Platz für 4 Personen. Einbauküche (Ikea-Style, 90er-Jahre)
– Bad (6 m²): geräumig, mit Badewanne (hier steht auch die Waschmaschine), Kachelboden
– Flur (3,5 m²) mit Regalnische (1 m²)
– Boden: Laminat
– Heizung: Fernwärme
– Geräte: zusätzlich zu Herd/Ofen und Kühlschrank (Wohnungsbestandteile) ein separater Eisschrank und eine Waschmaschine (beide in gepflegtem Zustand, Abstand: 250 €)

• Warmmiete: 555 € (kalt 425 + Betriebskosten 130)
– Wasser und Strom werden direkt mit Versorgern abgerechnet
– Kaution: zwei Monatsmieten
– Courtage: Keine

• Einzugstermin: 1. März (frühestens 25. Februar)
• Besichtigung: ab sofort
• Wohnung muss renoviert werden (Farbe), dafür bei Auszug nicht
• Voraussetzungen für die Hausverwaltung: Personalausweis und Verdienstbescheinigung (Schufa-Auskunft kann nicht schaden, wurde aber nicht erwähnt)

24 Januar 2013

Pareidolie (56)

Unter allen Pareidolielieferanten sind Knollengewächse die Topstars. Zuletzt gelang mir der Nachweis auf recht überzeugende Weise mithilfe einer kreuzgewöhnlichen Kartoffel, heute muss ein griesgrämiger Ingwer herhalten.

Wann schlägt die Steckrübe zurück? Welches Radieschen rafft sich auf? Was unternimmt der Kohlrabi? Es bleibt spannend.

PS: Eine ganze Pareidoliegalerie gibt es bei der Pareidolie-Tante.



22 Januar 2013

Die gemütlichsten Ecken von St. Pauli (79)


… doch mancher wäre wohl auch mit einer dampfenden Badewanne schon mehr als zufrieden …

Die jahrein, jahraus auf dem Abluftgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße lagernden obdachlosen Polen müssen nicht selten den zufälligen Sarkasmus der Werbeplakate ertragen.

Im Winter kommt das naturgemäß öfter vor als im Sommer, weil ihr Elend deutlicher hervortritt und deshalb umso stärker kollidiert mit der dummfröhlichen Verführungsabsicht der Plakate.

Heute war es mal wieder so weit. Ob die Polen sich von einer Wodkaspende über die Unerreichbarkeit des Mittelmeers temporär hinwegtrösten lassen? Ist wahrscheinlich einen Versuch wert.

Hier gibt es alle alle gemütlichen Ecken.


21 Januar 2013

Nase zu und durch

Die Vogelschar, die sich mitten auf der Seilerstraße an irgendeinem Leckerli gütlich tut, muss aufgemischt werden.

Mit dem Fahrrad lässt es sich hervorragend mit Karacho hineinsteuern in dieses Gefiedergewirr, so dass alles lustig auseinanderstiebt, die Tauben und die Möwen.

Beim Durchbrettern wird indes bestürzend deutlich, woran die Vögel sich so interessiert labten: an einer sonntagsmorgens auf den meisten Kiezstraßen handelsüblichen kapitalen Kotzlache. Bremsen oder Ausweichen ist nicht mehr drin, es heißt Nase zu und durch.

Immerhin hat mir das eine sehr gute Begründung dafür verschafft, etwas nicht zu tun, das ich eh nur sehr selten getan habe, aber nur aus Faulheit: das Fahrrad im Haus unterzustellen.

Ich möchte übrigens nie mehr in einer Stadt leben, wo es keine Möwen gibt. Habe ich das schon mal gesagt?


19 Januar 2013

Schnauze oder Notaufnahme

Am Schlump steigen vier so halb- wie lautstarke Muskeltürken zu. Einer von ihnen, ein kleiner Pitbull mit Bartflaum auf der Oberlippe, hält es nicht für nötig, die auf dem Bahnsteig bereits verbotenerweise gerauchte Kippe wenigstens im Waggon auszumachen.

Die Rauchschwaden ziehen provozierend durch den Wagen und werfen unwillkürlich Fragen auf. Der Impuls, den Quarzer auf den von ihm verursachten Missstand hinzuweisen, muss indes wohlüberlegt werden.

Klar, man könnte natürlich hingehen und versuchen, ihm ins Gewissen zu reden – entweder legalistisch („Rauchen ist hier verboten“) oder persönlich betroffen („Das stört“). Sehr sorgfältig abzuwägen wären allerdings mögliche Reaktionen seinerseits.

Vielleicht möchte sich der Oberlippenflaum vor seinen Kumpels ja nicht maßregeln und ergo lieber die Fäuste sprechen lassen. Will ich das riskieren?

Die Alternative wäre defensiver, aber auch sicherer: drei Stationen zähneknirschend die Schnauze halten und sich dies insgeheim als urbane Toleranz schönreden. Das könnte das Wochenende verschönern, weil die Chance erheblich stiege, es zu Hause statt in der Notaufnahme zu verbringen.

Gut, zwar könnte sich die deutlich sichtbare Überwachungskamera an der Decke kalmierend auf mögliche Vergeltungsmaßnahmen auswirken, doch sicher ist das auch nicht unbedingt. Schließlich sieht man solche Bilder immer öfter in der Tagesschau. Und auf taktische Intelligenz zu hoffen, scheint mir beim Anblick dieser Truppe nicht sehr ratsam zu sein.

Die Tatsache, Recht zu haben und dies auch frei heraus zu thematisieren, muss also sehr sorgfältig abgewogen werden gegen die gar nicht geringe Chance auf einen Nasen- und Jochbeinbruch.

Noch während ich all dies so hin und her überlege, erreichen wir die Station Feldstraße, wo das halb- und lautstarke Quartett überraschend die Bahn verlässt. Eigentlich wirkten sie nämlich wie St.-Pauli-Aussteiger.

Als ich nach Hause komme, begrüßt mich Ms. Columbo stirnrunzelnd: „Hast du heimlich geraucht?“

Ich hätte doch was sagen sollen, echt.


16 Januar 2013

Got my Mojo working (again)

Eingangs der Reeperbahn wird am 2. Februar eine Legende wiederauferstehen: unser guter, alter Mojo Club.

Seit zehn Jahren ist er schon zu, doch jetzt hat er an alter Heimstatt eine neue Bleibe gefunden, wenn auch komplett unterirdisch. Oben auf dem Foto nämlich sehen wir keinen überdimensionierten Gullydeckel, sondern einen der beiden künftigen Eingänge des Clubs, der sich über drei subterrane Etagen erstrecken wird.

Heute war ich zu einer exklusiven Vorbegehung der Baustelle eingeladen – und dadurch in der Lage, zwar nicht die Radieschen, doch zumindest einen der Mojo-Deckel auch von unten betrachten zu können.

Eine Erfahrung, die wohl jener glich, die Orson Welles im Filmklassiker „Der dritte Mann“ machen konnte (wenngleich in Wien): Man hörte gedämpft den Verkehr über die Reeperbahn rauschen, während ahnungslose Spielbudenplatzpassanten das Treppenhaus unter ihren Füßen mächtig zum Gongen brachten.

Toll, toll, toll wird auch das Mojo-Klo. Es ist unisex ausgelegt, also für beide Geschlechter gemeinsam zugänglich – und soll während des Betriebs live von DJs beschallt werden. Der Andrang der Bewerber ist angeblich schon jetzt riesig.

Als ersten würde ich übrigens unbedingt DJ Koze buchen, aber das müssen natürlich die Mojo-Booker entscheiden. Nur eine Anregung.

Das Putzpersonal indes wird dieses innovative Toilettenkonzept wohl eher mit säuerlichem Grinsen zur Kenntnis nehmen. Denn wer selbst beim Pieseln abhottet, dürfte im Nassbereich erhöhte Kollateralschäden verursachen. Ich denke da nur an die Fliehkraft.

PS: Ist „Mojo“ im Amerikanischen nicht auch ein Slangwort für Schniedel? Hab ich mal gehört.



14 Januar 2013

St. Pauli goes Dschungelcamp

Normalerweise läuft einem hier auf dem Kiez ja alle naslang Olivia Jones über den Weg. Insofern fehlt gerade was. 

Denn Olivia ist im Dschungelcamp und verwandelt sich dort zusehends in einen gewissen Oliver Knöbel.
 

St. Pauli hätte übrigens noch mehr potentielle Urwaldkandidaten zu bieten. Ich zum Beispiel sähe dort liebend gerne mal Herrn N****-Kalle – und zwar nicht nur, weil das hier auf der Reeperbahn die Gefahr von Mittelhandbrüchen dramatisch senkte.

Aber auch.



10 Januar 2013

Ärmer, aber nicht um eine Erkenntnis

Als wir unlängst über eine Brücke die Speicherstadt verließen, sahen wir einen zylindrigen Pfeiler aus den trüben Fluten aufragen. Er endete ein paar Meter unterhalb der Brücke.

Interessanter noch als seine uns Landratten unbekannte Funktion, auf die auch das aufgepflanzte Nummernschild keine näheren Hinweise geben konnte, erschien uns augenblicklich die beträchtliche Münzsammlung, die es sich auf dem Pfeiler wohlergehen ließ.

Wie kamen die Geldstücke bloß dort hin? Ein Wurf von der Brücke musste doch unweigerlich dazu führen, dass das auftreffende Hartgeld seine überschüssige kinetische Energie sogleich zu einem Satz ins Wasser … ähem … ummünzen würde.

Das wollte ausprobiert werden: Sportlichen Herausforderungen nie abgeneigt, kramte ich sogleich in der Parkatasche nach etwas Rotgeld (so viel Geiz muss sein), fingerte ein Zweicentstück hervor und erbat Ms. Columbos voll(st)e Aufmerksamkeit. Sie stellte sich erwartungsvoll ans Geländer und harrte des Stunts ihres angetrauten Helden.

Ich visierte das Ziel an, schwang sachte den Unterarm, ließ die Münze los – und verfehlte den Pfeiler.

In 80.000 Jahren werden Archäologen sie aus dem seit Ewigkeiten erstarrten Elbgrund buddeln und wichtige Hinweise auf die Lebensweise im 21. Jahrhundert gewinnen. Bis dahin bin ich um zwei Cent ärmer.

Und der Gegenwert dieser Investition war auch eher mau, offen gesagt.


06 Januar 2013

Die Antwort auf die Augstein-Frage

„Weißt du, wer definitiv kein Antisemit ist?“, fragt mich German Psycho, während er sich im Jolie über das angeblich beste Wiener Schnitzel Hamburgs hermacht.

Anlass seiner Frage ist eine längere Diskussion über Jakob Augstein etc., in deren Verlauf ich eingestand, unter massivem Kopfschwirren zu leiden angesichts der Tatsache, um wie viele Ecken hierzulande bisweilen gedacht wird, damit am Ende der Argumentationskette jemand als Anti- oder Philosemit entlarvt oder belobigt werden kann.

Ich hatte mich im Verlauf sogar zu der kühnen Behauptung verstiegen, ich könne mit ein wenig Tüftelei auch Henryk M. Broder des Antisemitismus’ zeihen, was allerdings – wie ich sofort zugab – Zeit, Wein und unbedingt der Schriftform bedürfte.

„Definitiv kein Antisemit ist jedenfalls“, fuhr German Psycho fort, „wer israelischen Eiswein trinkt.“ Damit spielte er an auf ein besonderes kulinarisches Erlebnis, welches wir zwischen den Jahren teilen durften.

Im Mittelpunkt desselben stand eine  süße Köstlichkeit, welche sage und schreibe auf den Höhen des Golans heranreift und dort vom Weingut Yarden aus edelverschimmeltem Gewürztraminer gekeltert wird. Bei der Temperatur hilft man freilich mit technischen Mitteln (vulgo: Tiefkühltruhe) etwas nach, wie mir der Privatimporteur dieser Kreszenz, Dr. K, steckte, doch das kümmert nur Pedanten, keine Connaisseure.

Jedenfalls sind wir nach dem hedonistischen Yarden-Gelage also definitiv keine Antisemiten, und um das noch einmal deutlichst zu unterstreichen, haben wir heute bei oben verlinkter Adresse eine ordentliche Menge Flaschen nachbestellt. „Dieser Wein ist sogar koscher!“, bekräftige ich gegenüber Ms. Columbo. „Aber ist er auch halal?“, fragt sie bang. „Jedenfalls bringt er dich zum Lallen, zumindest bei ausreichender Zufuhr“, kalauere ich zurück.

Ich würde übrigens auch jederzeit und ohne Vorbedingungnen palästinensischen Eiswein süffeln, aber sagen Sie das mal der Hamas.

02 Januar 2013

Das lässt tief blicken

Am Neujahrsmorgen standen unten vorm Tunnel – einer Diskothek, deren Eingangsbereich wir von unserem Balkon aus sehen können – junge Menschen im Winterregen, darunter eine Frau im kleinen Schwarzen und wadenfrei.

Im Winter sieht man so was erstaunlich oft in Hamburg und vor allem auf dem Kiez, wo das Bedürfnis, sich zu präsentieren, anscheinend stärker ist als jede Lungenentzündungsbefürchtung.

Man sieht sogar bei Minusgraden schalfreie Hälse und Dekolletees von einer derartigen Tiefe, dass sich in ihren Spalten jeder dahergelaufene russische Eiswind formidabel aufwärmen kann. (Und ich spreche nicht von den Huren in der Davidstraße; die tragen nämlich Skianzüge.)

Ich und Ms. Columbo laufen derweil vollvermummt an diesen merkwürdigen Menschen vorbei und fragen uns, ob wir wirklich zur gleichen Spezies gehören. Wenn hier eine dieser Winterhalbnackedeis mitliest: Frieren Sie denn nicht? Und wenn ja: warum bloß nicht?

Ich frage für eine genetisch benachteiligte Halbsardin, die sich schon ins Lammfell mummelt, wenn sie nur Langnese-Werbung im Fernsehen sieht.

Übrigens ließ auch unsere Haustür am Neujahrsmorgen tiefer blicken als noch am Abend zuvor, doch das ist ja durchaus nicht unüblich – und damit für dieses Jahr hoffentlich erledigt.