31 Dezember 2017

Der übliche offene Brief zu Silvester

Wie der Postillon gestern enthüllte, ist heute gegen Mitternacht ein konzertierter Terroranschlag geplant, für den weltweit Abermillionen von Tätern rekrutiert wurden. 

Auch in Deutschland dürfte kaum ein Ort davon verschont bleiben, selbst in den kleinsten Dörfern sollen mit Sprengstoff bewaffnete Attentäter bereitstehen.

All das heißt nichts Gutes für Ihre Gesundheit. Ich weiß nicht, ob unter diesen Umständen meine gebetsmühlenartigen Ratschläge aus den vergangenen zwölf Jahren überhaupt noch nützlich sein können. Doch ich möchte mir von folgenden Generationen nicht vorwerfen lassen müssen, nicht alles getan zu haben, um Leben zu retten. Ihr Leben.

Deshalb meine Bitte: Lesen Sie sich sorgsam die hier gesammelten Einträge durch und ziehen Sie Ihre Schlüsse daraus.

Nein: Danken Sie mir nicht. Noch nicht. Denn sollten Sie diese Nacht heil überstehen, ist dafür morgen immer noch Zeit. 

Alles Gute bzw. leben Sie wohl.


Foto: Gruppe anschlaege.de

22 Dezember 2017

„Body to body?“

Es ging schon mit einer Panne los. Das Thaistudio, für das ich mir via Groupon einen Massagegutschein über zwei mal eine Stunde gegönnt hatte, war einfach nicht zu finden. Die Straße wies nicht einmal die genannte Hausnummer auf. 

Fünf Minuten vorm Termin hatte ich genug von der Suche und rief dort an. Ja, stimmt, die auf dem Gutschein genannte Hausnummer sei falsch, richtig hingegen die ??a. Okay. Ich wechselte die Straßenseite und betrat einen trostlosen Hinterhof. Das Auffälligste an dem zweistöckigen Backsteinflachbau, in dem das Massagestudio eine Etage gepachtet hatte, war die eminente Pfütze davor, die sich schamhaft in mehreren Flussarmen zu verflüchtigen versuchte. Das weckte heimatliche St.-Pauli-Gefühle.

Auf dem Klingelschild stand „MASSAGE“. Ich stieg zwei Treppen hoch. Eine freundlich lächelnde kugelrunde Studiomutti wies mir ein Zimmer zu und bat mich zu warten. Mich wunderte, dass ein französisches Bett den Raum dominierte und keine Massageliege, aber was weiß ich schon. Ich fragte nach der Toilette und wurde durch einen Flur hingeführt. 

Dort die nächste Erstaunlichkeit: ein derart hoch an die Wand montiertes Pissoir, dass man schon die lichte Höhe eines Vladimir Klitschko hätte haben müssen, um seine Gerätschaft dort ordnungsgemäß zum Einsatz zu bringen. Und nirgends eine Trittleiter. Nachdem ich mit großem Erfindungsreichtum die Hürde bewältigt hatte (das unfallfreie Balancieren auf Zehenspitzen spielte dabei eine nicht unwichtige Rolle), kehrte ich zurück zum französischen Bett und wurde dort bereits von einer jungen Thailänderin von aparter Zierlichkeit empfangen. 

Sie redete in unverständlichem Thaidenglisch auf mich ein. Aus dem Wortschwall vermochte ich lediglich den Satzfetzen „Body to body?“ zweifelsfrei zu dechiffrieren. Nur seine Bedeutung wurde mir Ausbund des Arglosen nicht gleich deutlich, weshalb sie die rundliche Chefin zu Hilfe holte. „Erotisch Massage?“, fragte sie. Erst jetzt begriff auch ich. „Nein, nein, klassisch!“, beeilte ich mich zu rufen, worauf ich das Zimmer wechseln musste. 

Diesmal war es eins mit Massageliege. Die Masseurin blieb allerdings dieselbe. Anscheinend hatte sie viele Talente. Nach einer Weile kam eine Kollegin zum Plaudern und Giggeln hinzu. Natürlich verstand ich kein Wort, aber ich redete mir ein, dass Sätze fielen wie „Der ist aber sauber“ und „Ja, endlich mal einer, der geduscht hierher kommt“.

Irgendwann wurden rund um meine Liege die Vorhänge zugezogen, denn ein weiterer Kunde erschien und wurde auf der Nachbarliege versorgt. Dann war die Stunde vorbei, und siehe, es war gut.

Was ich eigenlich mit der ganzen Geschichte sagen will, ist Folgendes: Ich kenne in Hamburg ein Thaimassagestudio, für das man bei Groupon für sensationell günstige 24 Euro eine einstündige Behandlung bekommt – bedarfsweise sogar mit Happy Ending. Man muss halt nur nicken, wenn die Frage „Body to body?“ aus einem thaidenglischen Wortschwall aufploppt, anstatt „Nein, nein, klassisch!“ zu rufen.

Aber wie ich damals aufm Dorf gelernt habe, darf man sich den Appetit zwar durchaus auswärts holen, aber gegessen wird daheim. Und das ist NICHT etwa die offizielle Version für Ms. Columbo, ich schwör!

PS: Details nur gegen Gebot. Der Doppelgutschein will refinanziert sein.

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14 Dezember 2017

Zu kurz gedacht


Natürlich wäre eine Welt anstrebens- und empfehlenswert, in der keine Polizisten mehr nötig wären. 

Aber jetzt mal angenommen, der auf der linken Bank geäußerte Wunsch ginge früher in Erfüllung als der auf der rechten: An wen könnte man sich dann wenden, wenn einen Nazis dabei erwischt hätten, wie man „No Nazis“ auf eine Bank sprühte, und das täten, was Nazis, die sich ungeliebt fühlen, gemein tun?

So weit hat der Spraydosenmissbraucher im Alsterpark mal wieder nicht gedacht. Und deshalb soll er das bitte wieder wegmachen. 

Zumindest links das.

03 Dezember 2017

Fundstücke (224)

Die auf dem abgebildeten Aufkleber vertretene These scheint mir zwar gewagt, ja geradezu falsch, doch die Chronistenpflicht zwingt mich, sie hier zu dokumentieren. 

Entdeckt habe ich sie in der Seilerstraße, Ortsteil St. Pauli. 

Wo sonst.
 

25 November 2017

Simsalabim

Die Besinnlichkeit des Kiezweihnachtsmarkts Santa Pauli hält sich in engen Grenzen, wie wir bereits im vergangenen Jahr erfreut erfahren durften.

Im Stripzelt, wohin ich Dr. K. am Wochenende auf ein Bier verschleppte,
gilt das besonders. Das aktuelle Ausmaß der Besinnlichkeitsabsenz indes wunderte uns doch. Denn es trat auf: das Kunstbusenwunder Biggi Bardot, gehüllt in orientalische Gewänder. Allerdings nur kurz.

Die kühn Erblondete legte bald ab. Nachdem sie ihr des Wippens ganz und gar unfähiges Silikon eine Weile ins pietätlos grelle Scheinwerferlicht gehalten hatte, holte sie einen etwa 30-jährigen Mann auf die Bühne, der ob dieser Situation keineswegs peinlich berührt zu sein schien. Im Gegenteil, er fühlte sich pudelwohl.


So deuteten Dr. K. und ich jedenfalls seinen halboffenen, zu einem grenzdebilen Lächeln verzogenen Mund. Duldsam setzte er sich auf einen parat stehenden Stuhl und ließ sich von Biggi das Hemd über den Kopf ziehen. Zum Vorschein kam etwas obzön Brusthaartoupetartiges, das mich sofort entgeisterte. Anscheinend war dem Mann die technische Möglichkeit (Langhaarschneider!) großflächigen Mähens überhaupt nicht bewusst.


Doch darum geht es gar nicht. Sondern um Biggi Bardot. Bisher zog sie eine Stripshow ab, wie man sie auch im
Dollhouse hätte sehen können. Doch jetzt durfte ihr das Brusthaartoupet auch noch den String runterziehen – und Biggi griff sich in den Schritt.

Das tat sie aber nicht etwa, um ihre Blöße verführerisch zu bedecken. Nein, zu unserem grenzenlosen Erstaunen zog sie sich eine ganze Wäscheleine mit Liebeskugeln aus dem Schacht.


Schnappatmung in der heterogenen Zuschauermenge; von 18-jährigen Kicherteenies bis zu fetthaarigen Frührentnern war alles vertreten. Dazu ein Blogger und ein Doktor der Physik. Wir zählten vier Liebeskugeln, alle etwa tischtennisballgroß. Eine nach der anderen fluppte aus Biggi raus nach kurzem Bremswiderstand, der anscheinend ihrem engen Beckenbau zu schulden war.


Das Brusthaartoupet lächelte weiter wie erstarrt, während Biggi sich diversen neckischen Spielchen mit ihren Tischtennisbällen widmete. Und dann – simsalabim – ließ sie alle wieder verschwinden. Und zwar genau dorthin, wo sie sie eben hervorgezaubert hatte.


Dr. K. und ich schauten uns an. Der Abend, darin waren wir uns stumm einig, war in Nuancen anders verlaufen als erwartet, Kiez hin oder her.
Dann tranken wir weiter unser Bier.

Ob der Versuch, dabei möglichst undebil zu lächeln, halbwegs gelang, müssen andere beurteilen.


(Dieser Beitrag stammt von 2009 und wird hiermit hoffnungsfroh reaktiviert.)



22 November 2017

Fundstücke (223)


Entdeckt an der U-Bahn Mundsburg. Suchen Sie sich bitte Ihre Lieblingsübersetzung aus:






20 November 2017

Rechtsruck in Swinemünde

Speisen in Polen: Das ist ein ganz eigenes Kapitel. Gestern wählte Ms. Columbo aus der Vitrine im sehr empfehlenswerten Swinemünder Lokal La Trompa  einen optisch sehr ansprechenden Kuchen aus, dessen Name nur auf Polnisch angegeben war. Der Lokalchef, ein Deutscher, übersetzte ihn, während er uns über den Rand seiner Lesebrille hinweg neugierig musterte: „Das heißt Zigeunerbrüste.“ 

So etwas hätte es in Deutschland inzwischen schwer. Eine denkbare Variante namens „Sinti-und-Roma-Brüste“ wäre als Vermeidungsstrategie nicht mal die wahrscheinlichste, sondern eher die vorauseilende Flucht in eine garantiert von keiner beleidigungs- und empörungsfähigen Minderheit anmahnbare Umbenennung. Vielleicht „Hügeltorte“ …? 

Unterhaltsam wird es auch, wenn die Swinemünder Gastronomie sich ans deutsche Touristenzielpublikum ranwanzen will. Eine Süßspeise aus der Pommestüte zum Beispiel nennen sie hier „Wuffel“; das ist schon sehr putzig. Allerorten sorgen zudem Karten und Schilder für kleine Entertainmentmomente – einfach nur dadurch, dass beim ungelenken Versuch, sich entgegenkommend des Schriftdeutschen zu bedienen, diese komischen Tüddelchen über den Vokalen fehlen („Brathahnchen“).

Auch in unserem Hotel hakt es überall ein bisschen, aber nirgends so sehr, dass man es deswegen mit Liebesentzug bestrafen müsste. Das hoteleigene Internet etwa schenkt uns seine Gunst nur sporadisch, glänzt dann aber mit Geschwindigkeiten von 217 Mbit/s. Von so was kann ich zu Hause auf dem Kiez nur träumen, o2! 

Im Bad ist derweil die Klobrille locker und kippt – konform zur momentanen polnischen Regierung – stark nach rechts, so dass jede Sitzung zu einem Balanceakt mit ungewissem Ausgang wird. Vom Vorhang vor der Balkontür, der einen knappen Meter überm Boden unversehens endet und Passanten interessante Wadenblicke bietet, berichtete ich ja gestern schon.

Der Swinemünder sieht das eben alles nicht so eng. Wer sich an solchen Petitessen stört, wandert halt ein paar Kilometerchen weit zum Soundtrack der Brandung über den festen Sandstrand nach Norden, wo ihn alsbald das urdeutsche Seebad Ahlbeck willkommen heißt.

Und dort – darauf würde ich eine ganze Wuffelladung verwetten – kippelt keine einzige Klobrille.



19 November 2017

Der Meister aller Chuzpeklassen

Auf dem riesigen Polenmarkt in Swinemünde, der auch im Wind und Regen der Nachsaison unermüdlich durchgeführt wird, inspizieren wir interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn. Es gibt hier Hunderte davon, und alle sind günstig, aber sind sie auch echt?

Wahrscheinlich will man uns hier Fälschungen andrehen, das ist bekannt. Also heißt es auf dem Quivive sein. Zur Sicherheit haben wir kurz gegoogelt und herausgefunden, woran man echte von gefälschten Wellensteyn-Jacken unterscheiden kann: besonders an den Knöpfen und Reißverschlüssen, auf denen der Firmenschriftzug ebenfalls eingeprägt sein sollte. Diese Aufgabe scheint Fälschern zu komplex zu sein, weshalb sie sie sich gerne sparen. Sie setzen einfach darauf, dass der gemeine Kunde so genau nicht hinschaut, sondern sich von den applizierten Buttons blenden lässt. 

Wir wähnen uns nach dieser Recherche also gut genug gerüstet, um uns von den Händlern auf dem Polenmarkt von Swinemünde nicht übertölpeln zu lassen. Ja, mehr noch: Im Verkaufsgespräch werden wir sie gegebenenfalls mit unseren Erkenntnissen konfrontieren und somit schwer zum Schwitzen bringen. Wahrscheinlich werden sie sodann unter der Last der vorgebrachten Beweise zusammenbrechen und auf Knien schwören, hinfort nicht mehr zu sündigen wider die heilige Markenhoheit der Hersteller. 

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen wir an einem Klamottenstand auf dem Polenmarkt in Swinemünde interessiert eine Funktionsjacke von Wellensteyn inspizieren. Vor allem schauen wir uns die Knöpfe an. Und siehe da: Es gibt weder Wellensteyn-Logo noch imprägnierten -Schriftzug – das Teil ist gefälscht! Der noch arglose Händler schichtet in der Nähe Kleider auf und schaut nicht herüber. Er ahnt noch nichts vom hochnotpeinlichen Kreuzverhör, dem wir ihn gleich unterziehen werden. Doch er kommt uns zuvor. 

„Bittä nicht guckän Knepfe“, sagt er, „ist alläs nachgemacht.“ 

Ein Satz wie aus dem Nichts, einer wie ein nasser Waschlappen, der einem links und rechts um die Ohren gehauen wird. Wir sind komplett entwaffnet, unsere ganze Google-Munition löst sich in Luft auf. „Auch bei Ihren Kollegen?“, fasst sich Ms. Columbo als erste, während ich noch schwer an meiner Verdatterung zu knabbern habe. 

„Nadirrlich“, sagt der Meister aller Chuzpeklassen, während er einen weiteren Kleiderstapel von A nach B packt, „alläs nachgemacht.“

Ich glaube, es gibt kaum etwas Verblüfferendes als fehlendes Unrechtsbewusstsein, das auch noch offensiv vertreten wird. Eine ganz frische Erkenntnis, für die ich Swinemünde von jetzt an sehr dankbar sein werde.

PS: Gespart hat auch unser Hotel, nämlich an der Länge der Vorhänge (Foto). Man könnte von gegenüber also unsere Waden bewundern, aber dort steht nur eine unbewohnte Ruine.



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